Protokoll der Sitzung vom 15.12.2016

Wenn es Menschen gibt, die unsere Werte und Rechte und Chancen nutzen wollen, um sie ins Gegenteil zu verkehren, müssen wir ganz klar ein Stoppschild aufzeigen. Das machen wir definitiv nicht mit.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Rentsch, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Ich finde es deshalb eine spannende Debatte, weil ich auch gern wissen möchte, wie das der stellvertretende CDUBundesvorsitzende sieht. Aber klar ist natürlich auch, dass wir als Land, gerade als Land der Mitte, in einer Gesellschaft, die dringend auf gute Köpfe angewiesen ist, an diesem Tag ein klares Signal setzen sollten: Wir brauchen gute Köpfe in diesem Land, und deshalb brauchen wir auch ein Zuwanderungsgesetz. Das wäre vielleicht einmal eine parteiübergreifende Initiative. Herr Kollege Frömmrich, darüber können wir vielleicht nachher einmal am Rande des Plenums bei einem Kaffee diskutieren, ob wir so etwas hier einmal einbringen. Es würde dem Parlament sicherlich guttun, wenn nicht immer nur Koalitionen hier die Politik machen, sondern auch Mehrheiten im Geiste. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Das Wort hat Frau Abg. Janine Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor 18 Jahren fand in Hessen der bisher geschmackloseste und gefährlichste Wahlkampf in der Geschichte dieses Bundeslandes statt. Die CDU sammelte damals Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, malte abstruse Horrorszenarien an die Wand und schürte Ängste und Vorurteile.

„Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“, war damals eine häufig gestellte Frage in Hessens Fußgängerzonen. Das war ein Wahlkampf auf dem Rücken von Migranten, auf dem Rücken von jungen Menschen, deren Eltern seit Jahrzehnten hier lebten, hier arbeiteten und diese Gesellschaft und ihren Wohlstand mit aufgebaut hatten.

Die doppelte Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht sind keine Almosen, keine großzügige Gabe; es sind Rechte, die den Menschen zustehen und die ihnen viel zu lange vorenthalten wurden.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Letzte Woche hat sich der CDU-Bundesparteitag gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und für die Wiedereinführung der Optionspflicht ausgesprochen – wegen möglicher Loyalitätsprobleme. Ich frage Sie: Glauben die hessischen CDUler, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gestimmt haben, allen Ernstes, dass Minister Al-Wazir ein Loyalitätsproblem hat, weil er zwei Staatsangehörigkeiten hat? – Das ist doch absurd.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Was wir in der momentanen Situation am allerwenigsten brauchen ist Roland Koch reloaded. Die Union übernimmt immer mehr die Parolen der AfD – die CSU vorneweg. Kürzlich lobt Seehofer ausgerechnet Donald Trump für

seine Sprache und dafür, dass er den Menschen – Zitat – „konkrete Antworten“ gebe – und das nach einem zutiefst rassistischen und sexistischen US-Wahlkampf. Diese Anbiederung an den Rechtspopulismus ist brandgefährlich – gerade angesichts der Rechtsentwicklung, die wir in diesem Land erleben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

In Deutschland gab es allein in diesem Jahr fast 900 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte – durchschnittlich drei am Tag. Das zeigt: Aus verbalen Angriffen werden tätliche Angriffe – jüngst mitten in Frankfurt auf die Räume der Flüchtlingsinitiative Project Shelter, der ich an dieser Stelle unsere volle Solidarität ausdrücken will.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer gegen Menschen hetzt und sich als geistiger Brandstifter betätigt, trägt Mitverantwortung dafür, wenn diese Verrohung von Sprache irgendwann in Gewalt umschlägt. Wer die Parolen von Rechtspopulisten übernimmt, gräbt ihnen damit nicht das Wasser ab, sondern macht sie stark. Das haben die vergangenen Wahlkämpfe deutlich gezeigt. So vergiftet man das gesellschaftliche Klima.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da sind wir bei der Hessen-CDU. Hier haben die Rechtsaußen ja traditionell Narrenfreiheit. Während Herr Bouffier den freundlichen Landesvater spielt, dürfen Steinbach, Willsch und Irmer den rechten Rand bedienen und ungestraft permanent Minderheiten beleidigen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Jetzt spricht der Bundestagsabgeordnete Willsch von einer Koalition mit der AfD und sagt, Kontakt zu den gemäßigten Leuten sollte möglich sein. Klar, man kennt sich. Die Hessen-CDU ist ja quasi die Brutstätte für die AfD-Führungsriege gewesen.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Meine Güte!)

Gauland, Glaser, Hohmann – das waren doch alles einmal Parteimitglieder von Ihnen. Das sind doch alles Gewächse der Hessen-CDU.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zurufe von der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Mit den GRÜNEN als Koalitionspartner tut sich Herr Willsch allerdings schwer – zumindest auf Bundesebene.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Auf Bundesebene gebe es – Zitat – „schwer verdauliche Mitspieler … wie z. B. Jürgen Trittin und Renate Künast“, so Willsch. Vielleicht sollten sich die hessischen GRÜNEN einmal überlegen, was es über sie aussagt, wenn die Bundes-GRÜNEN im Unterschied zu ihnen als „schwer verdaulich“ gesehen werden. Sie bereiten offensichtlich keine Verdauungsprobleme.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Diese Woche haben Unionspolitiker gefordert, härter gegen Hasskommentare und Fake News vorzugehen und gezielte Desinformationen unter Strafe zu stellen. Ich sage einmal: Dann hätte Herr Irmer mit seinem „Wetzlar Kurier“ ein echtes Problem.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Denn Münchhausen war ein ehrlicher Mann, verglichen mit dem Wahrheitsgehalt des „Wetzlar Kuriers“.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dann wird ja immer gern gesagt, Herr Irmer hätte in der Fraktion gar nichts zu sagen. Das ist auch eine der grünen Lebenslügen in dieser Koalition.

(Beifall bei der LINKEN – Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD): Ja!)

Aber dieser vollkommen bedeutungslose Herr Irmer kandidiert jetzt für den Bundestag.

(Zurufe von der SPD)

Und, oh Wunder, die CDU hat ihn in die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten entsendet. In der „Wetzlarer Neuen Zeitung“ vom 28. August dieses Jahres war zu lesen:

Bouffier nannte Irmer seinen Freund, den er seit 40 Jahren kenne und der sich nicht nur in der Politik durch Prinzipientreue, Berechenbarkeit und Geradlinigkeit auszeichne, sondern vor allem durch sein „offenes Wort“, …

Herr Ministerpräsident, statt sich schützend vor die Menschen zu stellen, die Herr Irmer Monat für Monat in seiner Postille beleidigt, nämlich Migranten, Muslime, Homosexuelle, loben Sie ihn auch noch dafür. Was im „Wetzlar Kurier“ geschrieben steht, sind doch keine offenen Worte, sondern das ist rassistisch und menschenverachtend.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Manfred Pentz (CDU): Unerträglich!)

Frau Kollegin Wissler, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Dieses klare Bekenntnis des Ministerpräsidenten zeigt eines ganz klar: Irmer ist keine Randfigur, sondern er ist integraler Bestandteil dieser hessischen CDU. Irmers Äußerungen sind keine Ausfälle, sondern Kalkül und Gesinnung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten. Das ist Ihre Arbeitsteilung – Sie sind der versöhnliche Landesvater, und andere dürfen sich am rechten Rand austoben. Da hilft alles Leugnen nicht, liebe GRÜNE. Wenn man mit der CDU koaliert, hat man eben Leute wie Irmer an der Backe.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Öztürk, zweieinhalb Minuten.

Sehr verehrter Herr Präsident! Ich bin der SPD ganz dankbar, dass sie in der Aktuellen Stunde heute das Thema der Optionspflicht aufgerufen hat, damit die Hessen auch klar Position beziehen können.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Denn auch dieses Land Hessen hat etwas mit der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft zu tun. Auch ich möchte daran erinnern, wie vor 18 Jahren die Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft in Hessen ganz tiefe Wunden bei den türkeistämmigen Menschen gerissen hat, weil sie als Menschen, die hier jahrelang gearbeitet haben, Steuern bezahlt haben und ihre bürgerlichen Pflichten erfüllt haben, auf einmal Zielscheibe einer Wahlkampagne geworden sind. Diese tiefen Wunden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bis heute nicht geheilt.

Deswegen haben sich auch viele türkeistämmige Menschen, als es heute um die 70-Jahr-Feier von Hessen ging, nicht mitgenommen gefühlt. Das ist in diesem Hessischen Landtag dem ehemaligen Ministerpräsidenten Koch zu verdanken, und auch die Hessen-CDU hat sich niemals davon distanziert. Das möchte ich hier festhalten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Bei der doppelten Staatsbürgerschaft möchte ich noch einmal klarmachen: Mir wäre es lieb, wenn es eine generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit gäbe. Mir ist auch klar, dass mit der CDU in der großen Koalition im Bund nur die Optionspflicht als Kompromiss möglich war. Diese abgeschaffte Optionspflicht jetzt wieder einzführen angesichts junger Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, hat nichts mehr mit Integration zu tun. Das hat mit Ausgrenzung zu tun, wenn man diesen jungen Leuten sagen will: Entscheide dich zwischen der einen oder der anderen Staatsbürgerschaft.