Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

Ganz am Rande, Herr Dr. Petersen – er ist nicht anwesend –: Ich habe mir aufgrund meiner Tätigkeit oft eigenes berufliches Interesse nachsagen lassen müssen, aber Sie werben hier für Ihre Praxis.Es mag ja sein, daß es bei Ihnen gut läuft, aber ich habe in Hamburg nicht eine einzige Ärztin oder einen Arzt gefunden, die oder der dieses neue Budgetierungsgesetz nicht zumindest als fragwürdig und äußerst problematisch angesehen hat.Dazu gehören auch Ärzte, die ausdrücklich Rotgrün präferieren.

(Beifall bei der CDU)

Diese Reform ist nicht nur mißlungen, weil sie in der medizinischen Versorgung auf regionale Unterschiede keine Rücksicht nimmt und weil sie durch die verankerte Kollektivhaftung beispielsweise auch Röntgenfachärzte, die keine Rezepte ausstellen, in Sippenhaft nimmt.Sie ist auch in hohem Maße mißlungen, weil sie landauf, landab entscheidend zu einer unglaublichen Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung beigetragen hat. Das zeugt aufgrund der Massivität, mit der Sie meinen, Ihre eigenen Eindrücke und Ihren Reformwillen als richtig darzustellen und ohne Rücksicht auf Verluste und ohne jegliche Zusammenarbeit mit den Ärzten durchzudrücken, von wenig Fingerspitzengefühl.

(Beifall bei der CDU)

Herr Zamory, Ihr Beispiel vom Hustensaft ist – bei aller persönlichen Wertschätzung – absolut deplaziert, weil es im wesentlichen dazu geführt hat, daß Sie vom eigentlichen Problem ablenken und uns ein wenig an Dr. Doolittle und seine Abenteuer erinnern.

(Peter Zamory GAL: Ich bin kein Tierarzt!)

Das entscheidende Dilemma dieser unseligen Budgetierung ist, daß gerade ältere und chronisch Kranke in hohem Maße die Benachteiligten bei dieser Reform sind und darunter zu leiden haben, weil sie häufig Arzneimittel verschrieben bekommen, die teuer sind und entsprechend an der Budgetierung scheitern.

Zum Stichwort Hamburg. Hamburg hat um circa 55 Millionen DM das Budget überschritten, weil diese Stadt eine Hochleistungsmedizinmetropole ist. Warum sagt dies keiner von Ihnen? Das müssen Sie doch wissen. Das haben Sie hier auch ständig wiederholt, als es um den Abbau von Krankenhausbetten ging. Hoffentlich gilt das jetzt auch noch.

Es gibt in Hamburg enorm viele Aidspatienten und HIV-infizierte Menschen sowie eine Unzahl von Multiple-Sklerose-Kranken. Das sind alles Patienten, deren Medikamente auf dieses Budget angerechnet werden und die des

halb in hohem Maße damit rechnen müssen, nicht mehr so wie erforderlich behandelt zu werden.

Ich glaube, der GAL gehen ein wenig die Themen aus; sie sucht nach etwas Neuem.Sie haben bundespolitische Themen in der Aktuellen Stunde eines Landesparlaments angemeldet. Man kann diese sicher noch intensiver bei anderer Gelegenheit diskutieren. Die Patienten sind diejenigen, die dafür verantwortlich gemacht werden und im Regen stehen.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Sag mal was zu Seehofer!)

Zu Seehofer brauche ich nichts zu sagen; wir reden über das, was Sie angerichtet haben. Ihnen gehen die Themen aus; insofern beschäftigen Sie uns damit.

Wir fordern Sie auf, gehen Sie zu den Patienten und zu den Ärzten und diskutieren Sie das öffentlich! Wo sind die Plakate „Pro und Kontra der Gesundheitsreform“ von der GALFraktion? Nichts sehe ich. Aber wir sollen uns hier alles anhören.Wir können bald Gage dafür beantragen, daß wir als Statisten für ihre komischen politischen Dinge herhalten müssen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU, bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke und teilweise bei der SPD)

Eine letzte Bemerkung. Die Ärzte, mit denen ich sprach – es waren auch welche dabei, die Rotgrün wählen –, haben gesagt: Die sollen einmal kommen, dann brauchen sie Schutz! Wenn Sie wirklich Mut haben, dort hinzugehen, würde ich Ihnen empfehlen, daß Sie einen Kampfhund mitnehmen.Vielleicht sind Sie einige von wenigen, denen der Hamburger Senat ein berechtigtes Interesse für die Haltung eines Kampfhundes bescheinigt. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Dann bekommt noch für drei Minuten der Abgeordnete Jobs das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat haben Hamburger Ärzte ihr Budget um genau 44,72 Millionen DM überzogen. Das ist auch kein Wunder. Das hat Herr Fuchs richtig gesagt.

(Peter Zamory GAL: Über 100 Millionen DM sind überzogen worden!)

Herr Zamory, was sind Sie aufgeregt. Das sind die Zahlen, die heute noch einmal in einer Monatszeitung veröffentlicht worden sind und die auch angekündigt hat, daß Hamburger Ärzte mit jeweils 12 000 DM in Regreß genommen werden sollen. Aber ich bin mir ganz sicher, daß angesichts der Ärztelobby in dieser Stadt und auch darüber hinaus diese Regreßforderungen zurückgewiesen werden können, weil die Ärzte bisher immer dafür haben sorgen können, daß sie von solchen Forderungen verschont geblieben sind. Das zeigen die Erfahrungen.

Ich möchte einmal darauf hinweisen, was dieses Budget für die Patienten in der Stadt bedeutet. Das haben wir im Gesundheitsausschuß zumindest auch schon einmal andiskutiert. Es ist sicherlich völlig in Ordnung, wenn Einsparmöglichkeiten durch den Einsatz von billigeren Medikamenten, quasi durch No-name-Produkte, deren Wirkung in nichts dem Original nachstehen, vorgenommen werden. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn Patienten nicht die op

timale Medikation verschrieben bekommen, nur weil der zuständige Arzt Angst hat, sein Budget zu überschreiten.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das trifft natürlich ganz besonders die chronisch Kranken in dieser Stadt.Das kommt ja nicht von ungefähr.Sogar der Bundesverband deutscher Nervenärzte ist da in die Offensive gegangen und hat eine Unterversorgung psychisch kranker Menschen mit neuen, besonders wirkungsvollen, aber eben auch teuren Medikamenten angeprangert. Angesichts der Honorarrestriktion und Regreßandrohung sei es verständlich – so meinen diese –:

„daß manche Ärzte sich nicht der Illegalität der Budgetüberschreitung auszusetzen wagen und ihren Patienten nur die allernotwendigsten preiswerten Arzneimittel verordnen“.

Die Tatsache, daß diese Medikamente wesentlich beeinträchtigendere oder gar schädigendere Nebenwirkungen haben, macht diese Praxis zu einem Skandal. Aber fast noch skandalöser ist die Tatsache, daß vom Berufsverband Verständnis für ein derartiges Verhalten geäußert wird. Ich finde es hochskandalös, daß Ärzte Verständnis dafür äußern, daß ihre Kollegen nicht die optimalen Medikamente verschreiben.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke und vereinzelt bei der SPD)

Davon sind nicht nur psychisch kranke Menschen betroffen. Das gilt auch für Alzheimerkranke. Auch hier schrecken offenbar niedergelassene Ärzte davor zurück, wirksamere und teurere Medikamente zu verschreiben.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, es reicht nicht, wenn Sie die Anzeige für das Ende der Redezeit mit Ihrem Manuskript bedecken, denn die Redezeit ist abgelaufen.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Es ist deutlich geworden, daß diese Budgetierung Nachteile für Ärzte hat, aber sie hat ganz viele Nachteile für die Patienten, die darauf angewiesen sind, und daran gilt es zu denken und zu arbeiten, daß diese Nachteile keine Zukunft haben. – Danke.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke, bei Michael Fuchs und Jörn Frommann, beide CDU)

Das Wort erhält Frau Senatorin Roth.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens: Das Thema Arzneimittelbudget ist für unsere Stadt ein wichtiges Thema.Gleichwohl ist es auch notwendig, eine differenzierte Betrachtungsweise anzustellen. Differenziert deshalb, weil wir in Hamburg bereits ein regional höheres Budget als im Bundesdurchschnitt haben.

Zweitens:Hamburg liegt noch nicht an der Spitze.Berlin hat noch mehr Überschreitungen im Bereich des Budgets. Das tröstet allerdings nicht. Deshalb müssen wir auch genauer hinsehen, welche Ursachen es dafür gibt.

(Michael Fuchs CDU)

Zunächst, glaube ich, gibt es zwischen allen, die hier gesprochen haben, die gemeinsame Position, daß teurere Mittel, insbesondere für Menschen, die an Aids oder anderen Krankheiten erkrankt sind, hier besonders zu Buche schlagen. Da besteht, glaube ich, Konsens.

Gleichwohl ist es so, daß es im Rahmen des Budgets, das wir haben, realisierbar sein muß, die Verordnungen, die notwendig sind, angemessen zu ermöglichen. Das ist aus meiner Sicht im Rahmen des Arzneimittelbudgets in Hamburg auch möglich. Allerdings wird das nicht eingehalten. Insofern ist die Frage, welche Möglichkeiten wir von seiten der Politik haben, um dieses zu regeln. Es gibt das Thema der Festbetragsregelung, die aus meiner Sicht dringend notwendig ist, um hier korrigierend einzugreifen.

Was allerdings nicht passieren darf, ist, daß diejenigen Ärzte, die sich im Rahmen des Budgets richtig verhalten, dafür bezahlen, daß sich andere nicht daran halten. Das heißt, daß dieser kollektive Regreß aus meiner Sicht auf jeden Fall geändert werden muß. Nun ist die Frage, warum hat Frau Fischer das im Rahmen der GKV-Reform nicht gemacht? Ich will Ihnen die Antwort geben. Die Änderungen dieses Kollektivhaftungsrechtes wäre nur durch die Zustimmung des Bundesrats möglich gewesen. Die B-Länder haben allerdings im Rahmen der GKV-Reform erklärt, sie würden nicht zustimmen. Hamburg hat im Rahmen der GKV-Reform beantragt, diesen Kollektivregreß abzuschaffen, aber dieser Regreß ist nicht abgeschafft worden, weil die B-Länder während der Bundesratsberatung darauf bestanden haben, nicht mitzumachen.

In dem Zusammenhang muß ich sagen, wenn wir eine Regelung wollen – und ich bin dafür, daß wir eine gemeinsame Regelung bezogen auf das Haftungsrecht der einzelnen wollen –, dann brauchen wir, verehrte CDU-Fraktion, auch die B-Länder im Bundesrat. Insofern würde ich mich sehr freuen, wenn Sie Ihre Seite davon überzeugen würden in dem Sinne, daß Sie sich dafür einsetzen, daß wir dieses zum Beispiel im Rahmen einer Bundesratsinitiative gemeinsam durchsetzen können. Für Hamburg ist es ganz klar, daß wir auf jeden Fall diese Maßnahmen unterstützen würden.Wir brauchen nur noch die B-Länder im Bund, und dann könnten wir diese Dinge auf die Reise bringen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Freudenberg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen wir doch die Kirche im Dorf. Völlig klar ist, daß im Gesundheitssystem gespart werden muß. In Deutschland werden viel mehr Medikamente verordnet, als medizinisch sinnvoll ist, auch im Vergleich zu anderen Ländern. Wir haben einen völlig unübersichtlichen Arzneimittelmarkt. Jährlich werden, ich glaube, 3000 Tonnen Pillen in den Müll geworfen, was eher ein gesundheitsbewußtes Verhalten der Patienten darstellt, denn diese viele Pillen, die verschrieben werden, haben oft heftige Nebenwirkungen. Oft ist es so, daß Patienten zu mehreren Ärzten gleichzeitig gehen, die fröhlich verschreiben, und es wird überhaupt nicht reflektiert, wie die Medikamente gegenseitig die Nebenwirkungen potenzieren, so daß es den Leuten nur schlechter gehen kann. Darum ist das Wegwerfen aus Gesundheitsaspekten sinnvoll, aber natürlich aus Kostengründen verheerend.

Die Budgetierung ist als Methode des Sparens gewählt worden, weil gespart werden muß. Herr Fuchs, was heißt

es denn, wenn Sie sagen, Hamburg ist nun einmal ein Zentrum der Hochleistungsmedizin? Für mich heißt es, daß Hamburg eine besonders hohe Arztdichte hat, und wir müssen doch endlich eine Medizin hinbekommen, die dazu führt, daß die Ärzte nicht meinen, sie müssen jetzt in Konkurrenz untereinander den Patienten die Wünsche von den Lippen ablesen, das heißt, den Rezeptblock zücken und alles Mögliche verschreiben, was diese haben wollen. Eine bessere Gesundheitsversorgung wäre oft, weniger verschreiben, mit den Leuten mehr reden, und damit hätten wir eine Absenkung des in Hamburg wirklich ungewöhnlich hohen Arzneimittelbudgets.Wir können doch nicht so tun, als würden wir die Patienten belasten, wenn wir endlich dafür sorgen, daß weniger Tabletten verordnet werden.

Ich bitte, daß wir auf die Diskussion um die Kosten der Gesundheitspolitik zurückkommen. Andrea Fischer hat das fortgeführt, was Seehofer versucht hat, aber woran er gescheitert ist.Ich habe das Gefühl, sie ist da geschickter, und ich wünsche ihr weiterhin viel Glück.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)