Protokoll der Sitzung vom 06.09.2000

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Sudmann.

In einem Punkt konnte ich heute schon Einigkeit feststellen, das ist schon einmal ganz erfreulich.Wir sind uns alle einig darüber, daß Neonazis, Faschistinnen und Faschisten im öffentlichen Raum nichts zu suchen haben. Aber die Uneinigkeit beginnt dann, wenn es darum geht, wie das erreicht werden kann. Ich glaube nicht, daß es der richtige Weg ist, an der Versammlungsfreiheit zu rütteln, und so eine Argumentation wie: „Um die Versammlungsfreiheit zu retten, müssen wir die Demokratie verhaften“, ist wirklich schwach, denn nicht die Demokratie, sondern das Nazitum gehört in Gewahrsam.Das sollten sich auch die Leute merken, die meinen, durch eine Veränderung des Demonstrationsrechts kämen wir den Nazis bei.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Wir haben schon einiges über die Ursachen gehört und auch darüber, zwar nur anklangweise, daß die Ursachen durchaus auch in der Mitte dieser Gesellschaft zu finden sind. Wie sieht denn diese Gesellschaft aus? Ich möchte dazu gerne aus einer Rede zitieren, die wir am Samstag bei Gruner +Jahr von einem Vertreter der IG Medien gehört haben, übrigens eine Veranstaltung gegen die Nazis, bei der ich aus diesem Hause außer meinen Kollegen vom REGENBOGEN niemand begrüßen konnte. Ich zitiere:

„In der demokratischen Mitte der Gesellschaft, in den Konzernwelten des schnellen Geldes, dort, wo binnen Stunden über die Lebensbedingungen von Zehntausenden irgendwo in der Welt entschieden wird, und auch in den Glamourfabriken der Medienunternehmen wird ein Menschenbild produziert, das eigentlich gar kein Bild eines wirklichen Menschen ist,“

(Andrea Franken GAL: Oh, oh!)

„sondern das Bild eines ewigen jugendlichen Erfolges.“

Wer in dieses Bild nicht hineinpaßt, Frau Franken, muß sich mit dem Sozialstaat herumschlagen, keine leichte Tour.Sie endet auf Arbeitsämtern und dann womöglich auf den Sozialämtern.

Die Nationalsozialisten wissen genau Bescheid über diese neue soziale Frage. Ihre Propaganda ist rassistisch, sie ist auf demagogische Weise auch sozial, eben nationalsozialistisch. Sie richtet sich gegen...

(Zuruf)

Ich finde es sehr erstaunlich, daß Sie das so unruhig macht, denn Sie müssen sich auch damit auseinandersetzen, wie die Strukturen der Nazis sind und wie die Nazis agieren. Deswegen sollten Sie auch zuhören.

Sie richtet sich gegen den Weltkapitalismus, gegen das von ihnen erfundene jüdische Finanzkapital, gegen die Globalisierung. Und die Nazis versprechen ein perverses Selbstbewußtsein: „Wenn du nach unten trittst, dann überstehst du auch den Druck von oben.“ Auf wirklich brutale Weise realisieren die Nationalsozialisten ein Prinzip, das in der demokratischen Mitte der Gesellschaft fast schon akzeptiert ist, daß sich der Mensch das Recht zu leben erst verdienen muß, daß das Recht auf Leben von Nützlichkeit und Leistung abhängt.

Über 20 Jahre lang hat die Politik in diesem Land dies in die Köpfe eingehämmert, das Prinzip des Siegers und den Mythos der unbezwingbaren eigenen Stärke. Doch Sieger kann es nur geben, wenn es Besiegte gibt, und die Besiegten sind dann selber schuld an ihrer Misere. So einem Gedankengut müssen wir alle gemeinsam entgegentreten, auch wenn Sie es zur Zeit noch nicht verstehen.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Die Rolle der Politik ist eben von vielen hier beleuchtet worden.Vielleicht sollte man einmal die Selbstappelle mit einigen Beispielen füllen, nämlich das, was Politiker bisher gesagt und was die Nazis dann als Stichworte genutzt haben. Das fängt mit Bundesinnenminister Schily an, SPD, der sagte: „Das Boot ist voll.“ Sie wissen, zu welchen Reaktionen das dann führt, das heißt, man kann durchaus Leute über Bord werfen, weil das Boot eben zu voll ist. Innenminister Beckstein, CSU, spricht davon, daß man Ausländer einteilen muß in diejenigen, die den Deutschen etwas nützen, und diejenigen, die uns ausnutzen. Oder Herr Stoiber, noch eine Nummer härter, sagt, er sehe die Gefahr der durchrassten Gesellschaft.Diese Liste läßt sich leider endlos fortsetzen.

Aber auch hamburgische Politikerinnen beteiligen sich durchaus an diesem unappetitlichen Wettbewerb. „Das Boot ist voll“, hat Altbürgermeister Voscherau schon vor drei oder vier Jahren für Wilhelmsburg genannt.Um bei Wilhelmsburg zu bleiben – ich sehe Herrn Frommann jetzt gerade nicht –, Herr Frommann spricht davon, daß man die Überfremdung stoppen müsse.Oder – noch viel schlimmer – Herr Kühn, CDU, hat es vor Jahren geschafft, Menschen als Parasiten zu bezeichnen. Solche Äußerungen haben in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz.

Was wir brauchen, und da müssen wir das, was vorhin gesagt wurde, viel stärker benennen, ist eine Selbstverpflichtung in der Bürgerschaft, nicht mehr über Menschen so zu reden, als seien sie alle schlecht, daß wir nicht über Sozialhilfeempfängerinnen reden, als wenn alle irgendwie Betrügerinnen seien oder als wenn Migrantinnen alles ir

(Christa Goetsch GAL)

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gendwie nur Menschen seien, die sich hier ausruhen wollten.Das haben wir in dieser Bürgerschaft oft genug gehört, und auch Ihre Seite hat sich darüber zu Recht heftig aufgeregt, aber Ihr Gedächtnis scheint davor zu sein.

Noch ein Wort zum Punkt Gesicht zeigen.Der DGB hat eine lobenswerte Aktion gestartet, eine Demonstration auf dem Gänsemarkt mit einem breiten Bündnis gemacht, um klarzumachen, daß wir in Hamburg gegen die Nazis Flagge zeigen müssen. Wer aber kein Gesicht zeigt, das sind die Abgeordneten, denn wenn Nazis real sind, dann müssen wir den Nazis auch entgegentreten. Oder wollen Sie den Nazis in Hamburg die Straßen überlassen und ihnen den Erfolg gönnen, daß niemand gegen sie eintritt? – Danke.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das Wort bekommt der Abgeordnete von Beust.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich würde gerne noch einmal auf einige Aspekte der Debatte eingehen. Frau Sudmann hat recht. Wir sind uns im Ziel alle einig.Was den Weg angeht, setzen wir sehr verschiedene Akzente. Ich möchte zwei Akzente noch einmal ansprechen, da man auch über Dinge sprechen muß, die uns unterscheiden.Wir sind ja ein demokratisches Parlament mit verschiedenen Meinungen.

Die eine Frage ist die, ob wegen der Bedrohung, die da ist oder empfunden wird, eine Stärkung der Autorität des Staates durch Gesetzesänderungen notwendig ist oder nicht. Da sagen die einen, das Gesetz muß zwar hart und konsequent angewendet werden, aber Gesetzesänderungen sind nicht notwendig. Ich weise noch einmal konkret darauf hin – man kann allgemein darüber sehr wohlfeil streiten –, daß zum Beispiel eine einfache Körperverletzung, auch wenn sie aus niedrigsten Beweggründen passiert, im Regelfall nicht dazu reicht, U-Haft zu verhängen. Und man muß ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht darangeht, daß die Strafe schnell auf dem Fuße folgt – das will ich zumindest –, und da muß man in der Tat über Gesetzesänderungen nachdenken.

Zweitens muß, da es sich überwiegend um junge Leute handelt und das beschleunigte Verfahren im Jugendstrafrecht nur unter ganz bestimmten strengen Voraussetzungen, aber so gut wie gar nicht möglich ist, auch hier die Strafe auf dem Fuße folgen.Wenn wir sagen, der Staat muß hart und schnell und konsequent reagieren, heißt das für mich auch, daß man auch Gesetzesänderungen in Angriff nehmen muß, um es dann auch tun zu können.Sonst bleibt es bei Sonntagsreden, und das will ich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Es ist für mich – Frau Sudmann hat aus einer anderen Blickrichtung auch darauf hingewiesen – ein grundsätzliches Problem, daß vermutlich viele Menschen, die zunächst a priori mit Rechts oder mit Extremismus nichts zu tun haben, durchaus einen Rückzug der staatlichen Autorität empfinden und bedauern, dies letztlich auch als Reflex auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung.Wir alle wollen aus verschiedensten Gründen einen unterschiedlich starken Rückzug des Staates, mehr Privatisierungen bis hin zum Wort – man kann es nicht mehr hören, aber es ist nun einmal die Wirklichkeit – der Globalisierung, das heißt, daß ursprünglich lokal oder national getroffene Entscheidungen auf Ebenen getroffen werden, die sich der Erfahrungsebene des einzelnen völlig entziehen. Das heißt, die

Welt wird unübersehbarer und das Vertraute schwindet immer mehr zugunsten anderer Dinge.

Daß sich in einer solchen Situation die Frage stellt, wie reagiert man darauf zumindest in den Kernbereichen, wo der Staat zu Recht ein Monopol hat – dazu gehören Polizei und Justiz –, wie stärkt man in diesen Bereichen konsequent die staatliche Autorität, ist für mich ein notwendiger Reflex auf die Globalisierung, den man nicht vergessen darf.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und der GAL)

Wir können uns doch wunderbar darüber zoffen.

Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen, da werden Sie wahrscheinlich auch wieder johlen. Einige von Ihnen haben die Wortwahl angesprochen. Man kann sich immer über Worte streiten, ob es taktvoll ist oder nicht, höflich oder unhöflich. Nur halte ich es für notwendig, daß man in korrekter Wortwahl Probleme nennt, die die Menschen umtreiben, aber nicht Probleme, die Hunderttausende empfinden, tabuisiert.

(Beifall bei der CDU)

Denn wenn Sie, auch wenn Sie jetzt buhen, tabuisieren, daß die Menschen auf der Veddel sich einfach unwohl fühlen, weil sich die deutsche Bevölkerung in der Minderheit befindet, dann muß diese Wahrheit auch gesagt werden. Wenn sie in einzelnen Stadtteilen Anteile von großen geschlossenen Gruppen haben, egal welcher Nationalität, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, und Schulkinder in Klassen kommen, in denen drei Viertel die deutsche Sprache nicht beherrschen, und die Eltern sich fragen, was wird eigentlich aus meinen Kindern, wie werden die erzogen, was lernen sie, dann ist das ein riesiges Problem für diese Menschen, das die meisten von uns, die in Rothenbaum oder Poppenbüttel wohnen, nicht haben.Aber Hunderttausende haben das Problem, und das muß man doch sagen können.

(Beifall bei der CDU)

Anderenfalls wird es genutzt, Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Die Probleme aufzunehmen und zu fordern – darin unterscheiden wir uns wieder –, daß die Kinder in diesen Schulen auch Deutsch lernen, damit sie eine berufliche Chance bekommen, ist für mich die richtige Antwort, nicht die unzulängliche Mehrsprachigkeit. Hier haben wir verschiedene Auffassungen.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt, wenn wir Tatbestände, die von den Menschen als Probleme empfunden werden, tabuisieren, schaffen wir ein Pulverfaß, das irgendwann knallt, weil die Menschen das Gefühl haben, daß wir nicht mehr ihre Sprache sprechen.

(Beifall bei der CDU – Michael Fuchs CDU: Sehr richtig!)

Das Wort erhält der Abgeordnete Zuckerer.

Herr von Beust, Ihr Redebeitrag reizt in der Tat, darauf zu antworten. Deswegen will ich versuchen, für meine Fraktion darauf einzugehen.

(Vizepräsidentin Sonja Deuter übernimmt den Vor- sitz.)

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Sie haben zunächst einmal davon gesprochen, daß die Autorität des Staates bedroht sei oder viele Menschen das als solches empfinden und daß es darum geht, die Autorität des Staates zu stärken. Darin besteht zwischen uns kein Unterschied. Es gibt Null-Toleranz gegen rechtsradikale Gewalt und gegen Ausländerfeindlichkeit. Es ist aber eine andere Frage, ob Demokraten der Meinung sind, daß sie mit den bestehenden Gesetzen ein Problem lösen können, oder ob sie glauben, für Neonazis Gesetze machen zu müssen, die auch alle anderen Bürger treffen.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich für meine Fraktion dafür plädiere und, ich denke, auch für viele andere in diesem Hause: Autorität des Staates und Repression gegen Gewalt ja, aber immer auch Liberalität und Toleranz.Das ist schwierig, das räume ich ein, besonders in einer solchen Debatte. Der Mühe einer solchen Debatte sollten sich aber die Parteien hier im Hause auch ernsthaft unterziehen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der GAL)

Zweitens haben Sie darauf hingewiesen, daß Sie schnelle Reaktionen wollen. Wir alle wollen schnelle Reaktionen. Dieses Parlament hat eine lange Debatte über Jugendkriminalität und über Beschleunigung von Verfahren hinter sich.Wir müssen uns in diesem Fall wiederum einer langen Debatte über angemessene Reaktionen und Rechtsstaatlichkeit sowie über konsequentes Handeln stellen und hinnehmen, daß der Rechtsweg ausgeschöpft wird. Wir müssen versuchen, Liberalität, Toleranz und konsequentes Handeln zu verbinden, auch wenn es manchmal schwerfällt,

(Ole von Beust CDU: Aber nicht bei Gewalt!)