Protokoll der Sitzung vom 28.04.2015

Frau Kollegin Schott, vielen Dank. – Als Nächster erhält Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Frau Kollegin Schott, ich habe selten eine Rede erlebt, die so wenig deckungsgleich mit den Realitäten in der Forensik war. Das muss ich einfach einmal so sagen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich muss das wirklich sagen. Ich bin darüber ein bisschen erschrocken. Wir reden nicht über eine vollständige Blackbox. Frau Dorn und ich waren vor wenigen Wochen in der Forensik in Gießen. Sie sollten die Abläufe mitbekommen. Das reicht von der Verurteilung eines Straftäters, der teilweise oder ganz schuldunfähig ist über die Einweisung bis zum Empfang, der Begleitung und Betreuung durch das Personal in diesen Einrichtungen mit Ärzten, Psychiatern, Psychologen und Therapeuten. Das geht hin bis zu der jahrelangen Behandlung mit dem Ziel, diese Menschen zu resozialisieren und wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

Wenn Sie das alles sehen, dann frage ich mich wirklich: Worüber haben Sie hier geredet?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Von dieser Stelle aus herzlichen Dank an alle, die dort arbeiten. Ich muss das hier wirklich einmal sagen, nachdem wir die Einrichtung dort besucht haben: herzlichen Dank an alle die Menschen, die dort jeden Tag mit diesen Zielgruppen arbeiten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abg. Schott?

Gleich, Frau Schott. – Ich muss erst einmal meine Erschütterung zum Besten geben,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Es geht doch nicht um die Beschäftigten dort!)

dass das nicht so ist, wie Sie das sehen. Das ist von hinten aufgezäumt. Wenn Sie behaupten, das seien völlig entrechtete Menschen: Wir haben doch in einem Vortrag gehört, wie viele Möglichkeiten diese Personen haben, ihre Beschwerderechte zu nutzen, bis hin zum Gericht, zum Petitionsausschuss, bei den jeweiligen Ämtern und vieles mehr. Uns wurde gezeigt und dokumentiert, wie häufig bestimmte Insassen davon Gebrauch machen. Ich verstehe Ihre Rede nicht – wie Sie ein solches Bild zeichnen können. Und jetzt kommen wir mit diesem Gesetzentwurf und erweitern diese Rechte um ein neues, ein zehntes, nämlich die Besuchskommission. Die kann dort unangemeldet Besuch abstatten und das kontrollieren. Ich kann nur sagen: ein guter Fortschritt für Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir reden nicht über eine Psychiatrie, sondern wir reden über Forensik. Wir reden über Straftäter, die mehrfach straffällig geworden sind. Wir reden da nicht über Kindergeburtstage. Das sind mehrfach straffällig Gewordene, die mit schwersten kriminellen Taten belegt sind, die rechtskräftig verurteilt worden sind und denen man attestiert hat, dass sie schuldunfähig oder teilweise schuldunfähig sind, weil sie unter anderem auch psychiatrische Erkrankungen haben.

Die Frau Kollegin Klaff-Isselmann hat Recht: Da geht es auch um Fragen der Sicherheit. Ich bin damit zufrieden, dass wir die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts jetzt umsetzen, dass dort Rechtssicherheit geschaffen wird und das Personal in diesen Einrichtungen weiß, was es darf und was nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist heute ein richtiges Signal an diese Einrichtungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wie gesagt, ich bin der festen Überzeugung, dass dort wirklich mit größtem Augenmaß gearbeitet wird. Trotz alledem haben wir nach der ersten Lesung, nach der Anhörung noch weitere Verbesserungen in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben. Lassen Sie mich neben der Besuchskommission noch die wiederholte Forderung nach Sitzwachen anführen, wenn es zu einer Zwangsbehandlung kommt. Zukünftig wird es verpflichtend Sitzwachen geben. Es gab die Forderung einer Dokumentationspflicht nach Zwangsbehandlungen. Denn wir wissen, allein durch Dokumentationspflichten werden schon die medikamentösen Behandlungen, die Zwangsbehandlungen reduziert. Auch bei der Fachaufsicht haben wir Einschränkungen vorgenommen: Sie darf zwar regeln, aber sie darf nicht in die Therapiefreiheit der Ärzte eingreifen. Und wir haben neu geregelt, dass die Therapiepläne nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern mit den Betroffenen erarbeitet werden. Wir haben also fünf Punkte aus der Anhörung herausgearbeitet.

Die Stellungnahmen waren überwiegend positiv: Von 30 Anzuhörenden haben 28 diesen Gesetzentwurf begrüßt. Die beiden, die ihn kritisch gesehen haben, haben das an der Besuchskommission festgemacht, an der Fachaufsicht,

an der Dokumentation und an den Sitzwachen. Das alles haben wir jetzt verbessert. Es gibt keinen nennenswerten Widerstand gegen dieses Gesetz, und ich finde das auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir schaffen tatsächlich eine gute, ausgewogene rechtliche Grundlage, um diesen Menschen zu helfen. Für alle, die wir hier sind, kann ich sagen – ich weiß es auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, und für uns GRÜNE kann ich es definitiv sagen –: Zwangsbehandlungen sind immer ein letztes Mittel, aber sie müssen möglich sein. Wenn sie möglich sind, muss klar sein, wie sie durchgeführt werden, damit sie rechtssicher sind. Erst dann kann diesen Menschen überhaupt wieder geholfen werden. Alle, die eine solche Einrichtung besucht haben, werden das bestätigen. Unter Umständen ist es lebensnotwendig, dass so etwas passiert. Die Einrichtungen sind uns dankbar, dass es jetzt zügig kommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage: gut, dass wir so schnell gehandelt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Mit diesem Maßregelvollzugsgesetz werden wir ein Gesetz schaffen, das mit Augenmaß vorgeht, das Sicherheitsaspekte mit den Rechten der Patienten, der Insassen, der Straffälligen mit Schuldeinschränkungen abwägt. Diese Abwägung ist gut gelungen. Wir haben erhobenen Hauptes und auf Augenhöhe mit den Betroffenen geredet, bei den vielen Klagen, die es dort gab: Beachtet ihr auch wirklich die Bürgerrechtslage? Wir haben das wirklich klug ausgewogen, klug ausdiskutiert, und wir haben das in der Anhörung zur Geltung kommen lassen. Wir haben das an den fünf Punkten verankert – der Besuchskommission und dem vielen anderen.

Ich muss auch den sachlichen Redebeitrag der Kollegin Frau Dr. Sommer im Sozialausschuss anführen. Ich bin froh, dass die SPD wahrgenommen hat – bei der Einbringung des Gesetzentwurfs ist Herr Dr. Spies sehr vehement aufgetreten, ich bin froh, dass die Anhörung bei Ihnen dazu geführt hat, dass Sie den Gesetzentwurf nicht ablehnen, sondern sich enthalten werden. So haben Sie es jedenfalls angekündigt. Dafür möchte ich mich bedanken. Das ist eine sachliche Diskussion, die wirklich eine große Mehrheit in diesem Hause finden wird – für einen Gesetzentwurf mit Augenmaß und Weitsicht. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bedanken, wenn wir das heute verabschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Für eine Kurzintervention hat sich Frau Abg. Schott gemeldet, für zwei Minuten. Bitte sehr.

Danke, Herr Präsident. – Herr Bocklet, es mag sein, dass Ihnen die Schärfe meiner Rede nicht gefallen hat. Aber vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ein großer Teil dieser Rede nicht meine Schärfe war, sondern die Schärfe des UN-Fachausschusses für Rechte von Menschen mit Behin

derungen, die im März dieses Jahres – also nicht vor vielen Jahren, sondern ganz aktuell –

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

die Situation der psychisch Kranken in diesem Land gerügt haben. Es sind deren Worte. Genau die fordern ein, dass wir mit den Rechten der betroffenen Menschen behutsamer und pfleglicher umgehen.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Genau das sollten Sie zur Kenntnis nehmen – und nicht mich dafür mahnen, dass Sie hier eine scharfe Kritik erhalten. Das sollten Sie sich erst einmal anschauen und dann dazu Position beziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bitte sehr, Herr Kollege Bocklet, zur Erwiderung, maximal zwei Minuten.

Herr Präsident! Frau Schott, es ist ein gutes Recht von Verbänden und Interessenorganisationen, ihre Meinung zu äußern. Aber, Frau Schott, es ist Ihre Pflicht, das daraufhin zu überprüfen, welche Möglichkeiten Insassen von Forensikkliniken haben.

Wenn Sie diese Liste vorgelegt bekommen, welche Möglichkeiten jeder dort einsitzende Patient oder jeder Straffällige hat – er hat neun Möglichkeiten, sich dort zu beschweren oder Klage zu führen, neun –, dann kann man das doch nicht 1 : 1 hier rezitieren und so tun, als ob das die Realität sei.

Auch die Klinikleitungen haben uns immer wieder bestätigt, dass sie alles dafür tun, damit diese Beschwerden tatsächlich und ohne jegliche Zensur weitergereicht werden. Sie kommen sofort an den Adressaten, an den diese Klage, diese Beschwerde gerichtet ist. Sie können sich mit neun verschiedenen Instrumenten beschweren und per Klagerecht ihre Rechte einfordern. Und wir führen jetzt ein weiteres, ein zehntes ein.

Eine solche Organisation kann ihre Kritik äußern – aber Sie als LINKE sollten in diesem Hause zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen, die dort untergebracht sind, eine Fülle von Rechten haben und nicht entrechtet sind, und dass wir mit diesem Gesetzentwurf ein zehntes Recht hinzufügen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist die Realität.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. Herr Kollege Bocklet. – Jetzt Frau Dr. Sommer für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Bocklet, vielen Dank, dass Sie die Sachlichkeit gelobt haben. Auch jetzt möchte ich bei dieser Sachlichkeit bleiben, werde aber im Laufe der Rede noch einige Aspekte zum Nachdenken präsentieren.

Beim Maßregelvollzug geht es um die Sicherheit für die Patienten und für die Umgebung. Das heißt, es geht um das Spannungsfeld bzw. das Doppelmandat der Behandlung und der Sicherheit. Die Behandlung hat nicht nur einen Selbstzweck, sondern sie dient auch der Verbesserung der Kriminalprognose. Struktureller Rahmen ist die Sicherungsnotwendigkeit: die Aufgabe der Station, die Behandlungsbedürfnisse und die Behandelbarkeit des Patienten zu managen. Behandlung und Behandelbarkeit hängen nicht nur vom Patienten, sondern auch vom Behandler ab. Er ist der relevante Sozialpartner, der den Patienten begleitet und unterstützt.

Da kann ich nur Herrn Bocklet zustimmen: herzlichen Dank an alle, die dort tätig sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte nicht alle Aspekte der Intervention und Rückfallprävention nach Andrews und Bonta anführen, möchte aber darauf aufmerksam machen, dass für die Veränderung von antisozialen Haltungen die Förderung von Kommunikation, emotionaler Zuwendung, Unterstützung, Beziehungsgestaltung und Beschäftigung wichtige Hilfestellungen für den Patienten sind. Stützende Maßnahmen im Sinne von Unterstützung, empathischem Verstehen, individueller Fallformulierung und des Ergreifens von verhältnismäßigen Maßnahmen sind hier essenziell.

In Fachbüchern, wie z. B. von Müller-Isberner, ist zu lesen, dass bei rechtzeitigem Ergreifen Maßnahmen gegen den Willen des Patienten, die sowohl die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch das Behandlungsbündnis gefährden, vermeidbar sind.

Die Änderung des Gesetzes bleibt in diesem Zusammenhang für uns trotzdem hinter den Erwartungen zurück. Warum, das möchte ich kurz erläutern.

Die Insassen sind keine Straftäter, sondern psychisch kranke Menschen. Der Maßregelvollzug ist daher keine Strafe, sondern eine medizinische Behandlung mit dem Ziel, die Krankheit und damit die Notwendigkeit der Unterbringung zu beenden. Es geht um die Hilfe für psychisch Kranke.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Der Duktus des Gesetzes aber orientiert sich am Strafvollzug und nicht am therapeutischen Anspruch. Das Primat der Hilfe, Unterstützung und Behandlung, also zum Wohle des Patienten, wird in dem Gesetz nicht formuliert. Hier möchte ich noch einmal an die skizzierten Aspekte der Intervention und Rückfallprävention von Andrews und Bonta erinnern. Behandlungsmethoden und Angebote der Hilfe sind wichtig. Wir dürfen bei der Behandlung dieser Menschen nicht an der Qualität sparen.

(Beifall bei der SPD)

Das recht rückständige Gesetz geht mit der Aufnahme der Besuchskommission im Änderungsantrag wenigstens einen