Protokoll der Sitzung vom 27.11.2002

Lassen Sie mich kurz einiges für die CDU-Fraktion festhalten.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Sie haben Wahrneh- mungsstörungen!)

Die integrativen Regelklassen leisten sehr gute Arbeit. Sie wollen in der Konsequenz allerdings die Übernahme ins Schulgesetz und da muss man sich fragen, ob die Arbeit so gut und auch finanzierbar ist, um sie auf ganz Hamburg zu übertragen. Auf die inhaltliche Frage komme ich gleich noch, ich möchte nur zwei, drei Sätze zum Verfahren sagen. Es gibt einen Brief der Schulbehörde an alle Grundschulen vom 4. November, in dem drei wesentliche Fakten genannt wurden, die auch für die Lehrer, Kinder und Eltern wichtig sind.

Erstens: Am 1. August 2003 bleiben die Regelklassen bestehen und eine neue erste Klasse kann von diesen Schulen aufgemacht werden.

Zweitens: Im Schulgesetzentwurf sind in Paragraph 12 „Integration“ auch die Sonderschulen aufgenommen worden, weil sie Integration bewirken wollen. Wir werden noch darüber diskutieren, wie dies denn passiert.

Drittens: Eine Behörde, die eine Analyse der inhaltlich gebrachten Leistungen betreibt, ist gut beraten, sich auch Gedanken darüber zu machen, ob das vorliegende Konzept das Nonplusultra ist oder es auch Defizite in diesem Konzept der homogenen Lerngruppen gibt. Diese Grundsatzfrage haben wir in der Aktuellen Stunde schon gehört und über homogene und heterogene Lerngruppen kann man streiten. Insoweit halte ich es für völlig richtig, Überlegungen zu der Frage anzustellen, wie es weitergeht. Und diese Überlegungen, das wurde ganz klar von der Behörde gesagt, sollen dann zusammen mit den Beteiligten in diesem Bildungsprozess in ein Abstimmungsverfahren eingeleitet werden.

Zur Frage der regionalen Förderzentren noch zwei Bemerkungen. Nicht alle Grundschulen haben zurzeit diese integrativen Regelklassen und das ist auch eine Form von Ungerechtigkeit. Wenn Sie diese integrativen Regelklassen ausweiten wollen, dann sagen Sie a) wie es finanziert werden soll und b) ob es inhaltlich denn so richtig ist. Ziel dieser integrativen Regelklassen war es, dass lernschwächere, aber auch lernstärkere Kinder gemeinsam in einem Sozialisationsprozess Lernfortschritte erzielen.

Nächster Punkt war die Frage – da muss man auch heterogene und homogene Lerngruppen vergleichen –, ob dies positive Vorteile für die Leistungsstarken, aber auch für die Leistungsschwächeren hat, ob diese Schere weit auseinander gegangen oder zusammengerückt ist.

Da gibt es den Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung zu diesem Schulversuch der Universität Hamburg, Arbeitsgruppe Integration.

Herr Kienscherf, Sie haben sich hier hingestellt, wenn ich das richtig erinnere, und formuliert: „hat sich bewährt“, „war erfolgreich“. Wenn Sie so einen Versuch auswerten, dann müssen Sie etwas wissenschaftlicher vorgehen und dann kann man die einzelnen Punkte durchaus einmal zitieren. Wie ist es denn im Vergleich mit „normalen Klassen“ gewesen? Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung aus dem Endbericht, Seite 54:

(Michael Neumann SPD: Braucht man nicht, Sie können vorlesen, was Sie wollen!)

„In homogeneren und damit eher in den K-Klassen ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Starken in ihrer Veränderung die Erwartungen übertreffen und die Schwachen für ihre Entwicklung mehr profitieren als in heterogenen Lerngruppen.“

Zweites Zitat auf Seite 75:

„Die Untersuchung der Entwicklung leistungsstarker und leistungsschwacher Kinder hat nun keinesfalls ergeben, dass die leistungsschwachen in heterogenen Gruppen mehr profitieren. Günstigstenfalls scheint die Lernentwicklung Starker und Schwacher in homogenen und heterogenen Gruppen gleich zu sein. Es finden sich jedoch unübersehbare Vorteile für die Entwicklung leistungsschwacher und leistungsstarker Kinder in homogeneren Klassen.“

Das ist dann in der Konsequenz das Ergebnis dieses sehr umfangreichen Berichts. Man muss als Diskussionsbasis nehmen, ob diese über Integration stattfindende Sozia

(Dirk Kienscherf SPD)

lisation richtig ist. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass das, was dort geleistet wurde, hervorragend ist, dass die Sozialisation hervorragend ist. Die Frage ist aber, wie kann ich Kinder individuell und begabtengerecht fördern. Ist dieses System das richtige, ist es das alleinige System oder muss es zum Beispiel ein zweigliedriges System mit einer speziellen Förderung geben und wenn man über Förderzentren nachdenkt, wo können diese gezielt eingesetzt werden?

Zu dieser Schere zitiere ich – Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung – wieder den Endbericht. Da heißt es ganz klar:

„Auch im IR-System ist es trotz der sonderpädagogischen Ressourcen“

die ja vermehrt bereitstehen müssen –

„nicht gelungen, das Auseinanderklaffen der Leistungsschere aufzufangen.“

Dort steht, dass es trotz der Ausstattung mit zusätzlichen sonderpädagogischen Ressourcen nicht gelungen ist, ein Auseinandergehen der Leistungsschere zwischen förderbedürftigen Kindern und ihren Mitschülern zu verhindern, und beim Schulversuch integrative Regelklasse keine präventive Wirkung im Hinblick auf Sonderschulbedürftigkeit nach Klasse 4 festzustellen ist. Wenn das die Aussage des Berichts ist, dann frage ich mich, wie Sie sich hier hinstellen können und einfach behaupten, das wäre gut, das habe sich bewährt und das sei in Ordnung; das stimmt wissenschaftlich so nicht.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Nochmals: Die CDU-Fraktion bewertet diesen Versuch und die dort geleistete Arbeit als interessant und auch gut. Aber Sie wollen eine Schulgesetzausweitung und da komme ich dann zum letzten Zitat. Verzeihen Sie, dass ich viel zitieren muss, aber ab und zu ist es sinnvoll, die wissenschaftlichen Ergebnisse heranzuziehen.

(Michael Neumann SPD: Ab und zu!)

Herr Neumann, im Fazit, das ist besonders wichtig, heißt es auf Seite 83:

„Der Schulversuch ,Integrative Grundschule‘ demonstriert nun, dass diese sozial bedingte Differenz pädagogisch nicht ausgeglichen worden ist. Die optimistische Hoffnung der kompensatorischen Erziehung, die einen pädagogischen Ausgleich gesellschaftlicher Nachteile erwartet, ist damit nicht in Erfüllung gegangen. Aus den Ergebnissen des Schulversuchs muss die wenig erfreuliche Schlussfolgerung gezogen werden, dass die pädagogische Kompensation gesellschaftlicher Benachteiligungen eine schwerlich realisierbare Aufgabe ist.“

Das heißt in der Konsequenz: Es ist völlig richtig, dass die Behörde dieses Ergebnis nimmt, um mit allen Beteiligten darüber zu diskutieren, wie die einzelnen Kinder individuell, leistungs- und begabungsgerecht gefördert werden können. Und es ist keine Verunsicherung der Eltern, sondern eine Stärkung der Eltern, wenn wir uns darüber Gedanken machen.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Reden Sie doch nicht drumherum! Welchen Schluss ziehen Sie?)

Früher haben Sie in Ihrer Politik zuerst Entscheidungen getroffen und sie im Nachhinein legitimiert. Wenn Sie kriti

sieren, dass die Behörde offen mit allen Beteiligten diskutieren will, dann ist das nicht der Sache entsprechend. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat die Abgeordnete Freund.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte bereits in der Aktuellen Stunde angesprochen, dass Sie auch im Bereich der integrativen Regelklassen nicht davor zurückgeschreckt haben, falsche Ängste und Sorgen bei der Bevölkerung auszulösen; Herr Weinberg sagte das eben auch. Fakt ist, dass nicht eine einzige integrative Regelklasse ohne ihre Zustimmung zum 1. August 2003 abgeschafft wird.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das macht es nicht rich- tiger! Das Leben geht weiter!)

Sie haben mal wieder eine Riesenlawine der Unruhe losgetreten, um Ihr Versagen zu vertuschen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP – Zuruf von Dirk Kienscherf SPD)

Diese Klassenform und die angebliche Art der Integration ist vor elf Jahren von Ihnen als Schulversuch gestartet worden.

(Glocke)

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kienscherf?

Nein, im Moment nicht, vielleicht nachher.

Sie hatten zehn Jahre lang Zeit, diese Klassenform und die angebliche Art der Integration, die Sie vor elf Jahren als Schulversuch gestartet haben, verbindlich einzusetzen. Das haben Sie nicht gemacht, wofür ich dankbar bin.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Sie haben zehn Jahre lang diesen Versuch laufen gelassen.

(Ingo Egloff SPD: Das ist erfolgreich gewesen!)

Ist das nicht lange genug, um etwas zu prüfen und wissenschaftlich auszuwerten? Sie haben es nicht gemacht, ich bin dankbar, dann brauchen wir es nicht zu korrigieren.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Wolf-Dieter Scheurell SPD: Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!)

Darauf kommen wir noch.

Sie haben damals ins Blaue hinein einen Versuch gestartet, Kinder mit Sprach-, Lern- und Verhaltensstörungen fördern zu wollen, was an und für sich eine gute Aktion ist. Aber Sie haben viele Dinge völlig außer Acht gelassen und fehlerhaft eingeschätzt.