Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

Da Sie die frühkindliche Bildung angesprochen haben – ich spreche ein bisschen schneller, weil ich nur wenig Zeit habe –, will ich nur noch einmal daran erinnern, wie sehr wir hier über das Kinderförderungsgesetz gestritten haben. Wenn Sie sich einmal die Zahlen anschauen: Wir haben für das Jahr 2016 für diesen Bereich sage und schreibe 434 Millionen € im Haushaltsentwurf stehen. Ich erinnere mich daran, dass der Sozialminister, als wir seinerzeit darüber sehr streitig diskutiert haben, gesagt hat, im Jahre 2010 sei man von 70 oder 80 Millionen € ausgegangen. Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass das kein gewaltiger Sprung in dem von Ihnen gerade angesprochenen Bereich der frühkindlichen Bildung ist?

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Schäfer-Gümbel, vielleicht hilft auch ein Blick auf die Lehrerstellenzuweisung. Auch das sage ich nicht belehrend, sondern empfehle nur, das einmal zu tun. Schauen Sie sich an, wie viele Stellen in diesem Bereich im Haushaltsplan des Kultusministeriums vorgesehen sind: Erzieherinnen und Erzieher: 283 Stellen, Kosten: 12,7 Millionen €; sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Eingangsstufe: 79 Stellen; Konzept „Flexibler Schulanfang“: 77 Stellen; Sozialpädagogik für die Vorklassen: 286 Stellen; Vorlaufkurse: 230 Stellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann immer noch ein bisschen mehr sein, aber ich finde, das, was wir hier machen, ist wirklich vorzeigbar.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will einen dritten Punkt ansprechen. Sie haben das Thema Investitionen angesprochen. Ich lasse jetzt einmal all das weg, was wir dazu schon vorgetragen haben – Stichwort: Konjunkturprogramm schon in der letzten Legislaturperiode; Stichwort: aktuelle Investitionsprogramme für die kommunale Seite. Es gehört zur Ehrlichkeit, sich einmal anzuschauen, wie es bei den anderen aussieht. Wir haben in Hessen einen Investitionsbetrag von 428 € pro Einwohner bei Sachinvestitionen. Nordrhein-Westfalen liegt bei 295 € pro Einwohner, unser häufig so gerühmtes Nachbarland Rheinland-Pfalz bei 346 € pro Einwohner. Auch dazu sage ich: Das stellt uns nicht zufrieden; auch

ich gehöre als kleiner mittelständischer Unternehmer zu denen, die sagen: besser in investive als in konsumtive Ausgaben investieren, wenn es eben möglich ist. – Aber wir haben bei den konsumtiven Ausgaben zurzeit so viele Herausforderungen und Aufgabenstellungen, dass ich nachvollziehen kann, dass man hier einfach die eine oder andere Investition streckt. Das machen wir so, das machen die Kommunen so, aber das machen erst recht die anderen Bundesländer so.

Kollege Hahn, auch ich will auf das Thema Schuldenbremse eingehen. Wir können den semantischen Streit zwischen „werden“ und „wollen“ sein lassen. Wir wollen und werden die Schuldenbremse einhalten. Wir haben eine klare Kalkulation auf der Grundlage der erwarteten Zahl von Menschen, die im Jahre 2016 zu uns kommen. Das wissen Sie. Meine Hoffnung ist – auch angesichts der Dinge, die mittlerweile auf nationaler und internationaler Ebene unternommen worden sind –, dass wir diese Prognose einhalten, vielleicht sogar unterschreiten können, was die Zugangszahlen anbelangt. Für den Fall bleibt es dabei: Wir sind klar auf Kurs, auch bei dem uns selbst auferlegten Durchführungsgesetz zur Schuldenbremse entsprechend der Verfassung. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, ob wir das weiterhin als ein zentrales Element der Landespolitik sehen. Wir sind ohne Zweifel und werden um kein Jota die eine oder andere Ihrer Befürchtungen nähren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hahn, zu den Anträgen. Vielleicht können wir darauf verzichten, über Verfahrensfragen zu diskutieren. Ich habe die Kritik sehr ernst genommen. Ich akzeptiere sie ausdrücklich. Sie wissen aber auch, dass wir angesichts der derzeitigen Situation bei den Gesprächen mit der SPD-Fraktion durchaus Zeit gebraucht haben. Wir hatten signalisiert, dass da etwas kommt. Deshalb hoffe ich, dass das in diesem Jahr von Ihrer Seite ein wenig großmütiger gesehen wird.

Zu Ihren Anträgen, die wir heute bekommen haben, will ich nur sagen: Wenn ich einen großen Strich darunter ziehe, sehe ich Mehrausgaben anstatt Einsparungen. Das werden Sie weiterhin bestreiten; wir werden noch Gelegenheit haben, uns darüber auszutauschen. Ich will aber einen Punkt herausgreifen: Die 21,4 Millionen € des Bundes für das Betreuungsgeld haben Sie gleich zweimal ausgegeben. Das hatten wir in diesem Hause schon einmal. Insofern: Machen Sie einmal, Hand aufs Herz, einen Strich unter Ihre Anträge, und Sie werden feststellen: Einen Konsolidierungsbeitrag leisten Sie jedenfalls damit nicht. – Ich glaube, darauf können wir uns verständigen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute haben sich ganz viele bedankt. Auch ich will das ausdrücklich tun, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Im parlamentarischen Verfahren ist es ja manchmal so, dass man der Regierung anbietet: Wenn ihr uns braucht, dann helfen wir. – Ich gebe zu, dass ich das Signal anfänglich nicht ganz ernst genommen habe. Darüber haben Sie sich zu Recht beschwert. Wir haben aber jetzt ein gutes Ergebnis vorliegen. Ich will Ihnen sagen, warum dieses Ergebnis nicht nur für den hessischen Haushalt wichtig ist. Dieses Ergebnis ist wichtig, weil es eine große Sorge in unserem Land gibt. Sie hatten einen Bundesparteitag, auch wir hatten einen Bundespar

teitag. Die Sorge, die von Delegierten auch auf solchen Parteitagen zum Ausdruck gebracht wird, ist schlichtweg die Frage: Ist die Politik in der Lage, die große Herausforderung – ich erspare mir jetzt jeden historischen Vergleich – zu kontrollieren und zu einer Lösung zu führen? Hierbei gelten zwei Umstände. Der eine Umstand ist: Bekommen wir es hin – da ist in allererster Linie die Bundesregierung gefragt –, dass in Zukunft weniger Menschen zu uns kommen, nicht, weil wir sie abweisen, sondern weil wir erreicht haben, dass die Lage in ihren Herkunftsländern und Regionen so ist, dass man dort überleben kann – im wahrsten Sinne des Wortes?

Herr Kollege Boddenberg, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das ist die erste zentrale Frage. Die zweite Frage ist – da sind wir mit im Boot –: Wie bewältigen die Länder gemeinsam mit den Kommunen die operativen Herausforderungen, die wir gerade haben? Ich glaube, man kann gar nicht hoch genug schätzen, dass es uns gelungen ist, einen parteiübergreifenden Konsens hinzubekommen – da will ich nicht nur die SPD, sondern auch die FDP ansprechen –, in dessen Rahmen die Landesregierung und der Landtag mit seinen demokratischen Fraktionen sich wie folgt geäußert oder konkret mit Anträgen beschieden haben: Wir haben eine Antwort, wir halten die Dinge im Griff, und wir sorgen dafür, dass der soziale Friede in unserem Land auch im Jahre 2016 gewahrt wird.

Herzlichen Dank dafür. Alles Gute. Jetzt krempeln wir die Ärmel hoch und geben das Geld aus – für sehr wichtige und vernünftige Dinge, wie ich finde.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Boddenberg. – Zu einer Kurzintervention hat sich Kollege Thorsten Schäfer-Gümbel zu Wort gemeldet. Er hat das Wort.

Herr Vorsitzender, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Boddenberg, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich die – sagen wir einmal – Impulsivität Ihres Kurzvortrags nicht ganz verstanden habe. Ich war vorhin sehr vermittelnd. Ich habe gesagt, dass es aus unserer Sicht einen Konsensteil gibt.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Es gibt aber auch falsche Schwerpunktsetzungen. Herr Kaufmann, ich habe nicht davon gesprochen, dass Sie kein Profil geschaffen haben, sondern ich habe gesagt, aus unserer Sicht gibt es falsche Schwerpunktsetzungen. Dann habe ich auf ein paar Probleme hingewiesen.

Zu dem Thema Bildung will ich nur zwei Anmerkungen machen. Ja – das habe ich vorhin ausdrücklich gesagt –, wir akzeptieren die großen Leistungen, die beispielsweise

im Hochschulsektor und auch in der Schule erbracht werden. Wir sehen aber auch ein paar Probleme. Solange wir in diesem Land die Situation haben, dass ein nennenswerter Anteil der Schüler eines Jahrgangs unsere Schulen ohne einen Abschluss verlässt, und solange wir einen nennenswerten Anteil von funktionalen Analphabeten haben – um nur zwei Themen zu nennen –, sind unsere Probleme im Bildungssektor nicht gelöst. Auf mehr habe ich nicht hingewiesen. Ich wollte es nur einmal konkret benennen.

(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die Investitionsquote. Ich will es noch einmal sagen: minus 750 Millionen € auf der kommunalen Seite und minus 200 Millionen € auf der Landesseite. In NRW hat man beispielsweise in diesem Jahr klar gesagt, man macht eine Investitionsoffensive. Sie haben noch einmal richtig etwas draufgelegt. Das wird langfristig ein Problem.

Jetzt gibt es wieder die Chance, etwas zu korrigieren: Es sind 1,05 Milliarden € – ich will den Zwischenruf aufnehmen –, nicht 1,5 Milliarden €. Deswegen will ich einfach noch einmal klarstellen: Wir akzeptieren das ausdrücklich. Aber es gibt daneben eine Reihe von Problemen, die nicht ganz gelöst sind.

Deswegen will ich am Ende folgende Bemerkung machen: Das, was wir heute im Konsens festhalten, ist richtig und notwendig, damit genau das, was Sie beschrieben haben, nicht passiert. Der Satz „Wir schaffen das“ darf nicht zu einer Durchhalteparole werden, sondern er muss mit konkreter Politik unterlegt werden. Deswegen übernimmt die SPD-Landtagsfraktion an dieser Stelle ausdrücklich Mitverantwortung. Ich sage es noch einmal: Das ist nur möglich, weil die Regierungsseite und die Oppositionsseite bereit waren, sich zu bewegen. – Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Schäfer-Gümbel. – Herr Boddenberg, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Herr Schäfer-Gümbel, ich kann das sehr kurz machen. Zunächst will ich sagen: Wenn Sie meinen temperamentvollen Vortrag nur als Kritik verstanden haben, haben Sie ihn völlig falsch verstanden. Ich hatte nur sieben Minuten Redezeit und wollte einiges unterbringen und auch ein paar Punkt Ihrer Kritik aufgreifen. Geschenkt.

Was die Bildungsgerechtigkeit betrifft, reichen die 1,5 Minuten Redezeit, die mir noch verbleiben, für eine Replik auf Ihre Ausführungen nicht aus. Nur eines will ich hier noch einmal sagen: Ich bin völlig einverstanden damit, dass wir uns mit aller Kraft, die wir haben, dafür engagieren müssen, dass die Menschen die Schule mit einem ordentlichen Schulabschluss verlassen und eine Lebensperspektive haben. Aber dazu gehört mehr als die Schule.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber sicher!)

Dazu gehört das gesamte Umfeld, und dazu gehören die Familien und die Verantwortung der Eltern, unabhängig von der Situation, in der die Menschen leben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Aber sicher!)

Da müssen wir eine ganze Menge tun; da bin ich sehr bei Ihnen.

Ich glaube aber, man muss an der Stelle sagen – verstehen Sie mich bitte nicht falsch –, ein wesentlicher Grund dafür, warum wir immer noch eine Reihe von Menschen haben, die über gar keinen Schulabschluss verfügen, ist der Wahnsinn, den wir hier betreiben. Nach wie vor gibt es in unserer Gesellschaft viele Menschen, die sagen: Eine Ausbildung unterhalb der gymnasialen ist nicht so doll; das funktioniert nicht für mein Kind.

Wir müssen sehr viel mehr bei der beruflichen Bildung machen, und wir müssen sehr viel mehr dafür tun – Stichwort: SchuB –, dass Menschen, die andere Fähigkeiten, z. B. praktische, haben, genauso wertvolle Mitglieder dieser Gesellschaft sind wie alle anderen auch. Da bin ich bei denen, um die wir uns kümmern müssen: die wir adäquat beschulen und ausbilden müssen. Ich glaube, neben der, die Sie angesprochen haben, ist das eine zentrale Baustelle.

Die allerletzte Bemerkung, die ich hier machen will: Ja, es gibt tatsächlich auch sehr viele Menschen mit einem sehr schwachen Abschluss. Die LINKEN sagen immer, das seien die Totalverlierer unserer Gesellschaft. Ich erinnere an eine Debatte, die wir im März in diesem Hause geführt haben: Frau Wissler hat erklärt, das alles sei ganz tragisch und ganz schlimm, sodass ich dazwischengerufen habe: Schicken Sie mir doch einmal fünf der Menschen, von denen Sie gerade reden. – Dann hat sie ihre Rede unterbrochen und gefragt: Wie meinen Sie das? – Ich habe gesagt: Ich habe das genau so gemeint, wie ich es gesagt habe. Schicken Sie mir doch einmal fünf dieser Leute.

Herr Boddenberg, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dann habe ich die Zahl erhöht und gesagt: Frau Wissler, schicken Sie mir doch zehn der Leute, von denen Sie gerade sprechen. – Es ist bis heute keiner gekommen. Sie hat gesagt: Hauptschulabschluss, keine Perspektive, kein Ausbildungsplatz. – Ich habe gesagt: Ich besorge all diesen Menschen einen Ausbildungsplatz, wenn sie denn kommen und es wollen. – Das wollte ich zur Debatte insgesamt sagen, die, wie ich glaube, ein bisschen mehr umfassen muss als das, was Sie angesprochen haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Boddenberg. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Schäfer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich will mit einem Dank beginnen. Zunächst will ich mich bei Ihnen allen, meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, für Ihr Verständnis dafür danken, dass wir in diesem Jahr bei der Beratung über den Entwurf für den Landeshaushalt des nächsten Jahres von den üblichen Verfahrensweisen ein wenig abgewichen sind – abweichen mussten. Wir haben aber auch mit einer

gewissen Langfristigkeit angekündigt, dass wir davon abweichen würden.

Wir haben bei der Vorlage des Entwurfs des Landeshaushalts – beschlossen kurz vor der Sommerpause, im Landtag vorgelegt im September – gesagt, dass wir bis zur zweiten und dritten Lesung die Haushaltszahlen mit Blick auf die Bewältigung der Flüchtlingsfrage noch einmal würden anpassen müssen. Dass wir eine Anpassung von einer solchen Dimension würden vornehmen müssen, wie wir es jetzt gemacht haben, haben wir alle selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt und auch nicht ahnen können. Deshalb herzlichen Dank für Ihr Verständnis für manch ungewöhnliches Verfahren und als Nächstes herzlichen Dank an alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dass der Haushaltsausschuss irgendwann gestern Abend noch einmal zusammengetreten ist, die Häuser vertreten waren, die Spiegelreferenten der Haushaltsabteilung gekommen sind und sie alle es als Selbstverständlichkeit ansehen, in einer solchen Vorbereitungsphase dabei zu sein und ihre Pflicht zu tun, ist aller Ehren wert. Ganz herzlichen Dank allen, die an diesem Vorbereitungsprozess beteiligt waren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will ein drittes Wort des Dankes sagen. Es keineswegs selbstverständlich, dass sich die größte Oppositionsfraktion des Hauses entschließt, eine Teilverantwortung für die Veranschlagung im Haushalt zu übernehmen. Es gibt für eine Opposition bei großen Herausforderungen, die zu bewältigen sind, durchaus die Verlockung, die einfacheren Schlagzeilen zu suchen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das haben Sie anders entschieden, und dafür bin ich Ihnen ausgesprochen dankbar.

An einer Stelle hat mich das heute aber ein Stück weit enttäuscht; das muss ich gestehen. Ich bin im Vorfeld der Haushaltsdebatte von meinen Mitarbeitern gefragt worden, worauf ich mich in der Debatte am allermeisten freue.

(Janine Wissler (DIE LINKE): So etwas fragt ein Mitarbeiter!)