Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

Ich wäre dankbar, wenn es eine Wortmeldung der CDU geben würde. – Das macht der Herr Alterspräsident. Bitte sehr, Kollege Klee. Du hast das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! 25 Jahre deutsche Einheit – Hessen feiert in Dankbarkeit. Man hat in einer Aktuellen Stunde nicht die Zeit, um die Vorgeschichte des Tags der Deutschen Einheit zu erläutern. Heute gilt es, der Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass wir als Volk wieder selbstbestimmt in Frieden und Freiheit leben können. Das wurde in einer friedlichen Revolution

von unten nach oben erreicht. Die Montagsdemonstrationen mit dem Ruf „Wir sind das Volk“, die später in dem Ruf „Wir sind ein Volk“ mündeten, bleiben unvergesslich.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Man war es einfach leid, sich von einer maroden, rückwärtsgerichteten Regierung das Leben vorschreiben zu lassen: die ständigen Gängelungen und Bespitzelungen und fehlende Reise- und Pressefreiheit waren Punkte, derer die Bürgerinnen und Bürger der DDR überdrüssig waren.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die ganze Welt schaute mit, als Bundesaußenminister Genscher am 30. August 89 vor mehr als 4.000 DDRFlüchtlingen in der Prager Botschaft verkündete: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...“ – das Ende des Satzes ist im Jubel der Menschen untergegangen.

(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Anschließend fuhren die Züge von Prag, ohne in der DDR zu halten, in den Westen. Aber zuvor – schon im August des Jahres 1989 – hatte der ungarische Ministerpräsident Antall die Grenze nach Österreich für aus der DDR Geflüchtete geöffnet. Auf dem Vereinigungsparteitag der CDU am 1. Oktober 1990 wurde er dafür minutenlang gefeiert.

Am Tag, als die Mauer am 9. November 89 fiel, interpretierte Günter Schabowski den Beschlussvorschlag des DDR-Ministerrats zum Reisegesetz – wie wir heute wissen – in einer Form, die nicht beabsichtigt war. Auf die Frage eines italienischen Journalisten, ab wann denn das Gesetz gelte, gebrauchte Schabowski die Worte „sofort“ und „unverzüglich“. Das war der Start für den Fall der Mauer.

Die Nachricht erreichte den Deutschen Bundestag, der seine Sitzung am 9. November unterbrach, um kurz nach 20 Uhr stehend die deutsche Nationalhymne zu singen. Für die Bürgerinnen und Bürger auf beiden Seiten gab es kein Halten. Viele Bundesbürger machten sich auf zur Grenze. Die Trabis kamen entgegen. Man roch sie schon, bevor man sie sah.

(Allgemeine Heiterkeit)

Die Landeshauptstädte Wiesbaden und Mainz schickten je drei Busse nach Herleshausen, um in den Morgenstunden des 10. November Bürgerinnen und Bürger der DDR zu einem Tagesausflug nach Wiesbaden und Mainz abzuholen. Die Nachricht war über hr 3 und SWF auch in die DDR gelangt. Es waren bewegende Begegnungen an der Grenze und infolge auch in den Hauptstädten. Ich war einer der Busbegleiter. Ich könnte hier stundenlang erzählen.

Helmut Kohl wird zu Recht als Kanzler der Einheit bezeichnet. Ihm gebührt Dank für die diplomatischen Leistungen, die er zusammen mit Außenminister Genscher erbracht hat.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es gehört auch zur Wahrheit, dass ohne Zustimmung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und vor allem der UdSSR keine tragbare Lösung zur Einheit Deutschlands erreichbar gewesen wäre. Die Bedenken waren vor allen Dingen in England und Frankreich hörbar. Die Haltungen der USA und der UdSSR werden im Jahre 2014 in den

Grußadressen zum Fall der Mauer von George Bush und Michail Gorbatschow beschrieben. George Bush schreibt unter anderem – ich zitiere –:

Die Mauer wurde auch von Deutschlands Verbündeten umgestoßen, die dem deutschen Volk bedingungslos zur Seite standen, damit es seinen Traum von der Einheit erfüllen konnte.

Ich möchte auch nicht versäumen,

schreibt Bush weiter –

die besondere Rolle zu betonen, die Michail Gorbatschow gespielt hat. Er hatte die mutige Überzeugung, dass seine Perestroika-Reformen in den sowjetischen Satellitenstaaten auf ihre eigene Weise Fuß fassen und ihre Wirkung entfalten sollten.

Michail Gorbatschow schreibt:

Das Niederreißen der Mauer ebnete den Weg zur deutschen Einheit im Zuge … der friedlichen Beendigung des Kalten Krieges.

Die Deutschen hatten zu dieser Wende einen großen Beitrag geleistet. Andere Völker haben sie … unterstützt – sonst wäre die deutsche Wiedervereinigung undenkbar gewesen. Besonders wichtig dabei: Die Russen, alle Völker der Sowjetunion, die im Blutvergießen des Krieges gegen das Hitler-Regime die schlimmsten Verluste erleiden mussten, haben für die Sehnsüchte der Deutschen Verständnis und Vertrauen aufgebracht. … Nicht Gewalt, sondern Gespräche und Suche nach gegenseitigem Vertrauen, das Bestreben, sein Gegenüber zu verstehen, haben das Klima geschaffen, in dem es möglich wurde, ein so düsteres Bauwerk wie die Berliner Mauer zu zerstören.

Originalton Michail Gorbatschow. Gorbatschow zitierte dann aber auch Willy Brandt, der einmal gesagt hat:

Wer nicht schießen will, muss reden.

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Wir haben allen Grund, stolz zu sein und den 3. Oktober 2015 in Frankfurt zu feiern.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Herr Kollege, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Ganz flott. – Wir haben als Bundesrepublik Deutschland viel erreicht und uns Anerkennung in der gesamten Welt erarbeitet. Vor diesem Hintergrund sollte es uns auch gelingen, die aktuellen Probleme wie das Flüchtlingsproblem, das wir am Dienstag diskutiert haben, mit Optimismus und Tatkraft anzugehen. Ich wünsche uns einen schönen Nationalfeiertag in Frankfurt. Ich bin sicher, es kommen Hunderttausende; es wird ein stolzer Tag für unser Land. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, lieber Horst Klee. – Das Wort hat Abg. Lothar Quanz, SPD-Fraktion.

Sehr verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich teile den Inhalt dieser Botschaft voll und ganz, nicht nur, was die Thematik dieses Tagesordnungspunkts anbelangt, sondern ich kann auch jeden Satz meines Vorredners unterstreichen. Wir sprechen hier von einem Glücksfall der deutschen Geschichte. Unsere Geschichte ist nicht sehr gesegnet mit solchen Glücksfällen. Aber wir können gemeinsam in Dankbarkeit und mit Stolz auf die Ereignisse von 1989 zurückblicken, die dann zum 3. Oktober 1990 führten, mit ganz besonderer Dankbarkeit, weil kein einziger Schuss fiel, weil die Revolution friedlich begann und friedlich endete und deshalb erfolgreich war, und mit Stolz, weil Menschen auf die Straße gingen, Zivilcourage zeigten und die Mauer zum Einsturz brachten und damit das Tor zur Wiedervereinigung aufstießen.

Ich darf kurz auf die wichtigsten Ursachen, Akteure, Ereignisse und Entwicklungen eingehen. Wie Herr Klee sage auch ich: Der 3. Oktober 1990 ist nicht denkbar ohne den 9. November 1989. Ich möchte zunächst ganz kurz auf Bertolt Brechts klassisches Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ verweisen. Dort heißt es unter anderem:

Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen.

Auch in unseren Geschichtsbüchern werden Namen, nicht von Königen, aber wesentlicher Politiker stehen, die dieses Ereignis ermöglicht haben. Ich aber möchte wie Brecht zunächst den Blick auf diejenigen richten, die für mich die wahren Helden sind. Das sind die Menschen, die mit Kerzen in den Händen gegen einen Unrechtsstaat, gegen eine Diktatur aufmarschierten.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die wahren Helden sind diejenigen, die Rückgrat zeigten, als es noch zerschlagen werden konnte, die Gesicht zeigten, als die Stasi noch ihr Unwesen trieb. Diesen Menschen müssen wir bei solchen Gelegenheiten zuerst das Recht auf ihren Platz in der Geschichte zuweisen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Dynamik – Herr Klee, das haben auch Sie zitiert – setzte sich fort. Aus dem Skandieren des Slogans „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“; und die Dynamik hin zur Wiedervereinigung wurde letztlich von dieser Macht von Hunderttausenden von Menschen untermauert.

Ich darf aber auch auf die Akteure verweisen, die geschichtlich gewissermaßen zu den Vorläufern gehören, an die Solidarność in Polen. Ich erinnere an die Charta 77, an Václav Havel in Prag. Ganz besonders erinnere ich an den KSZE-Prozess, dieser wäre undenkbar ohne den wesentlichen Beitrag – das sagen wir Sozialdemokraten mit Stolz – von Willy Brandt und Egon Bahr.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Egon Bahrs Blaupause mit dem Titel „Wandel durch Annäherung“ legte die wesentliche Grundlage dafür, dass die Mauer löchrig wurde, dass Informationen flossen, dass sich Menschen wieder begegnen konnten – zunächst nur von West nach Ost, aber dieser Prozess gewann so an Dynamik, dass er letztlich auch die Menschen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erfasste.

Sie haben zu Recht Michail Gorbatschow und seine Verdienste genannt. Ich glaube, er hat sich dreifach um diese Entwicklung, um die deutsche Wiedervereinigung, verdient gemacht:

Erstens. Perestroika und Glasnost haben die Sowjetunion verändert, haben Prozesse ermöglicht, die vorher undenkbar waren.

Zweitens. Sein Befehl, dass nicht geschossen wird – ich sagte es schon –, war die wesentliche Grundlage dafür, dass das Ganze friedlich und erfolgreich beendet werden konnte.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Drittens. Ohne seine Zustimmung und ohne die Zustimmung der drei westlichen Großmächte in den Zwei-plusVier-Verhandlungen wäre der Prozess letztlich gescheitert. Deshalb will ich an dieser Stelle noch einmal das große Verdienst von Gorbatschow erwähnen.

Ich vergesse auch nicht Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher, die diesen Prozess mit ihren weitsichtigen Entscheidungen natürlich erfolgreich mit eingeleitet und begleitet haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Lassen Sie uns gemeinsam in Freude feiern. Ja, es gibt weiterhin Trennendes zwischen den neuen und alten Bundesländern. Ich könnte auf einige Beispiele verweisen; wenn man es scherzhaft benennen wollte, könnte man sagen: Die neuen Bundesländer haben nicht eine einzige Fußballmannschaft in der ersten Bundesliga. – Aber es gibt andere Beispiele, die, glaube ich, zeigen, dass wir gemeinsame Probleme auch gemeinsam lösen müssen. Ich denke an die demografische Entwicklung. Ich denke an den ländlichen Raum und dessen Entwicklung; dort gibt es gemeinsame Aufgaben, welchen wir uns auch gemeinsam zuwenden müssen.