Protokoll der Sitzung vom 23.08.2018

(Beifall bei der LINKEN)

Würden alle Ehrenamtlichen von einem solchen Ticket profitieren, wären wir auf den Weg hin zu einer sozialökologischen Verkehrswende. Wir wären hinsichtlich unseres Ziels, der Nulltarif für alle, einen ganz schönen Schritt vorangekommen.

In der Begründung beziehen Sie sich dann auf das Schülerticket und das Landesticket. Aber auch da gibt es noch einige Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Natürlich stellt das Schülerticket eine Verbesserung der Mobilität dar. Das ist zu begrüßen.

Allerdings bleiben wir bei der Kritik, die auch vom Landeselternbeirat geäußert wird. Denn es gibt nicht hinnehmbare Ungerechtigkeiten. Manchen Schülerinnen und Schülern wird das Ticket komplett erstattet, anderen nicht.

Es bleibt auch dabei: Gerade für Familien mit mehreren Kindern sind die 31 € pro Monat noch immer eine erhebliche Belastung. Um Bildungshürden zu vermeiden und ech

te Chancengleichheit zu gewährleisten, muss die Beförderung für alle Schülerinnen und Schüler kostenlos sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme jetzt zum Landesticket, auf das sich die CDU hier bezogen hat. Da gibt es eine weitere Ungerechtigkeit. Im Juli 2018 haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsklinik in Frankfurt am Main dagegen protestiert, dass sie, anders als die Ärztinnen und Ärzte, kein Landesticket erhalten haben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist völlig absurd!)

Wir finden, es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, dass etwa 1.000 Ärztinnen und Ärzte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Klinik ein Landesticket erhalten haben, jedoch ausgerechnet die etwa 3.500 Klinikbeschäftigten, die deutlich schlechter bezahlten Pflege- und Reinigungskräfte sowie das Küchenpersonal leer ausgehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Gleiche gilt für die Beschäftigten der Studentenwerke. Ich finde, es muss endlich Schluss damit sein, dass es Landesbedienstete erster und zweiter Klasse gibt. Das Landesticket muss es für alle geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Abschließend sage ich: Das Hessenticket ist ein Trippelschritt in die richtige Richtung. Beim Schüler- und beim Landesticket gilt es, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Damit Mobilität aber wirklich für alle möglich ist und wir zu der Idee kommen, deren Zeit gekommen ist, müssen wir dafür sorgen, dass alle Menschen, unabhängig davon, ob sie jung oder alt sind oder ob sie ein niedriges Einkommen haben, Busse und Bahnen endlich besser nutzen können. Mobilität unabhängig vom Geldbeutel ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Lassen Sie uns endlich aus sozialen wie ökologischen Gründen Konzepte zur Einführung eines generellen Nulltarifs für alle Hessinnen und Hessen in Angriff nehmen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen.

(Wortmeldung des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

Herr Ministerpräsident, dann haben Sie das Wort.

(Manfred Pentz (CDU): Die SPD hat zu dem Thema gar nichts zu sagen! – Günter Rudolph (SPD): Gut, dass Sie das sagen! – Günter Rudolph (SPD) überreicht seine Wortmeldung dem Präsidium.)

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! – Ich weiß nicht: Möchten Sie jetzt vor mir oder nach mir sprechen?

(Günter Rudolph (SPD): Herr Ministerpräsident, nein, um Gottes willen!)

Also gut. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der CDU-Fraktion dankbar, dass wir die Gelegenheit

haben, uns – notgedrungen nur kurz – über dieses Thema auszutauschen.

Herr Kollege Rock, Sie haben recht. Das, was mich mehr als alles andere umtreibt, ist die Frage: Wie schaffen wir es, eine Gesellschaft, die vor großen Herausforderungen steht – das bestreitet doch ernsthaft niemand –, eine Gesellschaft, in der es Spannungen und Interessengegensätze gibt, die eher zu- als abnehmen – auch das bestreitet niemand –, zusammenzuhalten und in eine gute Zukunft zu führen? Ich habe die Debatte weitgehend mitbekommen. Wir sollten jetzt einmal einen kleinen Moment lang den pawlowschen Reflex weglassen, dass, wenn die eine Seite etwas vorschlägt, die andere Seite immer erklärt, das sei alles Käse.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das macht Schwarz-Grün häufiger!)

Dann kommen einmal die, und dann kommen einmal jene. Ich habe mir überlegt, wie das auf jemanden wirkt, der unsere Arbeit begleitet und die Debatte gerade mitbekommen hat. Jawohl, alle sind für das Ehrenamt.

Dann macht man einen Vorschlag. Wie wird darüber diskutiert? – Wahlgeschenk? – Das ist eigentlich Blödsinn. Glauben Sie wirklich, dass irgendjemand diese Debatte ernst nimmt? – Ich glaube das nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Deshalb will ich Ihnen zwei Antworten geben. Herr Schalauske, es geht nicht um die Frage der Mobilität. Die haben wir heute Morgen zigmal diskutiert. Es kann auch nicht um die Frage gehen, dass sich der Staat dort zurückzieht, wo er Aufgaben wahrnehmen muss. Es geht um etwas völlig anderes. Es geht um ein Verständnis dafür, wie sich diese Gesellschaft entwickeln wird.

Meine Damen und Herren, deshalb in aller Kürze: Die gesellschaftlichen Herausforderungen machen es notwendig, dass sich Politik und Staat vielfältig engagieren. Das tun wir. Ich hatte nicht vor, dazu zu sprechen – aber damit es auch nicht in Vergessenheit gerät, wenn man mich hier im Plenum fragt: Was tun wir für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft? Meine Damen und Herren, dieses Land Hessen bietet Chancen für junge Menschen wie kaum ein anderes Land. – Das tun wir für diese Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn mehr Menschen als jemals zuvor seit der Gründung dieses Landes in Arbeit sind – in gut bezahlter Arbeit, im Durchschnitt die bestbezahlte Arbeit in Deutschland –, dann ist das ein herausragender Beitrag dafür, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt. Wenn Hessen pro Nase mehr für Bildung bezahlt als jedes andere Bundesland, wenn wir eine breite Initiative für den ländlichen Raum starten, dann sind das alles Maßnahmen zum Zusammenhalt der Gesellschaft –

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und das, meine Damen und Herren, bei allem Streit um die Details. Das kann doch ernsthaft niemand bestreiten. Niemand mit Sinn und Verstand kann daherkommen und behaupten, alle Arbeit sei getan.

Ich will noch auf ein zweites Thema eingehen, das Ihnen doch auch so am Herzen liegt. Wie gehen wir um mit der großen Herausforderung der vielen Menschen, die zu uns gekommen sind? Wie gehen wir um mit Menschen mit völlig anderen Hintergründen, religiösen Traditionen, gesellschaftlichen Vorstellungen? – Jetzt schauen Sie sich doch einmal an, wie diese Regierung damit umgegangen ist: sehr zielstrebig, sehr konsequent, aber ohne Schaum vor dem Mund – und alles in allem mit großem Erfolg. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Beitrag zum Zusammenhalt in der Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb lassen Sie uns darüber in einen richtigen Wettstreit eintreten, wie wir das am klügsten tun. Meine Überzeugung ist nämlich, dass wir – bei aller Anstrengung von staatlicher und kommunaler Seite, auch im Wettbewerb um immer mehr – eine Sache nie erreichen: Es geht nämlich um die Frage, wie man aus einer Gesellschaft eine Gemeinschaft macht. Genau darum geht es. Bei realistischer Betrachtungsweise weiß doch jeder – Sie selbst haben von Ihrem Ehrenamt gesprochen –: Wir werden keine Gemeinschaft haben, wenn wir nicht Menschen haben, die immer wieder mehr tun, als sie müssen. Das ist sozusagen die Beschreibung des Ehrenamts: Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren, auch für öffentliche Dinge; Menschen, denen es eben nicht egal ist, was um sie herum passiert, und die nicht nur darauf bauen, dass die Gesellschaft irgendwie alle Themen löst. Das kann und das wird nie gelingen.

In einer freiheitlichen Gesellschaft – dafür stehe ich – darf der Staat auch nie den Anspruch haben, alles und jedes umfassend zu regeln. Das nimmt den letzten Rest der Freiheit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb geht es in erster Linie weder um Mobilitätsförderung noch um irgendetwas sonst. Es geht um die Grundüberlegung. Deshalb ist es richtig, was die Kollegen gesagt haben – Kollege Pentz –: Diese Ehrenamtler sind der Kitt dieser Gesellschaft. Sie brauchen es nicht, dass wir Abgeordnete ihnen auf irgendeinem Festtag immer alle lobend entgegentreten. Das ist zwar richtig, aber die Grundidee dahinter ist eine andere.

Herr Schalauske, an Sie noch einmal in aller Klarheit: Die Ehrenamtler sind keine Lückenbüßer für die Versäumnisse des Staates. Das Verständnis einer Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle, ist nicht der allumfassende, diktierende Staat,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, genau!)

sondern eine Gesellschaft, in der es viele Menschen gibt, die mitmachen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Kollegin Wissler, wir können hier beschließen, was wir wollen. Besonderes Engagement, Empathie, menschliche Zuwendung, besondere Orts- und Fachkenntnisse können Sie aber nicht staatlich verordnen. Da können Sie nur dankbar sein, dass es Menschen gibt, die so etwas einbringen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil das so ist, habe ich mich sehr gefreut, dass die Initiative der CDU bei dem anstehenden Verfassungsreformprozess, die Unterstützung des Ehrenamtes als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen, breiteste Zustimmung gefunden hat. Alle haben zugestimmt. Darüber kann man sich doch nur freuen.

Worum geht es jetzt? – Es geht jetzt erstens darum, dass wir alle gemeinsam dafür werben, dass die Bürgerinnen und Bürger in Hessen bei der Volksabstimmung der geänderten Verfassung zustimmen. Zum Zweiten geht es darum, dass wir dieses Staatsziel, das wir alle gemeinsam wollen, mit konkretem Leben erfüllen.

Ich bin da offen für vielfältige Dinge. Ich habe es für nützlich und sinnvoll gehalten – deshalb habe ich diesen Vorschlag gemacht –, Menschen, die sich in ganz besonderer Weise engagieren, mit einem attraktiven Hessenticket wertzuschätzen und zu unterstützen. Darum geht es, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Staat kann das Ehrenamt nicht anordnen – Gott sei Dank. Aber unser aller Verpflichtung muss es doch sein – meine ist es seit eh und je –, dass wir dieses wertschätzen und unterstützen. Ich habe den Vorschlag gemacht: Lasst uns das an der Ehrenamts-Card orientieren. Über die Einzelheiten kann man doch diskutieren, da bin ich völlig offen. Aber damit mir nicht vorgeworfen wird, ich hätte da so eine wolkige Idee in den Raum geworfen, habe ich einen Vorschlag gemacht. Ich finde die Idee der Ehrenamts-Card, dass ehrenamtlich tätige Menschen besonders wertgeschätzt werden sollten, sehr nachvollziehbar.