Protokoll der Sitzung vom 12.07.2000

Noch ein weiteres zur Seriosität:Finden Sie es etwa seriös, daß sich die Herren Schröder und Eichel eine Mehrheit – ich sage das in Anführungszeichen – „erkaufen“ wollen,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ne, das macht Kohl!)

indem sie den Bundesländern Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg dafür, daß sie am Freitag richtig abstimmen, finanzielle Zusagen in Millionenhöhe machen? Das ist doch auch ein unseriöses Handeln.

(Beifall bei der CDU)

(Erster Bürgermeister Ortwin Runde)

Herr Bürgermeister, ich möchte bitten, daß Sie hier nicht noch einmal von unseriöser Politik anderer sprechen; Ihre Aussagen habe ich widerlegt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Uhl.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bürgermeister hat die Absurdität dieser Steuerreform auf den Punkt gebracht. Man muß es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen:

Für die Psyche der Unternehmer verliert die Stadt Hamburg innerhalb der nächsten vier Jahre 3 Milliarden DM an Steuereinnahmen. Das ist nicht irgendeine Summe, sondern sie geht – ökonomisch betrachtet – auch zu Lasten der Binnennachfrage. Aufgrund der Steuerfreiheit für Gewinne aus Veräußerungen von Unternehmensbeteiligungen, auf die Herr Hackbusch schon hingewiesen hat, verlieren wir auch Arbeitsplätze. Das sind die realen Folgen der Steuerreform.

Für die Psyche von Unternehmern dieser Stadt einen derartigen Einnahmeausfall hinzunehmen, ist das Absurdeste, was durch eine Steuerreform passieren kann. Früher hat die SPD derartige Versuche von der CDU dankenswerterweise immer blockiert, heute macht sie deren Politik.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wird weiter zu diesem Thema das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Dann rufe ich das nächste, von der CDU-Fraktion angemeldete Thema auf:

Erneut Haftentlassungen wegen unzureichender Gerichtsausstattung?

Von wem wird das Wort gewünscht? – Herr Professor Karpen, Sie haben es.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird’s wieder lustig!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Grenzen der Belastbarkeit der Hamburger Justiz sind überschritten.

Seit 1990 mußten 75 mutmaßliche Täter aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Hauptverhandlungen nicht innerhalb der vorgeschriebenen sechs Monate eröffnet werden konnten. Das Strafverfahren gegen zwei Waffenschieber, die Teile von Kernwaffen in den Irak geliefert hatten, drohte zu verjähren, weil das Verfahren neun Jahre nach der Tat noch nicht eröffnet war. Nun steht möglicherweise ein neuer, spektakulärer Fall ins Haus.

Der Prozeß gegen „Albaner-Willi“, den mutmaßlichen Paten des Rotlichtkonzerns in der Süderstraße, wird wahrscheinlich sehr lange dauern. Die Beweislage ist kompliziert. Es muß bei der Besetzung der Richterbank vorgesorgt und Ergänzungsrichter und -schöffen müssen bestellt werden. Denn wenn ein Richter wegen einer Erkrankung ausfällt und nicht innerhalb von zehn Tagen wieder arbeitsfähig ist, platzt der Prozeß, das heißt, er muß von Anfang an neu aufgerollt werden.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Deswegen werden die auch nicht krank!)

Das Präsidium des Landgerichts sah sich aber wegen des eklatanten Richtermangels nicht in der Lage, diese Ergänzungsrichter zu benennen. Das Desaster ist vorprogrammiert, wenn eine Grippewelle anrollt.

Die Stadt muß sparen; das wissen wir. Aber man muß mit Verstand sparen. Sie sparen die Justiz kaputt. Bei steigenden Eingangszahlen haben Sie in den letzten Jahren bei Gerichten und Staatsanwaltschaften 120 Stellen eingespart. Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr gerügt, daß ein Verfahren 15 Jahre gedauert hat. Das kommt nicht nur einer Rechtsschutzverweigerung gleich, sondern das ist eine.

Das Berufungsverfahren im Falle „OZ“ dauerte jahrelang. Die Folge: „OZ“ war und ist wegen der noch laufenden Fristen auf freiem Fuß und schmiert die Stadt auf Kosten der Steuerzahler weiterhin voll; das ist skandalös.

Frau Senatorin, die Hamburger Justiz ist durch die mangelnde Fürsorge des Senats notleidend geworden. Bei der Justiz herrscht gegenüber der Politik eine eisige Atmosphäre, und zwar nicht zuletzt, Frau Senatorin, wegen Ihrer herrischen Art, mit der Sie die Sorgen der Richter und Staatsanwälte angehen.

Daß die Justiz ihre Aufgaben nicht mehr ordentlich erfüllen kann, haben Ihnen viele gesagt: der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins, die Staatsanwälte und der Vorsitzende der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Das wollen Sie nicht hören. Sie sagten am 5. Juli, der Haushaltsplan würde nach wie vor die Funktionsfähigkeit der Justiz gewährleisten. Das tut er nicht, Frau Senatorin. Die Lage ist ernst.

Der Schutz der äußeren und inneren Sicherheit ist die Kernaufgabe des Staates. Erfüllt er diese Kernaufgabe nicht ausreichend, bringt er sich um den Kredit. In dieser schwierigen Lage muß das Parlament wachsam sein, denn es gibt Ihnen, Frau Senatorin, Ihren Haushalt und kontrolliert Ihre Arbeit. In dieser beunruhigenden Situation ist es für die Abgeordneten geboten, sich im Interesse des Gemeinwohls vor Ort zu informieren und mit Richtern und Staatsanwälten über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen. Dem haben Sie einen Riegel vorgeschoben.

In einem Runderlaß haben Sie allen Gerichtspräsidenten und den Staatsanwälten aufgegeben, mit Bürgerschaftsabgeordneten nur in Ihrer Anwesenheit zu reden. Frau Senatorin, das ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU – Dr. Roland Salchow CDU: Mehr Demokratie wagen! – Ole von Beust CDU: Zum Glück gibt’s Telefone!)

Ihr Verhalten ist verfassungsrechtlich zweifelhaft, für die Hamburger Richter und Staatsanwälte entwürdigend und für die Bürgerschaft schlechthin inakzeptabel.

Ich fordere Sie noch einmal auf, den Kontaktsperreerlaß sofort aufzuheben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Klooß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Professor Karpen, das Thema, das Sie uns hier vorstellen wollten, haben Sie nicht nur verfehlt, sondern Sie haben es auch zu einem Rundumschlag

(Dr. Roland Salchow CDU)

mißbraucht, indem Sie darin alles das untergebracht haben, was Ihnen auf der Seele liegt, einschließlich Ihres Lieblingsthemas – den sogenannten Runderlaß – und Ihrer kaiserlichen Werft.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Wolfgang Baar SPD: Und das ist viel!)

Das kann man schon gar nicht mehr hören.

Es wäre angebracht gewesen, sich mit diesem Thema seriös auseinanderzusetzen. Ich will dieses einmal versuchen, damit das Parlament auch etwas von dem mitbekommt, was möglicherweise an Problematik darin enthalten ist.

Es geht um den von Ihnen angesprochenen Fall „AlbanerWilli“. Diesen Fall haben Sie konkret genannt, alles andere war nebulös. Es geht darum, daß das Präsidium des Landgerichts eine Richterbesetzung vorgenommen hat, die möglicherweise dazu führt, daß bei Krankheit eines Richters die Frist nach Paragraph 229 Strafprozeßordnung verfehlt wird, wonach eine Hauptverhandlung nur bis zu zehn Tagen unterbrochen werden darf. Sie formulieren hier eine Befürchtung, die wahrscheinlich – und auch hoffentlich – nicht eintreten wird. Lassen Sie mich zu diesem Paragraphen 229 etwas sagen: Diese Frist ist nach einhelliger Meinung – darin sind sich die Experten einig – zu kurz. Ich hoffe, daß sie im Zuge der Änderung der Strafprozeßordnung verlängert wird. Sie beruht auf der Annahme einer Prozeßwirklichkeit, die heute nicht mehr vorhanden ist.

Im übrigen – das hätten Sie seriöserweise sagen sollen – gibt es auch nach Absatz 2 dieser Vorschrift Ausnahmen und Ausweitungen, die ich aber hier nicht weiter vertiefen will.Schließlich gibt es – das ist zwar nicht so gut, wird aber in der Praxis gemacht – auch kurzfristig anberaumte Termine, die dazu geeignet sind, diese Frist zu unterbrechen. Diese Befürchtung, die von Ihnen an die Wand gemalt wird, ist daher herbeigeredet.

Kommen wir zur Frage der Richterbesetzung. Sie wird vom Präsidium des Landgerichts entschieden und entzieht sich aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit unserer Beurteilung. Es ist die Aufgabe des Präsidiums des Landgerichts, selbst zu überlegen, ob mit dieser Besetzung möglicherweise Gefahren entstehen, die zu unerwünschten Folgen führen. Aber wir können von hier aus die Entscheidungen nicht ändern und nicht kritisieren; wir müssen sie so hinnehmen.

In diesem Zusammenhang mache ich darauf aufmerksam, daß auf Antrag der SPD-Fraktion sich die Bürgerschaft dafür ausgesprochen hat, daß die Geltung des Paragraphen 76 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz verlängert werden soll, da dieser sonst auslaufen würde.Damit hätten die Spruchkammern die Möglichkeit, statt drei nur zwei Berufsrichter einzusetzen. Diese Möglichkeit, die vielleicht im Fall von „Albaner-Willi“ nicht angebracht wäre, kann aber in anderen Fällen angewandt werden. Sie setzt Potentiale frei, die es ermöglichen, in solchen Großverfahren zusätzliche Richter einzusetzen.

Es gibt sicherlich in der Gerichtsorganisation weitere Möglichkeiten, Verfahren zu straffen und die organisatorischen Abläufe zu vereinfachen.Neben dem Reformprojekt „Justiz 2000“ wird an der Verbesserung der technischen Ausstattung gearbeitet. Nicht zuletzt wollen wir mit der Figur des Gerichtsmanagers auch dazu beitragen, daß die Gerichte ihre Selbstorganisation verbessern und Fehler vermieden werden.

Ich komme zur Befürchtung einer Haftentlassung. Sie haben hier die Behauptung aufgestellt, daß Haftentlassungen an der Tagesordnung seien. Das ist nicht wahr. Das ist eine Lüge. Die gegenteiligen Zahlen sagen aus, daß über die Jahre trotz der Sparverpflichtung der Justiz die Haftentlassungen wegen Überschreitung der Frist des Paragraphen 121 Strafprozeßordnung abgenommen, nicht aber zugenommen haben.

Die Ursachen solcher Fristüberschreitungen – das müßten Sie seriöserweise auch sagen – sind sehr vielfältig und keineswegs immer den Gerichten zuzuordnen, die die Verfahren bearbeiten. Häufig führen auch Ereignisse dazu, die sich im Vorfeld zutragen – bei den Ermittlungen und bei der Kooperation zwischen der Staatsanwaltschaft, der Polizei und Gerichten –, so daß das Oberlandesgericht bei seiner späteren Betrachtung eine Fristüberschreitung feststellt.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist schon längst abgelaufen.

Ich komme zum Schluß.