Protokoll der Sitzung vom 04.11.2014

Herr Irmer ist kein Unbekannter in diesem Landtag. Er legt auch immer wieder Wert auf seine herausgehobenen Positionen. Er war einmal eine Zeit lang nicht bildungspolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender, jetzt ist er es wieder – zu Beginn dieser Wahlperiode einvernehmlich von Schwarz und Grün so geregelt und gewollt. Dabei hätte man hellhörig sein können. Herr Irmer ist auch in der Vergangenheit damit aufgefallen, dass er durchaus am rechten Rand zu wildern weiß und immer wieder mit Parolen und Äußerungen versucht hat, zu polarisieren bzw. diskriminierende und ehrabschneidende Äußerungen zu machen. Mal waren es „Zigeunerprobleme“ und „Drogenasylanten“, die er thematisiert hat. Mal hat er die Schweiz für die Volksabstimmung gegen Minarette gelobt und hätte am liebsten den ehemaligen EU-Kommissar Günter Verheugen wegen Hochverrats verklagt, weil dieser den EU-Beitritt der Türkei forcieren wollte.

Erst vor wenigen Wochen, als es im Landtag darum ging, angeblichen Asylmissbrauch und Einwanderung in die Sozialsysteme zu thematisieren, auch da war Herr Irmer wieder an erster Stelle. Deswegen weiß man, was Herr Irmer eigentlich auch denkt.

Wie war die Reaktion von Schwarz und Grün? Um es freundlich zu formulieren, sie war sehr verhalten. Auch die Stellungnahmen der beiden Fraktionsvorsitzenden sind wieder nach dem gleichen Raster der letzten Ausfälle von Herrn Irmer: So etwas sagt man nicht. – Dann wird auch noch damit argumentiert, Herr Irmer gibt eine Stellungnahme ab. Ich empfehle jedem, sie zu lesen: Das seien missverständliche Äußerungen gewesen. – Das ist der Gipfel der Unverfrorenheit. Diese Äußerungen sind mehr als verständlich.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Daran muss man jetzt auch nichts rumdeuten. Was ist die politische Konsequenz von Schwarz und auch von Grün? – Sie loben ihren Koalitionsvertrag und verweisen darauf. Was ist aber die Konsequenz? – Herr Irmer ist wiederholt verwarnt worden, auch von Ihnen. Wie oft wollen Sie dieses Spiel eigentlich noch durchgehen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren von Schwarz und Grün?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

In Ihrem Koalitionsvertrag steht auch der Satz:

Hessen hat inzwischen eine gute Tradition, für die Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten zu werben.

Was nutzt ein solcher Satz, wenn die praktische Ausführung und das politische Leben durch Herrn Irmer ganz anders dargelegt werden, weil er das möglicherweise auch so glaubt? Herr Irmer ist aber nicht irgendjemand. Er ist z. B. bildungspolitischer Sprecher. Das ist eine herausgehobene Funktion. Deswegen ist das, was Herr Irmer sagt, unerträglich, und dazu muss im Landtag heute Klartext geredet werden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Herr Rudolph, Sie kommen bitte zum Schluss.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Herr Landesvorsitzender, es ist an der Zeit, dass Sie dazu etwas sagen. Lassen Sie Herrn Irmer, vielleicht auch bewusst, weiterhin am rechten Rand wildern, mit dumpfen Parolen Ressentiments schüren, oder sagen Sie, dass es nicht geht? Wir haben unsere Meinung klar gesagt: Herr Irmer ist als bildungspolitischer Sprecher nicht mehr tragbar. Die wiederholten Ausfälle sind nicht hinnehmbar. Deswegen beantragen wir eine namentliche Abstimmung über unseren Antrag. Sie haben Gelegenheit, Farbe zu bekennen. Machen Sie es nicht, dann tauchen Sie vor Herrn Irmer ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP)

Danke, Herr Rudolph. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Irmer zu Wort gemeldet.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Jetzt kommt wieder ein großes Missverständnis!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar dafür, dass ich nach Rücksprache mit der Fraktion die Gelegenheit habe, selbst einige wenige Sätze dazu zu sagen; denn das, was ausgelöst worden ist, hat mich persönlich in der Tat sehr betroffen gemacht.

Ich sage auch ausdrücklich: Das, was wir gemeinsam in dem Antrag von CDU und GRÜNEN formuliert haben, wird von mir Wort für Wort getragen. Da gibt es auch nicht einen Funken an Möglichkeiten für Missinterpretation. Ich möchte aber sehr deutlich machen: In dem Gespräch mit der Presse habe ich einen entscheidenden Satz sehr bewusst vorangestellt. Ich habe nämlich klipp und klar gesagt: Homosexualität ist in Deutschland völlig normal, wie es in allen Gesellschaften dieser Welt normal ist. Das war bei den Griechen so, bei den Römern, das ist heute so, das wird auch in Zukunft so sein, deshalb ist Homosexualität auch in Deutschland normal. Punkt. – Das war der erste Satz.

Was daraus gefolgt ist, tut mir persönlich sehr weh, und es hat mich auch sehr betroffen gemacht, weil es – diejenigen, die mich länger kennen, wissen das – in meinem ganzen Leben noch nie eine Rolle gespielt hat, weder als Pädagoge noch als Politiker, wie ein Mensch sexuell orientiert war, dafür, wie ich mit ihm umgegangen bin. Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, Menschen mit Respekt und Anstand entgegenzutreten,

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Michael Siebel (SPD))

völlig unerheblich, welche Orientierung sie haben.

Deshalb habe ich auch in diesem Gespräch zum Ausdruck gebracht, dass jeder Mensch das Recht auf freie Entfaltung seiner sexuellen Orientierung hat und wir niemanden ausgrenzen wollen und dürfen; das ist völlig unstreitig.

Wir haben als Koalition einen insgesamt sehr guten Koalitionsvertrag formuliert und auch dort zu dieser Thematik Folgendes festgehalten:

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe setzen voraus, dass jeder Mensch, ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, gesellschaftliche Akzeptanz erfährt und sein Leben ohne Benachteiligungen und Diskriminierungen gestalten kann. … Wir sehen uns in der Verantwortung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit des oder der Einzelnen zu fördern und sich für ein offenes, diskriminierungsfreies und wertschätzendes Leben aller Menschen in Hessen einzusetzen.

Diesem Text habe ich nicht ein Wort hinzuzufügen. Ich trage ihn vollumfänglich mit.

(Beifall bei der CDU – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das war eine absolute Nullerklärung! Dass Sie sich nicht schämen, erst einen solchen Mist zu erzählen, um danach hier so etwas abzulassen! Das ist wirklich unglaublich! – Weitere Zurufe)

Danke, Herr Irmer. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Herr Wagner gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Anlass für diese Debatte sind Herr Irmer und seine Äußerungen zum Thema Homosexualität. Bevor es Zwischenrufe gibt: Ich werde sehr präzise darauf eingehen.

Zu Beginn dieser Debatte möchte ich aber darüber sprechen, worum es eigentlich geht. Es geht um Menschen: Menschen, die einander lieben, füreinander Verantwortung übernehmen und miteinander ihr Leben gestalten – egal, ob ein Mann eine Frau, ein Mann einen Mann oder eine Frau eine Frau liebt. Jede Liebe hat recht.

(Allgemeiner Beifall – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Warum applaudiert Herr Irmer nicht? – Weitere Zurufe)

Niemandem steht es zu, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität zu beurteilen oder gar zu verurteilen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN und der FDP)

Es geht in dieser Debatte um unsere Gesellschaft, um eine Gesellschaft, in der sich jede und jeder entfalten kann. Ausgrenzung und Diskriminierung haben in einer solchen Gesellschaft keinen Platz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP – De- monstrativer Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Niemand muss sich dafür rechtfertigen, anders zu sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und der FDP)

Es geht in dieser Debatte um Freiheit: die Freiheit jedes Einzelnen, so zu leben und so zu lieben, wie sie oder er ist, wenn man dabei die Freiheit eines anderen selbstverständlich nicht beeinträchtigt. Diese Freiheit gilt es zu schaffen,

diese Freiheit gilt es zu wahren, und diese Freiheit sollten wir alle gemeinsam in diesem Haus verteidigen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der FDP)

Es geht auch um den Begriff der Normalität. Wenn das Wort „normal“ in dieser Debatte überhaupt eine Bedeutung haben kann, dann doch nur diese eine: Für uns ist es normal, anders zu sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, der LIN- KEN und der FDP)

Im Grunde geht es in dem Kampf für Akzeptanz und gegen Diskriminierung genau darum. Auch Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität wollen und sollen ein Leben führen können wie alle anderen: ein Leben frei von schrägen Blicken, ein Leben frei von Anfeindungen und ein Leben frei von Ausgrenzung, ein – in diesem Sinne, meine Damen und Herren – normales Leben.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Kollege Irmer, eben weil Sie diese Normalität infrage gestellt haben, haben viele Menschen Ihre Äußerung zu Recht als so verletzend empfunden.

(Nancy Faeser (SPD): So ist es!)

Sie haben diesen Menschen das Gefühl vermittelt, ihr Leben und ihre Liebe seien anderswertig als die anderer Menschen. Das war die Verletzung, die Sie diesen Menschen zugefügt haben.

Deshalb war es notwendig, dass Sie dies mit Ihrer Erklärung richtiggestellt haben.

(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)

Die Ernsthaftigkeit Ihrer Erklärung kann vor allem durch künftiges Verhalten untermauert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ausgrenzung und Diskriminierung haben bei den GRÜNEN, in der schwarz-grünen Koalition und in Hessen keinen Platz. Wir treten für Akzeptanz und Vielfalt ein. Lassen Sie uns alle gemeinsam in diesem Landtag dafür arbeiten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)