Protokoll der Sitzung vom 27.11.2002

(Rolf Gerhard Rutter Partei Rechtsstaatlicher Of- fensive: Das gibt es im Tierreich genauso!)

Deshalb geht es bei der Diskussion um die integrativen Regelklassen wie bei der Diskussion um Integration generell um viel mehr als um eine Schulreformdebatte. Es geht um etwas ganz Grundlegendes, um die Akzeptanz von Verschiedenheit in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Der in Hamburg verfolgte Ansatz der integrativen Regelklassen entspricht der mehr als zwanzigjährigen Praxis in den skandinavischen Ländern. Also in den Ländern, die bei PISA ganz oben stehen.

In unseren integrativen Regelklassen wird erfolgreiche Arbeit geleistet. Viele Integrationsklassen genießen große Akzeptanz bei Kindern und Eltern. Die Eltern laufen zu Recht

(Richard Braak Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Ach was!)

Sturm dagegen, dass es diese Klassen in Zukunft nicht geben wird. Besonders die gestrige Anhörung im Schulausschuss zum Antrag der GAL, „Fünf-Plus“, hat gezeigt, wie Integration noch besser laufen kann.

Herr Woestmeyer, insofern verstehe ich wirklich nicht, dass Sie hier heute so eine Rede halten können.

(Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie haben sie nicht verstanden!)

Man hätte dies verstehen können, wenn Sie gestern nicht dabei gewesen wären. Aber Sie sind auch, genau wie ich, über vier Stunden dabei gewesen. Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Ohren gehabt haben, das muss ich ganz ehrlich sagen.

(Michael Neumann SPD: Beim Lauschangriff!)

Wahrscheinlich hat er gerade bei dem auf Durchzug geschaltet, was von den Menschen aus Finnland gesagt worden ist.

(Zurufe)

Sie sind doch gar nicht da gewesen.

(Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das, was Sie jetzt sagen, ist wirklich frech!)

Man fragt sich insofern, warum sich diese Koalition aller Praxiserfahrung, aller erziehungswissenschaftlichen Forschung der vergangenen 20 Jahre so vehement verweigert. Ich glaube es Ihnen ja, dass Sie nichts Böses im Schilde führen,

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

dass Sie der Meinung sind, Ihre politischen Vorstellungen seien den Schülerinnen und Schülern zuträglich.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Aber warum glauben Sie das?

Es liegt, davon bin ich überzeugt, an Ihrem Menschenbild. Letztendlich haben Sie ein statisches Menschenbild. Deshalb können Sie es für richtig halten, dass eine wie immer diagnostizierte Eignung oder Nichteignung den Bildungsgang eines Menschen bereits im Kindesalter festzurrt. Da machen wir nicht mit. Wir haben eine dynamische Sicht des Menschen, sind davon überzeugt, dass sich ein Mensch, solange er lebt, entwickelt,

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das ist wohl eine Selbstverständlichkeit!)

dass sein Entwicklungspotenzial nicht voraussehbar ist. Schon gar nicht im Alter von sechs, sieben oder acht Jahren. Ich finde den Gedanken, Kinder mit sieben, acht Jahren auszusortieren, unerträglich.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Wenn wir es nicht besser wüssten, in Ordnung. Aber wir wissen es besser. Frau Knipper, so wird zurzeit von Ihnen verbreitet, bekenne sich zur Integration.

Ihr Entwurf eines neues Schulgesetzes, das ist hier heute mehrfach gesagt worden, spricht eine andere Sprache. Man kann es gar nicht oft genug sagen, Sie sagen zwar, dass im nächsten Jahr integrative Regelklassen eingerich

(Martin Woestmeyer FDP)

tet werden, aber Sie verschweigen immer wieder, dass diese Klassen nach Änderung des Schulgesetzes verschwunden sein werden.

(Beifall bei Dirk Kienscherf und Ingrid Cords, beide SPD)

Frau Knipper und auch Sie, Herr Senator Lange, winden sich, anstatt sich für Ihr Modell von Schule zu verantworten. Auf Fragen, was nach dem Jahr 2004 geschieht, bleiben Sie einfach stumm. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Mensch in jedem Lebensalter, das gilt auch für Sie alle hier, entwicklungs- und lernfähig ist.

(Michael Neumann SPD: Da gibt es Ausnahmen!)

Deshalb haben wir die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Insofern kann ich Ihnen allen und auch der Behörde nur empfehlen, dass Sie eine Denkpause machen. Eine Denkpause, nicht vom Denken, sondern zum Denken.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Hören Sie auf, den Irrweg der Separation weiterzugehen, kommen Sie endlich in der Gegenwart an. Die Kinder und Eltern der Stadt werden es Ihnen danken.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer möchte den Antrag aus der Drucksache 17/1719 annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Drucksache 17/1721, Tagesordnungspunkt 37, Antrag der Fraktionen der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP: Verbesserung der Flexibilisierung der Schulgebietsgrenzen im Grundschulbereich.

[Antrag der Fraktionen der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP: Verbesserung durch Flexibilisierung der Schulgebietsgrenzen im Grundschulbereich – Drucksache 17/1721 –]

Wer möchte das Wort? – Herr Drews hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir alle haben uns schon häufig mit der Problematik und der Thematik der Flexibilisierung der Bezirksgrenzen im Grundschulbereich befasst. Für die Regierungsfraktionen ist ganz klar: Eine flexiblere Handhabung der Bezirksgrenzen ist für uns gleichbedeutend mit einer Ausweitung der Entscheidungsmöglichkeit der Eltern. Hiermit wird der ohnehin schon stattfindende Quasi-Wettbewerb zwischen den Schulen, der insbesondere bei der Wahl der weiterführenden Schulformen und der Schule nach Klasse 4 stattfindet, in Teilen auch auf die Grundschule übertragen.

Um eines deswegen gleich vorwegzunehmen: Wettbewerb im Bildungssystem zu fördern und für die dringend erforderlichen Qualitätsverbesserungen Impulse zu liefern, das werden Aufgaben sein, die die Regierungskoalition auch für die nächsten Jahre zur Verbesserung unseres Bildungssystems antreiben werden.

Diesen Effekt der Verbesserung haben auch die im Laufe des letzten Jahres veröffentlichten PISA-Untersuchungen und PISA E hervorgerufen. Die breit angelegte Diskussion,

auch in Hamburg, ist eine der Folgen. Unserer Ansicht nach sollten auch Hamburgs Grundschulen im Rahmen ihrer Autonomie die Spielräume nutzen und die Elternwahlmöglichkeit als Chance begreifen, die Bildungsangebote in den Stadtteilen generell zu verbessern.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Allerdings, meine Damen und Herren, muss es für diese Grundschulanmeldungen klare und transparente Regeln geben. Ein Mauscheln nach Belieben im Rahmen einer Behörde ist nicht das, was wir unter bürgernahem, transparentem und klarem Verhalten verstehen. Insofern ist eine vollständige Freigabe der Grundschulanmeldungen aus praktischen Gründen nicht handhabbar, da die Aufnahmekapazität der einzelnen Schulen begrenzt ist.

Im Hamburgischen Schulgesetz ist, daran wird auch die vorgesehene Novelle nichts ändern, im Paragraphen 42 als wichtigstes Kriterium die räumliche Nähe zur Grundschule und somit die Sicherstellung von alterangemessenen Schulwegen benannt. Nach dem Motto: Kurze Beine – kurze Wege. Dieses Kriterium ist von uns natürlich auch im Punkt 1 ausdrücklich benannt und auch belassen worden, daran geht kein Weg vorbei.

Nachfolgend, hier wurde die Reihenfolge des bestehenden Kataloges von uns geändert, soll ein neues zweites Kriterium berücksichtigt werden, insbesondere die Anmeldung von Kindern, deren Geschwister bereits die gleiche Schule besuchen. Mit der von uns vorgeschlagenen stärkeren Berücksichtigung von Geschwisterkindern wird der Tagesablauf in der Familie und auch bei allein erziehenden Elternteilen mit Kindern vereinfacht, da eine Schulwegbegleitung durch die Eltern oder Geschwister wesentlich leichter gestaltet werden kann und ein gemeinsamer Tagesablauf wieder Chancen hat.

(Doris Mandel SPD: Sie haben die soziale Verträg- lichkeit vergessen!)

Gänzlich neu hingegen ist als drittes Kriterium die Berücksichtigung der Anträge auf Aufnahme von Kindern allein erziehender Elternteile. Insofern bewegt sich die Koalition – das ist neu – auf die veränderten Gegebenheiten der allein erziehenden Eltern und Familien zu. Denn gerade in einer Großstadt wie Hamburg, Frau Mandel, haben wir einen hohen und stetig wachsenden Anteil von allein erziehenden Müttern und Vätern.

(Doris Mandel SPD: So ist es!)