Protokoll der Sitzung vom 05.02.2003

Wir meinen, dass hier konsequentes Handeln, das wir auch unterstützen, in Brutalität umkippt.

Es gibt im Eingabenbericht eine zweite kontroverse Behandlung von Eingaben, die ich Ihrer Beachtung empfehle. Es geht um drei Geschwister, sechs, neun, elf Jahre alt. Die Mutter ist verschwunden, die Kinder sind hier alleine.

(Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Warum bloß?)

Warum die Mutter verschwunden ist, mögen sich die Kinder sicher auch fragen. Das hilft doch nichts bei der Beurteilung des Schicksals dieser Kinder.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Leif Schrader FDP: Was ist mit dem Datenschutz?)

Zum Datenschutz kann ich Folgendes sagen: Auf der Besuchertribüne sitzen die Vormünder und die haben mich bevollmächtigt, das hier zu sagen. Sie hören genau zu, was Sie nachher zu diesem Fall sagen werden.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Was für eine Drohung!)

Dass man genau zuhört, ist doch keine Drohung. Das erwarte ich.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Diese drei Kinder leben hier alleine und werden ständig von Abschiebung bedroht. Erst hieß es: am Freitag, dann hieß es: heute Morgen 8 Uhr, gestern hieß es: am 28. Februar. Das ist ein Unding im Umgang mit so kleinen Kindern.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die meiste Zeit haben sie hier Amtsvormünder gehabt. Sie sind übrigens alle drei in Deutschland geboren. Jetzt hat sich verdienstvollerweise ein Ehepaar aus Schnelsen darum bemüht, die Vormundschaft zu bekommen, und hat sie am 22. Januar endlich vom zuständigen Gericht übertragen bekommen.

(Leif Schrader FDP: Sagen Sie das dem Innenmi- nister!)

Es bestand Einigkeit vor Gericht, dass diese Eltern für eine harmonische Rückführung in den Heimatstaat, den die Kinder übrigens gar nicht kennen, mit eintreten werden. Ich lese Ihnen den Beschluss des Gerichts vor:

„Das Gericht ist mit den übrigen Beteiligten der Ansicht, dass das Ziel der Vormundschaft die Zusammenführung der Familie, also die Rückkehr der Kinder zumindest zu einem sorgeberechtigten Elternteil sein muss. Auch am Termin vom 22. Januar konnten schriftlich überzeugende Angaben des Kindesvaters oder der jugoslawischen und deutschen Behörden nicht vorgelegt werden. Die Kinder würden in ein ungewisses Schicksal abgeschoben werden.“

Ich lese Ihnen das Gerichtsurteil vor:

„Insgesamt ist also weiterhin unklar, in welche Situation die Kinder demnächst abgeschoben werden sollen.“

(Elke Thomas CDU: Das stimmt alles gar nicht!)

Daher hat die SPD-Fraktion im Eingabenausschuss beantragt, diese Kinder zumindest bis zum Ende des Schuljahres hier zu dulden. Das wäre jetzt, nachdem das sowieso wieder verschoben wurde, eine Frist von sage und schreibe nur vier Monaten. In dieser Zeit könnten sich die frisch gebackenen Vormünder, die schon lange ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern haben, darum kümmern, was in Jugoslawien aus ihnen wird,

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Ja, ja, ja!)

und sie auf die Ausreise vorbereiten. Wir können ein sechsjähriges Kind mit seinen etwas älteren Geschwistern doch nicht so beurteilen wie erwachsene Leute, die genau wissen, was sie machen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Hier hätte der Eingabenausschuss helfen können, aber leider hat er es nicht. Zurzeit der rotgrünen Koalition war es selbstverständlich, die besonderen Belange von Kindern zu berücksichtigen. Wir bedauern es außerordentlich, dass das in diesem Fall überhaupt nicht geschehen ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat der Abgeordnete Ploog.

(Elke Thomas CDU: So, nun sage mal das, was stimmt!)

(Rolf Polle SPD)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wer von Staats wegen autorisiert ist, über andere Menschen bestimmen zu müssen oder zu dürfen, der muss diese Gewalt immer verträglich gestalten, er muss sich an den Grundsätzen der Menschlichkeit orientieren. Ich hoffe und ich glaube, dass dies in diesem Hause Konsens ist. Das als Vorbemerkung.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich glaube, wir streiten uns hier in der Sache um etwas, was nicht immer angenehm ist, sich aber manchmal leider nicht vermeiden lässt.

Ich möchte zunächst auf das eingehen, was Herr Polle gesagt hat. Herr Polle, Sie haben leider überwiegend nicht zur Sache gesprochen, wenngleich Sie, meine Damen und Herren, natürlich einen Einzelfall aus der letzten Zeit herausgegriffen haben, der auch mich anrührt. Das ist doch gar nicht die Frage. Ich glaube, dass es weder in diesem Hause noch in der Innenbehörde, noch im Einwohner-Zentralamt jemanden gibt, der dieses „Geschäft“, Kinder oder Erwachsene dorthin abzuschieben, wo sie vielleicht gar nicht hin wollen, gerne macht. Ich glaube nicht, dass jemand dabei Lust empfindet. Das ist so außerordentlich schwierig, deswegen müssen wir uns diesem Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit widmen. Ich habe allerdings nicht den Zweifel gehabt, dass Sie das nicht wollten. Aber dieser Fall, den Sie vorgetragen haben, rührt mich auch an – Sie haben mich ja vorhin angesprochen –

(Elke Thomas CDU: Eben! und Beifall)

und wir müssen ihn noch aufklären. Im Moment kann ich mich nicht weiter darauf einlassen, weil ich die Umstände nicht kenne.

Sehr geehrte Frau Möller! Nichtöffentlich haben wir es deshalb gemacht, weil die Angelegenheit nach dem Verständnis der Koalitionäre nur am konkreten Einzelfall diskutiert werden konnte.

(Elke Thomas CDU: Sonst hätten wir das gar nicht gemacht! und Beifall)

Die Umstände dieses Falles führten zu diesen außergewöhnlichen Maßnahmen. Die Handlungsweisen sind auch beanstandet worden. Das Thema rein theoretisch zu diskutieren, kann eine ganze Menge Vergnügen machen – da gebe ich Ihnen Recht –, das führt aber nicht weiter, weil es überwiegend an der Realität vorbei geht. Ich will das gar nicht verharmlosen, aber man kann es auf eine ganz einfache Formel bringen: Wenn Menschen sich hier nicht länger aufhalten dürfen und ausreisen müssen – das stand außerhalb eines vernünftigen Zweifels – und sie tun es nicht, der Staat aber sagt, er müsse diesen Anspruch, den er an diese Menschen hat, durchsetzen, dann muss er auch einen Weg finden, dass er am Ende Erfolg hat. Was nützt Ihnen ein Staat, der Vollstreckungsversuche unternimmt und sich hinterher wie ein zahnloser Tiger gebärdet.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wenn der Staat das Recht nicht durchsetzen kann, bringt es uns alle nicht weiter. Das ist in der Tat schwierig. Es ist auch schwierig, kleine Kinder zur Nachtzeit zu wecken. Ich will mich gar nicht auf platte Vergleiche einlassen. Aber Sie müssen konkret sehen, warum das zur Nachtzeit gemacht werden musste. Es war ein Flugzeug gechartert worden, und zwar nicht nur für diese Familie, sondern auch für weitere Personen. Sie mussten noch nach Berlin reisen, wo

das Flugzeug um 9 Uhr abfliegen sollte. Es war vernünftig, zu dieser frühen Uhrzeit eine Maschine zu buchen, denn was nützt es diesen Menschen, wenn sie erst zur Nachtzeit in der Heimat ankommen. Da ist es sinnvoll, eine Nacht dranzugeben und mit einer frühen Maschine nach Hause zu fliegen, damit man sich, in der Heimat angekommen, noch um etwas kümmern kann. Das war eine vernünftige Begründung der Innenbehörde. Im Übrigen kam die Abreise nicht unerwartet, sie wussten seit langem, dass sie ausreisen mussten.

(Manfred Maaß GAL: Sehr fürsorglich! – Antje Möl- ler GAL: Scheinheilig!)

Natürlich ist es fürsorglich, aber Sie können doch nicht immer alles unter einen Hut bringen. Wie wollen Sie das denn machen?

Es ist ein schöner Wunsch, künftig frühzeitige behördliche Begleitungen zum Flughafen zwecks Abschiebung von Familien mit Kindern nicht mehr zur Nachtzeit beginnen zu lassen. Dem kann sich sicher jeder anschließen. Aber wenn es nicht möglich ist, muss es auch zu einer anderen Zeit gehen. Ein bisschen realistisch müssen wir auch sein.

Ich habe aus den Diskussionen mit der Innenbehörde, mit dem Einwohner-Zentralamt entnommen, dass es sich um absolute Ausnahmefälle handelt. In diesen Fällen ist es wegen der verschiedenen Umstände gar nicht möglich, anders zu handeln. Deswegen muss es natürlich in der Zukunft möglich sein – es ist rechtlich auch gar nicht verboten –, in Ausnahmefällen so zu verfahren.

Dass das Ganze natürlich von Begleitumständen gekennzeichnet ist, die niemandem gefallen können, wissen wir auch. Aber wenn jemand nicht freiwillig ausreist, muss ein bisschen nachgeholfen werden.

(Barbara Duden SPD: Bei Kindern?)

Dies darf natürlich nicht in einer Gewaltaktion passieren, aber es muss den Menschen deutlich gemacht werden, ihr müsst jetzt packen,

(Antje Möller GAL: Aber sie haben doch morgens eine vierwöchige Verlängerung bekommen!)

ihr habt oft genug die Aufforderung erhalten, ihr tut das nicht, dann machen wir das jetzt. Wenn es anders nicht geht, muss es eben auch morgens um drei gehen. Das hat das Einwohner-Zentralamt – jedenfalls für mich nachvollziehbar – so dargelegt.

Meine Fraktion und die beiden anderen Koalitionsfraktionen sind der festen Überzeugung, dass es auch im Einwohner-Zentralamt und bei sonstigen mit Polizeivollzugsaufgaben betrauten Bediensteten der Freien und Hansestadt Hamburg niemanden gibt, dem es Spaß macht, Menschen nachts zu wecken und in die Kälte hinauszuschicken.

(Antje Möller GAL: Das ist nicht die Frage! Das ist eine politische Entscheidung!)

Natürlich ist das die Frage.