Protokoll der Sitzung vom 16.04.2002

(Günter Frank SPD: Sie haben den Mund zu voll ge- nommen!)

Gleichzeitig intensivieren wir die Früherkennung von Problemen im kindlichen Bereich. Aus der Perspektive eines Kindes ist es egal, ob die Probleme aus Gewalt, Missbrauch oder einfach nur Ängsten aus dem schulischen oder privaten Umfeld resultieren. Es braucht eine Stelle, wo es sich zur Not anonym oder in Form von Bildern artikulieren kann. Die Pädagogen können deutlich schneller auf Missstände und Auffälligkeiten reagieren. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt, auch wenn Herr Zuckerer sich gern darüber lustig macht.

Unsere Koalition hat für 180 neue Lehrer auf 100 Stellen gesorgt. Wir reformieren das Schulwesen in Hamburg,

(Christa Goetsch GAL: Das stimmt doch nicht, das wissen Sie auch!)

das Sie, wie Sie aufgrund der fehlenden PISA-Zahlen wissen, nicht einmal verwalten konnten. Wir ermöglichen das Abitur nach zwölf Jahren, und zwar ohne Wenn und Aber, ohne endlos verschleppte Pilotprojekte,

(Ingo Egloff SPD: Ohne Konzept!)

ohne sozialdemokratische Begräbnisse erster Klasse in Form eines Prüfauftrages, was Sie sehr gern getan haben. Diese Reform ist nötig und richtig.

(Ingo Egloff SPD: Wo ist denn das Konzept dafür?)

Unsere Reformen im Bildungsbereich setzen aber noch viel früher an, wie zum Beispiel die Sprachförderung. Wir recherchieren zur Zeit und wollen herausfinden, wie es am besten geht. Es wird Methoden geben, wie die Kinder unterrichtet werden, und es wird herausgefunden, wer förderungswürdig ist, der dann auch gefördert wird. Sie haben mir während der letzten Debatte um Bilinguität Sprachrassismus vorgeworfen. Wenn jemand in den letzten Jahren auf eine solche Weise Politik gemacht hat, dann Sie. Ich weise das stark an Sie zurück.

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Sie haben nämlich zugelassen, dass Kinder in unserer Gesellschaft nicht mehr deutsch lernen. Sie haben damit diese Kinder aller Chancen beraubt, dass sie in der Berufswelt einen Einstieg finden. Das ist meiner Meinung nach Rassismus gegen ausländische Kinder und die deutsche Sprache, getrieben von Ideologien, deren Scheitern bereits in den Siebzigerjahren feststand.

Sie haben zugelassen, dass es sozial benachteiligte Stadtteile gibt, in denen 30 Prozent aller Schulabgänger keinen Abschluss haben. Das nenne ich nicht sozial.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Ihr Stillstand zeigt sich in Ihren Haushaltsanträgen. Die Kita-Card erwähnen Sie nur, damit Sie den Begriff noch einmal in der Zeitung lesen können. Richtig humoristisch finde ich auch die Gegenfinanzierungen. In Zeiten von Steuermindereinnahmen aufgrund rotgrüner Regierung und Wirtschaftspolitik in Berlin von mehr als 100 Millionen Euro wollen Sie Einsparungen bei Zinsbelastungen als Gegenfinanzierungen anbieten. Sehr witzig.

Ein weiteres, schönes Beispiel für einen ideologischen Stillstand ist die Forderung nach Beibehaltung der Lernmittelfreiheit; dieses Thema hatten wir eben ganz kurz. Dieses Relikt hat dazu geführt, dass wir trotz höchster ProKopf-Ausgaben pro Schüler – immerhin 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt – noch immer mit Atlanten arbeiten, in denen es zwei Deutschland gibt. Von der Rechtschreibreform wollen wir noch gar nicht reden, die ist noch viel neuer; das kommt vielleicht in zehn Jahren, wenn wir so weitermachten. Niemand wird durch die Ausgabe von Beihilfen oder Gutscheinen bespitzelt, stigmatisiert oder ausgegrenzt. In anderen Bundesländern hat sich auch keine soziale Spaltung vollzogen oder wachsen Kinder charakterlich deformiert auf, weil ihr Elternhaus für neue, brauchbare Bücher Zuschüsse erhält. Sie schüren Ängste der Propagandawellen. Sie wollen an einem ideologisierten Relikt festhalten, um ein Sozialtheater zu inszenieren. Das ist unredlicher und schlechter Stil.

Teilweise spannend ist der GAL-Antrag. Vom bereits abgearbeiteten Dino der Lernmittelfreiheit abgesehen, stellt die GAL dem alten Senat ein wirklich vernichtendes Zeugnis aus und lobt das Programm des neuen Senats. Sie wollen mehr Ganztagsschulen. Sie bekommen mehr Ganztagsschulen. Auch Herr Schröder hat sich heute dazu geäußert, wie Sie wahrscheinlich gelesen haben. Sie wollen einen Ausbau der Sport- und Bewegungszeiten. Wir schaffen die dritte Schulsportstunde, die Sie nicht hatten.

(Krista Sager GAL: Das ist etwas anderes! – Antje Möller GAL: Sagen Sie doch mal ein inhaltliches Wort!)

Und als Krönung wird es eine gerechte Finanzierung von staatlichen Schulen und Schulen in privater Trägerschaft geben.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Wenn es jemals eine Landesregierung gegeben hat, die für die finanzielle Privilegierung staatlicher Gesamtschulen sowohl gegenüber privaten Trägern als auch gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem eingetreten ist, dann war es Ihre. Aber keine Sorge, wir werden das ändern. Es wird keine Privilegierung solcher Schulen mehr geben.

Ich möchte es jetzt bei dieser Aufzählung belassen. Es wäre wirklich ein abendfüllendes Programm, aber wir haben auch noch andere Redner, die etwas zu ihren Haushaltsanträgen zu sagen haben.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Dann erhält die Abgeordnete Goetsch das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu dem bildungspolitischen und sehr stark ideologisch gefärbten Kokolores von Herrn Drews werde ich mich später äußern. Frau Freund, bei schwebenden Verfahren gilt erst einmal die Unschuldsvermutung.

(Beifall bei der GAL – Martin Woestmeyer FDP und Richard Braak Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das hat sie doch gesagt! – Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das war ein Eigentor!)

Was Sie hier machen, ist schon ziemlich problematisch.

Ich möchte heute die Schulpolitik im Kontext mit Einzelplan 3.1 mit drei Fragestellungen unter die Lupe nehmen und beleuchten. Erstens Ihr Demokratieverständnis hinterfragen, zweitens den tatsächlich aktuellen Handlungsbedarf im schulpolitischen Bereich hinterfragen und drittens die Frage nach Ihren bildungspolitischen Visionen stellen.

Erstens: Zu Ihrem Demokratieverständnis. Gestern fiel in der Debatte die Bezeichnung Schuldiktator. Das ist natürlich ein ziemlich starker Tobak, und Gott sei Dank leben wir nicht in einer Diktatur.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Auch nicht in Ihrer Diktatur!)

Für Ihre Politik gilt aber: Es wird diktiert, und zwar ohne Rücksicht auf die Beteiligung und die Partizipation sowohl der Schülerinnen und Lehrer als auch der Gremien. Tatsache ist, dass Sie im Augenblick ohne Abstimmung mit den schulischen Gremien von Schüler-, Eltern-, Lehrerkammer und Deputation Politik machen. Ich brauche Ihnen nur ein paar Beispiele zu nennen.

(Wolfgang Drews CDU: Sie verwechseln konkretes Handeln mit Diktatur!)

Bekannt und mehrfach erörtert, Herr Drews, ist hier die Fachoberschule. Frau Freund hat es immer noch nicht begriffen, was dort bezüglich der Berufswahlfreiheit eigentlich los ist. Wir haben Sie doch kalt erwischt. Sie mussten ja zurückrudern.

Bekannt ist auch die Feuer- und Flammeaktion der dritten Sportstunde, die eben schon mehrfach erwähnt wurde. Sie wollen sie ohne Sporthallen und ohne Sportlehrer einrichten. Ich darf aus einer Schulleiterkonferenz zitieren:

„Die dritte Sportstunde wird aus vorhandenen Stundenzuweisungen umgesetzt. Dies bedeutet also keine erhöhte Stundenzuweisung, sondern eine Umwandlung von Teilungsstunden. Wie dies im einzelnen geschehen soll, ist noch nicht bekannt.“

(Wilfried Buss SPD: Hört, hört!)

„Da die Hallenkapazitäten für die dritte Sportstunde nicht ausreichen, soll in der Grundschule eine Bewegungszeit eingeführt werden. Für die Sekundarstufe sind noch keine Umsetzungsüberlegungen bekannt.“

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

So machen Sie Politik.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Dr. Andrea Hil- gers SPD: Toll! – Günter Frank SPD: Die haben keine Ahnung!)

Meine Damen und Herren! Es gibt natürlich reichlich weitere Beispiele zu Ihrem Demokratieverständnis. Wir stimmen heute über die Reduzierung des Lernmitteletats ab. Ich sehe hier noch nicht die totale soziale Spaltung in dieser Stadt, aber die Lernmittelfreiheit steht im Schulgesetz, und dieses Gesetz – ich kann mich nicht daran erinnern – hat die Bürgerschaft noch nicht geändert. Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, Sie sollten Gesetzestexte einmal lesen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Nun noch einmal zu Ihrem Politikstil, Herr Senator Lange. Wir haben nichts gegen die Einführung des Abiturs nach zwölf Jahren.

(Martin Woestmeyer FDP: Auch nichts dafür ge- habt!)

Das ist lang und breit diskutiert. Nur, wie Sie es wieder umsetzen: Mit einem Brief an die Schulen, ohne dass Sie in irgendeiner Form diese Strukturveränderung vorbereiten können. Haben Sie den Nachmittagsunterricht geklärt? Haben Sie die Frage von Mittagstischen geklärt? Haben Sie die Frage des Personals geklärt? – Nichts.

Dann gibt es noch ein wunderbares Beispiel, das in diesem Hause wahrscheinlich noch nicht so bekannt ist, ich meine die Schließung von Grundschulklassen.

Es ist so zum Beispiel auch in meiner Schule angewiesen worden, dass Grundschulklassen, die nicht die Frequenz von 24 Kindern erreichen, geschlossen werden sollen. Da wir zwei Klassen mit der Anmeldung von je 22 Schülerinnen haben, bedeutet das für meine Schule, dass eine Klasse nicht eingerichtet werden soll. Die Schülerinnen sollen umgeleitet werden. Entweder müssen sie über die vierspurige Max-Brauer-Allee oder über die Holstenstraße zur Schule gehen.

(Günter Frank SPD: Ahnungsloser Senat, die haben keine Ahnung!)

Das ist unter dem Aspekt der Schulweggefährdung ein sehr unsinniger Schritt. Ich habe eine Kleine Anfrage eingereicht und bin gespannt, wie diese schulorganisatorische Maßnahme an allen Gremien vorbei hier durchdiktiert wird.