Der Rechtsextremismus, der uns in dieser gewalttätigen, marschierenden und demonstrierenden Form auf den Straßen der Bundesrepublik begegnet, ist die extremste Form einer in unserer Gesellschaft immer vorhandenen latenten Stimmung. Das ist das Schlimme daran, und das macht dabei so hilflos. Manche machen es sich ein wenig leicht, indem sie von Ausländerfeindlichkeit sprechen. Da
gegen könnte man etwas unternehmen, indem man zum Beispiel ein Einbürgerungsgesetz formuliert. Oder man spricht von Rassismus oder Antisemitismus und wundert sich dann, daß Obdachlose überfallen, Behinderte geschlagen und andere, die nicht dem Klischeetyp des oder der Deutschen entsprechen, mit gewalttätigem Haß angegriffen werden.
Es ist aber auch politische Gewalt gegen die Demokratie, gegen politisch Andersdenkende. Gegen die muß sich die Zivilgesellschaft mindestens genauso wehren.Politiker und Politikerinnen haben eine besondere Verantwortung. Es ist unsere Pflicht, parteilich zu sein, für alle Minderheiten einzutreten und die Grundrechte zu gewährleisten. Herr Christier hat das eben schon betont. Es geht nicht um die Einschränkung der Grundrechte. Sich vor die Schutzbedürftigen zu stellen heißt die Grundrechte für alle zu gewährleisten, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht einzuschränken. Das heißt aber um so mehr, daß wir die politischen Stichwortgeberinnen benennen müssen. Die großen Appelle an die Bürgerinnen zu mehr Zivilcourage, demonstrative Akte von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden zur Farce, wenn wir in unserer eigenen Wortwahl in der politischen Auseinandersetzung die rechten Tendenzen und die Ausgrenzung unterstützen.
Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal die Sätze:„Kinder statt Inder“, „Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“. Dann gibt es noch das Wort „Restkrebsgeschwür“, das am 12.Mai 2000 in der Hamburgischen Bürgerschaft bei der Bauwagen-Debatte in bezug auf die Bewohner und Bewohnerinnen von seiten der CDU fiel. Ich erwähne das, weil bisher die Entschuldigung fehlt. So geht es nicht. Ein Zitat aus der „Frankfurter Rundschau“ paßt gut dazu:
„Jetzt, in dieser Debatte, klopfen die politischen Stichwortgeber auf die bösen rechten Finger, zu denen die Nervenstränge aus ihren eigenen Sprachzentren laufen.“
Wir müssen aufpassen, die Grenzlinien in den Debatten ziehen und endlich mit dem leichtfertigen Umgang mit Worten aufhören. Populismus ist leicht, und einfache Dinge zu erklären ist ebenso leicht. Ich wünsche mir aber im nächsten Jahr einen Wahlkampf, in dem „die Ausländer“ kein Thema sind,
in dem wir nicht über Toleranz – in Klammern: Duldung – reden, sondern über Anerkennung.Da muß auch die Mehrheit etwas tun, denn Anerkennung ist mehr als Toleranz. Solche Worte müssen wir benutzen, und das müssen wir auch vorleben.
Zivile Selbstverständlichkeiten und Zivilcourage sind sowohl für die Menschen in Stadt und Land als auch für die Politikerinnen und Politiker nicht bequem. Der Rechtspopulismus braucht keine Argumente. Dieses Problem müssen wir lösen. Die Forderung nach mehr Staat und Polizei reicht dann nicht aus. Es gibt kein gravierendes Vollzugsdefizit, wir brauchen keine Sondergesetze, keine Einschränkung der Rechte.
Wie gehen wir an gegen das Gegröle? Wie kann es gelingen, die Mitläufer wieder in die demokratische Gesellschaft hineinzuholen? Zivilgesellschaft stärken, sagt sich leicht, ist
schwer zu erreichen. Wie bringt man den Menschen Selbstvertrauen und Ziele bei? Wie verhindert man, daß sie aus wirtschaftlichen Entwicklungen herausfallen, und das – ohne jede Arroganz – von West nach Ost? Dazu gehören die Ideen, die wir zum Glück in den Medien und in der Öffentlichkeit finden: Stiftung „Zukunftsinitiative Jugend“, der „Hamburger Ratschlag“, „Sportler gegen Rechts“.Wir brauchen ehrenamtliche Aktivitäten und müssen internationale Kontakte fördern.Wir brauchen möglicherweise schnell ein Antidiskriminierungsgesetz. Ich wünsche mir, daß wir die Debatte darüber noch einmal in der Bürgerschaft aufnehmen.
Ein wenig hilfreich ist die Tatsache – das sollte aber auf keinen Fall ein Trost sein –, daß es in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit immer wieder Wellen faschistischer Gewalt gab. Es ist uns immer gelungen, dagegen anzugehen. Auch heute ist ein kleiner Anfang gemacht. Ich hoffe, daß das Thema weiterbewegt wird und daß es uns gelingt, Zivilgesellschaft und Zivilcourage nicht nur als Worthülsen bestehenzulassen, sondern überzeugend mit Inhalten füllen zu können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Aufmerksamkeit, mit der sich jetzt viele diesem Thema widmen, war schon lange überfällig. Nicht erst seit der Sommerpause haben Nazis offensiv versucht, wieder Fuß zu fassen, haben Menschen verfolgt, bedroht und umgebracht.
Wenn Sie sich kurz daran erinnern: Wir haben in den letzten zwölf Monaten schon mehrmals über dieses Thema geredet, wir haben gewarnt und wir waren empört, auf wie wenig Interesse das in diesem Hause gestoßen ist.Ich könnte Ihnen Zitate aus diesen Debatten vorlesen, Sie würden jetzt angesichts dessen, was Sie gesagt haben, rot werden.
Natürlich ist es notwendig, die Auseinandersetzung mit dem existierenden Faschismus in dieser Stadt immer und gerade jetzt wieder zu führen; nicht nur, weil der sogenannte Standort Deutschland, um den sich Herr von Beust Sorgen macht, weil er angesichts der Berichterstattung über menschenmordende Glatzen und andere antifaschistische Aktivitäten gefährdet ist, sondern weil neue Opfer um ihrer selbst willen verhindert werden müssen. Natürlich wissen wir, wie anfällig offenbar viele Menschen in diesem Lande für ausgrenzendes, rassistisches und in der Konsequenz totalitäres Gedankengut sind. Dagegen müssen wir laut werden. Wir müssen alle diese Tendenzen ernst nehmen, denn nie wieder dürfen wir bezweifeln, daß Faschisten und Neonazis ernst meinen, was sie sagen, und daß sie Ernst machen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen.
Auch wenn im Moment nicht die direkte Machtübernahme droht, darf sich niemand in Sicherheit wiegen, denn rechtes Gedankengut kann auch weit unterhalb dieser Grenze das gesellschaftliche Klima vergiften. Das erleben wir ge
rade und immer wieder auch in Hamburg. Deshalb haben wir eine besondere Verpflichtung, aller Verbreitung dieses Gedankengutes konsequent entgegenzutreten.Dabei geht es nicht darum, die Gesetze zu verschärfen, sondern in erster Linie die Ursachen zu bekämpfen. Es gilt, Defizite in Politik und in der Gesellschaft zu identifizieren und zu beseitigen.Das reicht von einer verbesserten Aufklärung über die Beseitigung des alltäglichen Rassismus auch in den Behörden bis hin zur Schaffung von Bedingungen, die es allen Menschen möglich machen, gleichberechtigt an dieser Gesellschaft teilzuhaben.
Dabei gilt es natürlich auch, den Neonazis in dieser Stadt aktiv entgegenzutreten.Täter müssen verfolgt, bestraft und ihre Strukturen müssen zerschlagen werden. Dafür muß die Stadt die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen.Wenn es in dieser Stadt aber trotzdem Aufmärsche und Kundgebungen von faschistischen Organisationen gibt, dann gilt es, dagegen Flagge zu zeigen, dagegen vorzugehen, zu demonstrieren, sie lautstark zu behindern oder zunächst zu versuchen, sie nicht stattfinden zu lassen.
Aber das ist natürlich kein Allheilmittel. Es ist notwendig, den Rechtsradikalismus da zu bekämpfen, wo er sehr oft seinen Ausgangspunkt hat, bei den Stichwortgebern.Dazu haben wir schon einiges gehört. Viel zu oft ist die Ausgangsposition nämlich immer noch die Mitte der Gesellschaft.Von dort aus werden die Kampagnen gestartet, die die Entsolidarisierung zur Folge hat. Sie schafft das Klima, in dem rechtes Gedankengut wächst und gedeiht. Ausgrenzungstendenzen dürfen weder auf der Straße noch im Parlament einen Platz haben.
(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und vereinzelt bei der GAL sowie bei Carmen Walther SPD)
Wenn wir über Lösungen nachdenken, muß natürlich auch mit Jugendlichen gearbeitet werden. Es muß erreicht werden, daß sie immun gegen Einflüsse von rechtsextremen Kräften werden. Wir müssen ihnen Zukunftsperspektiven bieten und nicht mit Strafen drohen. Wir dürfen Jugendarbeit und politische Bildung nicht kürzen, wie es gerade passiert, sondern müssen sie stärken, indem man die notwendigen Mittel auf den Weg bringt. Es gilt natürlich auch, die demokratischen Gegenkräfte zu stärken.Teilhabe an allen gesellschaftlichen Entscheidungen und Prozessen muß allen ermöglicht werden. Sie muß in der Schule, in den Betrieben, im Stadtteil und darüber hinaus erlebbar werden. Gegen Totalitätssehnsucht hilft erlebbare Mitbestimmung. Davon sind wir in dieser Stadt auf allen Ebenen viel zu weit entfernt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechtsextremismus und rechtsextreme Gewalt sind in unserer Nachkriegsgeschichte keine neuen Phänomene und kommen in Wellen immer wieder. Ich denke an die NPD in den sechziger Jahren oder an Erscheinungsformen zu Beginn der neunziger Jahre.
Was ist die neue Qualität in den neunziger Jahren? Wir erleben augenblicklich eine regelrechte Hatz auf Ausländer,
auf Obdachlose und andere Minderheiten. Es gibt bereits mehr als 100 Tote. Für mich gehört auch zur neuen Qualität, daß der Rechtsextremismus zum Teil in der Jugendkultur verankert ist. In einigen Teilbereichen der neuen Länder folgt bereits ein ganz beachtlicher Teil der Jugend dieser Kultur. Für mich ist die Verbindung von Rechtsextremismus mit einer Musikszene von besonders gefährlicher Bedeutung. Es gibt zum Teil indirekte oder auch offene Akzeptanz dieser Hatzjagden. Das haben wir 1992 in Lichtenhagen erlebt, und wir haben all die Berichte aus der neueren Zeit. Das macht eine neue Qualität aus. Die Rechtsextremisten sind durch Internet und Mobilfunk bestens vernetzt und organisiert, und die Neonazis fühlen sich stark und sicher. Das erklärt ihr zunehmend dreistes Auftreten in Hamburg, wobei sie publicityträchtig auch die Medien nutzten, gegen die sie demonstrieren.
Ermutigend ist für mich, daß das Gefahrenbewußtsein wächst. Ich hoffe, daß das nicht nur eine Sommerlocherscheinung ist, sondern anhält. Es ist ebenfalls ermutigend, daß das Thema in den Medien und von den Medien umfassend diskutiert wird und daß Bürger und Bürgerinnen diese dreiste Neonazipräsenz nicht einfach hinnehmen.An der Aktion „Um die Alster gegen Rechts“ haben sich über 2500 Menschen beteiligt. In Altona versammelten sich 800 Gegendemonstranten gegen Neonazidemonstrationen. Gewerkschaften und viele andere gesellschaftliche Gruppen haben sich zusammengefunden, um etwas im „Hamburger Ratschlag“ zu tun. Ich danke den Initiatoren recht herzlich für diese Aktivitäten.
Wozu ich aufrufe? Der Kampf gegen rechtsextreme Gewalt setzt selbstbewußtes, entschlossenes Auftreten voraus. Der Staat, seine Institutionen und Bürgerinnen und Bürger sind gefordert. Wir müssen alle klare Haltung zeigen. Weimar ist an einem Mangel an Demokraten zugrunde gegangen. Weiterhin sind wir zu einem bedachtsamen Umgang mit sensiblen Themen in der politischen Debatte aufgefordert. Das gilt für die Ausländerpolitik, für das Staatsangehörigkeitsrecht, auch für die Zuwanderungspolitik. Da kommt es auch sehr auf den Sprachgebrauch von Politikern an. Das sollte beachtet werden.
Ich warne vor den einfachen Lösungen:Erstens vor der Einschränkung von Grundrechten. Eine starke Demokratie übersteht auch einige ärgerliche Demonstrationen von Rechtsradikalen.
Ich warne zweitens vor einer Reduktion der Debatte auf die Frage: NPD-Verbot, ja oder nein? Das ist mit der Debatte im Sommerloch fast zum Selbstläufer geworden, so daß es jetzt darauf ankommt zu zeigen, daß man das kann. Wenn ein Verbotsantrag gestellt wird, würde der Verfassungsschutz in Hamburg sicherlich das Seine dazu beitragen, daß dieser erfolgreich ist. Aber diese Debatte manövriert uns in eine Falle.Ein Erfolg in Karlsruhe könnte sich als Beruhigungspille erweisen: Denen haben wir es doch gezeigt, das Problem ist gelöst.
Ein Scheitern wäre ein unerträglicher Imagegewinn für die NPD. In der Geschichte der Bundesrepublik haben sich Parteiverbote nicht gerade als schärfstes Schwert gegen Extremismus erwiesen, und es ist zweitrangig, wie sich Rechtsradikalismus organisiert, ob bei der NPD, der DVU oder bei den Republikanern.
Drittens warne ich vor der Gefahr, daß wir Demokraten uns auseinanderdividieren lassen. Es gibt nicht bessere oder
schlechtere Demokraten, es geht um rechtsextreme Gewalt. Das ist etwas ganz anderes als die Auseinandersetzung im politischen Spektrum zwischen Links und Rechts.
Was ist zu tun? Erstens müssen alle staatlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden. Mit aller Härte des Gesetzes gilt es, gegen rechtsextreme Gewalt vorzugehen.