Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

Ich höre hier eine Debatte, in der es nur Licht und Schatten, Schwarz und Weiß gibt. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es so etwas nur in schlechten Filmen gibt. Im realen Leben gibt es Grau.

(Beifall bei der SPD)

Das Verrückte daran ist: Beide Gegenspieler in diesem Haus spielen sich die Bälle zu. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Die LINKEN haben in ihrem Antrag – es ist schon erwähnt worden – sehr deutlich gesagt: Wir haben Angst vor der Gefahr des wachsenden Rassismus und des Aufstiegs der extremen Rechten. – Es ist dann andersherum geantwortet worden.

Mein Problem ist: Es gibt in Deutschland ganz wenige Leute, die versuchen, herauszubekommen, was das für Menschen sind, die diese Demos aufmischen. Wieso gibt es sie in Italien und Spanien viel häufiger als bei uns? Sind die überhaupt in die Kategorien zu fassen, oder müssen wir nicht einen Moment darüber nachdenken, ob wir dort gemeinsam eine neue Kategorie haben, auf die wir gemeinsam reagieren müssen?

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Ich will die GRÜNEN an die historische Leistung von Daniel Cohn-Bendit erinnern. Ich will die Zeiten nicht vergleichen. Es ging um viel schlimmere Formen von Gewalt. Aber Daniel Cohn-Bendits größte politische Leistung war, zu Zeiten der RAF die klare Grenzlinie zu ziehen und zu sagen: Wir werden Reformen in Deutschland nur erreichen

können, wenn es eine eiserne Brandmauer gegen die gibt, die Gewalt zum Mittel der Politik machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Genau das ist der Punkt. Wer Reformen in diesem Land will, egal, mit welcher Grundhaltung, der wird – deswegen will ich auf diesen Teil eingehen; Nancy Faeser und Thorsten Schäfer-Gümbel haben vorgestern die Frankfurter Ereignisse präzise beschrieben – um diese eiserne Brandmauer nicht herumkommen, oder er beschädigt nicht nur seine eigene Politik, sondern uns alle und unsere Demokratie.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Der zweite Punkt ist die Frage: Sind wir mit den einfachen Antworten auf der richtigen Seite? Ich nehme die EZB. Ist das, was die EZB gemacht hat, nicht das Ergebnis – da bin ich wieder auf der kritischen Seite, und das kritisieren nicht nur andere, sondern auch die eigenen Leute – von Regierungsversagen? Die EZB hat in einer historischen Situation die Rolle übernommen, die eigentlich alle europäischen Regierungen zusammen hätten übernehmen müssen, nämlich zu fragen, wie es mit Europa weitergeht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Jeder weiß, dass der Run auf die europäischen Währungen und den Euro an dem Tag gestoppt wurde, an dem die EZB erklärt hat, sie übernimmt die Verantwortung. Sie hat die Verantwortung – darüber kann man debattieren – übernommen in Ausdehnung ihres Mandats. Das ist völlig richtig. Aber sie hat sie übernommen, weil andere sie nicht übernehmen wollten.

Wir müssen einen Moment darüber reden, welche politischen Mechanismen dazu führen, dass Menschen, die Regierungsverantwortung haben, sich in ganz Europa vor dieser Verantwortung drücken. Da sind wir alle gefragt. Es liegt manchmal auch daran, dass man wissen muss, dass man Menschen etwas zumutet und dass man, wenn man gewählt ist, froh ist, wenn einem die Zumutung einer abnimmt, der nicht gewählt werden muss. Die Frage ist, ob wir uns das leisten können.

Deswegen finde ich, die EZB-Passage geht zu weit; sie beschreibt die zweite Seite nicht. Die andere ist auch klar. Ich gehöre zu den Menschen, die – das ist das neumodische Wort – evidenzbasierte Politik vertreten. Dazu gehört: Wenn eine politische Maßnahme über Jahre Ergebnisse bringt, die anders sind als geplant, dann fragt man sich nicht, ob man die Maßnahmendosis erhöhen soll, sondern, ob die Maßnahme richtig ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich will Ihnen das an dem berühmten Beispiel Griechenland einfach in Zahlen beschreiben, weil ich glaube, manchmal reden wir zu abstrakt. Es hat vor drei Tagen eine veröffentlichte Studie gegeben, nach der 260.000 Haushalte in Griechenland untersucht worden sind. Das Bruttoeinkommen dieser Haushalte ist in fünf Jahren um 25 % gesunken; durch die Steuererhöhung ist das Nettoeinkommen um 34 % gesunken.

Das ist völlig ungleich verteilt: In dem oberen Teil der Gesellschaft ist die Steuerbelastung um 19 % gestiegen, in dem unteren ist die Steuerbelastung um 337 % gestiegen. Das heißt, sie haben eine Situation, wo eine politische Entscheidung, zu sagen, ihr müsst Steuern erhöhen, auch noch so umgesetzt worden ist, dass sie gesellschaftlich so gewirkt hat, dass genau es die trifft, die man gebraucht hätte.

Die Folgen davon sind: Die Binnennachfrage in Griechenland ist um 53 Milliarden € gesunken. Die erhoffte Exportsteigerung, die aus den berühmten niedrigen Löhnen und so resultiert, waren gerade einmal 3,8 Milliarden €. Das heißt, die evidenzbasierte Politik würde an der Stelle doch sagen: Liebe Leute, jetzt lasst uns doch einmal schauen, ob wir das richtig machen.

Nun gibt es auch historische Beispiele. Da brauche ich keine deutschen, keine griechischen, keine europäischen. Franklin Delano Roosevelt hat mit seinem New Deal in einer Situation, in der die Vereinigten Staaten tief in der Scheiße steckten – entschuldigt den Begriff –, sehr wohl begriffen, dass es eben nicht hilft, einfach zu sagen: „Ihr müsst den Korridor von Ausgaben und Steuern so erhöhen, dass der Binnenmarkt nicht funktioniert“, sondern er hat gewusst: Wir brauchen Zeit, und wir müssen die Zeit auch nutzen, um über Investitionen etwas anzustoßen, was wieder Neues schafft.

Genau das ist der zentrale Fehler, über den wir uns in Europa hinter den Kulissen streiten, wozu wir aber, glaube ich, eine öffentliche Debatte brauchen, weil das nicht zum Nulltarif zu haben ist.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wer über die korrupten Eliten in Griechenland redet, der redet über all unsere Parteifreunde. Auch das muss man sehr deutlich sagen. Das geht von der Familie Papandreou – ich fange einmal mit den eigenen an – bis zur Familie Karamanlis. Wir müssen ganz schlicht und einfach sagen: Damit müssen wir leben.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir müssen einmal darüber reden. Ich bin in internationalen Kontakten nicht so ganz unerfahren. Ich kenne einen großen Teil der Personen persönlich. Natürlich gab es Zeiten, als wir gedacht haben, da ließe sich etwas gemeinsam machen, weil es in ein paar Texten gut übereinstimmt. Das haben Sie genauso gemacht.

Genauso muss man heute sagen: Nein, das hat so nicht funktioniert, da in Griechenland ein solcher Zustand herrscht, dass unter anderem die Klientelpolitik – ein Wort, das in Griechenland erfunden worden ist, wo man sich Wählerstimmen mit Begünstigungen bezahlen lässt, was ein uraltes Problem ist – ein System war, das einen ganzen Staat geprägt hat.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich will es auch gar nicht sagen. Warten Sie einen ganz kleinen Moment, dann kommt nämlich der Punkt, wo unsere Rolle ist.

Ja, die Griechen können das nur selbst lösen. Und dann müssen sie ertragen, dass sie bei der Lösung dieses Problems all die abgewählt haben, die dazugehören, und andere gewählt haben, von denen sie hoffen, dass sie nicht dazugehören. Was die dann machen, gefällt ihnen auch nicht.

Der spannende Punkt ist doch, was für Bedingungen die Griechen für die Frage bekommen haben: Kriegt ihr Geld? Gehört dazu die Aufstockung der Steuerfahndung? Gehört dazu die Bekämpfung von Steuerhinterziehung? – Na, na, lesen Sie die Texte.

(Michael Boddenberg (CDU): Kenne ich alle!)

Darin stehen zwei wachsweiche Texte, während alle anderen Bedingungen bis ins Kleinste geregelt werden. Ich sage, an dieser Stelle sind die mitverantwortlich, die die Regeln aufgestellt haben. Wenn man die falschen Antworten vorgibt, muss man sich nicht wundern, wenn die richtigen Antworten hintangestellt werden. Das ist ein Punkt, den müssen wir in diesem Land halt auch ausdiskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Das Experiment ist gescheitert. Das ist so. Die Frage ist, was wir jetzt machen.

(Manfred Pentz (CDU): Genau das spricht aus der Rede!)

Nein, Nachdenken spricht aus der Rede. – Das Experiment ist gescheitert. Wir haben die Folgen alle gesehen. Jetzt ist die spannende Frage: Hilft es, auf dem gleichen Pfad weiterzugehen? Oder ist es nicht nötig, gemeinsam darüber nachzudenken, was wir eigentlich machen müssen, damit dieser Pfad verlassen wird?

Wer soll das denn besser machen als die Deutschen? – Wir haben doch 1989 mit der Wiedervereinigung einen anderen Weg gewählt. Wir haben doch nicht gesagt: „Liebe ExDDR, ihr müsst jetzt einfach einmal alle eure Ausgaben zusammenstreichen und schauen, wie es weitergeht“, sondern wir haben gesagt: Wir brauchen ein gemeinsames System, das neue Kristallisationskerne für Beschäftigung, für Wachstum, für Bildungsausgaben und Ähnliches mehr schafft, weil ihr sonst unsere Kostgänger werdet.

Das ist eine Antwort, die unbequem ist, weil sie bedeutet: Mut zur Zumutung für die eigene Bevölkerung. Denn natürlich weiß jeder, dass Griechenland das in den nächsten Jahren nicht aus eigener Kraft schafft.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Damit komme ich zum Schluss. Ich glaube, dass diese Debatte, die wir heute bis eben gehört haben, dazu beiträgt, dass die Probleme, um die es geht – mit Verlaub, wenn wir dann über Länderfinanzausgleich und irgendwann einmal über die Folgeprobleme reden, weil der auch nicht unabhängig von der Frage ist, wie es der Bundesrepublik in diesem Kontext geht –, in diesem Gebiet woanders liegen.

Der zweite Punkt ist der etwas gewagtere, aber ich sage es auch, dass wir möglicherweise noch einmal nachschauen müssen: Was ist mit den jungen Menschen in Südeuropa passiert?

Das, was wir in Frankfurt erlebt haben, erlebt Turin jeden Monat. Ich halte das für einen Zustand, den ich nicht hier haben will. Wenn wir es hier nicht haben wollen, dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir dafür sorgen, dass auch solche Menschen aus dieser Art von Nichtpolitik herausgeholt werden, bevor bei uns solche Verhältnisse einkehren. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Für die FDPFraktion hat der Kollege Rentsch das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Der Versuch der Linkspartei, heute hier im Hessischen Landtag mit einer gesellschaftspolitischen Debatte über die Zustände in Europa den Eindruck zu vermitteln, es wäre Ihnen in den letzten Tagen doch um die Sache gegangen, ist eine Nebelkerze, die wir Ihnen nicht durchgehen lassen, verehrte Damen und Herren der Linkspartei.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was ich persönlich erlebt habe, das, was wir an Bürgerberichten bekommen haben, die Bilder, die ich mir gestern Abend in Frankfurt noch einmal angeschaut habe, sind der Ausdruck dafür, dass das, was letzte Woche in Frankfurt geschehen ist, der Versuch war, unter dem Missbrauch der Meinungsfreiheit und des Demonstrationsrechts dem schwarzen Block eine Plattform zu bieten, bürgerkriegsähnliche Zustände in Frankfurt herzustellen, die Hoheit über die Straße zu erlangen und zu zeigen, für was man eigentlich steht.

Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Sie haben das mitgetragen und organisiert. Die bisher peinlichen Distanzierungsversuche Ihrerseits – es wäre heute der richtige Zeitpunkt gewesen, hier wirklich einen Schlussstrich unter diese traurige Debatte zu ziehen. Das haben Sie nicht geschafft.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss kann man sagen, Sie haben eine Plattform für Ihre kruden Positionen heute hier im Landtag, letzte Woche auf der Straße gesucht. Sie haben den Schulterschluss mit dem schwarzen Block vollzogen. Herr van Ooyen, ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie heute hier erklären – die Chance haben Sie noch, wenn die Landesregierung gesprochen hat –, dass kein Mitglied der Linkspartei, kein Mitglied Ihrer Partei dabei war, diese gewalttätigen Exzesse in Frankfurt mit zu organisieren.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich!)