Herr Schäfer-Gümbel, am Ergebnis, das uns eigentlich einen müsste, nämlich dass wir akzeptieren, dass wir das gemeinsam in die Verfassung geschrieben haben, ändert das aber nichts. Das heißt, ich fordere von Ihnen einen fairen Wettbewerb,
einen Wettbewerb, der nicht bedeutet, dass Sie einmal locker 3,6 Milliarden € mehr ausgeben und überall ein bisschen Applaus empfangen, wie wir es heute Morgen gehört haben. Am Ende wird das der Wähler merken. Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler sind viel klüger, als manche denken.
Lieber Herr Kollege Schäfer-Gümbel, deswegen wäre es, glaube ich, auch in Ihrem Sinne und in dem einer fairen Auseinandersetzung, wenn wir uns am Ende des Tages darauf verständigen: Jeder, der ein politisches Ziel formuliert, das Geld kostet, muss gleichzeitig auch sagen, wie er das bezahlen will.
Herr Schäfer-Gümbel, da kommen wir sehr schnell auf drei entscheidende Fragen, die ich Ihnen stelle und die wir Ihnen in den nächsten Monaten und während der gesamten Legislaturperiode immer wieder stellen werden. Wenn Sie mit einer Forderung nach mehr Wohnungen, mehr Lehrern, mehr Polizeibeamten, mehr Straßenbau kommen – es ist heute vorgetragen worden, auf welche Summen wir da kommen –, stelle ich eine Frage: Erhalten Sie alle diese Forderungen aufrecht? Oder ziehen Sie einzelne wieder zurück, weil Sie sagen, das können wir nicht finanzieren? Darauf bin ich sehr gespannt.
Ich werde Ihnen die zweite Frage stellen: Wenn Sie sagen, wir bleiben bei all diesen Vorstellungen und Forderungen – wie wollen Sie es finanzieren? Wollen Sie die Steuern erhöhen? Dann sagen Sie es bitte. Dann sagen Sie aber konkret, welche Steuern Sie erhöhen wollen. Dann sagen Sie bitte auch konkret, wer das bezahlt und mit welchem Steueraufkommen zu rechnen ist.
Ich erinnere einmal an die Debatte, die seinerzeit schon Schröder und die rot-grüne Bundesregierung geführt hatten. Da kam von linker Seite auch immer das Thema Reichen- und Vermögensteuer. Was hat Herr Schröder am Ende gemacht? Er hat es mit Herrn Eichel, dem Finanzminister, berechnet und kam zu der Endrechnung, dass er sagte, es bringt überhaupt nichts; es bringt zwar eine ordentliche Einnahme, wird aber bürokratiekostenmäßig wieder kom
plett aufgefressen, weil wir 30 bis 35 Millionen Immobilien neu bewerten müssen, und neu bewerten heißt: regelmäßig bewerten. Das Thema Vermögensteuer war also bei Rot-Grün und den Sozialdemokraten damals durch. Heute kommt es immer wieder einmal.
Man könnte ja noch einmal darüber reden, um eine Scheindebatte zu führen. Also: Wollen Sie Steuern erhöhen? Wenn ja, dann welche? Die letzte Frage ist: Wollen Sie möglicherweise Leistungen kürzen? Auch das hätten wir gern gewusst. Wenn Sie neue Vorschläge machen, die neues Geld kosten, müssen Sie eine dieser Fragen beantworten.
Ich bleibe dabei: Politik ist ein Wettbewerb zwischen den Parteien – kein Wettbewerb zwischen den Parteien und beispielsweise der einen oder anderen Bürgerinitiative.
Wir werden morgen – in der Aktuellen Stunde haben wir ja entsprechende Vorstellungen – auch über die Kommunalwahl letzten Sonntag reden. Ich sage ausdrücklich: Ich finde jedes ehrenamtliche Engagement vor Ort, auch in der Kommunalpolitik, klasse. Wir sollten uns über jeden freuen, der nicht AfD heißt oder der nicht ähnlich gesinnt ist.
Aber auch dort muss es doch unser gemeinsames Ziel sein, dass wir nicht dahin kommen, dass am Ende in der Kommunalpolitik nur noch kleine Einzelinteressen, Partikularinteressen, die Politik bestimmen, als letztes Rad am Wagen auch zu Mehrheitsbildungen, sondern es muss gemäß ihrem Auftrag in Art. 21 des Grundgesetzes das gemeinsame Ziel der Parteien sein, ganzheitliche Politik zu formulieren – das heißt, für alles und nicht nur für einzelne Interessen Verantwortung zu tragen.
(Beifall der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel, Nancy Faeser (SPD), Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Bettina Wiesmann (CDU) – Zuruf von der SPD)
Wenn ich da Ihren Beifall bekomme, lässt mich das hoffen, dass wir in Zukunft seriösere Debatten führen. – Meinen Kollegen lasse ich keine Zeit zum Applaudieren; ich rede immer so schnell. Keine Sorge. Ich bin auch noch nicht im Wahlkampf.
Wenn das Ihr Beifall ist, der das, was ich eingangs gesagt habe, beinhaltet und dem zustimmt, dass zur Politik mehr gehört, als immer nur die Ausgabenseite zu sehen und die andere Seite einfach wegzulassen, dann freue ich mich auf zukünftige faire und ernsthafte Wettstreite zwischen den Ideen der einzelnen Parteien im Hessischen Landtag. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Schäfer, das ist jetzt die staatstragende Rede, die Sie sich das letzte Mal gewünscht haben!)
Ich glaube, dass die Schuldenbremse erst vor der Bewährung steht. Wie erfolgreich die Schuldenbremse sein wird, wird sich erst zeigen, wenn über längere Zeit konjunkturbedingt Steuereinnahmen ausbleiben. Erst dann stehen wir vor der eigentlichen Bewährungsprobe. Ich glaube nicht einmal, dass das zwischen Ihnen, Dr. Schäfer und Herr Boddenberg, und uns völlig umstritten ist. Ich glaube sogar, dass es für ein erstes Fazit ein wenig früh ist.
Wenn Sie uns aber zu einem Bekenntnis zwingen – wir haben damit kein Problem –, dann würde ich sagen, dass sich weder die Befürchtungen der Linkspartei als richtig erwiesen haben, dass der Staat durch die Schuldenbremse vollkommen ausgehungert wird und es keine finanzpolitischen Spielräume mehr gibt, noch die Hoffnungen der Neoliberalen erfüllt haben, dass mithilfe der Schuldenbremse staatliche Betätigung insgesamt abgewürgt werden kann. Das war die Hoffnung, und auch ein Argumentationsstrang, der bei den Neoliberalen damit verbunden war.
Ich will die Auffassung der SPD noch einmal klarstellen. Herr Boddenberg, dazu geben Sie mir eine gute Gelegenheit und eine gute Vorlage. Die Auffassung der SPD ist klar. Die Schuldenbremse war und ist eine sinnvolle Maßnahme, wenn in der praktischen Politik die Balance zwischen Einnahmen- und Ausgabenverantwortung dann auch zum Tragen kommt und gewährleistet wird.
Deswegen, Herr Boddenberg, sollten wir uns zunächst einmal – das ist wenigstens unsere Herangehensweise – damit auseinandersetzen, was der Staat in Deutschland zu leisten hat. Was muss er tun? Welche Aufgaben müssen erledigt werden? Dann werden wir feststellen, dass es in Deutschland insgesamt, aber auch in Hessen – an mancher Stelle vielleicht sogar insbesondere in Hessen – erheblichen Nachholbedarf bei öffentlichen Investitionen gibt, in Hessen insbesondere bei den Investitionen der Kommunen, die – die Zahl werde ich Ihnen nennen – um 750 Millionen € pro Jahr für 2010 bis 2014 zurückgefahren wurden.
Sie bestreiten es ja gar nicht, glaube ich: Es besteht die Notwendigkeit von öffentlichen Investitionen in den Straßenbau in Hessen, sozusagen die eingefrorenen 100 Millionen €. Das ist eigentlich eine lächerliche Summe. Auch im ÖPNV steckt ja nicht einmal 1 € aus Landesmitteln – und das in dem Bereich des ÖPNV unter Regierungsbeteiligung der GRÜNEN, obwohl wir da einen ganz erheblichen Nachholbedarf haben. Ich glaube auch, wir haben einen Nachholbedarf beim Engagement für Bildung und Betreuung. Schauen Sie sich einmal die OECD-Daten an. Deutschland liegt bei den Ausgaben für Bildung 1 Prozentpunkt unter dem Durchschnitt der OECD.
(Michael Boddenberg (CDU): Hören Sie auf mit der OECD; das stimmt hinten und vorne nicht! – Gegenruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)
Herr Boddenberg, Sie sagen, die Zahlen der OECD stimmen nicht. Man muss sich ja international auf etwas einigen. Da ist es so, dass Deutschland 5,1 % des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgibt, und der Durchschnitt der OECD-Länder beträgt 6,1 %. Selbst wenn es da leichte Niveauunterschiede gibt: Hessen liegt in Deutschland sicherlich nicht an der Spitze, sondern in dem Bereich eher deutlich unter dem Durchschnitt. Wir haben – auch das ist ja die Frage – längst nicht mehr den sozialen Ausgleich in Deutschland gewahrt. Das ist übrigens möglicherweise auch eher eine Ursache des Wahlergebnisses. Aber wir möchten der morgigen Diskussion nicht vorgreifen.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Norbert, warte mal! – Die Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Holger Bellino (CDU) diskutieren miteinander.)
Meine Damen und Herren, einen Moment einmal, bitte. Wenn so etwas ist, stellt es der Präsident fest. Darum bitte ich. Jetzt machen wir bitte weiter. Das wird nicht aus dem Haus heraus festgestellt. Das weiß jeder.
Ihr Lieben, ich bin doch eben erst gekommen. Lasst mich doch zuerst einmal sitzen. Ich bin noch gar nicht da, und schon fangt ihr an mit Durcheinander. Das geht bei mir mittwochs nicht.
Herr Boddenberg, ich wollte nur einmal sagen, dass es nicht fair ist, uns zu einer Stellungnahme aufzufordern und dann nicht zuzuhören.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Meine Bitte ist, jetzt eine Pause von zwei Minuten zu machen! Wir sollten unterbrechen! – Anhaltende Zurufe des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, das habe ich doch gesagt! Ich habe gesagt, wir sollten zwei Minuten Pause machen!)