Protokoll der Sitzung vom 06.02.2003

Das Wort hat die Abgeordnete Spethmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kerlin, wenn man Ihnen hier zugehört hat, müssten wir eigentlich alle Gerichte zentralisieren. Dann könnten wir jedes Stadtteilgericht abschaffen und genau das wollen wir nicht.

Justiz 2000 hat gerade auch festgestellt, es müssen kleine Einheiten geschaffen werden. Wir brauchen keine großen Einheiten und insoweit wollen wir dieses Projekt so fortsetzen.

Aufgrund einer Senatsverordnung gibt es bereits seit einigen Jahren – nach Paragraph 33 Absatz 3 JGG – ein Bezirksjugendgericht. Wie Sie bereits gesagt haben, hat es auch seit den Achtzigerjahren regionale Zuständigkeiten. Insoweit gab es schon vor 20 Jahren das Argument, eine bessere Orts- und Milieukenntnis ist entscheidend für einen Jugendrichter.

Wir wollen diese Regionalisierung nun endgültig fortsetzen und die Jugendrichter auch wirklich vor Ort setzen, damit sie dort die besseren Kenntnisse haben.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Zurzeit ist es so, dass alle Jugendrichter bisher zusammen im Amtsgericht Mitte gesessen und auch dort verhandelt haben. Der Bürgersenat hat nun konsequenterweise die Regionalisierung vollzogen. Die Ortsnähe des Gerichtes sieht so aus: Der Täter, die Zeugen und Rechtsanwälte kommen zum Beispiel aus Bergedorf. Es treffen sich alle Beteiligten vor Ort. Es kann durchaus einmal der Fall sein, dass Zeugen von einem anderen Ort kommen, aber das wäre ja der gleiche Fall wie beim Amtsgericht HamburgMitte. Viel wichtiger ist, die Ortskenntnisse sind größer, die Identifikation der Bürger und der Mitarbeiter des Gerichtes ist größer. Ich kann mir auch vorstellen, dass es konzentrierte Zuständigkeiten geben wird, zum Beispiel wenn ein

Richter zum Teil Jugendgerichtsangelegenheiten macht, aber auch Familien- und Vormundschaftssachen macht. Vieles greift häufig ineinander über.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Amtsgericht Barmbek hat bereits begonnen, Jugendstrafsachen zu entscheiden. Es gibt eine erste positive Resonanz von den Jugendrichtern, insbesondere die Angeklagten erscheinen häufiger als vorher, das ist schon einmal sehr beachtenswert. St. Georg ist diese Woche angelaufen und die übrigen Gerichte werden nach und nach folgen.

Ich denke, wir haben es im Rechtsausschuss auch ganz klar gesagt, sollten sich wider Erwarten große Schwierigkeiten zeigen, die finanzielle Auswirkungen haben, wären wir mit dem Klammerbeutel gepudert, das weiter vorzuziehen. Wir sehen es pragmatisch, wir sehen es nicht ideologisch und wir werden es weiter umsetzen, soweit es unter Kostengesichtspunkten machbar ist.

Das Argument, dass die Jugendstaatsanwälte reisen müssen: Frau Kerlin, Sie sind selber Juristin, Sie wissen ganz genau, auch normale Staatsanwälte in Erwachsenenangelegenheiten müssen reisen und es spricht nichts dagegen, dass ein Staatsanwalt, der in Harburg eine Sitzungsvertretung macht, auch zwei, drei Jugendsachen mitmachen kann. Ich traue es auch jedem Volljuristen im Staatsanwaltsdienst zu, dies zu tun.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Wir sehen diesem Projekt mit großer Freude entgegen, unterstützen dieses und werden es weiterführen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat der Abgeordnete Maaß.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Gonska, diese Debatte muss nun wirklich kein Anlass für ideologische Grabenkämpfe sein, so wie Sie versucht haben, ihn hier vom Zaun zu brechen. Notwendig ist eine Abwägung der Vor- und Nachteile der Dezentralisierung des jetzigen Bezirksjugendgerichts auf die Außengerichte. Das Bezirksjugendgericht hat eine relativ lange Tradition, seit 70 Jahren. Es handelt sich hierbei ja auch nicht um eine Hamburgensie, sondern um eine Organisationsstruktur, wie sie auch die allermeisten Großstädte gewählt haben. Wenn man sich die Veranstaltung im Amtsgericht Hamburg-Mitte letzte Woche angeschaut hat und gesehen hat, wie nicht nur eben die paar betroffenen Jugendrichter, sondern auch die gesamte Staats- und Rechtsanwaltschaft, 200 Juristen, die dort versammelt waren, sich alle aus sachlichen Gründen gegen die Dezentralisierung ausgesprochen haben, dann braucht man gute Gründe, um seine Entscheidung für die Dezentralisierung zu begründen. Der Senator hat sich da übrigens nicht hingetraut. Das spricht natürlich Bände, wenn jemand keine Argumente hat, dann geht er auch nicht zu solchen Veranstaltungen.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Die Gründe, die für die Dezentralisierung angeführt werden, sind genannt worden.

Erstens: Die Richter müssen vor Ort sein, dann kennen sie ihre Pappenheimer. Der Grundgedanke ist ja auch durchaus richtig. Aber auch heute ist bereits jeder Richter für einen bestimmten Ortsteil zuständig, sodass tatsächlich jeder Richter seine immer wiederkehrenden Dauerkunden kennt. Der kennt seine Pappenheimer und er hat auch den Kontakt zur Jugendgerichtshilfe, sodass absolut gewährleistet ist, dass die Ortskenntnisse der Richter hinreichend sind.

Das zweite genannte Argument ist die Bürgernähe. Richtig an diesem Argument der Bürgernähe ist ja, dass Riesengerichte für alle Prozessbeteiligten nicht besonders attraktiv sind. Deswegen bin ich auch grundsätzlich der Auffassung, dass eine Dezentralisierung der Gerichte immer dann positiv zu bewerten ist, wenn dies keine unzumutbaren Kosten verursacht und wenn die räumliche Nähe zu den „Kunden“ des Gerichts wichtig ist.

Dies trifft insbesondere auf die Zivilgerichtsbarkeit zu und insbesondere auf die Familiengerichtsbarkeit. Aber die Familiengerichtsbarkeit wird ja interessanterweise gerade nicht dezentralisiert. Obwohl dort nun eben immer eine gewisse Ortsnähe wichtig ist, weil es sich immer nur um die „Kunden“ handelt, die auch vor Ort wohnen.

Was ich hingegen nicht einsehe, ist, warum wir eine Dezentralisierung in der Jugendgerichtsbarkeit haben sollen, die sich ausschließlich an den Belangen des Täters orientiert. Ich sehe nicht ein, warum wir erhebliche Kosten investieren sollen, damit die Gerichte näher am Wohnort allein des Täters sind. Ich finde es weitaus sinnvoller, wenn wir auf die Belange des Opfers eingehen würden.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)

Herr Nockemann, Sie krakeelen immer mit einer solchen Zuverlässigkeit hier herum, ich werde Sie in drei Jahren, wenn Sie sonst wo sind, aber nicht mehr hier, fast vermissen, so zuverlässig krakeelen Sie hier herum. Jetzt halten Sie gefälligst mal den Mund.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Es fehlt Ihnen die menschliche Reife!)

Herr Nockemann, Sie können ja auch gleich noch einmal reden, wenn Sie mögen.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Junger Schnösel! – Glocke)

Herr Nockemann, ich muss Sie mit einem Ordnungsruf belegen.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Das war die angemessene Reaktion auf Herrn Maaß!)

Jetzt diskutiert er mit dem Präsidium, ich fände es besser, wenn Sie einmal in der Sache argumentieren würden, anstatt sich hier so aufzuregen.

Es wäre besser, wenn wir uns an den Belangen des Opfers orientieren würden. Das Opfer hat nämlich das Interesse an einem gut erreichbaren Gericht. Es ist nicht einzusehen, warum dieser Senat es für zumutbar hält, dass das Opfer, was zum Beispiel in Poppenbüttel wohnt, nach Harburg reist, nur weil der Täter in Harburg wohnt. Ich glaube, es ist sinnvoller, dass das Opfer zu dem Gericht reist, was gut erreichbar ist.

(Viviane Spethmann CDU)

(Beifall bei der GAL)

Sie reden von Bürgernähe und meinen Täternähe. Sie reden hier von Täternähe, nicht von Bürgernähe.

(Beifall bei der GAL)

Kommen wir jetzt zu dem, was wir verlieren, wenn wir die Jugendgerichte dezentralisieren. Kommen wir zu den Vorteilen einer Zentralisierung: die schnelle Bearbeitung. Wichtiger für die erzieherische Wirkung der jugendgerichtlichen Sanktionen ist nicht die Härte der Sanktionen, sondern die Schnelligkeit, mit denen Jugendlichen Grenzen gesetzt und mit denen ihnen auch Hilfe gegeben wird.

Eine schnelle Bearbeitung kann aus folgenden Gründen durch eine zentrale Bearbeitung des Jugendgerichtes besser gewährleistet werden.

Es ist eine gebündelte Bearbeitung von mehreren Tätern möglich. Die Effizienz des Bezirksjugendgerichts – Herr Gonska, lesen Sie sich die Zahlen einmal durch, denn es werden ganz erhebliche Verfahrensverkürzungen erreicht – liegt gerade darin, dass mehrere Verfahren...

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich kann im Moment keine Zwischenfrage zulassen, Frau Spethmann.

... von Mehrfachtätern entsprechend Paragraph 81 JGG schnell zu einem Verfahren gebündelt und verhandelt werden. Das ist bei 800 Verfahren – in 1999 hat es eine stichprobenartige Untersuchung gegeben – so geschehen. Die damit verbundenen Einsparungen liegen auf der Hand. Was heute von Schreibtisch zu Schreibtisch innerhalb derselben Etage geht, das wird zukünftig durch die ganze Stadt geschickt werden: Akten zur Poststelle, Akten sortieren, Aktentransport, Akten wieder sortieren. Das kann mehrere Tage dauern, bis die Akten tatsächlich am zuständigen Gericht sind. Damit wird bewirkt, dass die Verfahren nicht verkürzt, sondern in die Länge gezogen werden. Dafür wird die Dezentralisierung und insbesondere Senator Kusch verantwortlich sein, dass es zukünftig keine schnelle Reaktion auf Straftaten – insbesondere von Mehrfachtätern – geben wird.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es wird eine weitere wichtige Funktion der Justiz gefährdet, nämlich die Wahrung – Sie können gleich wieder krakeelen, Herr Nockemann – der Sicherheit der Bevölkerung.

(Dirk Nockemann Partei Rechtsstaatlicher Offen- sive: Ihre Nerven liegen blank, Herr Maaß!)

Die Richter werden nämlich tatsächlich und rechtlich in die Lage versetzt, gegebenenfalls erhebliche Grundrechtseingriffe gegenüber den Verdächtigen vorzunehmen. Solche Grundrechtseingriffe können eben nur auf einer sicheren Fakten- und Tatsachenlage erfolgen. Genau das wird den Jugendrichtern in den Außenbezirken erschwert.

Ich möchte Ihnen das am Beispiel des Haftbefehls verdeutlichen. Um einen Haftbefehl zu erwirken, muss die Polizei den verdächtigen Jugendlichen zum Jugendgericht bringen. Die entscheidende Richterin oder der entscheidende Richter muss sich dann ein Bild von der vorgeführten Person machen.

(Vizepräsident Farid Müller übernimmt den Vorsitz.)