Protokoll der Sitzung vom 19.04.2000

Daraus läßt sich die jugendpolitische Aufgabe ableiten, Familien, besonders den alleinerziehenden Elternteilen, intensiv zur Seite zu stehen, wenn sie bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben Hilfe benötigen.

Nimmt man die feste Absicht der Jugendlichen hinzu, Beruf und Familie unter einen Hut bringen zu wollen, wird auf diesem Gebiet – ich denke da an Elternschulen und Erziehungsberatungstellen – eher mehr statt weniger zu tun sein.

Das sinkende politische Interesse der Jugendlichen sollte uns alle nachdenklich stimmen. Die derzeitige Wahlbeteiligung junger Menschen hat gegenüber 1996 um immerhin 11,4 Prozent erheblich abgenommen. Es scheint, als entferne sich die Politik in der Wahrnehmung immer weiter von der klassischen Idee des Homo politicus, des Menschen, der aktiv an seiner Umgebung teilnimmt.

Ich komme zum Schluß. Die Ergebnisse der Shell-Studie sind ein Indiz dafür, daß es uns gegenüber 1997 nicht gelungen ist, die Distanz zu überwinden und Jugendliche in das politische System zu integrieren.

Es ist in der Kürze der Zeit nicht möglich, die Studie angemessen darzustellen.

(Dr. Holger Christier SPD: Wir haben Ihnen Zeit ge- geben, die Studie zu lesen! Sie haben es nicht ge- tan! – Glocke)

Herr Abgeordneter, es stimmt mit der Kürze der Zeit; Sie müssen zum Schluß kommen.

Es würde sich aber lohnen, sie eindringlich in den Fachgremien zu behandeln. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Darf ich Ihr Herannahen als Wortmeldung deuten? – Dann bekommen Sie es, Frau Steffen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat, das ich auch in den Ausführungen der Shell-Studie gefunden habe, und beziehe mich dabei auf meinen Vorredner:

„Die Jugendlichen finden die ritualisierte Betriebsamkeit der Politiker als wenig relevant und ohne Bezug zum wirklichen Leben.“

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Mehr brauche ich eigentlich zu den Ausführungen meines Vorredners nicht zu sagen, abgesehen davon, daß zur

Hälfte der Redezeit nichts zur Shell-Studie an sich gesagt wurde.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte noch einige Punkte ansprechen, die mein Vorredner Herr Böwer nicht in der Ausführlichkeit erwähnt hat, die es aber verdienen, erwähnt zu werden.

Deutlich herauszustellen ist, daß die Orientierung der Jugendlichen insgesamt positiv ist, auch wenn Politikerinnen und Politiker und politische Institutionen schlecht in dieser Studie abschneiden. Es ist aber insgesamt zu begrüßen, daß die Lebenseinstellungen und -perspektiven der Jugendlichen realistisch und vor allem auch nicht ungünstig gesehen werden. Vor dem Hintergrund der Differenziertheit, die die Studie natürlich aufzeigt, sind diese Aussagen insbesondere von dem jeweiligen Bildungsniveau der befragten Studienteilnehmer abhängig. Die Studie macht deutlich, daß wir durchaus dort Defizite haben, wo die Bildungschancen und die Arbeitsplatzchancen schlecht sind. Hier wird auch die Lebensperspektive schlechter gesehen. Im übrigen – das sollten wir uns in unsere Bücher schreiben – ist dort auch die Distanz zur Politik, die insbesondere für den Osten Deutschlands gilt, besonders hoch. Das heißt, wir haben hier zwar einiges getan, aber noch nicht genug, um dort die Distanz zu überwinden.

Die Orientierung auf die Familie möchte ich nicht ganz so interpretieren wie mein Vorredner Herr Harlinghausen. Es wird in der Studie sehr deutlich, daß die Jugendlichen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Überzeugung nicht mehr so wie in der Vergangenheit nach dem Motto Entweder-Oder, sondern nach Sowohl-Als-auch leben. Die Vereinbarkeit – das möchte ich herausstellen – von Familie und Beruf ist in ihren Auffassungen viel normaler geworden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Wir haben hier einen gesellschaftlichen Fortschritt zu verzeichnen und sind mit vielen Dingen, die wir im Bereich der Kinderbetreuung bewegen, auf dem richtigen Weg.Ich bin frohen Mutes, daß sich diese Überzeugungen auch bei der jungen Generation weiter festigen lassen.

Ein Punkt, den ich mir in der Studie als Erkenntnis angestrichen habe, erscheint mir besonders wichtig:

„Elterliches Zutrauen begünstigt Persönlichkeitsressourcen, die Voraussetzung für die gelingende Lebensbewältigung bieten.“

Darauf hat auch der Kollege Harlinghausen Bezug genommen. Für uns ist es die politische Aufgabe, elterliches Zutrauen in Jugendliche zu stärken.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wie können wir Eltern die Möglichkeit geben, daß sie Zeit und Kraft für ihre Kinder haben, um genau diesen Effekt zu bewirken? Das heißt – mein politischer Schwerpunkt ist das Thema Jugend –, nicht die Jugendlichen sind das Problem, sondern diejenigen, die sie erziehen – die Eltern.Hier müssen wir noch einiges tun.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Man kann diesen Bereich damit überschreiben:Es wird aus allen Äußerungen der Jugendlichen in der Shell-Studie deutlich – hier kann ich die Hamburger Politik beispielhaft hervorheben, weil sie schon im Hinblick auf die Beteiligung und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen tätig geworden ist –, daß es darum geht, mehr mit ihnen zu reden. Daran sollten wir uns orientieren. Wir haben mit einigen Anträgen, die in der Bürgerschaft noch zur Beantwortung

anstehen, in dieser Legislaturperiode gewisse Anläufe genommen. Die Veranstaltungen „Jugend debattiert“ und „Jugend im Parlament“ sind immer noch verbesserungswürdig.Herr Harlinghausen, wir werden uns mit diesem Thema natürlich immer wieder im Jugend- und Sportausschuß befassen. Wir sollten mehr mit den Jugendlichen als über sie reden. Dann werden wir – wie der Kollege Böwer es schon sagte – aus dem Trachtenverein herauskommen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Jobs.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD fragt: Was erwartet die Jugend von der Politik? Sie hofft, die Antwort in der Shell-Studie zu finden, in der ein multinationaler Konzern alle paar Jahre zur eigenen Imagepflege Jugendliche zu Wort kommen und von Fachleuten Entwicklungen beobachten und darstellen läßt.

Reden wir heute wieder über die Jugend. Dafür haben sich eine Handvoll Menschen, die mehr oder weniger über 30 Jahre alt sind, durch zwei dicke Wälzer gelesen, um endlich einen Eindruck davon zu bekommen, was die Jugend dieser Stadt eigentlich von uns Politikern will. Das ist ein bißchen skurril, zeigt aber das Dilemma, in dem wir stecken.Die Shell-Studie von 1996 hat es trotzdem auf den Punkt gebracht:Nicht die Jugend ist politikverdrossen, sondern die Politik ist jugendverdrossen.So nimmt in der Folge das Interesse der Jugend an der Politik ab.Das ist eine Entwicklung, die sich auch durch die neue Studie zieht und die in den letzten Jahren zugenommen hat.

Daneben zeichnet diese Studie – das haben wir gerade gehört – aber nicht das Bild einer sich abgrenzenden und selbst ausgrenzenden Null-Bock-Generation, sondern das Bild einer Jugend – mehr Mainstream als Gruppe –, die sich selbst als Teil dieser Gesellschaft versteht und ihr Glück im Einklang mit den herrschenden Regeln und Prinzipien machen will. Ich gestehe, das ist mir ein bißchen fremd,

(Heino Vahldieck CDU: Das hörte man!)

aber ich nehme das einmal ohne Bewertung zur Kenntnis.

Aber wenn wir uns fragen, was die Jugend von der Politik erwartet, dann ist es eine zentrale Aufgabe, dieses Potential nicht ins Leere laufen zu lassen, sondern tatsächlich Möglichkeiten anzubieten, sich in diese Gesellschaft auch einzubringen. Ein wichtiger Bereich ist nach meiner Meinung, Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen auszubauen, denn bisher gibt es davon viel zuwenig. Das Wenige ist nur auf Wahlen, Mitgliedschaften in Organisationen, Parteien oder Trachtenvereinen reduziert. Das hat mit dem tatsächlichen konkreten Alltag von Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt wenig zu tun.

Es fehlt an Beteiligungsmöglichkeiten in Entscheidungsprozessen, die einen Schlüssel für den weitergehenden Zugang zur Politik darstellen. Es fehlt eine Einbeziehung bei Planungen. Hier geht es um das Mitdenken und Mitentwickeln in allen Bereichen, die mit den Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sei es bei der Stadt, der Verkehrsplanung, innerhalb der Schule und der Ausbildung und eben auch bei den Schnittstellen zur Politik.

Wie wenig im Bereich der Bürgerschaft passiert, haben wir vor kurzem bei „Jugend im Parlament“ erlebt. Es gibt in der

(Sabine Steffen GAL)

Politik offenbar keinen wirklich organisierten Dialog mit den Fachleuten in Sachen Jugend, nämlich mit den Jugendlichen selbst. Das wurde in der gemeinsamen Sitzung des Gesundheitsausschusses mit der Arbeitsgruppe „Drogen“ deutlich, welche Möglichkeiten in diesem Dialog für beide Seiten stecken. Als es um das Thema Präventionsarbeit in den Schulen ging, wurde deutlich, wie wenig das Bild, das wir Parlamentarier von der Situation haben, mit der tatsächlichen Realität übereinstimmt und wie hoch das Interesse der Schülerinnen und Schüler ist, mit den Parlamentariern über dieses Bild zu reden.

Wenn wir uns hier die Frage stellen, was die Jugend von der Politik erwartet, dann sollten wir in Zukunft nicht nur über sie, sondern vielmehr mit ihnen reden.Sicher tun das einige von uns auch außerhalb des Parlaments, aber es gibt bestimmt noch viele Gelegenheiten, dieses Thema im Parlament, in den Gremien und Ausschüssen zu diskutieren, damit auch die Fachleute in Sachen Jugend etwas mehr zu Gehör kommen, nämlich die Jugendlichen selbst.Dies wird sicherlich nicht alle Probleme lösen, aber es könnte ein kleiner Beitrag dazu sein, die gegenseitige Verdrossenheit ein wenig abzubauen. – Vielen Dank.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und bei Thomas Böwer SPD)

Ich gebe das Wort Frau Senatorin Pape.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jugendliche erwarten von der Politik, daß wir ihnen zuhören, daß wir sie ernst nehmen, daß wir uns mit ihren Anliegen oder – kurz gesagt – uns mehr mit ihren eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft beschäftigen. Wir sollten uns alle selbstkritisch fragen – das ist in den vorigen Debattenbeiträgen deutlich geworden –:Tun wir genug? Ist es nicht nur allzu verständlich, daß Jugendliche bundesweit und über alle Länder hinweg Zweifel an der Politik bekommen, wenn sie ihre Zukunftschancen durch zu wenig Ausbildungsplätze und durch eine hohe Arbeitslosigkeit bedroht sehen, wenn sie sich einem gnadenlosen Leistungsdruck ausgesetzt sehen und sie das Gefühl haben, daß notwendige Reformen ihrer Meinung nach für sie zu spät kommen.

Die 13. Shell-Jugendstudie hat deutlich gemacht, daß die bundespolitisch lange vernachlässigten Fragen der sozialen Sicherheit und Zuversicht eine wesentliche Voraussetzung für das Vertrauen Jugendlicher in politische Systeme sind. Sie hat auch deutlich gemacht, was Jugendliche abstößt: ritualhafte Politikinszenierungen.

Auch wenn das Interesse an der Politik weiter abgenommen hat, sollten wir nicht vergessen, daß es immer auch an Politik interessierte Jugendliche gibt. Es gibt positive Entwicklungen, die nicht nur die Jugendlichen, sondern auch uns zuversichtlich stimmen können. Ich möchte Ihnen drei Beispiele nennen.

Erstes Beispiel: Am vergangenen Montag haben Jugendliche der Hamburger Jugendinitiative „Politik“ zu einem Jugendforum 2000 eingeladen, um dort mit jungen Leuten Fragen der sie gemeinsam betreffenden Zukunft zu diskutieren. Das sind die jungen Leute, die über den Tellerrand und über den Tag hinausschauen.

Zweites Beispiel: Am 13. Juli rufen der Verein „Schüler helfen leben“ und die Schülerinnenkammer zu einem sozialen Tag auf, an dem Schülerinnen und Schüler Geld verdienen,

das für die Friedens- und Versöhnungsarbeit auf dem Balkan eingesetzt werden soll.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)