Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Keine Preiserhöhung – ÖPNV in Hessen besser finanzieren und ausbauen) – Drucks. 19/2233 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde hätten wir auch schon vor Monaten anmelden können; denn das Ereignis war leider vorhersehbar: Letzte Woche beschloss der RMV-Aufsichtsrat seine alljährliche Preiserhöhung. Diesmal sollen es zum Fahrplanwechsel im Dezember durchschnittlich 1,85 % sein, wohlgemerkt, bei einer allgemeinen Inflationsrate im Null-Komma-Bereich. Dabei – ich glaube, darin sind wir uns einig – sollten die öffentlichen Verkehrsmittel eigentlich attraktiver werden, stattdessen werden sie immer teurer.
Das betrifft nicht nur den RMV, sondern auch den NVV und den VRN. Gerade der RMV gehört zu den teuersten Verbünden der Republik, insbesondere bei Fahrten über die Stadtgrenzen hinweg. Bereits zu den heutigen Tarifen kostet eine Einzelfahrt von Frankfurt nach Offenbach 4,55 €. Zum Vergleich: Eine Fahrt zwischen den Nachbarstädten Berlin und Potsdam kostet 3,30 €, zwischen Nürnberg und Fürth sogar nur 2,60 €. Für diese Strecke Nürnberg – Fürth kostet die Monatskarte übrigens 79,70 €. Der Offenbacher hingegen zahlt für seine Monatskarte nach Frankfurt 129,80 €. – So viel zum Vergleich innerhalb Deutschlands, wo der RMV preislich leider im Spitzenfeld steht.
Zur Relation: Im Hartz-IV-Regelsatz sind dieses Jahr 25,14 € für Mobilität vorgesehen. Bei 5,50 € für eine Hinund Rückfahrt kann man als ALG-II-Empfänger ungefähr viermal im Monat in die Stadt fahren. Das hat mit der garantierten Mobilität überhaupt nichts zu tun, bei diesen hohen Preisen und diesem geringen Regelsatz.
In Frankfurt gibt es zwar eine reduzierte Monatskarte für Sozialpass-Inhaber, aber selbst die kostet noch 60 €, auch die muss man sich erst einmal leisten können. Dieses Angebot gibt es in den meisten anderen Gemeinden nicht einmal.
Meine Damen und Herren, ich will nach all diesen Zahlen zusammenfassen: Bus und Bahn sind heute schon viel zu teuer und verteuern sich auch noch schneller, als die Löhne steigen.
Dabei ist es doch das erklärte Ziel aller Beteiligten, den ÖPNV attraktiver zu machen. Doch was passiert tatsächlich? Das bundeseigene Unternehmen Deutsche Bahn und die Verkehrsverbünde, die dem Land Hessen und den Kommunen gehören, erhöhen ständig die Preise; denn der ÖPNV ist chronisch unterfinanziert – auch das ist regelmäßig Thema im Landtag –, der Bund knausert bei den Regionalisierungsmitteln, das Land Hessen gibt keine eigenen Mittel dazu – obwohl die GRÜNEN in ihrem Wahlprogramm anderes zugesagt hatten –, und die Kommunen werden finanziell an der kürzesten Leine gehalten.
Das führt unter dem Strich dazu, dass die Fahrkartenkäufer immer mehr bezahlen müssen, und das bei gleichzeitig stagnierendem, mancherorts zurückgehendem Angebot. Auf dem Land fahren bereits heute an einigen Orten nur noch ein paar Schulbusse am Tag. Wir als LINKE sagen, ein attraktiver ÖPNV sieht anders aus – nämlich gut ausgebaut,
Wir brauchen einen gut ausgebauten ÖPNV, um Mobilität für alle Menschen zu garantieren, auch für diejenigen, die kein Auto fahren können oder wollen. Ein gut ausgebauter ÖPNV ist auch ein wichtiger Beitrag zum Gelingen der Verkehrswende; denn die notwendige Verkehrswende muss aus einem Bündel von Maßnahmen bestehen, um die Vorherrschaft des Automobils zu brechen. Dazu gehört, die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern. Dazu brauchen wir einen Ausbau des ÖPNV-Angebots, wir brauchen Kapazitätserhöhungen in den Ballungsgebieten und den Aufbau eines verlässlichen Mobilitätsangebots auf dem Land, damit der ländliche Raum nicht immer weiter abgehängt wird.
Busse und Bahnen werden die Flexibilität des Autos so schnell sicher nicht erreichen. Aber man sollte versuchen, so nah wie möglich heranzukommen und vor allem preislich attraktiver zu sein.
Das ÖPNV-Angebot gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Er ist eine gesellschaftliche Grundaufgabe. Deswegen gehört der ÖPNV in die öffentliche Hand und darf nicht Stück für Stück privatisiert und outgesourct werden. Weil seine Erschließung allen nutzt – wie Straßen und Wege –, weil der ÖPNV Umwelt und Klima schont, Lärm und Flächenverbrauch reduziert und das Grundrecht auf Mobilität für alle sicherstellt, sollte der ÖPNV wie andere gesellschaftliche Aufgaben wie Straßenbeleuchtung, Parkanlagen oder Schulen von allen finanziert werden und nicht immer stärker nur von den Nutzern. Wir reden hier oft vom Kostendeckungsgrad. Das ist ein Stück weit ein irreführender Begriff. Die Kosten sind letztlich immer gedeckt. Die Frage ist: vom wem?
Wir sind der Meinung: Es gibt gute Gründe, über neue Wege der ÖPNV-Finanzierung nachzudenken. Ein höherer Einsatz von Steuermitteln kann hier eine Rolle spielen, aber auch eine Nahverkehrsabgabe bei Unternehmen, wie das in Frankreich der Fall ist, ergänzt durch eine sozial gestaffelte Beitragsfinanzierung durch alle Haushalte, die deutlich unter den Preisen der heutigen Monatskarten liegen könnte.
Wir haben Semestertickets, wir haben Jobtickets. Solche Modelle gibt es heute schon, das könnte ausgedehnt werden.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Obwohl es bisher keine tiefer gehende Diskussion über den sogenannten Nulltarif gegeben hat, gibt es eine Forsa-Umfrage, wonach 48 % der Bundesbürger ein Bürgerticket befürworten würden, wenn die Abgabe deutlich niedriger wäre als die Zeitkarten. Ich finde, darüber sollten wir nachdenken. 20 Jahren nach dem Umbau des ÖPNV in Hessen, nach der Gründung der Verkehrsverbünde sollten wir die nächste grundlegende Reform angehen, statt ständig steigende Preise hinzunehmen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Dass der zuständige Wirtschafts- und Verkehrsminister Al-Wazir in der Vergangenheit vollmundige Ankündigungen gemacht hat über die Erfolge, die er bei der Verkehrsministerkonferenz erzielt hat, wir am Ende aller Tage aber feststellen müssen, dass kein einziger Cent mehr aus Berlin gekommen ist, das ist an sich schon traurig genug. Aber die eigentliche Verantwortung liegt natürlich in Berlin und dort beim Bundesfinanzminister, der Rekordsteuereinnahmen hat. Der Bund verfügt über so viele Einnahmen wie noch nie. Aber auch das Land verfügt über riesige Mehreinnahmen.
Wenn der Bund seinen Verpflichtungen aus dem Entflechtungsgesetz nicht nachkommt, wir aber mit einer Situation zu tun haben, wo der RMV ankündigt, das Angebot einzuschränken, wenn es nicht mehr Geld gibt, dann kann man das sehr kritisch sehen. Wir müssen das kritisch sehen, und wir müssen natürlich auch fragen, wo man hier richtig ansetzt.
Ich glaube immer noch, dass die Frage nach zusätzlichen Mitteln keine strategische Frage sein darf. Bevor wir das Angebot beim ÖPNV einschränken, muss das klassisch auch mit Landesmitteln abgefedert werden.
Ich weiß, dass die Strategie dann heißt: Dann entlasten wir den Bund erst recht, indem wir Druck von ihm wegnehmen. – Aber ich glaube, dass so eine Strategie am Ende nicht aufgenommen wird. Schließlich sitzt Wolfgang Schäuble – wer ihn kennt, weiß das – auf dem Geld wie die Glucke auf den Eiern. Das hilft uns überhaupt nicht, wenn wir auf der anderen Seite ein attraktives Angebot aufrechterhalten wollen.
Das Einzige, was ich bisher von der Landesregierung gehört habe, ist, dass zur Finanzierung der Infrastruktur im ÖPNV nun die Gebäudeeigentümer, die Investoren, mit herangezogen werden sollen. Meine Damen und Herren, Sie verteuern damit das Bauen. Dabei sollten Sie eigentlich das Leben im Rhein-Main-Gebiet günstiger machen.
Noch einmal zum Antrag der LINKEN und den Ausführungen. Liebe Frau Kollegin, ein gutes Produkt darf auch etwas kosten.
Tarifabschlüsse sind getroffen worden und verteuern das Produkt. Am Ende fehlen die Mittel, ob vom Bund oder vom Land. Der RMV und der NVV haben in der Vergangenheit viel Geld in neue Fahrzeuge gesteckt, in neue Angebote, die die Qualität verbessert haben.
Meine Damen und Herren, damit steigen immer mehr Menschen auf den ÖPNV um. Das ist sicherlich richtig, weil wir einen gut funktionierenden ÖPNV brauchen, um die Verkehrsprobleme im Rhein-Main-Gebiet aufzulösen.
Meine Damen und Herren, wir sollten das nicht so kritisch sehen. Ich glaube, das tut auch der Fahrgast nicht. Der überwiegende Teil ist damit einverstanden, einen Mehrpreis zu zahlen, wenn er dafür ein qualitativ gutes Angebot bekommt. Das zeigen auch durchaus die Zahlen. Ich glau
be, dass der RMV und der NVV in Hessen eine hervorragende Arbeit machen. Dann darf es auch etwas kosten. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat Frau Abg. Karin Müller (Kassel), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir danken der LINKEN ausdrücklich, dass wir vor den Sommerferien das Thema ÖPNV-Finanzierung im Hessischen Landtag diskutieren können, damit wir noch einmal ein starkes Signal an den Bund senden können, sodass er seine grundgesetzliche Verantwortung wahrnimmt und die Regionalisierungsmittel, wie die Länder einstimmig gefordert haben, um 2,5 % erhöht und auch die Grundfinanzierung erhöht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Thomas Spies (SPD): Das bleibt dann alles im Landeshaushalt!)
Die Forderung, aus Landesmitteln zu finanzieren, ist im Moment nicht gerechtfertigt – so haben wir schon einmal argumentiert –, weil wir dann von Landesseite den Bund subventionieren würden. Sie alle kennen die Finanzsituation des Landes und des Bundes. Der Bund wird dieses Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Herr Schäuble hat mit der Null geworben. Dagegen kann das Land noch lange keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Deswegen ist die Forderung, das Land solle in die Verpflichtung des Bundes einsteigen, einfach unangemessen.
Die Diskussion ist nicht neu. Der Bund finanziert über die Regionalisierungsmittel den Schienenregionalverkehr, dynamisiert jedes Jahr aber nur um 1,5 %. Die Trassenpreise steigen um ein Mehrfaches. Die Personalkosten steigen, die Energiepreise steigen. Dass da ein Delta auftritt, das mit keiner Effizienzmaßnahme zu finanzieren ist, dürfte allen einleuchten.
Jetzt zu den Fahrpreiserhöhungen. Ich finde, dieses Jahr wird der RMV um 1,85 % moderat erhöhen. Auch der NVV und der VRN erhöhen um 1,9 %. Letztes Jahr war die Fahrpreissteigerung viel höher. Da waren auch wir der Meinung, dass exorbitante Fahrpreissteigerungen nicht dazu führen, dass die Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen. Vielmehr muss das moderat sein. Man kann das Defizit natürlich nicht mit Fahrpreiserhöhungen ausgleichen. Aber eine gewisse Fahrpreiserhöhung ist zu akzeptieren.
Dann haben Sie die sogenannten neuen Modelle wie den Nulltarif und das Bürgerticket angesprochen. Das sind keine neuen Modelle. Seitdem ich Politik mache, wird über das Bürgerticket, den Nulltarif usw. diskutiert.
Aber ganz so einfach ist die Welt nicht. Gruppenspezifische Angebote, wie das Semesterticket oder das Wohnraumticket, zu machen – –
Wir können eine Arbeitsgruppe gründen. – Aber im Unterschied zum Semesterticket ist es da so, dass es keine verfasste Bürgerschaft gibt. Sie müssten dann eine Volksbefragung machen, um festzustellen, ob alle für den ÖPNV zahlen wollen, den 20 % bis 30 % nutzen. Ich finde, das ist eine spannende Geschichte. Wir können immer wieder gerne darüber diskutieren.
Man kann natürlich auch über den Ansatz bei Hartz IV für Mobilität diskutieren. Vielleicht könnte man alle Hartz-IVEmpfänger dazu bekommen, diesen Ansatz an die Verkehrsverbünde abzuführen. Ihnen würde dafür ein Ticket angeboten, dass nicht alle nutzen würden. Warum nicht?