Wir haben jetzt und hier an zwei ganz konkreten Beispielen die Möglichkeit, darzustellen, wie wir zur Flüchtlingspolitik stehen und was dazu unser Ansatz ist. Wir haben aus meiner Sicht einen sehr pragmatischen und vernünftigen Ansatz: Wir wissen, dass wir ein Problem mit Bandenkriminalität haben. Wir wissen, dass wir eine Häufung der Kriminalität bei Migranten aus gewissen Ländern haben; da gibt es statistisch gesehen – nicht gefühlt oder emotional –, eine Häufung.
Wir wissen auch, dass wir in diese Staaten – z. B. Tunesien – in den Urlaub fahren können. Es ist keinem Bürger mehr zu erklären, warum man nicht Menschen in solche Länder abschieben kann, die sich hier in unserem Land nicht vernünftig benehmen. Das ist nicht erklärbar. Man kann an dem berühmten Beispiel Sami A. sehen, wie man in Tunesien mit Menschen umgeht, die unter dem Verdacht des Terrors stehen, die dort beobachtet werden, die dort verhört werden, die dort Teil eines Ermittlungsverfahrens sind. Wir sehen das. Wir erleben das. Darum ist es für uns zwingend erforderlich, dass wir die Maghreb-Staaten zu sicheren Drittstaaten erklären.
Ich kann nicht verstehen, dass das nicht schon längst passiert ist. Ich kann nicht verstehen, warum wir Menschen nicht abschieben können, die hierhergekommen sind und die unsere Gesellschaft eigentlich für schwach und ablehnenswert und unsere Werte für falsch und überholt halten. Das verstehe ich nicht.
Wir zerlegen unseren eigenen Rechtsstaat wegen Menschen, die unsere Gesellschaft und unsere Werte ablehnen, nur weil wir nicht in der Lage sind, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Wir als Parlamentarier sind in der Verantwortung, im Bundesrat und im Bundestag endlich die Voraussetzungen zu schaffen.
Wenn man sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat anschaut, dann stellt man fest, dass Hessen in einer ganz besonderen Verantwortung ist. Wir brauchen ein klares Bekenntnis dafür, dass wir entscheiden wollen. Herr Ministerpräsident, zeigen Sie Führung, und sorgen Sie dafür, dass Hessen hierzu eine klare Haltung hat.
Es gibt ein Weiteres, das unsere Bürger nicht verstehen. Wir alle wissen, wie schwierig es ist, auf dem Arbeitsmarkt eines fremden Landes Fuß zu fassen und sich zu integrieren. Das wissen wir alle. Das wissen auch Statistiken. Die Arbeitsverwaltung spricht von fast sieben Jahren, die man braucht.
Es gibt sehr viele Flüchtlinge, die der Beweis dafür sind, dass es anders geht. Diese haben sich engagiert und sich integriert. Sie respektieren unsere Werte. Sie arbeiten in unserem Land und verdienen ihren Lebensunterhalt. Sie brauchen keine Sozialhilfe. Sie haben etwas geschafft, was außergewöhnlich ist.
Deshalb muss man diesen Flüchtlingen ein Angebot machen, die hierherkommen, die unsere Wertschöpfung stützen und wichtige Berufe ausüben, die von uns vielleicht niemand mehr ausüben will. Das ist doch nur vernünftig und pragmatisch. Deshalb ist es wichtig, dass diese Landesregierung sagt: Wir sind für den Spurwechsel. Flüchtlinge, die hier leben und arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen, dürfen hierbleiben.
Herr Ministerpräsident, liebe Landesregierung, liebe die Landesregierung tragenden Fraktionen, wenn Sie Handlungsfähigkeit beweisen wollen, dann machen Sie pragmatische Politik, die man unseren Bürgern erklären kann. Diejenigen, die unser Land verachten, die unsere Institutionen lächerlich zu machen versuchen, die uns auf der Nase herumtanzen, müssen auch zurückgeschickt werden können. Denjenigen jedoch, die sich hier einbringen, müssen wir ein Angebot zur Integration machen. Das versteht jeder Bürger in unserem Land. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Rock, ich stelle Ihnen eine Frage, nämlich die Frage, ob Sie es wirklich für angemessen halten, dass wir in einer Aktuellen Stunde mit fünf Minuten Redezeit zwei so hochkomplexe Bereiche der Arbeitsmarkt- und Asylpolitik zusammenführen.
Sie haben alles hineingerührt, was Ihnen so gerade eingefallen ist, von Sami A. bis hin zu kriminellen Menschen, die zu uns gekommen sind und des Landes verwiesen werden müssen. Über das eigentliche Thema Fachkräfte haben Sie eigentlich gar nicht gesprochen. Sie wollen völlig offenkundig nur noch einmal kurz vor der Wahl ein paar Punkte sammeln. Ich sage Ihnen, das wird Ihnen nicht gelingen.
Wir haben es mit zwei sehr komplexen Themenbereichen zu tun. Es ist sicherlich Konsens, dass wir schneller werden müssen bei der Bearbeitung von Asylverfahren. Das gelingt übrigens in Gießen auf hervorragende Art und Weise. Insofern hat Hessen ein sehr gutes Beispiel dafür gegeben, dass wir mit dem zurzeit vorhandenen rechtlichen Instrumentarium agieren können, wenngleich – da bin ich vollkommen bei Ihnen – wir über weitere Dinge, beispielsweise weitere sichere Herkunftsstaaten, reden können. Sie wissen natürlich, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt.
Es gibt gute Argumente dafür. Da ist die CDU auch dabei. Es gibt aber auch den berechtigten Anspruch in der Debatte, dass das Individualrecht auf Asyl weiterhin ein wichtiger Kernbestandteil unserer Verfassung und unserer Gesellschaft ist. Das zusammenzuführen ist Aufgabe von uns allen. Das ist eine gesellschaftliche und vor allem politische Aufgabe. Ich gehe davon aus, dass sich auch der Bund entsprechend bewegen wird,
weil auch der Bund das weiß, weil auch die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD das wissen. Dann wird entschieden, aber nicht in einer fünfminütigen Rede zu einer Aktuellen Stunde.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nach der Hessenwahl!)
Sie haben das Thema Fachkräftemangel angesprochen. Herr Kollege Hahn, als wir gemeinsam im Kabinett saßen, haben wir doch dieses Thema gemeinsam rauf und runter diskutiert. Zudem haben wir eine Fachkräftekommission, die sich mit den Ressourcen beschäftigt hat, die wir national, aber auch international, insbesondere im europäischen Ausland, haben. Es ist völlig unbestritten, Herr Kollege Hahn, dass wir es darüber hinaus auch Menschen aus Drittstatten möglich machen müssen, hierherzukommen. Ich finde, wir müssen aber auch achtgeben, dass wir nicht mit falschen Begrifflichkeiten operieren und falsche Signale
senden. Wir sind der Auffassung, dass der Begriff „Spurwechsel“ in diesem Zusammenhang problematisch ist.
In den vergangenen Jahren ist argumentiert worden, dass ein Handyfoto mit der Bundeskanzlerin dazu geführt hat, dass Menschen zu uns gekommen sind. Welches Signal geht aber von dem Begriff „Spurwechsel“ aus? Dieser wird möglicherweise fehlinterpretiert und von Schleusern missbraucht, um Menschen zu sagen: Gehe einmal dorthin und stelle einen Asylantrag. Wenn das nicht klappt, dann versuchen wir es auf andere Weise. – Ich finde, wir sollten hochsensibel mit Begrifflichkeiten umgehen.
Zum Schluss will ich sagen – in fünf Minuten geht halt nicht mehr –: Wir haben heute schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Ich finde es gut, dass die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen. Ich bin ja bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass das, was wir heute haben, möglicherweise noch Regelungsbedarf hat.
Ich bin aber nicht bei Ihnen, so zu tun, als könne man mit Asylbewerberinnen und Asylbewerbern das Arbeitsmarktproblem der Bundesrepublik Deutschland lösen. Ich will das sehr deutlich sagen.
Gestern Abend war zu später Stunde in einem ganz anderen Zusammenhang der Chefvolkswirt der Deutschen Bank im Fernsehen zu sehen. Dieser hat im Jahr 2015 erklärt, es sei ein großer Glücksfall, dass eine Million Menschen zu uns gekommen sind. Damit hat er den Eindruck erweckt, dass diese Menschen alle sofort oder relativ schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Das ist aber nicht so, wie wir alle wissen.
Als Allerletztes will ich sagen: Wir haben auch und gerade in Hessen viel erreicht. Bereits in der Aussprache zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten habe ich angesprochen, dass ich mich freue, dass wir in Schritten vorankommen, dass 15.000 Menschen, die zu uns gekommen sind, heute einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben. Das ist Teil vernünftiger Politik. Das ist ein Ergebnis des Asylkonvents, bei dem wir alle gemeinsam mit der Wirtschaft, mit Gewerkschaften, mit Kirchen und mit Hilfsorganisationen uns dieser großen Thematik zuwenden. Insofern brauchen wir Sie nicht, wenn es um die Frage geht, wie man eine vernünftige Asylpolitik gestaltet. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Boddenberg. – Der Kollege Rock wollte Ihnen eine Frage stellen. Macht das jetzt bilateral, ihr sitzt ja beieinander.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag – ich zitiere –: „Hessen muss endlich Vorreiter für Vernunft in der Flüchtlingspolitik werden – für Spurwechsel und sichere Herkunftsstaaten.“ Es mag Sie überraschen, aber das fordern auch wir – nur dass wir darunter etwas ganz anderes verstehen als die FDP.
Wir reden von Vernunft in der Flüchtlingspolitik, wenn Fluchtursachen vermieden werden. Dazu gehören ein Verbot von Waffenexporten, keine Auslandseinsätze der Bundeswehr und eine faire Wirtschaftspolitik zwischen den Ländern.
Auch wir wollen sichere Herkunftsstaaten, also Länder, in denen die Lebensbedingungen die Menschen nicht zur Flucht zwingen.
Zur Vernunft in der Flüchtlingspolitik gehören auch sichere Fluchtwege, menschenwürdige Aufnahmebedingungen und Integrationsmöglichkeiten von Anfang an. Auch mit dem Wort Spurwechsel können wir uns anfreunden, wenn es bedeutet: weg von der andauernden Verschärfung des Asylrechts.
Die FDP-Fraktion hingegen bezweckt mit ihrer Forderung nach sicheren Herkunftsstaaten etwas anderes. Sie will, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um weitere Länder erweitert wird. Das haben Sie sehr undifferenziert dargestellt, Herr Rock.
Zur Erinnerung: Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten wurde in den Neunzigerjahren als sogenannter Asylkompromiss eingeführt. Damals war die gesellschaftliche Stimmung ähnlich rassistisch aufgeladen, wie es jetzt der Fall ist. Es gab die rechten Pogrome in Mölln und in Solingen.
Das Konzept bedeutet, dass der Gesetzgeber Staaten, bei denen er der Auffassung ist, in ihnen drohe keine politische Verfolgung, per Beschluss als sicher definieren kann. Das hat weitreichende Folgen für Asylsuchende aus diesen Ländern.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel dafür, Herr Rock. Stellen Sie sich einen Journalisten vor, der über die Demonstrationen für soziale Rechte im Jahre 2017 in Marokko berichtet hat, deswegen festgenommen wurde, in der Haft Folter erleiden musste, es irgendwie nach Deutschland schafft und hier Asyl beantragt. Er würde hier in eine besondere Aufnahmeeinrichtung kommen und würde einem Arbeitsverbot unterliegen. Ein Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen würde nicht bestehen. Das sind die Lebensbedingungen in Deutschland für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern. Sein Asylantrag würde in einem verkürzten Eilverfahren geprüft und voraussichtlich als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen; denn durch die Einstufung als sicheres Herkunftsland gilt die Regelvermutung, dass es in Marokko keine Verfolgung gibt.