Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003

Zum anderen verwenden Sie jetzt das Wort „Lifescience“. Erstaunlicherweise sind Sie inhaltlich darauf auch nicht weiter eingegangen; darüber war ich ein bisschen verwirrt. Lifescience ist selbst keine Branche, sondern das ist Biotechnologie, die in unterschiedlichen Industriezweigen Anwendung findet, und zwar im Gesundheitsbereich, in der Landwirtschaft, bei der Herstellung von Feinchemikalien und Grundstoffen im Umweltschutz und auch in Teilen der Natur und der Nahrungsmittelindustrie.

In allen diesen Bereichen wird Hamburg mit Sicherheit nicht das herausragende Zentrum werden, sondern nur in einigen wenigen. Es stellt sich die Frage, welche das sein könnten. Dazu hätte eine Kleine Anfrage genügt. Aber wenn Sie einen Bericht des Senats fordern und darüber einmal debattieren wollen, dann tun wir das natürlich gern.

(Dietrich Wersich CDU: Das ist Ihre einzige Chance, bei dem Thema mitzureden!)

Mir ist bei dieser Debatte allerdings noch Folgendes wichtig: Bei der Biotechnologie haben sich in den letzten Jahren große gesellschaftliche Debatten ergeben. Einzig der

Bereich der Entwicklung von Diagnostika und Arzneimittel ist kommerziell erfolgreich. Darüber wurde gerade in den letzten Jahren auf Bundesebene heftig debattiert. Hier möchte ich nur die Debatten über die Stammzellenforschung und die Reproduktionsmedizin erwähnen. Festzustellen ist, dass es sich um eine Technologie handelt, die nicht nur einfach nach Wirtschaftsförderkriterien beurteilt werden kann, sondern hier werden auch ethische und moralische Fragen aufgeworfen.

Mit der CDU hatten wir auf Bundesebene teilweise fast noch mehr Anknüpfungspunkte als mit Teilen der Sozialdemokratie. Es ist mir wichtig, dass wir diese Frage nicht nur allein als wirtschaftspolitisches Thema begreifen, sondern auch darüber reden, ob wir die Gentechnik bei Nahrungsmitteln brauchen, um damit den Hunger in der Welt zu bekämpfen, wenn sie so teuer ist, dass sich noch nicht einmal die Industrienationen diese leisten können.

Wir müssen noch viele Debatten darüber führen. Ich habe gehört, dass Sie dieses Thema an den Wirtschaftsausschuss überweisen wollen. Das begrüße ich sehr, weil wir noch sehr viel konkreter werden müssen, damit aus diesem Projekt ein Erfolg für Hamburg generiert wird und es auch gesellschaftlich vertretbar ist. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort hat Frau Pauly.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Um über clusterorientierte Wirtschaftspolitik zu sprechen, müssen wir die Cluster erst einmal kennen.

Herr Kerstan, Sie haben gesagt, dass der letzte Bericht vier Jahre alt sei. So können wir mit Fug und Recht sagen – zumal wir wissen, dass der Senat in diesem Feld seine Arbeit schon begonnen hat –, dass der Senat uns darüber berichten soll. Ich bin der Meinung, dass das Parlament dies auch tun sollte. Wir sollten uns in diese Arbeit mit einmischen, mitwirken und dem Senat nicht das Feld allein überlassen.

Mit dem „Lifescience“ ist das so eine Sache. Herr Kerstan, Sie haben dafür eine Definition geliefert, über die ich dankbar bin, weil niemand weiß, was dieses Wort eigentlich bedeutet. Mein Eindruck ist, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Hier müssen wir anfangen und sagen, was wir eigentlich mit „Lifescience“ meinen.

Das, was vor Ihnen hier zum Thema diskutiert wurde, ist meines Erachtens zu eng, weil es nur noch um Medizintechnik ging. Ich glaube, das kann es nicht sein. Der Begriff ist sicherlich weiter zu fassen. Das wäre zunächst die Voraussetzung, um darüber vernünftig beraten zu können.

Es ist gut, dass die Metropolregion in diesem Bereich schon stark ist und dass seit Jahren an diesem Thema gearbeitet wird. Wir alle befinden uns in einer Kette von Entscheidungen und Arbeitsprozessen. Nach uns kommen andere Senate, die auch daran arbeiten und auf unserer Arbeit aufbauen werden. Es werden keine roten Senate, sondern sie werden von der gleichen Farbe, aber andere Personen sein als heute.

Diese Diskussion ist in meinen Augen aus folgenden Gründen wichtig: In der Region sind wir im Bereich Lifescience stark. Das wissen diejenigen, die mit dem Thema beruflich zu tun haben, und einige Politiker, die sich in dieser Stadt mit Wirtschaftspolitik befassen. Das ist es aber schon. Mein Eindruck ist, dass die breite Öffentlichkeit überhaupt

(Jens Kerstan GAL)

nicht weiß, was da läuft. Von daher ist eine solche Diskussion im Parlament gut, weil man das Thema dann auch in die Bevölkerung trägt, um zu zeigen, dass wir hier Stärken haben, die man vielleicht noch ausbauen kann.

Dazu gehört auch, dass man wissen muss, wer sich in diesem Bereich tummelt und welche Unternehmen, wissenschaftlichen Einrichtungen, Bildungsinstitute – das Thema Bildung spielt in meinen Augen in diesem Zusammenhang eine große Rolle – sich damit beschäftigen. Welche Verbände gehören dazu? Wissen die einzelnen Institutionen voneinander? Gibt es dieses Netzwerk, das wir immer reklamieren? Gibt es Wissenstransfer? Wie funktioniert das? Gibt es zwischen den Unternehmen und den Forschungseinrichtungen organisierte Kontakte?

Ich komme auf das Thema Bildung. Finden die Beteiligten eigentlich genügend qualifizierte Arbeitnehmer auf dem Hamburger Arbeitsmarkt für ihre Forschungseinrichtungen oder ihre Unternehmen oder müssen wir noch einen Bildungsnotstand aufarbeiten?

Das muss man sich alles vor Augen führen. Dazu wollen wir einen Bericht des Senats haben; das ist für ein Parlament legitim. Es sind viele Fragen, die meines Erachtens vorab beantwortet werden müssen, bevor wir uns inhaltlich damit befassen.

Die Anträge sollen an den Wirtschaftsausschuss überwiesen werden. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich ein wenig gepennt habe, als dieses in den Fraktionen beschlossen wurde. Ich hätte mir eher gewünscht, die Anträge schnell an den Senat zu schicken; dann hätten wir umso intensiver im Ausschuss über das Ergebnis beraten können. Das hätte mir besser gefallen. Aber nun ist es anders gekommen, dann machen wir es auch so. Wir sollten im Ausschuss zügig beraten, damit wir vom Senat eine schnelle Antwort bekommen.

Ich könnte mir auch vorstellen – Herr Egloff, jetzt spreche ich den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses an –, dass wir uns einmal in anderen Regionen umschauen. Die Oberrheinregion soll angeblich vorbildlich oder München besser sein als Hamburg. Ich kann dazu nichts sagen, weil ich es nicht beurteilen kann. Aber vielleicht können wir uns einmal woanders anschauen, was dort gemacht wird.

Vor allen Dingen sollte der Ausschuss mit den Menschen, den Unternehmen, den Forschungseinrichtungen vor Ort sprechen. Vielleicht können wir diese auch einmal zu einem Gespräch einladen. Das sollten wir aber erst tun, wenn wir das Ergebnis des Senats haben.

Dieses alles haben sich die Fraktionen gewünscht und deshalb haben wir den Antrag gestellt. Nicht alle Anträge kann man zu Beginn einer Legislaturperiode stellen. Da der Senat schon an dem Thema arbeitet, ist es immer noch nicht zu spät. Deshalb sind wir jetzt gut daran beteiligt.

Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. Clusterorientierte Wirtschaftspolitik ist einerseits gut, wir müssen aber ihre Effizienz und unsere Stärken noch weiter ausbauen. Ich sehe in diesem Zusammenhang aber auch bestimmte Gefahren, derer wir uns bewusst werden müssen. Sie bestehen darin, dass wir mit einer solchen Politik leicht geneigt sind, unsere ganze Kraft nur auf bestimmte Felder zu lenken und dabei anderes zu vergessen. Für eine Weltstadt wie Hamburg ist es wichtig, dass in dieser Stadt eine sehr vielfältige Wirtschaftsstruktur vorhanden ist, damit wir nicht für bestimmte Wirtschafts- und Branchenkrisen anfällig werden.

Es gibt für Glanz und Elend eines Wirtschaftsclusters ein Paradebeispiel wie Silicon Valley. In Zeiten, in denen es gut läuft, bedeutet das eine enorme Schubkraft für die Region, aber wenn eine Krise eintritt, passiert genau das Gegenteil. Wir haben in Hamburg auch unsere Erfahrungen damit, wie es schief laufen kann. Stichwort: New Economy, Lieblingskind des Vorgängersenats. Daran kranken wir heute noch, weil wir als Folge der Überorientierung in diesem Bereich mit einem überproportional hohen Anstieg an Arbeitslosen

(Ingo Egloff SPD: Das behaupten Sie, aber das stimmt doch gar nicht!)

zu kämpfen haben. Wir müssen deshalb aufpassen. Trotzdem ist eine solche Politik richtig, aber man muss das andere im Hinterkopf behalten, also das Neue aufgreifen, ohne das Alte zu vernachlässigen. Das ist mein Anliegen.

In diesem Zusammenhang habe ich noch ein Anliegen, und zwar die Industrie. Wir brauchen in Hamburg auch eine starke Industrie. Mit Airbus haben wir eine große Neuansiedlung, aber die Luftfahrt ist nur ein Bereich. Die Industrieansiedlung ist in den vergangenen Jahrzehnten in Hamburg meines Erachtens sträflich vernachlässigt worden.

Da müssen wir wieder ran. Wir brauchen mehr Industrie, insbesondere auch wenn wir an den Mittelstand denken, der sich im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen tummelt. Auch die brauchen große und starke Industrieunternehmen, damit sie eine Lebensbasis haben. Dieses wäre mein Anliegen im Zusammenhang mit Lifescience. Trotzdem sind wir uns, glaube ich, auch alle einig, dass wir da auf einem guten Weg sind. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schinnenburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass ich direkt nach meiner Fraktionskollegin spreche, aber wenn die CDU und die SPD nichts zu sagen haben, muss ich leider doch noch ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Es ist überhaupt keine Frage, dass der Ausbau der Medizintechnologie sehr sinnvoll ist. Es ist auch sehr sinnvoll, dass sich Hamburg darum bemüht und einen Cluster Medizintechnologie aufbaut. Das unterstütze ich hundertprozentig, besonders wenn man daran denkt, dass oft die Industrie oder die Technologie kritisiert wird. Dies ist nun wirklich eine Technik, die den Menschen unmittelbar zugute kommt, und es ist sinnvoll, dass wir uns da engagieren.

Aber aus meiner Sicht droht ein bisschen das, ich nenne es einmal Transrapid-Syndrom. Wir werden hier mit einem Cluster Medizintechnologie moderne Technologie mit großem Aufwand aufbauen und wir müssen Sorge haben, dass diese Technologie nachher in Deutschland überhaupt angemessen genutzt werden kann. Warum ist das so? Das liegt daran, dass wir im Gesundheitswesen eine Planwirtschaft haben und eine strikte Budgetierung. Regelmäßig habe ich als Gesundheitssprecher die Gelegenheit, an Veranstaltungen teilzunehmen, bei denen sich Ärzte und Krankenhäuser beklagen, dass sie moderne Medikamente, die es auch schon gibt, nicht in ausreichendem Maße einsetzen können, zum Beispiel im Bereich Schizophrenie oder im Bereich Demenz. Warum nicht? Weil sie

(Rose-Felicitas Pauly FDP)

damit ihr Arzneimittelbudget sprengen. Das Ergebnis ist nicht nur, dass diese Technologie nicht genutzt werden kann, sondern es entstehen auch volkswirtschaftliche Kosten, zum Beispiel in Form von längeren Klinikaufenthalten, die sonst vermeidbar wären, oder in Form von längerer Arbeitsunfähigkeit.

Ähnliche Probleme haben wir auch in der Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Sie wissen alle, dass die Angst vor der Gentechnik immer wieder geschürt wird. Aus meiner Sicht zu Unrecht. Es gibt eine Menge Ärzte am UKE, die seit vielen Jahren Drittmittel einwerben und damit sehr sinnvolle Forschung betreiben. Als Dank bekommen sie Strafverfahren. Meine Damen und Herren, auch dieses ist absolut nicht förderlich.

Deshalb bin ich sehr dafür, einen Cluster Medizintechnologie zu unterstützen. Er wird aber am Ende nur Erfolg haben, wenn wir in der Gesundheitspolitik endlich einmal die Planwirtschaft aufgeben und aufhören, generell eine forschungsfeindliche Politik in Deutschland zu betreiben. Unter diesen Voraussetzungen ist das sehr zukunftsträchtig. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Die sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksachen 17/2281 und 17/2348 an den Wirtschaftsausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist somit einstimmig beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4, 44, 45 und 46, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Medizinische Prävention bei Kindern und Jugendlichen und Anträge der SPD-Fraktion zu den Themen: Erste-Hilfe-Unterricht an Hamburger Schulen, Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte und schulärztliche Versorgung sichern – kein Sparen auf Kosten der Gesundheit.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Medizinische Prävention bei Kindern und Jugendlichen – Drucksache 17/1956 –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Erste-Hilfe-Unterricht an Hamburger Schulen – Drucksache 17/2278 –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte – Drucksache 17/2279 –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Schulärztliche Versorgung sichern – kein Sparen auf Kosten der Gesundheit – Drucksache 17/2280 –]

Alle vier Drucksachen möchte die GAL-Fraktion zur weiteren Beratung an Fachausschüsse überweisen, und zwar die Drucksache 17/1956 federführend an den Gesundheitsausschuss und mitberatend an den Jugend- und Sportausschuss, die Drucksachen 17/2278 und 17/2280 federführend an den Gesundheitsausschuss und mitberatend an den Schulausschuss und die Drucksache 17/2279 an den Gesundheitsausschuss.

Wer meldet sich zu Wort? – Frau Brinkmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In allen Debatten um die Zukunft des deut