Protokoll der Sitzung vom 27.11.2002

Sie haben damals ins Blaue hinein einen Versuch gestartet, Kinder mit Sprach-, Lern- und Verhaltensstörungen fördern zu wollen, was an und für sich eine gute Aktion ist. Aber Sie haben viele Dinge völlig außer Acht gelassen und fehlerhaft eingeschätzt.

Zum einen waren Sie unsozial, denn Sie haben in 36 Schulen nach dem Windhundprinzip diesen Versuch gestartet und 62 weitere Bewerber einfach nicht beachtet. Ich finde es eigentlich erstaunlich, dass sich nicht alle 198 übrigen Grundschulen beworben haben, denn keiner musste

(Marcus Weinberg CDU)

nachweisen, dass er überhaupt behinderte Kinder in seiner Schule hatte. Sie haben völlig vernachlässigt, einmal zu überprüfen, wen Sie denn in Ihren Schulversuch hineingenommen haben.

(Holger Kahlbohm SPD: Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!)

Die standen teilweise zehn Jahre auf der Liste und Sie haben sie nicht integriert. Warum haben Sie es nicht gemacht, wo Sie jetzt auf einmal fordern, dass alle Kinder in diese Schulform sollen?

Es wurden völlig unkontrolliert Sonderpädagogenstellen zugewiesen und andere Grundschulen, die diese Kinder auch mitbetreut haben, wurden nicht mit zusätzlichen Stellen bedacht. Der Grundsatz der Chancengleichheit ist damit nicht beachtet worden. Sie haben versäumt, jemals eine sonderpädagogische Diagnostik einzuführen. Was logischerweise eine Grundvoraussetzung gewesen wäre, um die Feststellung zu treffen, wer denn eigentlich gefördert werden müsste und wer nicht. Woher wissen Sie denn, wie viele Kinde...

(Ingo Egloff SPD: Sagen Sie mal, was Sie wollen? – Das hören Sie noch. Ich habe doch noch ein bisschen Zeit, hören Sie einfach mal zu. Woher wissen Sie denn, wie viele Kinder einer Klasse Pro- bleme haben und, vor allem, welche Art von Problemen sie haben, wenn Sie nicht einmal untersuchen, weil Sie diese Etikettierung vermeiden wollen. Sie haben Angst davor gehabt, etwas festzustellen. Deswegen haben Sie das völ- lig ohne irgendwelche Prüfungen laufen lassen. Da liegt der große Fehler. Alle Kinder werden zusammen, zwar in kleineren Gruppen, aber gemeinsam unterrichtet und nicht einzeln gefördert, wie sie es benötigt hätten. Wenn, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, der 1998 vor- gelegte Endbericht zu dem Ergebnis kommt, dass diese Integration erfolgreich gelingt, dann frage ich mich, ob Sie Ihre eigene Antwort auf die Kleine Anfrage vom 1. Novem- ber 2002 nicht gelesen haben. Und ich sage Ihnen noch mal: Lesen bildet und wer nicht liest, wird Sozialdemokrat. (Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive – Michael Neumann SPD: Unverschämtheit, Herr Präsident! – Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist unver- schämt!)

Neben einigen positiven Feststellungen macht dieser Bericht nämlich eine ganze Reihe kritischer Anmerkungen. Herr Weinberg hat bereits daraus zitiert. Ich könnte es Ihnen ja noch einmal vorlesen, das lasse ich aber, dass hatten wir eben und ich hoffe, dass Sie zugehört haben.

(Günter Frank SPD: Was wollen Sie denn jetzt?)

Das Fazit ist, günstigstenfalls scheint die Lernentwicklung Starker und Schwacher in homogenen und heterogenen Gruppen gleich zu sein. Es finden sich jedoch unübersehbare Vorteile für die Entwicklung Leistungsschwacher und Leistungsstarker in homogenen Klassen. Das heißt, es entstehen nicht nur keine Vorteile für Leistungsschwache, sondern es entstehen Nachteile für leistungsstarke Kinder und das kann nicht Ihr Ziel gewesen sein.

(Wolf-Dieter Scheurell SPD: Selektieren nennt man das!)

Es ist doch ziemlich logisch, dass man zunächst einmal die Defizite feststellen muss, diese dann auch erst gezielt fördern kann, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Die Kinder

werden viel besser integriert, wenn Sie von Anfang an gezielt in ihren Sprach-, Lern- oder Verhaltensstörungen gefördert werden und dann schneller die Möglichkeiten erhalten, sich in ganz normale Klassen zu integrieren. So bleiben sie ewig Außenseiter und das Schönste ist, dass in ihren Klassen sie danach dann auch auf die Sonderschulen kommen.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das stimmt nicht!)

Spätestens dann werden sie stigmatisiert. Nun habe ich genug von Ihrer Fehlpolitik erst einmal aufgeführt und begründet, warum wir diese Fehler nicht noch ausdehnen und ins Schulgesetz aufnehmen werden. Ich bitte Sie in diesem Bereich, wie in vielen anderen, um Einsicht und ein Umdenken zuzulassen und uns dabei zu unterstützen, ein gutes Konzept für die regionalen Förderzentren, die angestrebt werden, zu entwickeln. Diese sollen an allen Grundschulen bedürftigen Kindern nach einer sonderpädagogischen Diagnostik helfen, besser gefördert und schneller integriert zu werden.

Diese Förderzentren bedürfen einer sorgfältigen konzeptionellen Planung und da sollten Sie von Ihrem üblichen Weg, vorher immer alles kaputtzureden, abgehen und einfach gute Vorschläge mit vorbereiten.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Bei dieser Planung werden Erkenntnisse und Erfahrungen aus Sonderschulen, integrativen Regelklassen und REBUS einbezogen werden. Das heißt, es wird alles, was bisher an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen vorliegt, eingearbeitet. Die konzeptionelle Erarbeitung hat begonnen und wenn alles ausdiskutiert und überdacht worden ist, erst dann wird entschieden. Deshalb sage ich: Gemach, gemach.

Ich weise Sie noch darauf hin, dass wir die Integrationsklassen als Regelangebot sogar in die Sekundarstufe I ausdehnen werden. Das haben Sie auch nicht getan. Wir werden es tun und deshalb zeigt es, dass wir uns sinnvolle Integrationsmodelle erschließen und diese uns sehr wichtig sind. Wir fördern die Integration. Packen Sie Ihre Giftpfeile ein und beteiligen Sie sich ausnahmsweise einmal konstruktiv.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Bevor ich das Wort der Kollegin Goetsch erteile, möchte ich zwei Dinge klären. Es gehört nicht zum Stil dieses Hauses, eine andere Partei quasi als Analphabeten darzustellen. Wenn der Satz gesagt worden ist: „Lesen bildet – wer nicht liest, wird Sozialdemokrat“, dann finde ich das nicht dem Stil dieses Hauses angemessen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Eine zweite Sache, meine Damen und Herren. Nach dem Auszählen der Stimmen liegen mir jetzt die Wahlergebnisse vor.

Bei der Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Bau und Verkehr sind 108 Stimmen abgegeben worden. 108 Stimmen waren gültig. Frau Brunhild Warnke erhielt 81 Ja-Stimmen, 17 Nein-Stimmen, 10 Enthaltungen. Damit ist Frau Warnke gewählt.

Bei der Wahl eines Mitglieds für die Regionalkonferenz der Gemeinsamen Landesplanung Hamburg, Niedersachsen,

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Schleswig-Holstein sind 108 Stimmen abgegeben worden. Davon waren alle 108 Stimmen gültig. Herr Peter Lorkowski erhielt Ja-Stimmen 68, Nein-Stimmen 27, Enthaltungen 13. Damit ist Herr Lorkowski gewählt.

Bei der Wahl eines ehrenamtlichen Mitglieds für die Kreditkommission sind 109 Stimmen abgegeben worden. Davon war 1 Stimme ungültig, also 108 gültige Stimmen. Herr Jens Kerstan erhielt Ja-Stimmen 73, Nein-Stimmen 27, Enthaltungen 8. Damit ist Herr Kerstan gewählt.

Nun, Frau Goetsch, bekommen Sie das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Müller-Sönksen ist leider nicht mehr da. Ich wollte eigentlich einmal darauf hinweisen, dass es sich um ein sehr sensibles Thema handelt. Wenn Sie ein Kind haben, dass sprachliche Verzögerungen oder Behinderungen hat, wenn Sie ein Kind mit Lernbehinderungen haben, ist das sicherlich schwieriger zu definieren, als wenn Sie ein Kind haben mit Körperbehinderungen. Wenn Sie ein Kind haben, was verhaltensauffällig ist, dann machen sich Eltern schon Sorgen, die ihr Kind in einer integrativen Regelklasse beschulen lassen und dann in der Schulgesetznovelle im September lesen, dass diese integrativen Regelklassen abgeschafft werden sollen.

Einige Zeit später kommt dann der Brief von Frau Knipper, die dann wiederum sagt, es werden Förderzentren eingerichtet, und wie wir gestern am Rande der Anhörung im Schulausschuss hören konnten, hieß es, es wären doch einige Schulen von Frau Knipper informiert worden, es würde alles beim Alten bleiben. Dann ist das natürlich eine berechtigte Angst der Eltern, wenn Sie einmal hü und einmal hott hören. Insofern möchte ich hier nicht von Kampagnen sprechen, sondern das ist schlichtweg die Sorge der Eltern, wie es weitergehen soll mit ihren Kindern.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Frau Freund, ich bin sehr dankbar, dass der Kollege Weinberg hier die Untersuchung herangezogen hat, um das Ganze ein

(Beifall bei Klaus-Peter Hesse CDU)

bisschen sachlicher zu gestalten. Er hat richtig zitiert, wir haben genau über diese Untersuchung eine sehr ausführliche Anhörung im Schulausschuss mit hervorragenden Experten, die auch von außerhalb Hamburgs eingeladen waren, in der letzten Legislatur geführt und genau den Punkt diskutiert, dass sonderpädagogischer Förderbedarf nicht mit der vierten Klasse am Ende ist, sondern dass natürlich diese Kinder weiter gefördert werden müssen.

Es wäre ja zu schön, wenn man innerhalb von vier Jahren alle, ich sage jetzt mal, Behinderungen aufheben könnte. Es geht aber um eine grundsätzliche Philosophie, nicht Ideologie. Will ich Kinder ausgrenzen, will ich sie in extra Förderklassen geben, will ich die Sonderschulen, und zwar die Förderschulen ausdehnen oder will ich sukzessive die Sprachheilschulen, die Förderschulen mit den allgemein bildenden Schulen unter ein Dach bringen, um eben nicht diese Ausgrenzung stattfinden zu lassen. Das heißt ja nicht, dass individuell gefördert wird.

Abgesehen davon, dass Professor Ulf Preuss-Lausitz eine Untersuchung durchgeführt hat, im Anschluss übrigens an die Anhörung. Dabei ging es um einen Vergleich zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Hamburg über die Kostenfrage, weil das immer angeführt wird. Es ist so, dass

die integrierten Regelklassen und die I-Klassen für körperbehinderte Kinder ja sowieso – die bleiben ja bestehen, da ist ja auch die Elternlobby stärker – auf Dauer wesentlich günstiger sind als Sonderschulen. Das noch einmal zum Rahmen. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob Sie gezielt unter einem Dach fördern wollen oder ob Sie gezielt fördern wollen, indem Sie ausgrenzen. Das ist eine Frage, die unterschiedlich beantwortet wird.

Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, warum wir überhaupt integrative Bildungsgänge neben der grundlegenden Philosophie brauchen. Wir haben gerade am Wochenende von der schon zitierten Veranstaltung „Heterogenität macht Schule“ im Rahmen der NovemberAkademie sehr interessante Ableitungen mitgenommen.

An dieser Stelle möchte ich sagen, dass ich dankbar bin, dass der Kollege Woestmeyer wenigstens an solchen Veranstaltungen teilnimmt. Wobei bei der ersten Veranstaltung, wo viele besorgte Eltern waren, leider keiner von der Regierungsfraktion war. Es führt natürlich zu Unmut, wenn so wenig Interesse gezeigt wird, wie Herr Kienscherf sagte.

Interessant war, dass auf dieser Veranstaltung Sonderpädagogen waren. Es war keine Lobbyveranstaltung nur von Vertretern integrativer Systeme, sondern es waren eben alle möglichen Experten da, die aus verschiedener Sicht kommentierten.

Wir haben in Hamburg sowieso Heterogenität per se. Wir haben soziale Heterogenität. Jedes vierte Kind in Hamburg lebt in Armut, jedes sechste Kind an der Armutsgrenze. Wir haben interkulturelle Heterogenität und es wäre jegliche künstliche Selektion falsch. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, die Rezeption aus den PISA-Studien, die Rezeption aus der neuen UNICEF-Studie, die gerade veröffentlicht wurde, sagen eindeutig, fördern vor Ort habe höchste Priorität.

Wir haben das gestern noch einmal sehr anschaulich und deutlich von der Expertin aus Finnland gehört, wo es keine Selektion gibt. Das machen uns die anderen PISA-Sieger ebenfalls vor. Das heißt, gezielt mit Außendifferenzierung unter einem Dach den speziellen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden und nicht homogenisiert auf Teufel komm raus.

Wir haben hier in Hamburg aufgrund der Heterogenität in dieser Stadt wirklich große Herausforderungen. Das heißt eben, wir müssen die Förderung unter einem Dach forcieren.

Frau Freund, Sie sagen: Sie haben das nicht gemacht, die vielen Jahre. Ich kann für mich nur von vier Jahren sprechen. Aber wichtig auch in einem Schulgesetz ist eine grundsätzliche Einstellung. Aus finanziellen Gründen ist nie immer alles in einem Stück zu machen. Es geht doch darum, wohin die Reise gehen soll. Wo ist Ihre Vision, welche Philosophie hat dieses Schulgesetz? Wenn Sie da deutlich machen, dass jegliche Integration rausfällt,

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Das stimmt doch gar nicht, wir wollen sie verbes- sern!)

dann ist das eine andere Philosophie, die wir als GAL nicht teilen, eine Philosophie, die gegen die Kinder geht, die für Ausgrenzung spricht. Wir sollten alles tun, diese Untersuchung als Basis zu nehmen, um weiterzuentwickeln, das war nämlich die Empfehlung.

Übrigens ist diese Untersuchung auch gemacht worden, weil der Rechnungshof sie in Auftrag gegeben hat. Inter