Protokoll der Sitzung vom 19.05.2016

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich möchte deutlich machen, dass die Opposition sich in diesem Haus gerade in der Flüchtlingspolitik in einer Art und Weise loyal, zusammenstehend und gemeinsam positioniert hat, wie es in Deutschland einzigartig ist.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wir als Parlamentarier in der Opposition haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben einen Schulterschluss geübt und haben gemeinsam die Dinge aus dem politischen Feuer herausgehalten. Hier lassen sich die Opposition, wir als Freie Demokraten und auch die anderen Vertreter im Hause, nichts vorwerfen. – Und zur Instinktlosigkeit, Herr Bocklet: Schauen Sie einmal in den Spiegel.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Rock. – Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Staatsminister Grüttner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Hinblick auf das gemeinsame Handeln innerhalb dieses Parlamentes, was Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen anbelangt, ist das, was Herr Rock gesagt hat, der Kern dessen, was Ihr Handeln gewesen ist. Das verdient nach wie vor gewürdigt zu werden. Für diese Unterstützung kann sich die Landesregierung nur bedanken.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich bin dankbar ob der Fürsorge des Kollegen Merz. Ob ich mich jetzt unter Wert verkauft fühle oder nicht – ich denke, dass die Frage der Wertschätzung innerhalb einer Debatte auch darin zum Ausdruck kommt, ob es in einer solchen Debatte gelingt, einige grundlegende Unterschiede herauszuarbeiten, auch in einem Politikfeld, von dem wir der Überzeugung sind, wenn wir sozialpolitisch handeln, dass wir dies im Interesse der hilfebedürftigen Bürgerinnen und Bürger tun.

An einer Stelle – das fand ich spannend – wurde sehr deutlich, wo Unterschiede sind. Das war, als Sie, Herr Merz, gesagt haben: Da wünsche ich mir eine Landesregierung, einen Staat, der mehr steuernd, der mehr handelnd eingreift.

Ich sage Ihnen: Das ist nicht das Verständnis christdemokratischer Sozialpolitik, sondern wir sagen, Subsidiarität ist der Maßstab unseres Handelns. Subsidiarität heißt Hilfe zur Selbsthilfe, und das bedeutet letztlich, die untersten Einheiten entweder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu betätigen, oder sie aus dem Sumpf herauszuziehen und dann Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren.

Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb sage ich: Subsidiarität, Hilfe zur Selbsthilfe, das ist der Kern der Sozialpolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein anderes Verständnis als das, was Sie erklärt haben. Ich bin Herrn Dr. Bartelt an der Stelle dankbar, dass er die Grundlagen, die wir im Koalitionsvertrag niedergelegt haben, noch einmal verdeutlicht hat: niemanden auszugrenzen, zu aktivieren, die Selbstbestimmung zu unterstützen, Chancengerechtigkeit zu leben, und zwar unabhängig von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht oder kulturellem Hintergrund.

Ich denke, dass es Sinn macht, nach mehr als zwei Jahren eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dies kann man in Form einer Regierungserklärung machen. Man kann das sehr umfangreich machen, man kann aber auch in jedem Plenum einen Setzpunkt machen und einen Antrag mit verschiedenen Punkten diskutieren.

Ich finde, wir können am heutigen Tag sagen, dass wir mit dem, was wir innerhalb des Sozialbudgets zusammengefasst haben, letztlich Dinge auf den Weg gebracht haben, die Teilhabemöglichkeiten verbessern und Perspektiven eröffnen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind beispielsweise Perspektiven in Form von Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogrammen für sozial benachteiligte Jugendliche und für Arbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen. Wir führen im Übrigen sehr bewusst das Instrument der Zielvereinbarung fort – das ist nichts Schlimmes –, weil vor Ort diejenigen, die Verantwortung tragen, eine bessere Kenntnis der Klientel, um die man sich bemühen muss, haben als wir im Land. Deswegen brauchen wir nichts zu steuern, sondern wir brauchen Zielvereinbarungen. Wir müssen Ziele vereinbaren und später nachprüfen, ob diese Ziele erreicht wurden. Wenn sie nicht erreicht wurden, müssen wir uns fragen, ob wir falsche Ziele gesetzt haben oder ob es einen Grund gibt, weshalb es vor Ort nicht umgesetzt werden kann. Dann kann man nachjustieren und nachsteuern, wie wir das mit jeder Zielvereinbarung tun. An diesen Punkt steuern wir schon, aber in einem partnerschaftlichen Miteinander und in einem partnerschaftlichen Verhältnis mit denen, die es vor Ort umsetzen müssen, und nicht in Form einer Gängelei derjenigen, die es vor Ort umsetzen müssen. Das ist schon ein Unterschied.

Zur Chancengerechtigkeit. Herr Kollege Rock, natürlich ist Sprachförderung im Kindergartenalter die Grundlage für Chancengerechtigkeit überhaupt. Wenn Sie sagen, an dieser Stelle sei qualitativ nichts weiter vorangeschritten, sage ich: Ja, wir haben bewusst im Jahr 2013 erstmals ein Kinderförderungsgesetz auf den Weg gebracht, von dem wir wissen, dass es bis 2018 Grundlagen festlegt. Aber wir haben in der Zwischenzeit über 50 Millionen € für die Sprachförderung dazugegeben. Wir haben 2015 mit speziellen Programmen begonnen. Wir führen Frühstart weiter. Wir machen viele Programme zusammen mit Partnern, in denen wir Chancengerechtigkeit insofern stärken, als wir frühe Bildung von Anfang an in den Kindertagesstätten auf den Weg bringen, und zwar in Zusammenarbeit mit Erzieherinnen und Erziehern und in Zusammenarbeit mit den Eltern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die lassen wir an der Stelle nicht aus der Verantwortung. Es gibt eine Verantwortung der Eltern, dort mitzuwirken. Im Übrigen ist das im Projekt Frühstart ganz richtig und gut angelegt, dass die Elternmitwirkung auf den Weg kommt. Denn nur über einen solchen Weg haben wir überhaupt eine Chance, einen entsprechenden Ansatz zu finden, Menschen mitzunehmen, auch in der Frage der Gestaltung von Sozialpolitik in unserem Lande.

Natürlich unterstützen wir Familien. Familien werden in vielfältigen Bereichen unterstützt. Sie werden unterstützt bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung, bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Natürlich sind Familienzentren ein wesentlicher Ort für Unterstützungsangebote, für sehr viele Unterstützungsangebote. Wir sind irgendwann mit 46 Familienzentren gestartet. Heute haben wir 129 Familienzentren in diesem Land. Das sind 129 gut funktionierende Angebote für Familien vor Ort.

In diesem Kontext sage ich, Frau Schott: Die Familienkarte ist eine Karte, die von den Familien sehr wohl angenommen wird, und zwar nicht wegen Vergünstigungen, sondern unter dem Gesichtspunkt, sich Ratschlag geben zu lassen. Das ist einer unserer entscheidenden Punkte gewe

sen, dass wir ein Angebot eingepackt haben, das für uns das entscheidende ist, nämlich Eltern, die sich in einer Konfliktsituation befinden, vernünftig beraten zu lassen und dies auf einem Wege wahrnehmen zu können, der für sie nicht bedeutet, in irgendeiner Art und Weise bei einem Jugendamt vorstellig zu werden, bei einer Behörde vorstellig zu werden. Vielmehr können wir über den Weg der Familienkarte solche Informationen transportieren. Das ist der entscheidende Punkt.

Deswegen ist das natürlich ein Beispiel für Unterstützung von Familien. Wenn ich an Teilhabemöglichkeiten denke, dann sage ich: natürlich Teilhabe für alle Menschen. Wir sind vorbildlich in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in unserem Lande mit dem Aktionsplan, den wir hierfür aufgelegt haben, mit den Modellregionen, mit denen wir inklusives Leben in Hessen vorantreiben. Mit all diesen Punkten erhöhen wir Teilhabemöglichkeiten für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Hier sind wir in Hessen führend, und wir sind stolz darauf.

Natürlich ist das Förderinstrument „Kompetenzen entwickeln – Perspektiven eröffnen“ ein Instrument, das sich speziell an Mitbürgerinnen und Mitbürger wendet, die eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt haben und die speziell gefördert werden sollen. Das Spannende ist, dass wir damit Strategien entwickeln, die wir wieder ausrollen können. Es ist einfach gut, dass wir jetzt schon elf Projekte haben, die sich übergreifend organisiert haben, Kommunen mit Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern, Vereine mit Kommunen, Vereine mit Wirtschaftsverbänden. Elf Projekte konnten wir allein in diesem Jahr mit 7 Millionen € auf den Weg bringen und fördern. Weitere werden folgen.

Dann werden wir bis zu 1.000 langzeitarbeitslosen Menschen eine Perspektive geben, erneut auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und damit auch wiederum einen Beitrag für die innere Struktur einer Familie zu leisten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wenn es Arbeitslosigkeit in der Familie gibt, dann ist das für die gesamte Familie belastend. Es ist für die Kinder und die Partnerinnen oder Partner belastend. Wenn wir diesen Menschen eine Perspektive eröffnen und ihnen tatsächlich die Chance geben, auf dem Arbeitsmarkt wieder aktiv zu sein, dann hat das Auswirkungen auf die Familie. Das ist auch ganz bewusst Familienpolitik. Das ist nicht nur Arbeitsmarktpolitik. Das fördern wir mit unserem Sozialbudget, genauso wie wir in vielfältiger Art Maßnahmen unterstützen.

Ich sage dann auch: Die kommunalisierten sozialen Hilfen sind letztlich ein ganz entscheidender Beitrag dazu, Sozialpolitik vor Ort umzusetzen. Sofern Notlagen vorhanden sind, können sie mithelfen, diese zu beheben.

Wir fördern in der Tat die Schuldnerberatung wieder stärker. Wir fördern die Frauenhäuser massiv stärker.

Wir haben sehr viel Ärger mit den Vertretern der Kommunen bekommen, weil wir mit der Förderung verpflichtend verbunden haben, dass sie ihre eigenen Mittel nicht zurückfahren. Vielmehr müssen ihre eigenen Mittel nach wie vor bestehen bleiben.

Glauben Sie mir, die entsprechenden Diskussionen, die wir mit den Vertretern der Kommunen darüber geführt haben,

waren nicht einfach. Denn sie wollten natürlich ihre kommunalen Mittel durch die Landesmittel substituieren. Damit hätten wir keinen weiteren Ausbau der Angebote gehabt, sondern wir wären nur zu einer anderen Finanzierungsart gekommen. So haben wir einen realen Ausbau der Angebote einer Personengruppe gegenüber, die unsere Hilfe verdient.

Herr Minister, ich erinnere an die Redezeit.

Da setzen wir uns mit den Vertretern der Kommunen auseinander. Das steuern wir auch. Aber wir machen das in einem partnerschaftlichen Miteinander. Die kommunalisierten sozialen Hilfen sind ein deutliches Zeichen des partnerschaftlichen Miteinanders.

Sozialpolitik in unserem Land kann immer nur dann gut funktionieren, wenn man alle mitnimmt. Das sind diejenigen, die Verantwortung haben, die Wohlfahrtsverbände, die kommunale Seite und die Landesseite. Wir brauchen uns da nichts vorwerfen zu lassen. Auf diesem Weg sind wir gut vorangekommen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Grüttner, danke. – Für die SPD-Fraktion hat sich nochmals Herr Merz zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister, Ihre Antwort zeigt genau, dass ich recht hatte. Es wäre schön gewesen, wenn wir eine Regierungserklärung gehabt hätten. Denn Sie haben hier noch einmal eine Reihe an Fragen vertieft, über die zu streiten sich tatsächlich lohnt. Im Kern einer sozialpolitischen Debatte müssten die Sozial- und Jugendhilfe und das Gemeinwesen in diesem Land stehen. Da geht es z. B. um die Frage des Verhältnisses zwischen der operativen Ebene und der Finanzierungsebene. Das ist also die Frage der Subsidiarität, die dem mit zugrunde liegt. Sie ist aber nicht alles.

Ich habe mich deswegen zu Wort gemeldet, weil ich nicht den Vorwurf stehen lassen wollte, es gebe bei den Sozialund Jugendhilfepolitikern meiner Fraktion irgendeinen Zweifel an dem Gebot der Subsidiarität und einem wohlverstandenen auch praktischen Interesse an der Subsidiarität. Den gibt es nicht.

Den gibt es insbesondere bei mir nicht. Ich bin ein eingeschworener Verfechter der Subsidiarität, sowohl im Hinblick auf die Kommunen als auch im Hinblick auf die freien Träger. Das haben wir in vielen Debatten hier gesagt, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung.

Ich habe die Frage der Steuerung in dem Kontext erwähnt, den Sie am Schluss nannten, nämlich im Zusammenhang mit der Kommunalisierung der sozialen Hilfen. Das haben wir während der Haushaltsberatung bis ins Essgefach hin

ein diskutiert. Da ging es genau um den Mechanismus, über den Sie geredet haben.

Ich will etwas anderes sagen. Wir als Landesgesetzgeber und insbesondere als Haushaltsgesetzgeber sollten nicht diejenigen sein, die einfach Geld ausgeben. Vielmehr haben wir sehr wohl ein Interesse an einer Strukturbildung. Zweitens haben wir ein Interesse an der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im ganzen Land. Das sind unsere beiden großen Aufträge hinsichtlich der Kultur- und Jugendhilfepolitik, jenseits der Aufgabe, das Geld zur Verfügung zu stellen. Das ist an der Stelle der Punkt.

Das Spannungsverhältnis kann man eigentlich sehr gut deutlich machen. Sie waren auch beim 70. Jubiläum der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen dabei. Da haben wir den Auftritt des Präsidenten des Hessischen Städtetags gehabt, der uns etwas unverblümt erklärt hat. Das war nichts Neues. Das wissen wir. Sie haben das an dem kleinen Beispiel der Kommunalisierung sozialer Hilfen und der Mechanismen, wofür das Geld verwendet wird, noch einmal vertieft.

Der Präsident des Hessischen Städtetags hat gesagt: Eigentlich wollen wir als Vertreter der Kommunen gar keine Standards. – Das ist das Spannungsverhältnis, über das ich geredet habe. Das ist es, zu dem ich sage: Da muss man ausdiskutieren, was der Steuerungsauftrag des Landes ist, ohne dabei die Funktionsfähigkeit der operativen Einheiten zu beeinträchtigen, die für die tatsächliche Ausführung vor Ort verantwortlich sind. Darum geht es.

Solche Debatten sind die, die hier im Landtag zu führen sind, wenn wir über eine zukunftsorientierte und zukunftsfähige Sozialpolitik reden. Wir müssen nicht darüber reden, ob die Familienkarte jetzt 500.000 Abnehmer hat oder ob sie 40.000 zum Zeitpunkt der Rede des Kollegen Bocklet hatte, aus der ich dann doch nicht zitiert habe. Das ist nicht etwas, über das hier zu reden lohnt. Vielmehr sind das andere die Punkte, über die zu reden lohnt. Vielleicht können wir das bei nächster Gelegenheit einmal tun. Ich wäre darüber froh. Wir sind jederzeit bereit, diese Debatte zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Merz, danke. – Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Deswegen kommen wir zur Abstimmung über diesen Entschließungsantrag, Drucks. 19/3370.

Wer ihm die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Mitglieder der Fraktionen der SPD, der FDP und der LINKEN. Damit ist dieser Entschließungsantrag angenommen.