Protokoll der Sitzung vom 30.04.2015

(Beifall bei der SPD)

Es geht auch darum, vor Ort einmal darüber nachzudenken, wie man im ländlichen Raum sagen kann: Ja, wir unterstützen das auch angesichts der Situation – das sage ich ganz offen –, die wir in Nordhessen haben, wie der zweiten Offenlage der Regionalplanung zum Thema Windkraft.

Im Ballungszentrum ist praktisch nichts passiert; ausgerechnet in der Region, in der es am meisten Bedarf an regenerativem Strom gibt. Das ist ein Punkt, der im ländlichen Raum Probleme aufwirft. Wir, die wir uns selbst versorgen könnten, kriegen von anderen Diskussionen aufgedrückt, die sagen: Ach, bei uns dauert das alles ein bisschen länger, aber für euch haben wir ein paar Regeln parat. Wir würden das im ländlichen Raum irgendwie regeln, aber wir haben noch ein paar zusätzliche Regeln, und erst dann, wenn ihr diese Regeln einhaltet, könnt ihr etwas machen. – Dieser bevormundende Charakter macht es im ländlichen Raum häufig schwierig, Diskussionen zu führen.

Deshalb finde ich es, um dies noch einmal abschließend zu sagen, klug, dass der Bauernverband nicht allein darauf schaut, wie viel Geld es für welches Programm gibt, sondern auch sagt: Wir brauchen im ländlichen Raum viel mehr, und dazu gehört viel mehr. – Darüber sollten wir uns, wenn wir zukünftig über einen Entwicklungsplan im ländlichen Raum reden, einmal unterhalten. Dazu gehört z. B. auch die Frage: Wie sieht es denn mit den Schulen im ländlichen Raum aus? Das hat einen sehr viel größeren Einfluss, als wenn wir 3 oder 4 € mehr für den einen oder anderen Anbau im ländlichen Raum bezahlen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf mich herzlich fürs Zuhören bedanken und hoffe, dass die Landesregierung in solch einen Dialog auch im Ausschuss eintreten wird und nicht nur bejubelt, dass die EU Geld gibt und das Land Hessen selbstverständlich die entsprechenden Kofinanzierungsmittel wie in ganz Deutschland gibt. – Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Warnecke. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Wiegel das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Warnecke, ich dachte, nur die

Bauern könnten jammern. Das wurde uns immer vorgeworfen. Sie können es aber auch sehr gut.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Torsten Warnecke (SPD): Das sind wir uns einig, wir jammern zu Recht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin Ihnen dankbar, im Rahmen dieses Setzpunkts die Gelegenheit zu haben, einmal mit mehr Zeit auf die vielfältigen Unterstützungen des ländlichen Raumes in Hessen eingehen zu können. Der ländliche Raum ist und bleibt Peripherie und Zentrum in unserem Bundesland. Das wird sich auch nicht verändern, auch wenn zum Glück – Sie haben das angesprochen – die finanzielle Stärke in unserem Bundesland größer ist als in anderen Bundesländern. Wir sind froh, dass wir in Hessen die Großstädte und Metropolen haben, aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass, nicht nur bezogen auf die Fläche, sondern auch bezogen auf die Einwohner, unser Bundesland überwiegend ländlich geprägt ist. Das wird in vielen Diskussionen sehr oft vergessen.

Es ist der Anstrengung wert, sich damit zu beschäftigen, wie wir die ländlichen Räume in Hessen, die sehr unterschiedlich sind und unterschiedliche Ansprüche und Herausforderungen haben, bestmöglich unterstützen können, damit sie lebenswert und liebenswert bleiben. Ihre Aufgabe ist z. B. auch, die Menschen im Ballungsraum mit gesunden Nahrungsmitteln und sauberem Wasser zu versorgen und die Kulturlandschaft für die Erholung zu erhalten.

Ich freue mich besonders, dass wir das in einer Plenarwoche machen, in der ich direkt an die Regierungserklärung unserer Europaministerin von Dienstag anknüpfen kann. Die Förderung des ländlichen Raums und der Erhalt von Lebensqualität sind eng verknüpft mit Europa und der Europäischen Union.

Europa unterstützt uns als Land dabei, die ländlichen Räume effektiv, zielgerichtet und mit den nötigen Finanzmitteln ausgestattet fördern zu können. Da spreche ich gar nicht über die Direktzahlungen an die Landwirte, die für eine nachhaltige und dabei wettbewerbsfähige Landwirtschaft unerlässlich sind. Die Kollegen von der SPD sollten sich auch an ihre Diskussionen erinnern, als sie diese Fördermittel abschaffen wollten. Das können wir an einem anderen Punkt besprechen.

Ich möchte heute über die Projektförderung sprechen. Ich spreche nur über das Geld, das von Europa, vom Bund und vom Land unmittelbar für konkrete und vor Ort erkennbare, spürbare und nachweisbare Projekte sowie Verbesserungen der Infrastruktur der Lebensqualität eingesetzt wird.

Meine Damen und Herren, rund 650 Millionen € EFREMittel, das ist der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, sind in der letzten Förderperiode von 2007 bis 2014 voll kofinanziert worden. Ich betone das, weil das nicht in allen Bundesländern gleich war und diese Mittel dann dort nicht abgerufen werden konnten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es werden auch 650 Millionen € für den EPLR, Entwicklungsplan für den ländlichen Raum, für die anstehende Förderperiode von 2015 bis 2020 durch Landesmittel voll kofinanziert. Das ist zugesagt. Diese Zahlungen werden so

gar von zusätzlichen Leistungen des Landes für bestimmte Vorhaben begleitet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechnen wir die privaten und kommunalen Mitfinanzierungen ein, sind das über 1 Milliarde €, die in den kommenden sechs Jahren in den ländlichen Raum fließen werden. Das ist für den ländlichen Raum verlässlich, konsequent und eine starke Unterstützung. Das ist ein klarer politischer Schwerpunkt der Landesregierungen der letzten Jahre für den ländlichen Raum. Das bezieht sich nicht nur auf diese Legislaturperiode, sondern auch auf die davor.

Was machen wir da eigentlich konkret? Förderung des ländlichen Raums, was heißt das eigentlich? – Als Bauer und als landwirtschaftspolitischer Sprecher meiner Fraktion weiß ich, welche Rolle die Landwirtschaft für den ländlichen Raum spielt. Das hat etwas damit zu tun, dass Landwirtschaft immer an die Fläche gebunden ist. Fläche steht vor allem außerhalb der Ballungszentren zur Verfügung. Landwirtschaftliche Betriebe sind ein ganz wichtiger und zentraler Wirtschaftsfaktor für den ländlichen Raum. Sie sind aber auch für den Erhalt des Umweltschutzes, für die Kulturlandschaft und nicht zuletzt für das Leben und das Miteinander in den Dörfern wichtig.

Deswegen ist es richtig, dass ein besonderer Schwerpunkt der Förderung des ländlichen Raums die Förderung der Landwirtschaft ist. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere bäuerlichen Strukturen in der Landwirtschaft weiter bestehen können, dass sie flächendeckend arbeiten und wirtschaften, dass Höfe in den kleinen und kleinsten Dörfern bestehen bleiben, weil sie in vielen Dörfern der Mittelpunkt des Lebens sind.

Fernab dieser theoretischen Bekenntnisse: Was machen wir mit EPLR und EFRE? – Ich schaue mir ganz praktisch einmal einen mittleren Hof an, sagen wir, im Vogelsberg, im Familienbesitz und von der Familie geführt, vielleicht noch zwei oder drei Angestellte, auch das soll es heute noch geben, einige Hektar Acker- und Grünland. In diesem Hof werden Schweine gehalten, und wegen des hohen Grünlandanteils werden auch Milch- oder Mütterkühe im Stall gehalten.

Wenn dieser Landwirt einen neuen Stall bauen möchte, weil er eine moderne Tierhaltung möchte, der höchsten Tierschutzstandards entspricht und in dem er effektiver melken kann, kann er aus den EPLR-Mitteln einen Zuschuss bekommen. Wenn er freiwillig Maßnahmen für den Umweltschutz unternimmt, kann er auch Zuschüsse bekommen. Wenn er, auch das ist für uns wichtig, auf den steinigen und stark hängenden Flächen wirtschaftet und damit der Verbuschung entgegenhält, kann er Mittel aus dem Entwicklungsplan für den ländlichen Raum eine Ausgleichszulage, früher hieß das einmal Bergbauprogramm, erhalten. Auch das halten wir für wichtig.

Wenn er dann noch alte Tierrassen hält und diese vor dem Aussterben schützt, kann er auch aus diesem Programm Geld bekommen. Von Frau Kollegin Feldmayer ist es angesprochen worden, wenn er sich entscheidet, ökologisch zu produzieren, kann er auch aus diesem Programm Geld bekommen. Wenn er einen Hofladen zur Direktvermarktung seiner Produkte eröffnen will oder sich durch den Landtourismus ein zweites Standbein erschließen möchte, kann er Mittel aus dem europäischen Fonds bekommen. Dies alles ist über das neue HALM-Programm, Hessisches

Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflege-Maßnahmen, förderbar.

Meine Damen und Herren, das zeigt doch sehr deutlich, worum es geht. Wir wollen mit einer umfassenden Agrarförderung gewährleisten, dass sich unsere bäuerlichen Betriebe halten und modernisieren können. Stillstand ist in allen Wirtschaftsbereichen ein Rückschritt. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Wir wollen unseren Betrieben ermöglichen, dass sie vorangehen, um Schritt zu halten. Dafür hat das Ministerium das Programm HALM entwickelt. Das ist eine gute Voraussetzung, um dies zu erreichen.

Der EPLR ist kein reines Landwirtschaftsprogramm, auch wenn die Fördermöglichkeiten für die Landwirte überlebenswichtig sind. Wir verlassen deswegen den Hof und gehen in einen der vielen kleinen Orte, zufälligerweise auch im Vogelsberg. Unser Ort liegt im Vogelsberg und damit in einer LEADER-Region, deren Zahl wir in der neuen Förderperiode auf 24 erhöhen konnten. Damit haben wir so viele wie noch nie erreicht. Über LEADER-Mittel kann z. B. der kleine Handwerks- oder Gewerbebetrieb am Ort gefördert werden, damit er sich modernisiert und seine Produkte besser vermarkten kann.

Aus LEADER-Mitteln können auch innovative Kleinstunternehmen gefördert werden, die sich im ländlichen Raum gründen oder ansiedeln wollen. Hier geht es um Wettbewerbsfähigkeit, um den Erhalt und die Schaffung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen auf dem Land. Gefördert werden z. B. Dorfläden für die Nahversorgung, Tourismusprojekte und deren Bewerbung, die Unterstützung von Existenzgründungen, aber auch Maßnahmen zur sozialen Inklusion für Familien, Senioren oder Menschen mit Behinderungen. Maßnahmen für Energieeffizienz oder Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie die Vernetzung der Region. Mit LEADER schaffen wir Voraussetzungen dafür, die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in unseren Dörfern und ländlichen Regionen voranzubringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Wiegel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jawohl. – Lassen Sie mich noch einen Satz zu unserem Dorfentwicklungs- bzw. Dorferneuerungsprogramm sagen – es wurde bereits von Herrn Kollegen Warnecke angesprochen –: Auch hier gibt es viele Möglichkeiten, über Arbeitsgruppen, d. h. vor Ort selbstbestimmt die Entwicklung des eigenen Dorfes voranzubringen. Ich halte es für besonders wichtig, auch diese zu stärken und in Zukunft nach vorne zu bringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Wiegel. – Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Schott zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ländliche Räume haben in den letzten Jahrzehnten erheblich an Attraktivität verloren. Das ist nicht ein allein hessisches oder deutsches Phänomen – die Abwanderung vom Land in die Ballungsräume ist in allen industrialisierten Ländern zu beobachten. Die Menschen gehen dorthin, wo sie glauben, besser bezahlte Arbeit oder überhaupt Arbeit, Schulen, Betreuungsangebote und Ausbildungsplätze für Kinder, bessere Krankenversorgung und ein hohes kulturelles Angebot zu finden. Kurz gesagt: Die Arbeitsangebote und die Infrastruktur, die soziale wie die materielle, müssen stimmen.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft, gepaart mit dem demografischen Wandel und einer Vernachlässigung der Infrastruktur über Jahrzehnte, hat eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Seit vielen Jahren diskutieren wir Pläne für die ländlichen Räume, die an den strukturellen Problemen aber kaum etwas ändern können. Um dies vorweg zu sagen: Das wird auch ein noch so intelligenter Einsatz von EU-Agrarmitteln nicht ändern können.

Die Schlüssel hierfür liegen in einer entscheidend besseren Finanzierung der Kommunen sowie dem Auf- und Ausbau der seit Jahrzehnten vernachlässigten Sozial- und Infrastruktur – das muss geleistet werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielleicht liegt auch ein Schlüssel in einer Einwanderungspolitik. Finanzieren müssen wir das Ganze durch eine Steuerpolitik der Umverteilung, wie wir sie schon seit Jahren fordern, und ein stärker gemeinwohlorientiertes Wirtschaften – Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Schwimmbäder, Ärztezentren und eine Mobilitätsgarantie auch ohne Auto lassen ländliche Räume auch für Familien wieder attraktiver werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schuldenbremse, die Privatisierung der Infrastruktur, niedrige Investitionsraten und eine Staatsquote auf niedrigem Niveau verhindern das.

Durch die Neuverhandlungen ist die europäische Agrarpolitik etwas gerechter und etwas umweltverträglicher geworden. Der angestrebte Richtungswechsel in der europäischen Agrarpolitik allerdings blieb aus. Nötig ist eine konsequentere Bindung der Agrardirektzahlungen aus Brüssel, der sogenannten ersten Säule, an soziale und ökologische Leistungen. DIE LINKE hat hierfür vorgeschlagen, die Fördermittel für die Landwirtschaft nicht nur an ökologische, sondern auch an soziale Leistungen zu binden. Soziale Bindung heißt, die Zahl der Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Das würde arbeitsintensiven, auch tierhaltenden Betrieben zugutekommen, und natürlich auch den Familienbetrieben.

(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Sicher, das muss man doch mitzählen. Dann muss man doch auch dafür Sorge tragen, dass die Menschen in den Familienbetrieben nicht nur helfende Angehörige sind, sondern wirklich Menschen mit einem Einkommen. Das ist doch eine Frage der Buchführung – die muss man korrekt machen, und dann zählen die auch, und dann werden die auch gefördert. Alles andere ist doch sowieso Wirtschaft unter dem, was man „menschenwürdig“ nennen sollte.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Die Arbeitsprämie soll pro Arbeitskraft gezahlt werden. Die Arbeit muss bei lohnabhängig Beschäftigten selbstverständlich existenzsichernd sein und, wo vorhanden, auch nach dem nationalen Mindestlohn bezahlt werden.

(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Ach, es ist auch großes Geschrei gewesen, wir würden keinen Spargel mehr essen können, weil kein Bauer ihn mehr anbauen kann, wenn wir Mindestlohn zahlen würden. Jetzt haben wir Spargel auf dem Markt, der genauso viel kostet wir im letzten Jahr, und es wird Mindestlohn gezahlt. Es geht, wenn man es will.

(Zurufe von der CDU)

Die starke Honorierung ökologischer Leistungen ist der richtige Weg und wurde und wird von uns immer unterstützt. Klimaschutz, Biodiversitätsschutz, die Erhaltung und Verbesserung der Böden und des Grundwassers müssen honoriert werden; denn es ist eine Leistung. Aber ohne die Kopplung an soziale Leistungen wird es keine entscheidende Verbesserung für die Menschen im ländlichen Raum geben. Hier hätte die Hessische Landesregierung nachsteuern können – hat sie aber nicht. Das ist das große Minus am Entwicklungsplan für die ländlichen Räume.