Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Meine Damen und Herren, morgen jährt sich zum 65. Mal die Unterzeichnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten)

Auf die Grundrechte kann sich jeder berufen. Zentrales Grundrecht ist die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1.

(Zurufe von der SPD: Oje, oje!)

Ich zitiere für die, die es vergessen haben:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Das gilt für alle Bürger und selbstverständlich auch innerhalb der Parteien, jedenfalls für die CDU. Ob Ihnen das gefällt oder nicht, so ist zunächst einmal ein solcher Tweet von der Abgeordneten Steinbach einzuordnen.

Die Meinungsäußerung ist zulässig, aber – damit das hier ganz klar gesagt ist – der Vergleich der schrecklichen Diktatoren des 20. Jahrhunderts mit Putin ist unhistorisch, sie ist falsch, und sie stellt nicht die Meinung der CDU dar.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, völlig neben der Sache liegen Sie jedoch mit der Kritik im Hinblick auf den von Ihnen angespielten Artikel im „Wetzlar Kurier“, dessen Herausgeber Hans-Jürgen Irmer ist. Ausgerechnet morgens um 6:41 Uhr, vor unserem Landesparteitag in Rotenburg, empören Sie sich in einer PM, obwohl der Artikel eine Woche zuvor veröffentlicht wurde. Sie sind wahrscheinlich Abonnent des „Wetzlar Kuriers“, weil Sie diesen sicher immer sehr ordentlich sichten.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Sie empören sich an diesem Tag, an unserem Parteitag, über den Artikel. Ich sage das hier ganz klar: mit völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten über – jetzt zitiere ich Sie – angebliche ausländerfeindliche Hetze im „Wetzlar Kurier“. Und das muss ich zurückweisen. Das ist an dieser Stelle völlig absurd.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Seitenartikel im „Wetzlar Kurier“ zitiert im Wesentlichen Auszüge aus großen deutschen Zeitungen und greift die Debatte auf, die der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in den letzten Tagen angestoßen hat. Man muss diese Meinung zu gewalttätigen Übergriffen auf Polizeibeamte und vor allen Dingen auf Polizeibeamtinnen nicht teilen. Sie jedoch aufzugreifen ist allemal zulässig.

Wenn Sie mich fragen, muss man doch auch zur Kenntnis nehmen, was im Polizeidienst draußen Realität ist, und zwar unabhängig davon, ob Ihnen das gefällt oder nicht, lieber Herr Kollege Rudolph. Entscheidend ist, in welchem Stil dies geschieht. Deshalb hilft einmal das Zitat des Fazits aus dem „Wetzlar Kurier“, was zum Nachlesen für jeden möglich ist:

Um nicht missverstanden zu werden, der allergrößte Teil der Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen lebt in Deutschland in Achtung vor dem Gesetz und respektiert unsere Gesetze, unsere Werte und Sitten.

Meine Damen und Herren, Herr Merz schreibt in seiner Pressemitteilung: Hans-Jürgen Irmer hetzt gegen Migranten. – Dann müssten Sie in Ihrer Pressemitteilung auch schreiben: Frank Pröse aus der „Offenbach-Post“ oder Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft hetzen gegen Migranten.

Meine Damen und Herren, lieber Herr Merz, ich muss an der Stelle ernsthaft fragen, ob Ihnen das nicht peinlich ist. Haben Sie diesen Artikel wirklich gelesen? – Ihre bewusste Fehlinterpretation schadet der Sache. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass konstruktive Oppositionsarbeit etwas anderes ist als reflexartige Empörung am falschen Ort.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Kollege Pentz. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alle paar Wochen diskutieren wir im Landtag über unsägliche Äußerungen von Herrn Irmer. Das ist leider auch nötig, weil der Landtag nicht schweigen darf, wenn ein Abgeordneter Ressentiments und Vorurteile in einer Art und Weise schürt, wie Herr Irmer das in seinem „Wetzlar Kurier“ macht.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

In jeder Ausgabe wird Stimmung gegen Muslime und Migranten gemacht. Im Januar 2014 lautete der Titel:

Islamische Verbände haben Grundgesetz nicht verstanden

Im März 2014 war es: Nein zur Einwanderung in soziale Sicherungssysteme

In der aktuellen Ausgabe zieht Herr Irmer über angeblich „kriminelle Migranten“ her und versucht, den Eindruck zu erwecken, als seien es vor allem Migranten, die gegenüber Polizisten gewalttätig würden.

Auch für die „Junge Freiheit“ schreibt Herr Irmer regelmäßig Artikel, in denen dann solche Dinge wie Folgendes stehen – ich zitiere –:

Wir wollen als Christen niemanden in die Hölle schicken, wir sollten die Islamisten aber unverzüglich in ihre angestammte Heimat schicken, statt sie teilweise noch über Sozialleistungen zu finanzieren.

Wer sich derart als Stichwortgeber für Rechtsaußen betätigt, der vergiftet ganz bewusst das politische Klima und profiliert sich auf Kosten der Minderheiten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie armselig ist es, wenn man meint, sich auf Kosten der Flüchtlinge, auf Kosten der Migranten und auf Kosten der Homosexuellen profilieren zu müssen? Das ist Wasser auf die Mühlen der NPD. Von denen wurde Herr Irmer des Öfteren schon gelobt.

Herr Ministerpräsident, Sie haben zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt, Sie wollten die Willkommenskultur in Hessen stärken. Da frage ich Sie: Wenn Sie das ernsthaft wollen, warum ist Hans-Jürgen Irmer dann immer noch stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion? Sie haben ihn sogar wieder zum bildungspolitischen Sprecher benannt.

Meine Damen und Herren, wenn Herr Irmer Ihr Beitrag zum Schulfrieden ist, dann spricht das Bände. Sie haben einen Vertreter benannt, mit dem sich weder die GEW noch der Landeselternbeirat, noch die Landesschülervertretung an einen Tisch setzen wollen.

(Zuruf von der CDU: Das ist Ihre Behauptung!)

Herr Irmer ist nicht der einzige Scharfmacher in der hessischen CDU. Vergangene Woche sorgte Erika Steinbach für Entsetzen, weil sie den russischen Präsidenten Putin mit Hitler und Stalin verglich. Die Grüne Jugend forderte daraufhin völlig zu Recht ihren Rücktritt. Auch innerhalb der CDU stieß die Äußerung auf Kritik. Der stellvertretende Bundesvorsitzende, Armin Laschet, wies den Vergleich zurück. Ich hätte mir gewünscht, dass auch der andere stellvertretende Bundesvorsitzende, nämlich der Landesvorsitzende Volker Bouffier, diesen Vergleich zurückgewiesen hätte, der aus seinem eigenen Landesverband kommt, und nicht nur Armin Laschet.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Als das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung und die Rechte der Homosexuellen stärkte, kommentierte Frau Steinbach das Urteil mit den Worten:

Wer schützt eigentlich unsere Verfassung vor den Verfassungsrichtern?

Die Frage müsste wohl eher lauten: Wer schützt die Verfassung vor Frau Steinbach? Sie spricht so und tut das als menschenrechtspolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion. Sie redet über Menschenrechte, aber will den Homosexuellen in Deutschland die gleichen Rechte verwehren. Dabei bezieht sie sich auf angebliche Vorbehalte in der Gesellschaft, die sie selbst schürt. Diese Vorurteile sind nirgendwo so ausgeprägt wie in ihren eigenen Reihen. In Wahrheit ist die Gesellschaft doch viel weiter, und es darf nicht sein, dass Menschen wie Frau Steinbach auf Kosten der Homosexuellen Stimmung machen und sich profilieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Hessische Rundfunk fragte den Landesvorsitzenden der GRÜNEN in einem Interview zu Herrn Irmer und Frau Steinbach, ob er sich nicht klare Worte des CDU-Landesvorsitzenden Bouffier zu deren Aussagen wünsche. Daraufhin antwortete Herr Klose – ich zitiere –:

Wir haben bisher keinen Zweifel daran, dass diese abseitigen Meinungsäußerungen, die es von einigen gibt, auch von der CDU-Spitze kritisch gesehen werden. Da fehlt es auch nicht an Deutlichkeit.

Davon höre ich nichts.

Diese Koalition wird aber von den Landes- und Fraktionsvorständen und den Regierungsmitgliedern geführt. Weder Herr Irmer noch Frau Steinbach gehören der entscheidenden Koalitionsrunde an. In der täglichen Auseinandersetzung haben sie keine größere Bedeutung.

Herr Klose, meiner Kenntnis nach ist Herr Irmer immer noch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU. Er gehört also dem Fraktionsvorstand an. Er ist bildungspolitischer Sprecher der CDU.

Sie sagen, Herr Irmer sei völlig irrelevant. Es wäre schön, wenn er irrelevant wäre. Aber ich befürchte, das ist eine ziemliche Verharmlosung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Der Fraktionsvorstand der CDU ist irrelevant!)

Wenn die Mitglieder der CDU die Auffassungen des Herrn Irmer und der Frau Steinbach so abseitig finden würden, wie die GÜNEN versuchen, sich das einzureden, dann stellt sich schon die Frage: Warum stellen Sie genau diese Leute immer wieder zur Wahl auf und lassen sie angesichts des Zeuges, das sie von sich geben, gewähren?

(Beifall der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Deswegen sage ich: Wenn man solche Menschen in Parlamente entsendet und sie gewähren lässt, dann ist das Kalkül. Das sind keine Aussetzer oder Ausfälle, das ist bewusstes Fischen am rechten Rand. Die CDU steht in dieser Tradition. Sie führte mehrfach fremdenfeindliche Wahlkämpfe. Sie machte Stimmung auf Kosten der Migranten. Viele von denen, die das zu verantworten haben, sitzen heute noch in der CDU-Fraktion oder wie Herr Bouffier auf der Regierungsbank.