Protokoll der Sitzung vom 25.06.2015

Herzlichen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat Herr Abg. Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Florian Rentsch (FDP): Jetzt kommt das Ergebnis! Endlich!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste! Was man als Vorbemerkung vorausschicken muss, für jeden, der nicht jeden Tag im Parlament ist, ist, dass mit dem Stichwort der Tarifautonomie gemeint ist, dass der Staat in keinerlei Auseinandersetzung der Arbeitskämpfe eingreift, dass er neutral bleibt.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Auch nicht durch die Genehmigung von Sonntagsarbeit!)

Herr Schaus, ich komme gleich zu Ihnen. – Wir haben derzeit mehrere Arbeitskämpfe, die sich zum Teil in Schlichtung befinden: die Erzieherinnen und Erzieher bei den Kitas, die Lokführer, die Flugbegleiter drohen mit Streik, und es gibt den Streik bei der Post. An dieser Stelle haben wir schon mehrfach betont, dass es klug ist, dass das Neutralitätsgebot des Staates gilt, und zwar in alle Richtungen. Das sollte man an dieser Stelle noch einmal betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Zweite Vorbemerkung. In all diesen Arbeitskämpfen geht es um bessere Entlohnung, gute Arbeitnehmerrechte, gute Arbeitsbedingungen. Wie wir hier im Saal sind, kann ich Ihnen in dieser Abstraktheit, ohne eingreifen zu wollen, auch für die GRÜNEN sagen: Wir wünschen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gute Bezahlung für gute Arbeit, gute Arbeitnehmerrechte, dass ihnen die Arbeit Spaß macht und sie vor allem nicht entlassen werden. In diesem Punkt sollten wir uns einig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Drittens. Ich habe eine persönliche Meinung dazu, ich war auch selbst Betroffener. Ich war bei einem großen sozialen Träger, als ich als Sozialarbeiter gearbeitet habe, und konnte mitbekommen, was es bedeutet, wenn ein großer Träger immer mehr in GmbHs auslagert, mit billigeren Tarifen arbeitet. Meine persönliche Meinung dazu ist klar:

Ich finde so etwas unanständig. Ich finde, es ist ein Unterlaufen einer fairen Tarifpolitik.

Andererseits muss man in dieser Stunde sagen: Für Politiker und für das Parlament ist das ein Schritt zu weit, als Außenstehende jeweils die eine oder andere Seite zu kommentieren und zu sagen: Denen geht es gut, die dürfen es machen, oder denen geht es schlecht, die dürfen es nicht mehr machen, oder die haben eine Krise, die dürfen alle Rechte über den Haufen werfen.

Ich glaube, wir müssen konsequent sein und uns treu bleiben. Wir sollten in solchen Situationen unsere Nichteingriffsverpflichtung ernst nehmen, auch in solchen Situationen wie jetzt, und das heißt einfach: kein Kommentar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt hat Herr Schaus zu Recht einen Punkt angesprochen. Frau Kollegin Wissler, Sie haben Nordrhein-Westfalen zitiert. Der Sprecher vom NRW-Arbeitsministerium sagte, für Sonntagsarbeit hat die Post Sondergenehmigungen, dies sei Routine.

Jetzt kommen wir zu einem Punkt, wo wir beide sehr einig sind. Es ist offensichtlich Routine, dass es Sondergenehmigungen für die Post gibt. Sie werden uns sicher an Ihrer Seite haben, wenn es so ist – das werden wir überprüfen –, dass die routinehafte Sondergenehmigung für die Sonntagsarbeit tatsächlich signifikant verstärkt verwendet wurde, um die durch den Streik freitags und montags aufgelaufene Arbeit abzuarbeiten. Wenn dem so ist, dann ist das klipp und klar illegal. So einfach ist das, und dann muss es mit einem Bußgeld geahndet werden. So ist genau die Situation.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Was NRW sagt, ist eine Sache. Es gibt unterschiedliche Verteilzentren. Es kann in jedem Verteilzentrum anders gewesen sein. Äpfel mit Birnen zu vergleichen macht keinen Sinn.

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Bocklet, Herr Kollege Lenders möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe nur noch 1:27 Minuten Redezeit!)

So lange braucht er nicht. Aber machen Sie erst einmal weiter.

Ich will diesen Streitpunkt klar benennen. Es ist zulässig, in bestimmten Situationen sonntags zu arbeiten. Es ist nicht zulässig, diese Sonntagsarbeit signifikant zu erhöhen, um den Streik zu unterlaufen. In dem Punkt sind wir uns einig. Aber das können weder Sie noch ich in dieser Stunde beurteilen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn dem so ist, ist das bußgeldbehaftet. Genau das ist überall gleich. Wenn das RP Darmstadt für sich sagt, in diesem speziellen Verteilzentrum, in dieser speziellen Region ist es nicht so gewesen, es war zulässig, dann war es

zulässig. Dann kann man nicht von außen sagen, dass ein Streik unterlaufen wurde, genauso wenig wie wir sagen können, es war kein Streikbruch.

Ich bitte, das zu respektieren. Es gibt eine Prüfung jedes einzelnen Falles: Ist die routinemäßige Sonntagsarbeit signifikant angehoben worden oder nicht? Das gilt es zu prüfen. Aber schon von hier aus – wie war Ihr Wort von den Haustieren? – von Sauereien zu sprechen, das kann ich in dieser Stunde nicht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich zur Post gesagt!)

Es gibt mehrere Hinweise dafür, dass Sonntagsarbeit deutlich angehoben wurde, um die Folgen des Streiks abzumildern. Dann wäre das ein Unterlaufen des Streikrechts. Das gilt es zu prüfen. Wir werden uns dafür einsetzen, Informationen über diesen Fall herauszubekommen, und wir werden hier darüber berichten können.

In den letzten 20 Sekunden meiner Rede möchte ich den Streikenden viel Glück und Erfolg wünschen. Ansonsten gilt in dieser Stunde in diesem Haus: Wir haben eine Neutralitätspflicht, wir werden sie wahrnehmen und sollten auch bei den anderen Streiks nicht einseitig Position beziehen, obwohl wir eindeutige, klare persönliche Sympathien haben, und die habe ich auch gesagt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Bocklet, lassen Sie in dieser historischen Stunde dem Kollegen Lenders eine Schlussfrage?

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

Nein. Dann ist es auch gut. – Dann spricht Herr Staatssekretär Dr. Dippel für die Landesregierung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Aufruf, den Streikenden bei der Deutschen Post AG Solidarität zu bekunden, entspricht nicht der Auffassung der Hessischen Landesregierung; denn die Neutralitätspflicht, die hier mehrmals vorgetragen wurde, steht im Mittelpunkt unserer Aufgabe, des Staates insgesamt, und die Neutralitätspflicht gilt auch bei aktuellen Arbeitskämpfen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass dies noch einmal hervorgehoben wird, und zwar in Richtung beider Tarifparteien.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wollen Sie etwas sagen? Dann sagen Sie es gerade.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Solidarität ist wohl nicht der Kernbereich dieser Landesregierung!)

Vielen Dank, das habe ich so vernommen. – „Keine Genehmigung von Sonntagsarbeit durch das Land Hessen“ – lassen Sie mich dazu Folgendes ausführen: Sonntagsbeschäftigung wegen der Zustellung von Paketsendungen nach dem Arbeitszeitgesetz ist nicht per se unzulässig. Die Deutsche Post AG, ihre paketzustellenden Tochterunternehmen und private Paketzustellbetriebe zählen nach dem

Arbeitszeitgesetz zu den Verkehrsbetrieben, deren Tätigkeit nach dem Ausnahmenkatalog des § 10 Arbeitszeitgesetz an Sonn- und Feiertagen erlaubt ist. Diese Erlaubnis gilt aber nicht ohne Einschränkungen.

Zweitens. Voraussetzung für die Sonntagsarbeit ist, dass die Zustellung nicht an Werktagen vorgenommen werden kann oder dass es um den Transport und das Kommissionieren leicht verderblicher Ware geht. Die erforderliche Voraussetzung der Unaufschiebbarkeit auf einen folgenden Werktag kann unter bestimmten Voraussetzungen begründet sein, z. B. durch Verderblichkeit der Ware, die Dringlichkeit der Lieferung, Kapazitätsüberlastung, aber auch Arbeitsrückstände.

Die Anwendung der Ausnahmetatbestände der erlaubten Sonn- und Feiertagsbeschäftigung des § 10 Arbeitszeitgesetz obliegt dem Unternehmen. Hierzu braucht es keiner Bewilligung durch die Aufsichtsbehörde. Der Arbeitgeber wägt – so will es der Gesetzgeber ganz bewusst – im eigenen Ermessen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben und unter der Achtung des Sonntags- und Feiertagsschutzes ab, ob er sonntags beschäftigen darf oder nicht. Diese Möglichkeit besteht auch während des Streiks.

Jetzt zu dem, was hier mehrfach angesprochen worden ist. In dem Eilantrag von ver.di gegen das Land Hessen sollte das RP Darmstadt angewiesen werden, die Sonntagsarbeit in bestreikten Unternehmen generell zu unterbinden.

Auf dem vom Verwaltungsgericht Darmstadt für den 16. Juli 2015 angesetzten Erörterungstermin wurde ein Vergleich vereinbart, mit dem sich die bestreikten Unternehmen verpflichteten, während des laufenden Arbeitskampfes Paketzustellungen am Sonntag im Regierungsbezirk Darmstadt den Arbeitsschutzabteilungen jeweils am vorhergehenden Donnerstag anzukündigen und zu begründen. Das wurde hier auch schon so vorgetragen.

Der Vergleich bedeutet, dass sich alle Beteiligten – die bestreikten Unternehmen, ver.di als streikführende Gewerkschaft und das Regierungspräsidium Darmstadt als Aufsichtsbehörde – auf ein Vorgehen bei Sonntagsbeschäftigungen verpflichtet haben. Damit ist für Hessen eine für die Beteiligten verbindliche Vorgehensweise – Vereinbarung – für die Sonntagsbeschäftigung während der Streiks getroffen worden. Dieser Vereinbarung wird von der Aufsichtsbehörde selbstverständlich während des Streiks nachgekommen. Da sind wir also schon dicht dran. Klar ist aber auch, dass es sich hierbei nicht um Genehmigungen handelt, sondern um die Einhaltung der Rahmenbedingungen, unter denen Sonntagsbeschäftigung bei der Post und den Paketdienstleistern nach § 10 Arbeitszeitgesetz erlaubt bzw. nicht erlaubt ist.

Ich rege Folgendes an: Die Politik ist immer gut damit gefahren, sich aus solchen Auseinandersetzungen zunächst einmal herauszuhalten. Das kann man sehr emotional diskutieren und natürlich auch unterschiedlich bewerten. Zur Tarifautonomie wurde hier das Entscheidende gesagt.

Ich stimme zu. Auch ich habe festgestellt, dass Herr Schneider, der Arbeitsminister aus Nordrhein-Westfalen, gesagt hat – ich zitiere –:

Sonntagsarbeit ohne Antrag ist nicht möglich.

In Bayern sieht man das ein wenig anders. Dort wurde es anders bewertet: Die Post habe die Notwendigkeit verdeutlicht.

(Günter Rudolph (SPD): Die sehen alles anders!)

Das mag so sein. – In Hamburg und in Baden-Württemberg wird das auch eher kritisch gesehen. Sie argumentieren:

Sonntagsarbeit zum Ausgleich von Streikfolgen ist grundsätzlich nicht zulässig.