Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin froh, daß Herr Dr. Mirow versucht hat, diese Debatte auf einen pragmatischen Ansatz zurückzubringen, weil er nämlich auch deutlich gemacht hat, daß es
offenbar eine nicht unerhebliche Diskrepanz in der Argumentation – soweit ich jedenfalls die von Herrn Müller verstanden habe –, aber auch zu Herrn Dr. Hajen gibt.
Jetzt haben wir – Herr Dr.Hajen, da haben Sie recht – nicht die Debatte über das Einwandererrecht zu führen, sondern jetzt haben wir pragmatisch, Herr Dr. Mirow, eine Frage zu klären, die in Bonn durch die Initiative der SPD aufgeworfen worden ist.
Die Situation ist insgesamt aus meiner Sicht auf eine Fehleinschätzung zurückzuführen, und zwar sowohl der Wirtschaft als auch der Politik. Erst in letzter Zeit hat die Wirtschaft erkannt, daß es diesen Arbeitskräftemangel gibt und daß er für die Zukunft fortgeschrieben werden wird, wenn sie sich nicht selber zu einer Ausbildungsinitiative völlig anderer Art als in der Vergangenheit bekennt. Auch die Wirtschaft hat in der letzten Zeit uns, der Politik, immer wieder eingeredet, in den Wirtschaftsprozessen der Zukunft ginge es um die Frage von Teamfähigkeit, die man lernen müsse, und von sozialem Verhalten.Generalisten müsse man ausbilden, nicht Spezialisten.Jetzt stellen sie plötzlich fest, daß teamfähige Leute gelegentlich auch rechnen können müssen und daß bei aller Orientierung im sozialen Verhalten es auch ganz sinnvoll ist, wenn man einen PC bedienen kann. Hier ist Politik auch von Wirtschaft in eine falsche Richtung gelenkt worden, ohne daß ich Schwarze Peter verteilen will.
Aber auch Politik hat sich in dieser Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Da gab es – vorsichtig formuliert – Aversionen gegen Technik. Da gab es Aversionen gegen das, was Eliten heißt, wobei Elite immer das war, wovon man selber nichts verstand. Aber auch Nachrennen von Zeitgeist – und das sage ich an meine eigene Partei, die beiden ersten Bemerkungen waren eher an die linke Seite des Hauses gerichtet –
gab es bei der CDU, so daß sich die Politik insgesamt in dieser Frage nicht auf die Schulter klopfen kann. Und Schule hat es sich in dieser Nische bequem gemacht, denn diese Art der Betrachtung von Zukunft und von Wirtschaft sprach einer Menge von Ideologen aus der Seele. Ich formuliere einmal: Es ist besser, darstellendes Spiel zu praktizieren als die Mühsamkeiten der Ausbildung im Internet und am PC zu lernen.
Die neue Schulsenatorin hat ja nicht umsonst davon gesprochen, daß das ein heilsamer Schock gewesen sei, der hier ausgelöst worden ist. Schockiert kann immer nur der sein, der von einer Entwicklung überrascht wird.
Tatsache ist, daß Fachleute im IT-Bereich fehlen, und zwar heute. Deswegen hilft die Überlegung von Rüttgers für heute nicht, sowenig wie das Lamentieren von Zwickel über die Arbeitslosigkeit, die nicht abgebaut wird, wenn wir Arbeitskräfte von außen hineinholen. Auch er verkennt, die gebrauchten Fachleute sind in Deutschland nicht da. Weder sind sie ausgebildet, noch sind sie als Arbeitslose vorhanden. Wenn ich sie aber heute brauche, muß ich sie irgendwoher holen. Selbst, wenn es ginge, wie er sich das vorstellt, nämlich deutsche Arbeiter, die arbeitslos sind, nachzuqualifizieren, sie alle zu IT-Fachleuten zu machen, dauert das – wie Roland Salchow mit Recht dargestellt hat – so lange, daß wir diese Zeit nicht haben.
Sowenig der Slogan von Rüttgers heute hilft, so richtig ist er allerdings für morgen, weil nämlich – und das hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun –
dauerhaft das Spezialistenproblem eines Landes wie der Bundesrepublik Deutschland nicht auf dem Rücken der Elite der dritten Welt gelöst werden kann.
Die Überlegung, daß dieses eine Form von Neokolonialismus ist, der dritten Welt die eigene Elite hier hereinzuholen und sie damit ihnen wegzunehmen, ist doch nicht völlig abwegig, meine Damen und Herren.
Ich finde, es ist zweitens ein Armutszeugnis für eines der modernsten Industrieländer dieser Welt, daß wir nicht in der Lage sind, die Fachleute sozusagen aus eigener Kraft auszubilden und sie dieser Wirtschaft zur Verfügung zu stellen.
Ob wir davon dauerhaft genug haben werden, wage ich gar nicht zu entscheiden, aber ob die Zahl von 500 000, die wir jährlich brauchen – wie die UNO das voraussieht –, richtig ist, weiß ich gar nicht. Aber es überhaupt nicht zu probieren und zu sagen, die kaufen wir uns draußen ein, das kann nicht die Lösung dieses Problems sein.
Dritter Punkt.Wir müssen uns natürlich auch davor hüten, unter Umständen mit dieser Art von Green Card – es ist keine Green Card, wie Leonhard Hajen zu Recht dargestellt hat – soziale Verwerfungen in diesem Land zu produzieren, die wir gar nicht produzieren wollen, die sich aber möglicherweise in den Köpfen von Menschen festsetzen, deren Vorstellung immer noch ist, Arbeitsplätze können nur mit Ausländern besetzt werden, wenn man von ihnen bedient wird, und sich nicht vorstellen können, daß jemand, der eine andere Hautfarbe und eine andere Ausbildung hat, auch plötzlich Chef wird.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu dem, was Herr Ehlers im Zusammenhang mit der Ausbildung ausgeführt hat, folgende Anmerkung: Ich denke schon, daß gegenwärtig in der Ausbildung sehr viel gemacht wird. Es ist Unsinn, was Sie zu der bisherigen Ausbildung in Deutschland gesagt haben. Das ist eine Aussage, mit der man alle dummen Vorurteile gegen Leute mit Ihrem Beruf – ich glaube, Sie sind Lehrer –
hervorbringen kann, denn das, was Sie dazu gesagt haben, ist alles Unsinn. Teamgeist ist notwendig. Es ist nicht eine einseitige physikalische Ausbildung notwendig, sondern alle Leute, die in der IT-Praxis arbeiten, wissen genau, daß die Mischung, Teamgeist und auch soziale Kompetenz, das entscheidende Moment sind.
Wichtig ist, daß in der Ausbildung – da würde ich im wesentlichen Herrn Dr. Mirow zustimmen – durchaus wichtige Dinge auf dem Weg sind. Entscheidend ist, daß wir an diesem Punkt feststellen, daß wir in der Bundesrepublik – und das kann durchaus für bestimmte Augenblicke überall einmal passieren – für eine wirtschaftliche Entwicklung zusätzliche Arbeitskräfte und Menschen brauchen, die hier in einer bestimmten Situation mit aushelfen. Das heißt, wir brauchen mehr Menschen, wir brauchen Zuwanderung in diesem Land.Wir brauchen nicht nur Zuwanderungen aufgrund dieser Informationstechnologie, sondern alle Leute, die ein bißchen aufgeklärter sind, wissen, daß wir auch aufgrund der Renten Zuwanderung in diesem Land brauchen. Alle Menschen, die nachgedacht haben, wissen, daß wir in diesem Land um einiges mehr Zuwanderung brauchen. Die Schwierigkeit ist, daß es immer wieder populistische Kampagnen gibt, aufgrund derer man nicht in der Lage ist, das, was vernünftig ist, zu organisieren.Das befürchten wir gegenwärtig in NRW mit Herrn Rüttgers, das haben wir in Hessen im Zusammenhang mit Herrn Koch erlebt, der genau eine solche Kampagne hervorgebracht hat und das, was eigentlich notwendig wäre, nicht organisiert, nämlich mehr Einwanderung.
Dieses Argument trifft in dem Zusammenhang auch die SPD in ihrem Kern. Ihr Innenminister, Herr Schily, ist einer der wichtigsten Menschen in diesem Zusammenhang, der deutlich sagt, daß dieses Land nicht mehr Zuwanderung vertragen kann. Das Boot ist voll. Dieses dumme alte Bild wird in diesem Moment wieder mobilisiert, auch von der SPD, auch von Herrn Schily. Es ist so kontraproduktiv. Es ist nicht in der Lage, die Probleme dieses Landes anzugehen, und es bedient die dummen reaktionären Argumente, die Herrn Haider in Österreich so stark gemacht haben. Es ist deswegen auch ein Kern der SPD-Problematik selbst.
Ich denke, dazu wären einige aufklärende Worte von Herrn Dr. Mirow sehr notwendig, um noch einmal deutlich zu sagen, daß man dieses Problem abgesehen von nationalen Gefühlen, von Gegeneinwanderungsgefühlen, die auch von Rotgrün mit mobilisiert werden, sehen muß, daß es vernünftig für dieses Land ist, Zuwanderung zu organisieren, und daß diese Vernunft sich auch durchsetzen sollte. Ist es eigentlich so – und da ist dieses Argument der CDU dann und wann durchaus mit dem richtigen Touch versehen –, daß wir sagen können, wir verlangen, daß jemand, der hierherkommt, möglichst eine breite Nase haben soll, eine gute Qualifikation in IT hat und nicht allzu alt sein darf, und das ist die Voraussetzung, daß er hier einwandern kann? Diese Art und Weise von Menschenhandel, die da in gewisser Weise mitschwingt, sollte jeden von uns sehr skeptisch und vorsichtig machen. Jeder, der das favorisiert – und ich bin durchaus dafür, daß das gemacht wird –, muß sich zumindest fragen, inwieweit das den sozialen Qualitäten, die wir an dieses Leben und dieses Land stellen, auch genügt. Das bedeutet nicht nur, mehr Zuwanderung zu ermöglichen, sondern wir sollten wirklich wieder ein Asylrecht bekommen, das auch das Wort und den Inhalt von Asyl
Das wäre für mich das moralische und soziale Moment, das in dem Zusammenhang mit auftauchen sollte. Das wäre eigentlich eine Aufgabe von Rotgrün, das erfüllen zu können und nicht nur Menschenhandel zu organisieren, sondern auch soziale Kompetenz, und in der Lage zu sein, Asylfragen wirklich wieder einzuführen.Das wäre Rotgrün, wie ich es mir vorstelle und wie Sie sich eigentlich auch im Wahlkampf präsentiert haben, aber heute in der Realität nur noch mit den Unternehmerverbänden das andere organisieren wollen. – Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich wollte ein paar zusätzliche ergänzende Bemerkungen machen. Ich glaube, Herr Ehlers, die letzten Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Aussage von Herrn Rüttgers nicht nur heute falsch ist, sondern sie ist für die gesamte Debatte, für die gesamte zukünftige Zeit falsch.
Aber genauso falsch und genauso belastend für diese notwendige Debatte sind Äußerungen, wie Sie Herr Hackbusch in diesem Zusammenhang gemacht hat, indem er die Debatte, die im Moment unter dem Stichwort Green Card läuft, als Menschenhandel bezeichnet. Beides ist völlig an der Sache vorbei und dient einer sachlichen Diskussion in dieser Republik keinem, vor allen Dingen nicht in der Stadt Hamburg, die sich auf dem Gebiet der Offenheit und der Welt zugewandt auch einiges wirklich einbilden kann.
In der Sache ist das, was wir hinter Green Card debattieren, richtig. Allerdings muß ich zugeben, daß die Überschrift, die die Bundesregierung gewählt hat, leider falsch ist.Sie belastet auch ein bißchen die Diskussion, denn das, was wir Green Card nennen, ist in Amerika nicht unter Green Card zu sehen.
Das hörten wir schon. Ich will aber die Quantitäten deutlich machen. Green Card in Amerika bedeutet geregelte und begrenzte Zuwanderung, jährlich von 50 000 Menschen, aber das meinen wir mit Green Card hier in der Debatte nicht. Die Amerikaner orientieren sich in der Zuwanderung befristet für Fachkräfte auf einem weit höheren Niveau als 50 000. Bei uns geht es heute um das Schließen einer kurzfristigen Lücke, weil wir leider aufgrund einer fehlerhaften Einschätzung der Wirtschaft und der CDU-Bundesregierung seit Anfang der neunziger Jahre nicht in der Lage sind, Hochschulkräfte für den Markt zu produzieren und zur Verfügung zu stellen.