Protokoll der Sitzung vom 25.06.2014

Die Fachleute sind sich einig, dass das Kostenrisiko für Atomkonzerne sowie für die Allgemeinheit vor allem bei der Lagerung des Atommülls liegt. Die Allgemeinheit wird bereits in absehbarer Zukunft die Kosten für die atomaren Altlasten zahlen müssen, so wie bereits jetzt für die Sanierungsfälle Asse und Morsleben. Darum geht es hier.

Wir brauchen begründete Abschätzungen der Kosten für die Lagerung von schwachen, mittelstarken und hoch radioaktiven Abfällen für einen Zeitraum von 100 bis 150 Jahren. Das dürfte schon schwierig sein. Wir müssen sehen, wie wir diese Mittel sicherstellen. Mehr ist doch überhaupt nicht realistisch. Selbst dieser Zeitraum ist schon schwierig. Den großen Rest müssen wir den zukünftigen Generationen überantworten. Das ist doch an sich schon eine Katastrophe.

(Beifall bei der LINKEN)

Die 36 Milliarden € Nuklearrückstellungen sind in die Handelsbilanzen der Energieversorger eingestellt. Das bedeutet aber nicht, dass das Geld jederzeit verfügbar ist oder bleibt. Die bisherige Praxis der Rückstellungsbildung ist mit zwei grundlegenden Problemen behaftet:

Erstens. Die steuerfreien Rückstellungen haben den Betreibern wettbewerbsverzerrende Vorteile verschafft. Nach konservativen Schätzungen lagen diese Vorteile in den vergangenen Jahrzehnten bei über 50 Milliarden €.

Zweitens. Die Rückstellungen können im Falle einer Insolvenz der Atomkraftbetreiber ganz oder teilweise ausfallen.

Das Ausfallrisiko ist sehr real. Die Atomkatastrophe in Japan macht deutlich, wie schnell ein großer Energiekonzern durch einen nuklearen Unfall in den Ruin geraten kann. Bereits wenige Tage nach Beginn der Katastrophe musste der japanische AKW-Betreiber Tepco bei Banken um Notkredite anfragen. Rund zwei Monate nach Beginn der Katastrophe gab die japanische Regierung bekannt, Tepco mithilfe eines staatlichen Rettungsfonds in Höhe von 43 Milliarden € vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahren zu wollen.

Die Sicherung der Nuklearrückstellungen ist zwingend. Im April 2011 hat DIE LINKE im Bundestag eine Initiative zur Überführung der Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds gestartet. Kurze Zeit später hat auch die Bundestagsfraktion der GRÜNEN einen Antrag mit gleicher Intention eingebracht. Es kann also doch nur unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: DIE LINKE lehnt den Vorschlag der AKW-Betreiber ab, über die Einrichtung einer Bad Bank das ganze Kostenrisiko für Rückbau und Endlagerung auf den Staat und die Allgemeinheit zu übertragen, wie es in der jetzigen Form dort steht. Ausnahmsweise befinden wir uns damit in einer Linie mit Volker Bouffier.

Aber, Achtung: Lange vor Erscheinen des „Spiegel“-Artikels im Mai gab es wieder einmal Berliner Hinterzimmer

gespräche mit der Energielobby. Diesmal war auch die SPD beteiligt. Anfangs von der Bundesregierung geleugnet, musste die Staatssekretärin Iris Gleicke einräumen, dass sich Vertreter und Vertreterinnen der Bundesregierung – darunter die Bundesminister Gabriel, Hendricks und Altmaier – bereits am 12. Februar mit dem Chef von E.ON und dem Vorstandsvorsitzenden von RWE getroffen hätten. Im Gespräch sei es auch um Überlegungen zur Gründung einer Stiftung für Kernkraftwerke unter Beteiligung des Bundes gegangen. Weitere Gespräche folgten.

Meine Damen und Herren, das erinnert an die undemokratischen und im Nachhinein sehr teuren geheimen Absprachen zur Laufzeitverlängerung und Brennelementesteuer. Die Atomkonzerne dürfen nicht mit Steuergeschenken aus der Verantwortung entlassen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es darf diesmal keine geheimen Zusatzprotokolle und Hintertürchen geben. Ein solches Signal erwarten wir auch von der schwarz-grünen Hessischen Landesregierung. Frau Ministerin Hinz, nehmen Sie Ihre Verantwortung für den Rückbau des AKW Biblis wahr. Sorgen Sie für Transparenz der Kosten bei Rückbau und Lagerung des Atommülls, und machen Sie sich nicht zum Büttel von RWE. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Abg. Peter Stephan, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir einmal zurückschauen, so wurde 2007 die RAG-Stiftung ins Leben gerufen, damals, um die sogenannten Ewigkeitskosten für die Kohlegesellschaften zu decken. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als die Kohlegruben schon im Wesentlichen stillgelegt waren. Mit diesen Kosten – RAG 1,31 Milliarden € – sollten die Folgekosten wie Dauerbergschäden, Grundwasserreinigung oder auch das Abpumpen von Grundwasser gedeckt werden – wie bereits gesagt, zum Ende des Verfahrens und zum Ende der Kohleabbauindustrie.

Heute stehen für Rückbau- und Folgekosten der Kernenergie schon jetzt insgesamt 36 Milliarden € zur Verfügung, Tendenz steigend; denn je länger Strom aus Kernenergie produziert wird, umso stärker müssen Rückstellungen gebildet werden. Das ist schon sehr lange gesetzlich so vorgesehen, nicht erst jetzt zum Auslauf.

Am 21. Mai 2014, also vor gerade einmal fünf Wochen, haben wir auf Basis eines Antrags der SPD schon einmal über das Thema Atomausstiegskosten diskutiert. Für Hessen betrifft dies als einziges Kraftwerk Biblis, aber es gibt viele andere Bundesländer mit Kraftwerken. Heute soll erneut darüber gesprochen werden, diesmal mit dem Fokus, etwas Spezielles für Biblis zu machen.

Es ist aber wichtig, dass wir uns noch einmal das in Erinnerung rufen, was in der damaligen Debatte auch von mir ausgeführt worden ist. Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich aus den damaligen Beiträgen zitieren. Damals hat Ministerpräsident Bouffier dargelegt:

Meine Damen und Herren, es muss dabei bleiben, dass die Atomwirtschaft auch für die Folgen der nuklearen Energieerzeugung und deren Beseitigung verantwortlich bleibt.

Er hat weiter gesagt:

Mit dieser Landesregierung wird es keine Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste geben. Auch das ist klar, meine Damen und Herren.

Aber es muss darum gehen, nüchtern abzuwägen und den besten Weg für eine sichere, eine finanzierbare und eine nachhaltige Beseitigung der Lasten der nuklearen Energieerzeugung zu finden.

Ich wiederhole es: Dieses Thema ist kein Landes-, sondern ein Bundesthema. Daher hat auch Bundeskanzlerin Merkel klar Stellung bezogen. Dazu ein Zitat aus der „FAZ“:

Im Grundsatz muss es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): „Im Grundsatz“!)

Eine einseitige Verlagerung der Risiken werden wir nicht mitmachen. Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab.

Ich erlaube mir, als weiteres Zitat einen Brief des Staatssekretärs Baake aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu zitieren, der ausgeführt hat:

Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb der Kernkraftwerke, die Stilllegung, den Rückbau und auch die Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieversorgungsunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen. Dafür haben die Unternehmen … Rückstellungen in Höhe von ca. 36 Milliarden € gebildet. Es muss gewährleistet sein, dass die finanziellen Mittel für diese Zwecke jederzeit gesichert zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Die volle Kostenverantwortung liegt bei den Unternehmen. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wird die Bundesregierung über die Umsetzung dieser rechtlichen Verpflichtungen mit Energieversorgungsunternehmen Gespräche führen.

Auch das steht im Koalitionsvertrag, und insofern ist die eben von Frau Schott gewählte Bezeichnung „Geheimdiplomatie“ falsch; denn es steht im Koalitionsvertrag, dass entsprechende Gespräche zu führen seien.

Ich selbst habe am 21. Mai 2014 für die CDU-Fraktion erklärt, dass der Staat die Kosten von Rückbau und Endlagerung nicht übernehmen werde. Aber der Staat wird sich daran beteiligen, dass eine vernünftige Lösung für Rückbau und Endlagerung gefunden wird. Der Staat wird auch die Rahmenbedingungen für Rückbau und Endlagerung definieren, und Sie alle wissen, dass gerade im Bereich der Endlagerung jetzt nach den Gesetzesentscheidungen auch die entsprechenden Aktivitäten gestartet sind.

Was halten wir als CDU-Fraktion mit Blick auf die Frage der Sicherung der Rückstellungen für Stilllegung, Abbau und Entsorgung im Atombereich für wichtig? Es bleibt dabei, dass das Verursacherprinzip auch weiter gilt. Zweitens müssen die gebildeten Rückstellungen auf realistischen Kosteneinschätzungen beruhen und ausreichend dotiert

sein. Ich gehe davon aus, dass man sich damals, als es ins Gesetz geschrieben wurde, sehr wohl Gedanken darum gemacht hat. Die Mittel müssen dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden, und der Bedarf dieser Mittel beginnt allmählich und wird sich noch verstärken, je mehr Kernkraftwerke stillgelegt werden.

Es wäre auch zu überlegen – auch das ist nichts Neues und wird in einem Unternehmen regelmäßig so gemacht –, dass man die gebildeten Rückstellungen von neutralen Dritten überprüfen lässt. Das passiert heute sicher auch schon bei den Energieunternehmen durch deren Wirtschaftsprüfer. Aber es ist durchaus denkbar, dass man in diesem Zusammenhang auch einmal einen Wirtschaftsprüfer im Auftrag der Bundesregierung schickt.

Die Wertigkeit ist zu überprüfen, und es ist auch angesprochen worden, ob hierfür ein öffentlicher Fonds eingerichtet werden soll. Das muss geprüft werden, aber auch hier gilt wieder das Verursacherprinzip für die entstehenden Kosten. Es ist klar, dass diese bei den Unternehmen liegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ferner geht es darum, dass das, was an Geld zur Verfügung steht, tatsächlich auch insolvenzgesichert zur Verfügung steht.

Die CDU-Fraktion, die Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie auch die Hessische Landesregierung werden eine entsprechend eingeleitete Bundesratsinitiative unterstützen. Es bedarf keines isolierten weiteren Beschlusses dieses Landtags auf Basis des Antrags der LINKEN. Schon gar nicht bedarf es landesspezifischer Maßnahmen in Form von Prüfungen und Regelungen, die im Endeffekt bundesweit wieder nicht zusammenpassen. Das Thema Endlagerung, Rückbau und Entsorgung ist ein bundesweites Thema. Daher kann man es auch nur dann sinnvoll vorantreiben, wenn solche Prüfungen und Regelungen auch bundeseinheitlich umgesetzt werden, unabhängig davon, welche Rechtsgrundlage besteht bzw. ob wir überhaupt eine Rechtsgrundlage haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, das ist auch der Grund, warum wir den vorliegenden Antrag ablehnen.

Noch eines. Frau Schott, wenn Sie mit Ihrem Antrag den Eindruck vermitteln wollen, dass unserer Umweltministerin das Thema und die Höhe der Kosten des Rückbaus „wurscht“ seien, dann betreiben Sie bewusst Geschichtsfälschung. Frau Hinz hat sich klar positioniert: alle Kosten bei den Betreibern, keine Diskussion über mögliche Begrenzungen oder staatliche Zuschüsse. Insoweit ist diese Position klar und eindeutig. Ich hätte fast gesagt, das ist ahle Wurscht. Das darf ich aber nicht sagen, weil ahle Wurscht ein Ehrentitel für ein wunderbares Produkt aus Nordhessen ist. Insoweit sage ich: Das ist einfach Mist.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Kolleginnen und Kollegen, die Koalition in Wiesbaden ist schon tätig. Die Bundesregierung wird über eine Bundesratsinitiative aufgefordert werden, in ihrer Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Unternehmen ihrer finanziellen Verantwortung und Verpflichtung gerecht werden, und zwar – ich wiederhole es noch einmal – in einem bundeseinheitlichen Vorgehen und nicht mit landesspezifischem Vorgehen.

Geschlossenheit der Länder ist wichtig. Sie wird hergestellt. Auch von daher erübrigt sich der Antrag der LINKEN heute, den wir natürlich ablehnen werden. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit an diesem frühen Nachmittag.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Stephan. – Das Wort hat Herr Abg. Norbert Schmitt, SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung aus aktuellem Anlass. Die „Frankfurter Rundschau“ berichtet heute unter der Überschrift „Die Castor-Blamage“, dass Hessen gesagt habe, es sei bereit, Castoren in Biblis zu lagern, wenn – jetzt kommt der spannende Punkt – der Bund bereit wäre, Schadenersatzansprüche zu übernehmen, die RWE gegen das Land hat, weil das Land die Stilllegungsverfügung verbaselt hat – das ist auch Gegenstand eines Untersuchungsausschusses. Das habe der Bund abgelehnt.

Frau Ministerin, im Rahmen der Debatte halte ich eine Stellungnahme für erforderlich. Wenn das stimmen würde, hielte ich es für einen wirklich unglaublichen Vorgang. Aber wenn es nicht stimmen würde, hätten Sie Gelegenheit, dies in der Debatte abzuräumen und dazu Stellung zu nehmen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)