Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Jürs, Sie dürfen unserer Solidarität als einsame Ruferin und Vorkämpferin gegen BSE gewiß sein.Sie sagen, daß Sie 14 Jahre lang nicht gehört wurden. Zwei Jahre ist die rotgrüne Bundesregierung im Amt, zwölf Jahre dieser Zeit waren Ihre eigenen Parteigenossen an der Regierung. Wir haben Ihre Stimme da aber nicht so laut vernommen.
Es ist aber von Ihnen als parteipolitisches Thema hier erörtert worden, und das ist eine Unverschämtheit.
Ich möchte ein Beispiel anführen: In England hat vor zwei Wochen eine Kommission im Auftrag der Labourregierung
das Umgehen der Thatcher- und Major-Regierung mit BSE untersucht. Zu der Veröffentlichung dieses Kommissionsberichts sind eine Reihe von Angehörigen von Opfern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nach London gefahren, wo sie erfahren haben, daß sie entschädigt werden. Eine Entschuldigung gab es nicht. Aber die Kommission hat herausgefunden, daß verharmlost wurde, daß vertuscht wurde, daß Wissenschaftler, die beim englischen Landwirtschaftsministerium angestellt waren, unter Druck gesetzt wurden, ihre Erkenntnisse nicht der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Wenn Sie so reden, Frau Jürs, dann wünsche ich mir auch für die Bundesrepublik eine solche Kommission, die genau untersucht, wie die Landwirtschaftsminister der CDU in den Ländern und auch im Bund mit dieser Problematik umgegangen sind.
Das Problem ist allerdings sehr ernst zu nehmen und besorgniserregend, weil in der Bundesrepublik bis 1996 800 000 Rinder in die Nahrungskette gelangt sind, an die Tiermehl verfüttert wurde, das nicht nach den strengen deutschen Kriterien mit 130 Grad erhitzt wurde. Es ist auf jeden Fall notwendig – und wir richten jetzt nicht um eine Woche –, daß Tiermehl in Zukunft als Futter für Tiere verboten bleibt, weil der Tierkannibalismus zu der Übertragung von BSE mit beigetragen, ihn möglicherweise sogar verursacht hat.
Das Problem ist, daß wir leider bilanzieren müssen, daß wir wenig bis nichts über die Übertragungswege auf den Menschen wissen und auch wenig Tests zur Verfügung haben, überhaupt an lebenden Kreaturen BSE oder auch die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung nachzuweisen. Das ist das Problem, daß wir diese Unsicherheit im Moment mit der Bevölkerung teilen und aushalten müssen, von der Wissenschaftler sagen, daß wir erst an der Anfangsphase einer Epidemieverbreitung von Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen und BSE stehen.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu sagen, daß die rotgrüne Bundesregierung überhaupt erstmalig im Jahr 2000 8,3 Millionen DM für die BSE-Forschung zur Verfügung gestellt hat. Im Jahre 2001 werden es 8,5 Millionen DM sein. Die CDU-Regierung hatte überhaupt nichts eingestellt. Das sind die Fakten.
Aber, wenn wir eine Bilanz ziehen – Herr Schmidt von der SPD hat es schon gesagt, ich möchte das noch einmal wiederholen –, wir stehen im Moment vor dem GAU der industrialisierten Landwirtschaft.
Dieser größte anzunehmende Unfall führt dazu, daß wir auf einer tickenden Zeitbombe leben. Wir wissen nicht, wann, welche Menschen von der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betroffen sein werden. Im Laufe der nächsten 20 bis 30 Jahre werden es vermutlich viel mehr als bisher sein. Das muß man jetzt erst einmal bilanzieren und kann nicht verharmlost werden.Das muß beforscht werden, weil wir wenig darüber wissen.
Es geht nicht nur um den Rindfleischkonsum, der durch die Tiermehlverfütterung billig gemacht wurde und damit sicherlich der Verbrauchernachfrage entgegengekommen
ist – den Preis dafür zahlen wir jetzt –, sondern es gibt auch noch andere Probleme, auf die ich hinweisen möchte: Wie sicher sind zum Beispiel unsere Bluttransfusionen? Bei Transfusionen gibt es nämlich keinen Test zur Erkennung der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung.
Die Maßnahme, Personen, die sich sechs Monate oder länger in Großbritannien aufgehalten haben, von den Blutspenden auszuschließen, ist nicht sehr beruhigend.
Es muß geforscht und so schnell es geht Klarheit geschaffen werden.Wir müssen sehr genau verfolgen, wie sich die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung auch in Hamburg manifestiert.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es sind nicht die ekligen Würmer in den Fischen, das ätzende Dioxin in den Hähnchen oder die Östrogene in den Kälbern, sondern diesmal sind es die Rindviecher, bei denen es um eine für den Menschen tödliche Krankheit geht. Deshalb ist die allgemeine Aufregung nicht unberechtigt, aber ebensowenig überraschend.
Wer glaubte, daß BSE vor den deutschen Grenzen haltmacht, nur weil dort ein Schild steht, für den ist in Zeiten der Globalisierung der Vorwurf der politischen Naivität noch harmlos. Es war schlicht unverantwortlich, was alle Landwirtschaftsminister dieses Landes in den letzten Jahren gemacht haben.
Mit dem Slogan „Deutsches Fleisch ist sicher, es ist ein Stück Lebenskraft“ haben die fleischverarbeitende Industrie und die Politik bislang im Schulterschluß die Bundesrepublik zur BSE-freien Zone gemacht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurden warnende Stimmen geflissentlich überhört. Und weil nicht sein muß, was die fleischverarbeitende Industrie und die Landwirtschaft finanziell belastet, wurden obligatorische BSE-Tests für unnötig erklärt und Tiermehlfütterungen nur bei Rindern untersagt, wohl wissend, wie schwierig die tatsächliche Abgrenzung ist.
Es wurden Gefahren auf allen Ebenen vertuscht, denn die Bauernlobby sitzt nicht nur Schleswig-Holstein, sondern auch am Regierungstisch in Berlin. Dabei stehen inzwischen Verbraucherschutz und Landwirtschaft sehr oft im Gegensatz zueinander; aus Lebenskraft ist Lebensgefahr geworden. Diese Praxis muß ein Ende haben. Chemiefabrikanten werden auch aus diesem Grund nicht Umweltminister.Der BSE-Skandal muß auf politischer Ebene Konsequenzen haben. Der Rücktritt von Bauernminister Funke ist lange überfällig; dieser Skandal macht ihn unausweichlich.
Aber auch die Gesundheitsministerin sieht – das muß man wieder sagen – schlecht aus, denn offenbar hat sie mit dem Kanzler die Bundesländer unter Druck gesetzt, um das Importverbot von britischem Rindfleisch aufzuheben. Vor allem hat sie es versäumt, die Fleischtests und damit den Gesundheitsschutz der Bevölkerung durchzusetzen. Auch
Aber machen wir uns nichts vor. Alle politischen Konsequenzen – das sofortige Verbot der Tiermehlverfütterung und die Einführung der BSE-Schnelltests – werden keine absolute Sicherheit für Konsumenten schaffen. Das Problem sitzt viel tiefer.
Die Industrialisierung der Landwirtschaft, die mörderische Preiskonkurrenz auf dem Fleischmarkt hat zu einer Form der Produktion geführt, in der die BSE-Gefahr nicht ein bedauernswerter Unfall, sondern eine zwangsläufige Konsequenz darstellt. Wer Tiere auf engstem Raum zusammenpfercht, zu Krüppeln verzüchtet, mit Medikamenten am Leben erhält, mit Hormonen und anderem unnatürlichen, wenn nicht gar perversen Kraftfutter mästet, der schafft eine Realität der Fleischproduktion, die einen solchen Skandal und entsprechende Auswüchse zwangsläufig erscheinen läßt.
Die erwähnten Hormone im Kalbfleisch, die Dioxine im Hähnchen, die Antibiotika in den Schweinen und das BSE beim Rind sind Folgen dieser Tierhaltung. Die Wahrheit ist: Billiges Fleisch ist heute ohne Gesundheitsrisiko nicht mehr zu haben. Unbedenkliche Qualität braucht deshalb eine andere Form der Produktion.
Das Gebot der Stunde ist eine politische Offensive für eine artgerechte Tierhaltung, und zwar nicht nur in der Ökonische, die jetzt wieder alle entdecken, sondern überall. Dazu braucht es zum Schutz der Konsumenten den Mut der Politik, sich mit einer mächtigen Agrarlobby anzulegen. Alles andere hieße die Kapitulation der Politik, wenn weiter auf eine krankmachende Art und Weise Lebensmittel produziert werden dürfen.
Lassen Sie uns deshalb alle Einflußmöglichkeiten nutzen, um die Produktionsbedingungen zu verändern. Wir sollten nicht nur wieder an den Symptomen herumdoktern.
Wenn es in der Debatte vereinzelt darum geht, die industrielle Fleischproduktion zu effektivieren und ein bißchen bei der Ernährung zu verändern, dann wird nur ein Grundstein dafür gelegt, daß wir in absehbarer Zeit hier wieder zusammenkommen, um über Sofortmaßnahmen nach dem nächsten Fleischskandal zu debattieren. Diesem Wahnsinn sollten wir ein Ende machen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Freitag letzter Woche ist klar, daß Deutschland weder BSE-frei ist noch daß die in der Vergangenheit eingeleiteten Maßnahmen dazu geführt haben, diese Situation zu verhindern.Denken Sie zum Beispiel an das Importverbot und an die Vorschläge für eine verbesserte Kennzeichnungspflicht. Die Maßnahmen haben nicht dazu geführt, daß dieses Land, das meinte, BSEfrei zu sein, nun auch BSE-frei ist.
Diese Situation kommt nicht von heute auf morgen; wir haben lange – das hat Herr Zamory gesagt – über das Thema diskutiert. Wir haben alle gemeint, daß in unserem Land