Protokoll der Sitzung vom 13.06.2001

Wir sagen, im Rahmen der Familienpolitik ist die Frage der Kindertagesbetreuung von zentraler Bedeutung in diesem Bereich, da sind wir d’accord. Aber dann verfallen Sie in alte vergangene Zeiten, indem Sie unseriös handeln. Sie gehen hin und fordern 800 Millionen DM für einen Bereich und reihen sich damit sozusagen ohne Not in Edmund Stoibers familienpolitisches Paket von 60 Milliarden DM ein, von Angela Merkel gar nicht zu reden, und sagen dann, das können wir auch noch finanzieren, indem wir im ersten Jahr darauf verzichten, den A 380 zu bauen, im zweiten Jahr darauf verzichten, die Messe zu bauen, und im dritten Jahr fangen wir an, die Gewerbesteuer zu erhöhen.

(Glocke)

Ist eine Zwischenfrage erlaubt? – (Zustimmung)

Kollege Böwer, können Sie mir einfach einmal die Summe nennen, die Hamburg allein in diesem Jahr durch die Steuerreform der rotgrünen Bundesregierung verliert? Wie hoch ist denn die Zahl?

Ich schätze mal roundabout 250 bis 400 Millionen DM.

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke: Dann haben Sie ungefähr 500 Millionen DM ver- gessen, Herr Böwer!)

Es mag sein, daß ich 500 Millionen DM vergessen habe, das war ja eine Schätzung.

(Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke: Sie können gut rechnen, Herr Böwer, danke!)

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Aber bleiben wir bei Ihrem Antrag. Sie fordern in diesem Bereich 800 Millionen DM, und was Sie als Finanzierungsvorschlag vorschlagen, hat mit dem Prinzip von Nachhaltigkeit überhaupt nichts zu tun, denn auf Dauer führt dieses in einen Bereich von Verschuldung und heißt im Grunde genommen, die Kosten der heutigen Kindertagesbetreuung in 30 Jahren auf die gleichen Kinder zu verlagern, die dann die entsprechenden Zinsen zahlen müssen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das ist unseriös und ein Stück Effekthascherei.

Kommen wir zur derzeitigen Situation in Hamburg. Wir haben erstens in den letzten Jahren 20 000 zusätzliche Kindertagesplätze geschaffen. Das ist nicht wenig, das war ein Riesenaufbauprogramm. Zweitens darf man im Zusammenhang mit der Kindertagesbetreuung auch die Verläßliche Halbtagsgrundschule nicht vergessen. Sie haben eine EU-Empfehlung zitiert, die sich willkürlicherweise nur auf den Bereich der Null- bis Fünfjährigen bezieht und den Bereich der Grundschulkinder völlig außen vor läßt.

Diese EU-Empfehlung sagt auch, wir brauchen im Bereich der Null- bis Dreijährigen eine fünfzehnprozentige Krippenversorgung. Das ist uns Sozialdemokraten in der Tat zu wenig, denn Ihrem Konzept stellen wir ein solide durchfinanziertes Konzept gegenüber, das wir die Hamburger Garantie im Zusammenhang mit der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nennen. Wir werden an diese Stelle ab 2002 ein Ausbauprogramm in Höhe von 150 Millionen DM setzen, das ist schon sehr ehrgeizig in diesem Bereich. Kinder, deren Eltern berufstätig sind, haben dann einen Anspruch auf Kinderbetreuung, egal ob das Kind nun acht Monate oder zwölf Jahre alt ist.

Der zweite Bereich, den ich an dieser Stelle nicht vergessen möchte, ist der Ausbau der Ganztagsschulen. Beides gehört zusammen, und beides will in dem Punkt verschränkt sein. So weit zu REGENBOGEN.

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ach!)

Ich halte Ihnen zugute, daß Sie eine Position beziehen, das ist auch gut.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die rechte Seite dieses Hauses bezieht in der Familienpolitik gar keine Position. Es ist eine völlige Mogelpackung, denn in der Frage der Standards, die Sie auch im REGENBOGEN-Antrag angepackt haben, sagt die CDU, die überzogenen Standards im Bereich der Kindertagesbetreuung müßten herabgesetzt werden. Von daher würde mich schon interessieren, welches die überzogenen Standards in diesem Bereich sind.

Zweitens ist überall dort, wo die CDU Regierungsverantwortung trägt, die Versorgungsquote miserabel: Bayern 1 Prozent beziehungsweise 3 Prozent für Krippe und Hort, Hessen 1 Prozent beziehungsweise 4,9 Prozent und so weiter und so fort.

Deswegen möchte ich von der CDU wissen, wie ihr familienpolitisches Konzept jenseits der 1200 DM aussieht, die uns Stoiber an dieser Stelle verspricht. Ich habe die große Befürchtung, Sie haben in diesem Punkt gar kein Konzept, und das ist schlecht. Soweit zu dieser Debatte. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Bevor ich Herrn Harlinghausen das Wort gebe, sollte ich noch einmal erwähnen, daß Zwischenfragen nicht zu Debattenbeiträgen genutzt werden.

Herr Harlinghausen, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Böwer, wenn ich Sie so höre, „wir werden“, „wir wollen“, „wir versprechen“, das kennen wir schon seit vielen Jahren, dann frage ich mich, warum Sie das haben soweit kommen lassen, daß Eltern und Kinder aufschreien und unzufrieden sind? Da muß doch irgend etwas nicht stimmen. Darüber sollten Sie nachdenken. Ich wäre gern bereit, das familienpolitische Konzept der CDU mit Ihnen durchzusprechen.

(Dr. Monika Schaal SPD: Weil Sie das 16 Jahre ver- säumt haben!)

Ich habe aber nicht viel Vertrauen, daß Sie das schnell verstehen werden, und schon gar nicht, daß Sie das umsetzen werden. Allerdings haben Sie dazu auch gar keine Chance mehr, und das ist gut.

(Beifall bei der CDU)

Es ist hellseherisch und bis zu einem gewissen Grade geradezu sympathisch, wenn die REGENBOGEN-Gruppe mit diesem Antrag für die nächste Legislaturperiode dem dann von Ole von Beust geführten Senat Empfehlungen für die dringend erforderlichen Verbesserungen der Kindertagesbetreuungssituation mit auf den Weg geben möchte.

(Oh-Rufe bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Es drückt wohl auch ein gut Teil Hoffnung aus, den selbst der REGENBOGEN in den kommenden Regierungswechsel legt. Auch das ist gut.

Seit langer Zeit plädiert die CDU dafür, die Kindertagesbetreuung zukunftsorientiert zu optimieren. Sie hat dazu – das habe ich schon mehrfach erwähnt – eine Vielzahl von konstruktiven Anträgen eingebracht. REGENBOGEN und CDU stimmen zumindest darin überein, daß der Bereich der Kinderbetreuung in keiner Weise zur Konsolidierung des Haushalts geeignet, aber eine Absicherung von Qualitätsstandards zwingend ist.

Gute Reformen sind immer mit einem Paradigmenwechsel verbunden. Im Zentrum einer Reform sollte aber nicht nur eine theoretische Optimierung, sondern zuletzt auch die Realisierbarkeit stehen. Bei allem Wohlwollen für die geäußerten Zielsetzungen des vorliegenden Antrags, den Ausbau des Halb- und Ganztagesangebots, Verbesserung der Betreuung durch gut ausgebildetes Fachpersonal sowie Entlastung der Familie – wobei mir diese Forderungen sehr bekannt vorkommen –, schlägt beim REGENBOGENAntrag leider ein Aspekt durch, der eine Zustimmung leider unmöglich macht. Schon bei den letzten Haushaltsberatungen gab es eine Kette von REGENBOGEN-Anträgen, die hübsch und verlockend aussahen, aber typisch für Politiker sind, die sicher sein können, an einer Umsetzung nicht verantwortlich beteiligt zu sein,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das machen Sie!)

oder auch die Umsetzung gar nicht ernsthaft vorhaben. Spätestens alle vier Jahre ist eine – besonders auch für die SPD – typische Erscheinung zu verzeichnen. Nein, ich meine nicht „Eugen mit dem Spaten“. Es bricht eine operative Hektik aus.

(Thomas Böwer SPD)

(Dr. Martin Schmidt GAL: Sie reden über sich selbst!)

Anträge werden gestellt und Erklärungen abgegeben, Herr Dr. Schmidt, die ohne Rücksicht auf Kosten das Blaue vom Himmel herunterfordern oder versprechen.

(Manfred Mahr GAL: Wie bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Durchsichtige Last-minute-Politik nenne ich das.

(Zuruf von Wolf-Dieter Scheurell SPD)

Ich weiß, das tut weh, die Wahrheit ist schwer zu ertragen, Herr Scheurell.

SPD und GAL finden plötzlich trotz der bekannten Haushaltslage – fragen Sie einmal die Finanzsenatorin – über 150 Millionen DM mehr für die Kindertagesbetreuung. Wie Sie das gegenfinanzieren wollen, Herr Böwer, haben Sie bis jetzt auch nur wischiwaschi umschrieben, nachdem aber vorher in den letzten Jahren kräftig und in zweistelliger Millionenhöhe – einige sprechen von bis zu 40 Millionen DM – auf dem gleichen Feld zusammengestrichen wurde und eigentlich von Ihnen alles schon hätte viel früher geregelt werden können. Wer trägt seit Jahrzehnten die politische Verantwortung für die Betreuungsdefizite?

Der REGENBOGEN will sogar 820 Millionen DM zusätzlich ausgeben, wobei dort auch aus unserer Sicht eine etwas abenteuerliche Deckung angeboten wird. Es soll einmal wieder kräftig an der Steuerschraube gedreht und es sollen Investitionen in die wirtschaftliche Standardsicherung gekappt werden, die auch etwas mit der Lebensqualität für die nächste Generation zu tun haben. Ein solches Vorgehen ist nicht seriös, fördert auch nicht die Glaubwürdigkeit der Politik bei den Bürgern und ist kontraproduktiv für das Vertrauen der politischen Aussagen.

(Beifall bei der CDU)

Politik – nicht zuletzt im Kinder- und Jugendbereich – muß immer dem Anspruch einer ehrlichen Umsetzbarkeit genügen, Frau Sudmann.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Oh, ja!)

Seriös und glaubwürdig wäre es, am Anfang eine objektive und ideologiefreie Bestandsaufnahme vorzunehmen, alle Bereiche der Politik für junge Menschen auf den Prüfstand zu stellen, unabdingbare Qualitätsstandards und Vereinbarungen darüber zu ermitteln und festzusetzen und nach einem allgemeinen Kassensturz ein Konzept zur Umsetzung von Reformvorhaben unter Einbindung aller Betroffenen zu finden. Eine hohe Akzeptanz wäre die Folge.

Ein wichtiger Punkt ist hierbei sicher auch eine andere Kostenbeitragsstruktur, die sich am Niveau vieler vergleichbarer Großstädte orientiert. Warum soll das, was woanders in bezug auf Qualität und Kosten Normalität ist, ausgerechnet in Hamburg nicht erreichbar sein? Hieran wird die CDU konkret und mit Nachdruck arbeiten, um das zu erreichen.