Protokoll der Sitzung vom 14.12.2017

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das sollte man sagen. Wenn man Vater von einem Kind ist, dann weiß man, wenn man Beiträge bezahlt, dass man diese steuerlich geltend machen kann. Ich kann meine Kindergartengebühren steuerlich geltend machen. Das heißt, ich habe keine 5.000 € Nettoentlastung, wie Sie es hier sagen. Bleiben Sie einmal bei der historischen Wahrheit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dann schrumpft der Entlastungsbetrag auf unter 100 € im Monat. Das ist immer noch ordentlich viel Geld. Aber wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger fragen, ob ihnen eine gute Qualität in der Kita 90 € wert ist, dann werden Sie viele Bürgerinnen und Bürger finden, die diese Frage mit Ja beantworten. Das ist ihnen eine gute Qualität in einer Kita wert. Natürlich nähmen sie es auch gern umsonst. Aber es gibt genug Bürger, die sagen, dass es ihnen das wert ist. An denen vorbei machen Sie Politik. Das sollten Sie sich auch überlegen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir schon bei der historischen Wahrheit sind: Sie erzählen hier immer etwas von 50 Millionen €. Dann sagen Sie doch bitte: 50 Millionen € in zwei Jahren. Sie erwecken den Eindruck, als würden Sie jährlich 50 Millionen € über diesen Haushalt zur Verfügung stellen. Sagen Sie es doch so, dass jeder es versteht: in einem Jahr 12 Millionen € und im anderen Jahr 37 Millionen €. Sagen Sie doch bitte, wie es ist, und versuchen Sie nicht immer, hier Zahlen aufzublasen, die Ihnen am Ende keiner mehr glaubt.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wenn wir schon einmal bei der Wahrheit sind, dann erklären Sie mir bitte genau, wie Sie sagen können, Sie fördern die Kommunen mit 37 Millionen € im Jahr für mehr Qualität. Gleichzeitig streichen Sie aber die Unterstützung für die Flüchtlingskinder in den Kitas um 36 Millionen €, die es 2019 nicht mehr gibt. Die Förderung von Flüchtlingskindern in Kitas in Höhe von 36 Millionen € streichen Sie oder führen Sie nicht mehr aus, dafür gibt es 37 Millionen € für die Qualität. Netto sind das 1 Million €, die Sie mehr zur Verfügung stellen, und das ist die wirkliche haushaltspolitische Wahrheit. Die müssen Sie hier akzeptieren. Ich habe es Ihnen gestern schon einmal gesagt:

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Qualitätszuschuss ist für die Kommunen linke Tasche, rechte Tasche, und die Flüchtlingskinder sind 2018/2019 nicht einfach weg. Sie sind erst recht in den Kitas und brauchen die Unterstützung. Versuchen Sie also, bei der historischen Wahrheit zu bleiben – das wäre wunderbar – und nicht schwarz-grüne Scheinriesen aufzubauen, die dann in sich zusammenfallen.

(Beifall bei der FDP)

Ich will noch etwas Grundsätzliches sagen. Wir halten es für richtig, Plätze zur Verfügung zu stellen, weil wir ohne die Plätze über alles andere nicht zu reden brauchen. Es fehlen Tausende von Plätzen in Hessen, eine gewaltige Anstrengung der Kommunen. Sie können in jeden kommunalen Haushalt hineinschauen. Es wird keinen einzigen geben, in dem nicht in diesen Bereich investiert wird. Überall in Hessen werden neue Kindertagesstätten und Krippen gebaut, weil sie notwendig sind, weil immer noch ein großer Druck ist. Wenn Sie nachschauen, wie viele Klagen mittlerweile bei den Kommunen anhängig sind, dann sehen Sie: Es ist ein unglaublicher Druck im Kessel. Das müssen Sie akzeptieren.

Wenn Sie jetzt die Beitragsfreistellung zur Hälfte von den Kommunen bezahlen lassen, nehmen Sie den Kommunen Geld zum Investieren. Damit erweisen Sie einen Bärendienst. Das ist die falsche Entscheidung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Dazu kommt, dass wir in Deutschland im Jahr fast 900 Milliarden € für Soziales ausgeben. Das ist gut angelegtes Geld. Diese Ausgaben wachsen schneller als das Wirtschaftswachstum, es gab einen enormen Schub in den letzten Jahren. Für Bildung geben wir 129 Milliarden € aus. Das sind 4 % des Bruttoinlandsprodukts, das andere sind gut 30 %.

Warum sind das 129 Milliarden €? – Weil das Statistische Bundesamt sagt: Investitionen in Kitas und Krippen sind Bildungsausgaben. Die sind dort drin. Wenn sie nicht darin wären, würden die Ausgaben für Bildung, relativ gesehen, fallen. Wenn Sie jetzt Elternbeiträge aus dem System nehmen und sie durch Steuermittel, die auch von den Eltern bezahlt werden, wenn auch nur zum Teil, ersetzen, wird für die Bildung in unserem Land kein Cent mehr ausgegeben.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Bartelt, Sie sagen, die Chancen der Kinder in unserem Land sind Ihnen wichtig. Gehen Sie in die Kitas, und sehen Sie, wie hoch der Förderbedarf mittlerweile in den Kitas ist, wie schwierig es manchmal in den Kitas ist im Vergleich zu vor 10, 20 oder 30 Jahren. Das kennen wir von den Schulen, und in den Kitas ist es genauso. Das Ziel ist, dass die Kinder, wenn sie aus den Kitas kommen und in die Grundschulen gehen, eine echte Chance haben, in diesen Schulen zu bestehen. Das muss doch das oberste Ziel aller Abgeordneten in diesem Raum sein, dass diese Kinder eine faire Chance haben.

Wenn Sie jetzt 310 Millionen € in die Hand nehmen, könnten Sie davon ein Drittel mehr Erzieher einstellen. Sie könnten bei der Qualität der Kitas in unserem Land einen gewaltigen Schritt vorangehen. Aber Sie investieren in eine weitere sozialpolitische Maßnahme, die aller Ehren wert

ist, aber die aus unserer Sicht zur heutigen Zeit die falsche Priorität ist. Wir müssen in die Chancen der Kinder investieren, und zwar jeden Euro, den wir gerade zur Verfügung haben, und nicht versuchen, vor Wahlen bei den Bürgern den Eindruck zu erwecken: Es gibt wieder etwas umsonst.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich bin mir sicher, dass mir viele Köpfe, zumindest auf dieser Seite des Hauses, recht geben. Wenn Sie etwas zur Gerechtigkeit und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen wollen, dann müssen Sie an die Krippen gehen, dann müssen Sie die Krippen in den Fokus nehmen. Es gibt in Hessen Kommunen, die 600 oder 700 € nehmen. Da müssen Sie hingehen. Machen Sie ein Gesetz und sagen: 20 % der Betriebskosten – das ist ein Deckel, den man nehmen kann –; die Geschwisterregelung ist vorgeschrieben. Dann haben Sie etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die Gerechtigkeit getan.

(Beifall bei der FDP)

Aber das, was Sie jetzt tun, ist der Versuch, sich ein paar Wählerstimmen einzukaufen, den Menschen zu sagen: Hier gibt es 90 € netto als Geschenk vom Staat, das braucht ihr, das ist gut für euch als Familien, damit könnt ihr vielleicht privat Bildungsinvestitionen finanzieren. – Das wäre schön. Aber den Kindern, den Einrichtungen, den Erziehern bringt das nichts. Wenn Sie uns dann auch noch Sand in die Augen streuen und sagen, Sie geben 37 Millionen € mehr für die Qualität im Vergleich zu 310 Millionen € für Kostenfreiheit, dann ist das wieder die gleiche Gewichtung, die wir bei den Sozialausgaben und Bildungsausgaben haben.

Wir müssen mehr für Bildung ausgeben. Wir müssen mehr in die Chancen unserer Menschen investieren. Daher appelliere ich noch einmal an Sie: Nehmen Sie dieses Geld, und stecken Sie es komplett in die Qualität und die Chancen unserer Jugend und die Chancen der Menschen in unserem Land. Dann haben Sie die richtige Entscheidung getroffen. Dafür werden wir Ihnen auch noch einen Gesetzentwurf vorlegen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Rock. – Das Wort hat der Abg. Gerhard Merz, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist – das habe ich bei ähnlicher Gelegenheit schon einmal gesagt – mehr Freude im Himmel und auf Erden über einen reuigen Sünder als über 99 Gerechte. Insofern begrüße ich, dass sich die Kollegen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch der Herr Minister mittlerweile dazu bereit erklärt haben, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Gebührenentlastung eine wesentliche Forderung unserer Zeit, nämlich eine wesentliche familienpolitische Forderung, ist, weil es hier in erster Linie um die finanzielle Entlastung der Eltern geht.

Wenn ich sage, es ist mehr Freude im Himmel über einen reuigen Sünder, dann betrifft das schon auch meine eigene Fraktion und mich selbst, weil ich vor fünf oder sechs Jahren in dieser Frage – auch wir als Fraktion, als Partei – die

Prioritäten noch anders gesehen habe, aus verschiedenen Gründen anders gesehen habe. Im Verlauf der Debatte über die Frage, wie man Familien besonders entlastet und wie man Kinderarmut effektiv bekämpfen kann, sind wir zu anderen Auffassungen hinsichtlich der Prioritätensetzung gekommen. Das ist das Ergebnis eines Diskussions- und Lernprozesses.

So ist es auch mit der Geschichte unserer Gesetzentwürfe, von denen hier schon so viel die Rede war. Sie dokumentieren einen Entwicklungsprozess, an dessen Ende unser gestern eingebrachter Gesetzentwurf stand. Sie reflektieren auch – das habe ich an dieser Stelle schon einmal gesagt – eine andere finanzielle Lage des Landes Hessen. Als wir unsere Gesetzentwürfe vorgelegt haben, waren die Haushalte noch defizitär. Wir hatten Ausgaben von um 2 Milliarden € für die Flüchtlingsbetreuung. Wir hatten den Länderfinanzausgleich noch nicht unter Dach und Fach, und vieles andere mehr. Dies alles ist jetzt teilweise dramatisch anders.

Deswegen ist auch die finanzielle Ausgangssituation für diese Debatte eine ganz andere – damit wir das einmal geklärt haben.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt kommen wir zu dem konkret vorliegenden Gesetzentwurf, weil Sie doch nicht so ganz bußfertig waren, meine Damen und Herren. Für wen bzw. für was soll es denn eine Gebührenbefreiung geben? Es gibt z. B. keine Befreiung für die Ganztagsbetreuung. Ihr Gesetzentwurf macht bei sechs Stunden halt. Herr Minister, Sie haben neulich gefragt, wie wir auf 7,5 Stunden kommen. Ausweislich der Zahlen des Statistischen Landesamtes vom 1. März dieses Jahres beträgt die durchschnittliche Betreuungszeit 7,5 Stunden. Das heißt, die Realität wird durch diese Gebührenentlastung in keiner Weise abgebildet.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte Ihnen sagen, dass es z. B. im Auftrag des Landesrechnungshofs eine vergleichende Untersuchung der Sonderstatusstädte gibt. Sie beschäftigt sich auch mit der Lage der Kindertagesstätten. Die Betreuungszeiten werden abgebildet. Daran sehen Sie noch viel dramatischer, dass die Betreuungszeiten in den Städten – nachgewiesen bei den Sonderstatusstädten – im Schnitt drastisch höher sind. Auch aus der gestern schon zitierten Studie der Bertelsmann Stiftung für Hessen können Sie die Realität der Betreuungszeiten ablesen.

Natürlich besteht die Gefahr, dass sich die Kommunen jenseits der jetzt freigestellten Grenze von sechs Stunden schadlos halten werden. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, als wir Ihre Vorschläge zum ersten Mal diskutiert haben. Es gibt ein erstes Beispiel. Die Stadt Bad Hersfeld plant ganz offensichtlich, die Gebühren für alles, was über sechs Stunden hinausgeht, teilweise extrem um bis zu 160 % zu erhöhen. So viel dazu.

Zu U 3 hat Kollege Rock schon etwas gesagt. Bei U 3 geht es in der Tat nicht ausschließlich um die Entlastung von Familien. Es geht hier auch darum, dass wir einen Anreiz für Eltern aus bildungsfernen Häusern setzen müssen. Das sind in der Regel Eltern mit geringem oder ohne Einkommen. Wir haben in Hessen eine soziale Schlagseite bei der Inanspruchnahme von U-3-Betreuungsplätzen. Das steht im Landessozialbericht. Das ist nicht neu. Das ist bundesweit so, aber in Hessen ist es besonders ausgeprägt. Die

U-3-Betreuungsplätze werden, wenn ich mich richtig erinnere, zu 80 % von Eltern beansprucht, die selbst hohe Bildungsabschlüsse haben, und nur zu 11 % von Eltern mit Hauptschulabschluss. Wenn es irgendwo Sinn macht, dass Gebührenbefreiung eine Anreizfunktion hat und haben muss, ist es an der Stelle. Hier tun Sie gar nichts, gar nichts.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Bildungspolitisch ist das eine Fehlsubventionierung und ein Fehlanreiz, der nicht unkommentiert bleiben kann. Das war einer der großen Punkte, aufgrund dessen wir gesagt haben, wir machen die Gebührenfreiheit auch für U 3. Das erreicht genau die Kinder, von denen man sich aus bildungspolitischen, aus sozialpolitischen und aus jugendpolitischen Gründen dringend wünscht, dass sie frühzeitig in die Einrichtungen kommen, wie die anderen Kinder auch.

Zum Essen ist schon etwas gesagt worden. Es ist doch absurd, meine Damen und Herren, zu sagen, dass ich einem Kind kein Essen geben muss, wenn es sechs Stunden in der Einrichtung ist. Nehmen wir an, ein Kind ist ab 7 Uhr oder 8 Uhr sechs Stunden in der Einrichtung und bleibt bis 13 Uhr oder 14 Uhr. Nebenan essen die Kinder, die ganztags betreut werden und für die ein Mittagsessen zwingend zum Angebot gehört. Das passiert in der Realität übrigens jetzt auch schon teilweise. Das ist schlimm genug. Die Kinder, die um 13 Uhr oder 14 Uhr abgeholt werden, haben auch Hunger, bekommen aber nichts. Natürlich haben sie Hunger. Was sollen sie um die Uhrzeit sonst haben? Das ist doch absurd. Herr Minister, jeder Träger und jede Kommune werden dafür sorgen müssen, dass für diese Kinder auch ein Essen angeboten wird, damit es nicht zu einem Aufstand der Eltern kommt.

(Beifall der SPD und der LINKEN)

Das ist doch auch das, was Sie von allen Kommunalen Spitzenverbänden gehört haben. Ich könnte Ihnen jetzt ganz viele Briefe und Stellungnahmen von Kommunalen Spitzenverbänden und von einzelnen Kommunen vorlesen. Das werde ich nicht tun, weil Sie sie ebenso kennen oder zumindest kennen können wie jeder hier im Raum. Das ist nicht realistisch.

KFA: Hier ist viel von Versprechen die Rede gewesen. Wir werden unsere Versprechen selbst bezahlen. Das kann man im vorliegenden Fall nicht sagen, weil sie 50 % selbst bezahlen müssen. Das ist die Hauptbeschwerde der Kommunalen Spitzenverbände. Sie haben recht. Es stimmt alles, was René Rock vorhin zu den Wirkungen gesagt hat. Sie wehren sich gegen eine weitere Befrachtung des Kommunalen Finanzausgleichs. Das ist auch vollkommen zu Recht der Fall.

Pauschale 136 €: Es kann überhaupt keine Rede davon sein, Herr Kollege Dr. Bartelt, dass das eine sorgfältige Untersuchung war.

(Heiterkeit des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich will aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage zitieren:

Da die Auswertung keine Vollerhebung der Gebührensituation in Hessen darstellt, ist sie als Grundlage zur Beantwortung der in der Großen Anfrage gestellten Fragen nicht geeignet.

Aber sie ist geeignet, Grundlage für eine gesetzliche Regelung zu werden,

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)