Protokoll der Sitzung vom 22.07.2015

Alles, wohin wir jetzt die durch zurückgehende Schülerzahlen frei werdenden Lehrerstellen lenken – Ganztag, Deutschförderung, Sozialindex, Inklusion –, zählen wir sowieso extra. Wenn wir das alles mitrechnen würden, wären wir weit jenseits der 110 %. Das machen wir aber nicht, das wäre auch nicht ehrlich gerechnet. Aber dann soll man bitte auch umgekehrt fair rechnen und an dieser Stelle nicht die Klassen- oder Kursgröße in Prozente der Lehrerversorgung umrechnen. Das ist einfach nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, meine Damen und Herren, hier geht es nur um eines, und das wollen wir einmal ganz ehrlich benennen: Es geht

nicht um Kürzungen oder Streichungen, es geht um die Verteilung von Lehrerstellen. Es geht darum, dass diese Landesregierung sagt: Uns ist die Schaffung einer flächendeckenden Bildungs- und Betreuungsgarantie für alle Grundschulkinder so wichtig, uns ist die Versorgung der Zuwanderer mit Deutschförderung so wichtig, uns ist eine sozial indizierte Lehrerzuweisung so wichtig, uns ist eine qualitätsvolle Inklusion so wichtig, dass wir dafür in der Tat auch eine geringfügig höhere Kursgröße in der gymnasialen Oberstufe in Kauf zu nehmen bereit sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich habe im Übrigen auch noch niemals Kritik an dem Einsatz unserer Lehrerstellen für diese Zwecke gehört – höchstens daran, dass es trotz der 1.000 zusätzlichen Stellen, von denen Herr Wagner schon gesprochen hat, in diesen Bereich noch immer zu wenig sei. Ich habe auch noch nie einen alternativen Finanzierungsvorschlag gehört – immer nur die Forderung, es müsse alles auf einmal geben.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Sehen Sie, meine Damen und Herren, auch in dieser Hinsicht war der Bildungsgipfel sehr lehrreich; denn da sind diese Forderungen alle auf einmal auf den Tisch gekommen. Sie sind hier auch schon genannt worden. Minimale vorsichtige Kalkulation: 800 Millionen € zusätzlich pro Jahr. Maximale, etwas großzügigere Kalkulation: 1,5 Milliarden € pro Jahr. – Das muss man sich einmal vorstellen, das sind doch keine Erdnüsse. Allein diese Steigerung wäre schon einer der größten Etats im Landeshaushalt. Und natürlich: kein Vorschlag zur Gegenfinanzierung, nicht einer, weder im Bildungsgipfel noch hier – wobei die Forderungen hier zugegebenermaßen etwas bescheidener formuliert sind. Aber kein einziger Vorschlag zur Gegenfinanzierung; denn damit könnte man sich ja unbeliebt machen.

Herr Minister, Sie denken bitte an die Redezeit.

Vielen Dank, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – In der Tat sind die Möglichkeiten, darauf zu reagieren, relativ eingeschränkt. Wollen Sie zu einem Leben auf Pump zurückkehren, auch entgegen der Entscheidung, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in der Volksabstimmung vor einigen Jahren getroffen haben? Wollen Sie massive Steuererhöhungen? Sollen wir die Hälfte der Hochschulen schließen, alle Polizisten entlassen? Was soll man denn an dieser Stelle machen? Es gibt keinen einzigen Vorschlag.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Antwort hört man einfach nur, das sei Sache der Regierung. Ja, ist es auch. Dafür übernehmen wir auch die Verantwortung. Es ist das gute Recht der Opposition, solche Forderungen aufzustellen, ohne entsprechende Vorschläge zu machen. Aber bei einer Opposition, die nur noch ungedeckte Schecks ausstellt, muss man, glaube ich, auch froh sein, wenn sie erst gar nicht in die Lage kommt, Regierungsverantwortung zu übernehmen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Bevor wir in die zweite Runde der Debatte gehen, begrüße ich auf der Zuschauertribüne unseren langjährigen Landtagskollegen und Staatssekretär Karl-Winfried Seif. Ich grüße dich.

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort hat der Kollege Florian Rentsch, Fraktionsvorsitzender der FDP.

Herr Kultusminister, Kollege Wagner, „Schulfrieden“ war Ihre Formulierung zu Beginn dieser Legislaturperiode in einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Davon ist wenig übrig geblieben. Der Kultusminister hat dieses Ziel im Laufe der Zeit immer wieder relativiert. Da ist wenig an Anforderungen geblieben.

Herr Kollege Wagner, weil Sie das gerade so schön gesagt haben: Ich würde sagen, von dem großen Gipfel, auf den Sie wollten, sind Sie eher in ein extremes Loch gefallen. Das Problem ist, dass Sie dieses Loch selbst gegraben haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt zu den Zwischenrufen der Kollegen von der Union. Als wir gemeinsam die Schulpolitik verantwortet haben, haben wir als Freie Demokraten mit aller Macht und allem Wert, den wir hatten, unsere Konzentration darauf gelegt, dass die Schule Priorität hat. Wir haben das zum Teil mit heftigen Situationen verteidigen müssen. Ich denke daran, dass der Finanzminister schon einmal, auch in unserer Regierungszeit, vorhatte, deutlich Stellen im Schulbereich einzusparen. Wir haben aber gesagt, die 105 % sind überhaupt erst die Möglichkeit, dass die Schulen in der Bildungspolitik mit wirklicher Flexibilität auf die Anforderungen vor Ort reagieren können.

Wir haben das mit allem, was wir hatten, verteidigt. Wir haben sogar in Kauf genommen, dass dafür die Grunderwerbsteuer in Hessen erhöht werden muss. Ja, das ist uns wirklich schwergefallen. Aber wir haben gesagt: Bildung hat bei den Freien Demokraten absolute, oberste Priorität. Dafür akzeptieren wir sogar Steuererhöhungen.

Wohin ist eigentlich das Geld der letzten Grunderwerbsteuererhöhung gegangen? Finanzieren Sie damit das Bildungssystem, Herr Kollege Wagner? Nein, es ist dort nicht hineingeflossen.

(Beifall bei der FDP)

Das zeigt, dass Sie hier einen Popanz aufbauen, der mit der Realität nichts zu tun hat. Sie haben sich neue Aufgaben überlegt, wie z. B. das Thema Inklusion und Nachmittagsbetreuung. Es gibt neue Aufgaben. Aber Sie sagen, bei der Versorgung mit Lehrerstellen bleibt alles gleich, da darf nichts passieren.

Natürlich ist es eine Kürzung. Wenn man statt drei fünf Aufgaben mit dem gleichen Personal machen muss, ist das weniger, als man vorher hatte. Das hilft unseren Schülern nicht, sondern das schadet unseren Schülern. Das ist die Realität.

(Beifall bei der FDP)

Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Der Kultusminister hat gerade viele der Errungenschaften angesprochen, die die FDP durchgesetzt hat, wo Herr Lorz Staatssekretär bei einer liberalen Kultusministerin war und das gemeinsam mit uns verantwortet hat. Herr Lorz, wenn Sie einem Oberstufengymnasium wie der Herderschule in Kassel 6 % von 105 % wegnehmen, dann kann sogar ich ausrechnen – ich war wirklich nicht gut in Mathe –, dass das nicht mehr über 100 % ist. Dann fehlen 6 %, und es sind nur noch 99 %.

(Beifall des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Wenn Sie das loben, dass das besser sei, als es vorher war, dann stellt das die Welt auf den Kopf.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen nicht uns beschimpfen. Die Eltern, Schüler und Lehrer sind mit Ihnen im Diskurs und sind auf den Barrikaden. Haben wir die alle aufgemischt? Sie haben gerade gesagt, die Opposition sei so schwach, das hätten Sie gar nicht gedacht. Aber wenn wir so schwach sind, dann können wir es gar nicht gewesen sein. Wenn Eltern, Schüler und Lehrer sagen, es gibt eine Verschlechterung der Situation in der Bildungspolitik in Hessen im Vergleich zu dem, was Schwarz-Gelb gemacht hat, dann muss man zu dem Ergebnis kommen: Möglicherweise hat das etwas mit Ihrem Handeln zu tun und nicht mit unserem Handeln. Sie sind doch in der Verantwortung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wo sind die Investitionen in das Thema Qualität? Kollegin Beer hat mich eben noch einmal darauf hingewiesen: Die 80 Millionen €, die aus den BAföG-Millionen auf Hessen verteilt werden sollten, sollten hälftig in Hochschulen und in Schulen gehen, und zwar zusätzlich, nicht in bestehende Systeme. Das, was Sie mit dem Geld machen, ist, dass das Geld im System verschwindet und nicht mehr on top in Qualität investiert wird.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, weil Sie gerade hineinrufen, es sei falsch: Es ist klar, dass alles, was wir hier vortragen, falsch ist. Fakt ist aber, dass Sie versucht haben, diesen Bildungsgipfel zu nutzen, um einen Popanz aufzubauen, um am Schluss die Kürzungen, die die CDU-Fraktion auch in unserer Zeit schon immer vorhatte, durchzusetzen. Uns überrascht nicht, was hier passiert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben damals Lehrer aus der Bürokratie für den Unterricht wieder zurück in die Schulen geholt, weil wir der festen Überzeugung waren, dass nur gegebener Unterricht Qualität verbessert und nicht die Stärkung der Bürokratie die bessere Situation ist. Herr Kollege Klee hat vorhin zwischengerufen: Wir geben so viel Geld aus. – Herr Kollege Klee, ich war und bin fest davon überzeugt, dass jeder Euro, den Hessen – –

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Auch wenn wir am meisten als Land ausgegeben haben, ist es kein Nachteil, sondern ein Vorteil für unsere Schüler gewesen. Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Land gut beraten ist: Wenn wir im Vergleich zu den 780 Milliarden €, die wir in Deutschland für die Sozialpolitik ausgeben, nur 120 Milliarden € für Bildung ausgeben, dann ist

jeder Euro mehr dort gut angelegt. Wir haben es dringend nötig, dort zu investieren, nicht andersherum.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Kultusminister, dass das gescheitert ist, ist doch nicht überraschend. Sie haben einen Ressourcenvorbehalt installiert, der sicherlich nicht von den Bildungspolitikern, sondern vom Finanzminister kommt.

Aber ich sage Ihnen: Wir haben in Zeiten, als die Kassen noch relativ leer waren, einen Schutzzaun um die Bildung gezogen. Das hätten wir bei so vollen Kassen von Ihnen auch erwartet, dass Sie die Kraft haben, eine Priorität beim Thema Bildungspolitik zu legen. Sie hatten die Kraft für diesen Schritt aber definitiv nicht.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Christoph Degen (SPD))

Vielen Dank, Kollege Rentsch. – Das Wort hat Herr Abg. Christoph Degen, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer sich bis heute noch gefragt hat, warum dieser Gipfel gescheitert ist, sollte die Antwort bekommen haben. Das hat natürlich etwas mit Inhalten zu tun, damit, wie schnell man zu mehr echten Ganztagsschulen kommt, wie man dahin kommt, dass das Missverhältnis, dass mehr Kinder in den Förderschulen sind als in der Inklusion, umgedreht wird, und wie man zu mehr sozialer Gerechtigkeit in Hessen kommt.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Das hat aber nicht nur etwas mit Inhalten zu tun. – Herr Pentz, da Sie sich gerade melden: Das hat auch etwas mit Respekt zu tun,

(Manfred Pentz (CDU): Den vermisse ich immer bei euch!)

wie man mit den politisch Andersdenkenden umgeht.

(Beifall bei der SPD)