Protokoll der Sitzung vom 24.01.2002

Aber hier wurde schon darauf hingewiesen, dass es noch eine andere Lösung dieses Problems gibt, die noch schlimmer ist. Frau Kiausch wies schon auf die Müllkippe hin. Ich sage es einmal ganz drastisch. Wenn ich die Wahl habe zwischen anonymer Geburt und Müllkippe, ist für mich die Antwort ganz klar: Anonyme Geburt.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich sehe auch nicht die Gefahr, dass die Zahl der anonymen Geburten unendlich wächst und immer mehr Kinder hilflos dastehen. Nein, das ist doch nicht so. Wer von Ihnen jemals sein eigenes, neugeborenes Kind auch nur ein paar Minuten im Arm gehabt hat, weiß ganz genau – Frau Kiausch deutete es auch schon an –, dass man nur im extremen Ausnahmefall dieses Kind nicht haben will. Das ist eine Erfahrung, die man hat, und wenn man sie hat, dann wird man genauso reagieren. Allein deshalb ist schon, ohne irgendwelche Paragraphen, Senats- oder Parlamentsbeschlüsse, sichergestellt, dass die Zahl der anonymen Geburten in jedem Fall gering bleibt. Aus diesem Grunde unterstützt die FDP das Konzept der anonymen Geburt, wobei man im Ausschuss über die Einzelheiten sicher noch reden muss.

Lassen Sie mich noch eine Sache anfügen. Wir hatten gestern die Haushaltsdebatte. Ich habe nun in wenigen Monaten Politik gelernt, dass es immer um Geld geht. Offenbar gibt es das Angebot einer Versicherungsgesellschaft, diese Kosten zu übernehmen. Wenn das ausreicht, freue ich mich gerade als Liberaler natürlich sehr, wenn ein Sponsor aus der Wirtschaft hier einem Problem abhilft. Wenn dem nicht so sein sollte oder diese Zahlungen nicht reichen sollten, habe ich einen Vorschlag, und zwar sollten dann die gesetzlichen Krankenkassen einen Pool bilden nach Mitgliederzahl – das kann man ausrechnen –, woraus anonyme Geburten bezahlt werden. Das sollte eine Lösung sein, wenn das Angebot der Versicherungsgesellschaft nicht reicht. Ansonsten lassen Sie uns die Einzelheiten im Ausschuss ganz sachlich besprechen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Frau Senatorin Schnieber-Jastram.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich über diese Debatte, weil sie sehr ernsthaft und engagiert betrieben wird. Es ist auch eine wichtige Debatte, die vermutlich jeden, in unterschiedlicher Weise, sehr umtreibt, weil viele aus eigener Erfahrung in irgendeiner Art und Weise mitreden können.

„Elf gerettete Kinder, wer will da Fragen stellen?“, so hat am Freitag vorletzter Woche eine sehr bekannte süddeutsche Tageszeitung getitelt. Die Zeitung hat Fragen gestellt – diejenigen, die in dem Thema engagiert sind, werden es gelesen haben –, sogar sehr kritische Fragen und ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier einige Fragen zu stellen.

Es ist wirklich sehr selten, dass sich in einer so großen Einmütigkeit Parteien bundesweit wie auch hier in Hamburg für die anonyme Geburt eingesetzt und sie grundsätzlich befürwortet haben. Frau Dr. Freudenberg, Sie haben schon geschildert, dass sich hier etwas verändert. Man muss wissen, wie schwer es dem Gesetzgeber fällt, eigene Gesetze zu ändern, obwohl die Hürde einer Reihe von

(Dr. Dorothee Freudenberg GAL)

Gesetzesänderungen genommen werden muss – ich glaube, fünf Gesetze sind es auf Bundesebene –, weil es wirklich erhebliche und überhaupt nicht von der Hand zu weisende Kritik an einer Legalisierung der anonymen Geburt gibt. Es hat in Berlin eine Anhörung dazu gegeben, deren Ergebnis sehr nachdenkenswert ist. Es gibt übrigens für eine Gesetzgebung eine sehr deutliche Zuständigkeit, aber die muss ich hier nicht erwähnen. Das weiß jeder in diesem Hause.

Wer anonyme Geburten unterstützt, tut das immer in dem Bewusstsein – und das ist hier heute auch sehr deutlich geworden –, dass Frauen in einer für sie anscheinend ausweglosen Situation geholfen werden muss, damit sie eben nicht in Panik geraten und sich und das Kind gefährden, indem sie unter oft sehr unmenschlichen Bedingungen entbinden und – wie geschehen – das Kind sogar aussetzen oder töten.

Die Einführung der Babyklappe in Hamburg und die Förderung dieses Projekts war insofern – und das ist auch mehrfach deutlich geworden – der Versuch, potenzielle Kindstötungen zu verhindern. Dabei stand das Wohl des Kindes im Mittelpunkt und das ist auch gut so, dass wir alle diesen Ansatz gemeinsam haben, das Wohl des Kindes im Auge zu behalten.

Die Forderung der Legalisierung der anonymen Geburt hat nunmehr nicht nur das Wohl des Kindes im Auge, sondern auch das der Mutter. Im Krankenhaus kann die Mutter professionell entbunden werden und Mutter und Kind können medizinisch versorgt werden, wenn nötig. Waren es früher drei bis vier Kindesaussetzungen im Jahr, so sind es inzwischen offenbar 40 Frauen, die anonym entbinden wollen und sich an den Verein SterniPark gewandt haben, der dieses Angebot sehr medienwirksam betreibt. An der Stelle sage ich, dass mich dieser rasante Anstieg verwundert und da fangen meine Fragen an:

Sind dieses alles Frauen, die erst durch das Angebot auf die Idee gebracht werden, wie sie ein Problem lösen können?

Erzeugt hier ein Angebot eine Nachfrage?

Sind das alles Frauen, die aus Hamburg kommen?

Sind das alles Frauen, die, wenn anonyme Geburten nicht legalisiert werden, ihre Kinder aussetzen oder töten?

Das Letzte glaube ich ganz und gar überhaupt nicht.

(Karl-Heinz Ehlers CDU: Sehr gute Frage!)

Ich glaube vielmehr, dass diese Frauen ein Beratungsangebot brauchen – da sind wir uns völlig einig, Frau Kiausch –, dass sie eine Stelle brauchen, an der sie erfahren können, wie sie die Probleme und den Alltag mit dem Kind bewältigen können, dass sie wissen müssen, welche Betreuungsangebote es für Babys und Kleinkinder gibt, welche Hilfsmöglichkeiten für sie selbst existieren und was sie tun können und müssen, damit ein Kind adoptiert werden kann. Auch diese Entscheidung ist im Übrigen zu respektieren und keineswegs verwerflich.

Die Werbung für die anonyme Geburt in der gegenwärtigen Form, und das bundesweit durch einen Hamburger Träger, ist meines Erachtens das falsche Signal.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaat- licher Offensive – Karl-Heinz Ehlers CDU: Sehr rich- tig!)

Hamburg kann nicht in die finanzielle Verantwortung dafür genommen werden, was in anderen Bundesländern eben

falls nicht finanziert wird. Noch weniger kann Hamburg dann zahlen sollen, wenn ein Verein die Zusammenarbeit, wie hier, mit bestimmten Krankenhäusern verweigert, in denen die Geburt durch einen Sponsor finanziert wird.

Es stellt sich noch eine weitere Frage: Was ist mit den Kindern, die anonym geboren werden? Nach Aussagen von Psychiatern, Therapeuten und Betroffenen leiden sie ihr Leben lang mehr oder weniger darunter, nicht zu wissen und auch nie erfahren zu können, wer die Mutter ist, wer der Vater ist, welche Umstände es sind, die zu dieser Adoption geführt haben.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaat- licher Offensive)

Alles Fragen, die, wenn sie unbeantwortet bleiben, bei einigen Kindern dann zu wirklich schwersten seelischen Störungen führen. Das bestätigt übrigens auch die kritische öffentliche Diskussion, die zum Beispiel zur Zeit in Frankreich über die Praxis der anonymen Geburt geführt wird.

Können wir also das verbriefte Grundrecht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft wirklich so gering achten? Können wir unser Wissen um die Folgen ignorieren und auf anonymen Geburten beharren mit dem Argument, Legalisierung der anonymen Geburt sei sozialpolitisch sinnvoll, weil sie Kindstötung vielleicht verhindere? Es kann meines Erachtens keine Güterabwägung zwischen dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und dem möglicherweise künftigen Recht der Mutter auf anonyme Geburten vollständig zu Lasten des einen oder des anderen gehen.

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaat- licher Offensive – Wolfgang Franz SPD: Falsche Abwägung!)

Für Hamburg heißt das für den Fall, dass die anonyme Geburt doch legalisiert wird, dass wir in jedem Fall Möglichkeiten entwickeln, den Hilfe suchenden Frauen den Zugang zu den entsprechenden Hilfs- und Beratungsstellen so leicht wie möglich zu machen. Dazu zählt dann auch, dass wir solche Beratungsstellen wirklich nie diskriminieren, auch nie politisch diskriminieren, was alles passiert ist.

(Petra Brinkmann SPD: Richtig!)

Ich will das nicht vertiefen, aber wir wissen alle, dass das auch passiert ist.

Es zählt dazu, dass wir Möglichkeiten entwickeln, Frauen unter geeigneten Bedingungen Raum zu geben für ihre Entscheidung für ein Leben mit Kind oder für die Adoption dieses Kindes. Dazu zählt natürlich nicht zuallerletzt auch, dass wir aus dieser Stadt eine wirkliche kinderfreundliche Stadt machen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Sie können auch klatschen, Herr Grund, ich habe nichts dagegen. Ich freue mich wirklich darauf, dass wir das gemeinsam machen, und will daraus keinen politischen Dissens machen.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Ich möchte auf den Anfang zurückkommen. Elf gerettete Kinder, wer wird da Fragen stellen? Frau Kiausch, wir stellen viele Fragen, aber wir geben auch viele Antworten. Es

(Senatorin Birgit Schnieber-Jastram)

A C

B D

war schön, das mit Ihnen hier diskutieren zu können. – Danke.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der FDP und vereinzelt bei der SPD und der GAL)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 17/161 zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss und mitberatend an den Gesundheitsausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Die Überweisung ist einstimmig beschlossen.

Ich rufe den Punkt 5 auf, Drucksache 17/113: Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Bekämpfung der illegalen Prostitution in Hamburg und Schutz der Opfer von Menschenhandel.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Bekämpfung der illegalen Prostitution in Hamburg und Schutz der Opfer von Menschenhandel – Drucksache 17/113 –]

Wer möchte das Wort? – Frau Dräger, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Menschenhandel ist ein besonders perfides Verbrechen. Es zerstört das Leben der Opfer, nutzt ihre hilflose Situation aus, zwingt die Frauen in die Prostitution, peinigt sie und macht sie sprachlos. Daher ist es auch ein besonders schwer aufzuklärendes Verbrechen. Polizei und Justiz müssen in mühsamer Kleinarbeit Beweise zusammensetzen und Indizien aneinander reihen, wenn nicht die Hauptzeugen, die betroffenen Opfer, den Mut finden, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, Vertrauen zu den deutschen Behörden fassen und gegen ihre Peiniger aussagen. Darum hat der rotgrüne Senat 1999 das Projekt KOofra eingerichtet, das die Arbeit des Zeugenschutzprogramms in diesem Bereich ergänzt.

Mit unserer Anfrage wollen wir dieses Projekt, die Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel, noch einmal ins Bewusstsein rufen und möchten wissen, ob die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und Koofra immer noch so funktioniert, wie sie es zur Zeit des rotgrünen Senats getan hat. Es ist gut, dass KOOFRA auch unter der neuen Regierung weiter arbeiten kann und dass die Zusammenarbeit mit der Polizei nach Aussagen der Frauen in diesem Projekt weiterhin gut läuft. Das werden wir auch weiterhin im Auge behalten und Sie bezüglich der Aufklärung in diesem Bereich und dieser Frauen nicht aus der Verantwortung lassen.

(Beifall bei der SPD und GAL)