Protokoll der Sitzung vom 23.01.2002

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tung Platz 20 im internationalen Vergleich. Damit positionieren sich die deutschen Schülerinnen und Schüler in der PISA-Rangliste im unteren Mittelfeld und stellen dem HighTech-Staat Bundesrepublik Deutschland ein Armutszeugnis aus.

Die Aufgaben des Tests, das wissen Sie hoffentlich auch, beschränken sich nicht nur auf die bloße Abfrage von Wissen, sondern es sollte auch Denkaktivität und Cleverness der Schüler testen. Einige Aufgaben waren so konzipiert, dass die Lösung aus dem Fragetext hervorging. Aber auch in diesem Aufgabenbereich wurden unsere Schüler und Schülerinnen von den Vergleichsstaaten hoffnungslos abgehängt. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass besonders schlechte Leistungen von Kindern, insbesondere männliche, von alleinerziehenden Elternteilen, sozial benachteiligten Familien und Migrantenfamilien erbracht wurden.

Vor allem die Leseschwäche ist Resultat einer seit Jahren verfehlten Integrationspolitik. Wenn 42 Prozent der männlichen fünfzehnjährigen Jugendlichen – wie aus der Studie und der nachträglichen Befragung hervorgeht – Lesen als Zumutung empfindet, als Ersatzlektüre den Fernseher einschaltet und dem Sprachgebrauch nachmittäglicher Talkshows nacheifert, die Kommunikation auf E-Mail und SMS beschränkt, müssen wir die familiäre und gesellschaftliche Wertevermittlung überdenken.

Meine Damen und Herren, mir ist bewusst, dass bloße Statistiken der Problemlösung nicht näher kommen. Sie spiegeln aber unseren eklatant schlechten Stellenwert im internationalen Vergleich wider. Es ist unsere Pflicht, diesen bildungspolitischen Hilfeschrei nicht nur wahrzunehmen, sondern fraktionsübergreifend an Lösungen zu arbeiten. An uns liegt es, dieser Bildungsmisere, die daraus resultierend bundesweit 7 Milliarden Euro für Fortbildungskosten verursacht, entschieden entgegenzuwirken. Unserer Ansicht nach befinden wir uns mit den in der Koalition beschlossenen Maßnahmen auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Der jahrelange sozialdemokratische Versuch, über staatliche Bildung sozialen Chancenausgleich zu gewährleisten, ist gescheitert.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Wir müssen leistungsschwache sowie leistungsstarke Schüler durch differenzierte Maßnahmen gezielt fördern. Kinder, die der deutschen Sprache nicht oder kaum mächtig sind, müssen noch vor der Einschulung ein Mindestmaß der deutschen Sprache vermittelt bekommen. Besondere Aufmerksamkeit müssen wir den Haupt- und Realschulen schenken, um die Leistungsfähigkeit durch eine praxisorientierte Lernform zu verbessern. Durch Ganztagsschulen ist insbesondere in sozial schwachen Gebieten dem Unterrichtsausfall Einhalt zu gewähren. Um die Integration von Migrantenkindern zu fördern, liegt es durchaus nahe, dass wir uns einmal die norwegischen und schwedischen Unterstützungsprogramme ansehen; möglicherweise geben sie uns ein Vorbild über wirkungsvolle Integrationspolitik.

Die ergänzende PISA-Studie, die einen bundesweiten Vergleich zulässt, wird noch in diesem Jahr erscheinen. Wenn das Ergebnis so erschreckend ausfällt, wie wir es erahnen können, fällt es noch in Ihren Verantwortungsbereich,

meine Damen und Herren von der SPD, und wir werden Sie daran erinnern.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort hat Herr Buss.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bildung gehört, gerade nach PISA, in der Tagesordnung ganz nach oben.

(Rolf Kruse CDU: Deshalb haben wir es auch auf der Tagesordnung!)

Deshalb haben wir es auch auf der Tagesordnung, richtig, Herr Kruse.

Der Bundespräsident – den ich gerade zitiert habe – hat aber weiter gesagt:... besonders bei denen, die entscheiden und handeln. Das, Herr Senator Lange, bedeutet zum Beispiel auch, dass man den jeweiligen Fachausschuss, der sich gerade mit diesen Konzeptionen beschäftigen sollte und die entsprechenden Haushaltsunterlagen dafür festlegt, nicht schwänzt. Das möchte ich dazu einmal festhalten.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Er hat sich entschuldigt!)

Zurück zur Sache. Was ich ansonsten bei PISA festgestellt habe, waren einige Punkte, die hier schon genannt worden sind. Andere möchte ich aber noch einmal hervorheben: Lernschwache müssen stärker im Mittelpunkt stehen, das haben wir schon gehört. Wir haben aber gerade auch das Beispiel von Herrn Müller gehört, dass wir mehr nach Schweden gucken sollten. Dort findet beispielsweise die Aufhebung der Selektion, einer der Hauptkritikpunkte an PISA, überhaupt nicht statt. Dort gibt es eine neunjährige integrative Ausbildung; hört, hört.

Alle Angelegenheiten gelten bundesweit, so dass wir hier in Hamburg gar keine Schulformdebatte führen müssen; ich stelle das nur ganz sachlich fest. Dort gibt es Ganztagsunterricht, aber mit ausgereifter Konzeption. Ferner gibt es – das haben Sie zu Recht gesagt – eine vorschulische, konzeptionell auf die Sprachförderung ausgerichtete Erziehung.

Wenn ich mir die ersten 85 Tage der Regierung unter unserem verehrten Admiral angucke, stelle ich fest, dass wir statt dessen das Abitur in zwölf Jahren haben, mal eben so; dazu haben wir im Fachausschuss ausführlich nachgefragt. Heraus gekommen ist dabei jetzt konkret eine Stunde mehr Mathematik und Deutsch. Dann frage ich doch einmal ganz konkret, was daran die konsequente Umsetzung der PISA-Forderung ist? Gar nichts!

(Karen Koop CDU: Mehr Übungskapazität!)

Was wollen Sie denn konzeptionell, inhaltlich von Jahrgang sechs nach Jahrgang fünf vorziehen? Dafür müssten Sie doch die entsprechenden Lehrpläne schon vorliegen haben. Allein eine Stunde mehr Unterricht bringt uns doch nicht weiter, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Schüler ein Jahr weniger zur Schule gehen sollen.

(Beifall bei der SPD)

Zweiter Punkt: Sie selbst, Herr Senator, haben zu PISA gleich am nächsten Tag verlauten lassen, dass wir eine breite bildungspolitische Debatte und keine punktuellen

(Stephan Müller Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Maßnahmen brauchen, siehe das Abitur nach zwölf Jahren. Sie haben gerade eben wieder darauf verwiesen, dass Bildung eine hohe Priorität in Ihrem Rechtssenat haben muss. Das Abitur habe ich gerade erwähnt, aber wo ist denn das Konzept für die Vorschulerziehung? Nichts! Stattdessen bringt die GAL ein Konzept ein

(Zuruf von Karen Koop CDU)

und Sie selbst müssen das Konzept der Opposition zur Diskussion auf die Tagesordnung nehmen.

Nächster Punkt: Mehr Lehrer. Die waren im Haushalt schon längst vorgesehen. Das, was Sie bisher eingeworben haben, steht im Großen und Ganzen schon drin. Sparen ist nach wie vor angesagt. Diese konzeptionellen Ideen vermisse ich. Wir brauchen stattdessen ein übergreifendes Konzept für Eltern, Schüler und Lehrer. Für Eltern muss konzeptionell wieder stärker die Überlegung der Vor- und Nachbereitung von Schule zu Hause im Vordergrund stehen.

Bei den Schülern soll Schule Spaß machen, richtig.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Leistung!)

Aber natürlich gehört auch Leistung dazu;

(Michael Neumann SPD: Wie in der Politik!)

so wie in der Politik. Es ist nicht alles nur Spaß bei irgendwelchen Partys.

(Beifall bei der SPD)

Zu Recht wurde hier gesagt – beispielsweise von Frau Ernst –, dass die Lehrerinnen und Lehrer neue Wege gehen müssen.

(Katrin Freund Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie haben doch die Spaßgesellschaft eingeführt!)

Wir haben es in den vergangenen vier Jahren geschafft, eine entsprechende Erneuerung der Lehreraus- und -fortbildung auf den Weg zu bringen. Das heißt – das ist doch aus PISA zu lernen –, dass es auch bei Lehrerinnen und Lehrern neuer Wege der Didaktik und der Methodik bedarf. Damit komme ich wieder auf die Bildungspläne zurück, die für das Thema „Abitur nach zwölf Jahren“ zu ändern sind.

Nach Aussage der PISA-Forscher brauchen wir mehr Kooperation zwischen Lehrerinnen und Lehrern. Gleichzeitig müssen wir doch aber aufpassen, dass wir nicht noch obendrauf satteln. Das alles muss mit Ruhe und Augenmaß besprochen werden, denn man kann den Lehrkörpern nicht noch mehr aufbürden. Wir haben jedenfalls einen Schluss daraus gezogen, meine Damen und Herren:

(Glocke)

Wir sind bereit zu einem entsprechenden Dialog mit Ihnen, aber wir sind gegen Schnellschüsse, wie sie uns heute wieder vorgestellt worden sind. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat jetzt Herr Drews.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Buss, da Sie in der letzten Legislaturperiode dem Hause noch nicht angehörten, kann ich verstehen, dass Sie ein Konzept zum Thema Vorschulklassen vermissen.

(Michael Neumann SPD: Elder Statesman!)

Wenn Sie solche Punkte ansprechen, muss man aber unterstellen, dass Sie unseren Koalitionsvertrag mindestens annähernd gelesen haben. Daraus möchte ich nur zwei Sätze zitieren, die an das von Ihnen eingeforderte Konzept erinnern. Darin steht, dass die Schule neben der Vermittlung von Wissen auch eine soziale Funktion hat, um die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen zu erhöhen, und weiter, dass die Deutschkenntnisse aller Kinder ab der ersten Klasse durch geeignete Fördermaßnahmen sichergestellt werden.

Meine Damen und Herren, unter dem Aspekt einer Chancengerechtigkeit kann man, glaube ich, etwas Umfassenderes nicht mehr beschreiben, dass alle Kinder in den Genuss kommen sollen. Ich glaube, dass dies ein sehr überzeugendes Beispiel der Koalition dafür ist, wie wichtig uns Chancengleichheit gerade in den Stadtteilen ist, in denen es insbesondere um Kinder aus sozial benachteiligten Familien geht. Das ist der erste Punkt.

Zweiter Punkt: Es klingt sehr gut, wenn Sie nach 84 Tagen von der neuen Regierung Konzepte fordern. Aber erinnern Sie sich doch bitte auch daran, dass es noch nicht sehr lange her ist, dass die SPD/GAL-Mehrheit hier im Hause – Frau Goetsch, Sie waren auch dabei – einen Antrag der CDU-Fraktion abgelehnt hat, als es darum ging, Sprachkompetenz, Sprachüberprüfung und Sprachförderung für Kinder aus Häusern nichtdeutscher Muttersprache einzuführen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Sie haben hinsichtlich der Deutschkenntnisse oder der Fördermöglichkeiten in ganz kurzer Zeit eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen, die atemberaubend ist.