Protokoll der Sitzung vom 08.05.2002

(Karen Koop CDU: Aber es soll ja verlagert werden!)

Wir diskutieren über das Thema anonyme Geburt seit über einem Jahr. Wir hatten kontinuierliche Ausschussverhandlungen und aus Anlass der Großen Anfrage der SPD eine Debatte im Januar, die zurzeit noch zur Behandlung in den Ausschüssen ist. Ich hoffe, dass wir diesen Antrag jetzt an den Ausschuss überweisen, denn dort gehört er hin. Wir werden uns mit dem Thema weiter befassen.

Wenn Sie diese Überweisung an den Ausschuss ablehnen, wird sich die Sache verzögern, denn wir können den Senat jetzt schneller befragen. Sie haben bestimmte Fristen gesetzt und wir bekommen dann wieder einen Bericht; dann müssen wir es wieder an die Ausschüsse überweisen und das dauert letztlich doch alles viel länger. Arbeiten Sie doch bitte in den Ausschüssen einmal mit, nutzen Sie die dortigen Möglichkeiten und helfen Sie mit, dass wir die Probleme, die es in der Stadt nun einmal gibt, lösen. Aber bitte nicht, indem Sie jetzt auch noch in den Verfahren ein Chaos anrichten. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Dr. Freudenberg hat vollkommen recht, wir reden nicht über riesige Fallzahlen, sondern über Extremfälle, zahlenmäßig wenig, und wir können nicht so tun, als wenn wir uns um Extremfälle nicht kümmern wollen. Bei Extremfällen sind leider auch extreme Maßnahmen erforderlich.

(Elisabeth Kiausch SPD: So ist es!)

Deshalb ist es sehr sinnvoll, wenn wir darauf verweisen – und das tun wir in diesem Antrag –, dass Krankenhäuser einbezogen werden sollen. Es muss aber gerade für diese

(Karen Koop CDU)

wenigen Extremfälle fallgerecht auch extreme Angebote geben.

(Elisabeth Kiausch SPD: Genau!)

Darüber gibt es – so hoffe ich zumindest – keinen Streit.

Wir sollten uns immer vor Augen führen, dass anonyme Geburten nicht etwas ganz Tolles oder Erstrebenswertes sind, ganz sicher nicht. Denken Sie nur an einen Punkt, wo es ein Kind gibt, das erwachsen geworden ist und gefragt wird: Wer sind denn deine Eltern? Die Antwort: Das weiß ich nicht. Das Einzige, was ich darüber weiß, ist, dass beide Eltern, der Vater gleich zu Anfang und später die Mutter, mich nicht wollten. Sie wollten nicht einmal, dass ich weiß, wer sie sind. Das ist für ein Kind schon extrem belastend.

Sie haben aber bereits zu Recht gesagt, wenn denn die Alternative die Straße oder die Müllkippe ist, nimmt man die schlechte Möglichkeit, da sie immer noch besser ist als die ganz schlechten Möglichkeiten. Deshalb kommen wir aus meiner Sicht an einer oder mehreren Babyklappen nicht vorbei.

Ich möchte hier aber einmal mit zwei Legendenbildungen aufräumen. Die Erste ist – die immer mal wieder auftaucht –, dass anonyme Geburten oder Babyklappen oder wie auch immer, dazu führen, dass Eltern ihre Kinder besonders leichtfertig weggeben. Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht; es mag solche Fälle mal gegeben haben,

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und der GAL)

aber es sind tatsächlich Extremsituationen und ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine Rolle spielt.

Die zweite Legende, mit der ich auch ein bisschen aufräumen oder gegen die ich sprechen möchte, ist die Vermutung, dass sich private Anbieter – ich nenne es ganz bewusst mal so – nicht um Babyklappen oder anonyme Geburten kümmern könnten oder dass es sehr gefährlich wäre, wenn sie es machten. Auch dieses unterstützte ich wie auch die FDP nicht.

Umgekehrt ist es natürlich richtig, dass wir keinen Anlass für blindes Vertrauen in private Anbieter haben, insbesondere für diesen einen Anbieter. Sie haben Recht, es muss Aufgabe der Behörde sein, hier eine Kontrolle auszuüben.

Nun komme ich noch zur Frage hinsichtlich des Ausschusses. Sehen Sie sich doch einmal die vier Petita dieses Antrags an. Wir bitten den Senat um einen Bericht, wir bitten den Senat zu prüfen, wir bitten den Senat zu gewährleisten und wir bitten den Senat sicherzustellen.

(Unruhe im Hause – Glocke)

Herr Dr. Schinnenburg, warten Sie einen Moment. Es ist schön, wenn sich vor den Abstimmungen der Plenarsaal wieder füllt, aber die Gespräche sollten trotzdem nicht hier stattfinden. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich bin auch fast am Ende. Welches dieser vier Petita bedarf denn noch einer weiteren Prüfung in diesem Ausschuss? Gar keins. Es ist doch ganz offensichtlich, dass Sie dieses alles unterstützen. Es spricht doch nichts dagegen, beispielsweise die Große Anfrage oder eventuell Gesetzentwürfe im Ausschuss weiter zu besprechen.

Deshalb, meine Damen und Herren, um hier ein Zeichen zu setzen, halte ich es für sinnvoll, diesen Antrag nicht an die Ausschüsse zu überweisen, sondern hier und jetzt zu beschließen, um zu sagen, dass diese Stadt Hamburg für Frauen in Extremsituationen zur Stelle ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Als weitere Wortmeldung habe ich Herrn Böwer.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Aber nicht um Kopf und Kragen reden!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Koop, Sie fragen, was eine moderne Frau dazu führt, so etwas zu tun, wo wir doch alles haben, Pille, Verhütung und Beratungsstellen. Es geht bei dieser Frage nicht darum, ob man modern ist. Es geht um ganz andere Befindlichkeiten. Wenn Sie einmal die Geschichte Revue passieren lassen, die vor der Eröffnung der ersten Babyklappe in Hamburg stattgefunden hat, und den Anlass betrachten, warum ein Träger ein Angebot gemacht hat – dabei möchte ich zwischen der Frage Babyklappe ja oder nein und der Trägerfrage sehr trennen –, dann ist dies einer der Punkte.

Die zweite Frage, die immer damit verbunden war, auch bei der Frage von anonymen Geburten, ist, dass der Mensch in irgendeinem Alter wissen möchte, woher er kommt. Das ist aber die zweite Frage. Auch in der Diskussion mit Laschinski, der katholischen Kirche, wird gesagt, dass das die zweite Frage ist. In erster Linie geht es darum, in der verzweifelten sozialen Situation Menschenleben zu retten, denn es geht bei dieser Frage nicht um Extremfälle, sondern um Kinder und darum, ihnen eine Chance zu geben, irgendwann überhaupt die Frage nach den Wurzeln stellen zu können.

Da vorhin geäußert wurde, dass hinter den vier Petita grundsätzliche Unterschiede bestehen, bei denen es nicht um Prüfung, sondern um Beratung geht, gehört die Sache spätestens aus diesem Grund in den Ausschuss, um dann wieder hierher zurückzukommen,

(Petra Brinkmann SPD: So ist es!)

sonst bräuchten wir keine Ausschüsse, sondern nur ein Prüfungsamt. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer einer Überweisung der Drucksache 17/727 federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an den Gesundheitsausschuss sowie den Innenausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Die Überweisung ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich über den Antrag aus der Drucksache 17/727 in der Sache abstimmen. Die GAL-Fraktion hat eine ziffernweise Abstimmung beantragt. Wer möchte Ziffer 1 annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit beschlossen. Wer stimmt Ziffer 2 zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Die Ziffer 2 ist mit Mehrheit beschlossen. Wer schließt sich Ziffer 3 an? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Ziffer 3 ist auch mit Mehrheit beschlossen. Wer nimmt Ziffer 4 an? –

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP)

Gegenprobe. – Enthaltungen? – Es gibt eine Enthaltung, ansonsten ist die Ziffer 4 mit Mehrheit beschlossen.

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 32 auf, Drucksache 17/749, Antrag der GAL-Fraktion, Hamburgisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze.

[Antrag der Fraktion der GAL: Hamburgisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze – Drucksache 17/749 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 17/793 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der SPD: Eckpunkte für ein Hamburgisches Landesbehindertengleichstellungsgesetz – Drucksache 17/793 –]

Die SPD-Fraktion möchte beide Drucksachen federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an den Rechtsausschuss, den Bau- und Verkehrsausschuss und den Wirtschaftsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Danke schön, Frau Dr. Freudenberg, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. So steht es seit 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes. Trotzdem hat es seitdem für behinderte Menschen im Alltag kaum spürbare Verbesserungen gegeben. Noch immer werden behinderte Menschen an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt.

Am 1. Mai 2002, vor einer Woche, ist nun das Bundesgleichstellungsgesetz in Kraft getreten und das Gesetz will dieses ändern, will diesem guten Grundgesetzgrundsatz endlich Schwung geben, damit es nicht bei einer hehren Deklaration bleibt. Mit diesem Gesetz ist ein sehr wichtiges Vorhaben der rotgrünen Bundesregierung umgesetzt worden und es ist erfreulich, dass dieses Gesetz auch von der CDU und der FDP unterstützt wurde.

Die Bundesländer sind nun aufgefordert, Landesgleichstellungsgesetze zu erlassen, damit die Sache auch auf Landesebene vorankommt. Damit es auch in Hamburg schnell und kräftig vorangeht, hat die GAL einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Ihnen jetzt vorliegt.

In unserer Gesellschaft wird Behinderung überwiegend als Funktionsbeeinträchtigung begriffen, aufgrund derer behinderte Menschen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Mit Rehabilitationsmaßnahmen wird versucht, diese Funktionsbeeinträchtigungen abzumildern und die Teilhabechancen dadurch zu verbessern, dass die behinderten Leistungsempfänger möglichst weitgehend der gesellschaftlichen Norm angepasst werden. Wo dies nicht gelingt, bei ihrem dennoch nicht Überwindenkönnen, wird dies als individuelles Defizit begriffen.

Das Gleichstellungsgesetz hat nun eine andere Perspektive. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist eine zusätzliche Perspektive, denn wir wollen den Wert der Rehabilitation keineswegs infrage stellen. Das Gleichstellungsgesetz hat nun Maßnahmen, Verhältnisse und Verhaltensweisen von Staat und Gesellschaft im Blick, die für Menschen mit Funktionsbeeinträchtigungen Barrieren darstellen und die ihre Lebensmöglichkeiten einschränken. Diese gesellschaftliche Perspektive ist uns Grünen besonders wichtig und deshalb wird sie im vorliegenden Gesetzentwurf auch deutlicher gemacht als im Bundesgesetz.

Eine Beschränkung der Teilhabe behinderter Menschen ist nicht einfach naturgegeben, sondern die Beschränkung besteht aufgrund gesellschaftlicher Orientierung an einer Norm, der nun einmal viele Menschen nicht entsprechen. Wie behinderte Menschen oft sagen, sind sie nicht per se behindert, sondern sie werden auch behindert. Aus dieser Doppelwirkung ergibt sich die Forderung nach Barrierefreiheit.

Was heißt nun Barrierefreiheit? Barrierefreiheit bedeutet Anpassung der gestalteten Lebensbereiche an die Bedürfnisse behinderter Menschen. Hierzu muss unter anderem auch die Hamburgische Bauordnung geändert werden. Mit dem Gleichstellungsgesetz verpflichten sich die Träger öffentlicher Gewalt zur Beseitigung verschiedener Barrieren, die Behinderten, vor allem Rollstuhlfahrern, aber auch Blinden, Gehörlosen und geistig behinderten Menschen das Leben schwer machen. Barrierefreiheit umfasst somit mehr als nur bauliche Anlagen, sondern auch Anlagen anderer Art, zum Beispiel Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und auch Kommunikationseinrichtungen.