Protokoll der Sitzung vom 06.02.2002

bundesweit diskutiert, inwieweit mehr in die Kitas und in die Grundschule investiert werden muss als erst später oder in die „Reparaturbetriebe“ nach der Schule.

Ich bin allerdings auch der Meinung, wie Thomas Böwer, dass wir das Thema nicht federführend im Schulausschuss diskutieren sollten, weil es wirklich ein ureigenstes Thema ist von Kindern und Jugend. Es ist schön und gut, immer die Schnittstelle zu sehen – das kann ich nur unterstützen –, aber hier werden wir dafür plädieren, dass es im Jugendausschuss diskutiert wird und dazu die Sachverständigen eingeladen werden. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort hat jetzt Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wie Sie vielleicht wissen, stellt die FDP die Bildungspolitik völlig in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen; deshalb stellen wir auch den Senator.

Eine der wichtigsten Forderungen im Bildungsbereich ist das lebenslange Lernen. Insofern begrüßen wir es außerordentlich, wenn die SPD einen gewissen Lernprozess durchgemacht hat. Das Problem ist – das werde ich gleich aufzeigen –, dass er noch nicht sehr weit vorangeschritten ist.

Sie haben eingesehen, dass es falsch war, so kurze Betreuungszeiten von nur vier Stunden als Minimum pro Tag anzubieten. Ebenso ist es ein Fehler, das Kindergeld bei der Berechnung des Elternbeitrages mitzuzählen. Dass Sie diesen Fehler eingesehen haben, dazu beglückwünschen wir Sie.

Es gibt sogar noch Raum für einen weiteren Glückwunsch. Wie Sie vielleicht wissen, sind Gesetze im Allgemeinen eher eine trockene Materie. Sie haben es aber geschafft, in dieses Gesetz auch einen unterhaltsamen Punkt hineinzubringen; auch dafür möchte ich Ihnen danken. In Paragraph 23 Absatz 2 haben Sie formuliert – ich lese es vor –:

„Kindern in Krippen“

das sind die bis Dreijährigen –

„soll Gelegenheit gegeben werden, eine in der Einrichtung tätige Person zu ihrer Vertrauensperson zu bestimmen.“

Meine Damen und Herren, das ist in der Tat dazu geeignet, ein trockenes Gesetz etwas aufzulockern. Soweit das Lob.

Leider sind aber eine ganze Reihe von Mängeln festzustellen, beispielsweise die Qualitätskriterien. Es ist vollkommen richtig, dass bei Kitas die Frage der Qualität der Mitarbeiter selbst von zentraler Bedeutung ist. Wenn Sie ein riesiges Gesetz formulieren, darin aber nicht ein einziges Qualitätskriterium verankern, begehen Sie schon einen grundsätzlichen Fehler. Es hat keinen Sinn, ein Kuratorium einzusetzen und dem überhaupt nichts vorzugeben. Ein Mindestmaß an Qualitätskriterien gehört in das Gesetz. Das ist der erste Fehler.

Zweiter Fehler: Sie sprechen von fünf Stunden, die Sie anbieten; wie gesagt, den Lernprozess anerkennend, sind aber auch fünf Stunden immer noch zu wenig, wie Frau Freund das schon zu Recht erwähnt hat. Rechnen Sie einmal nach, wie jemand – meistens sind es Frauen – einen Beruf ausüben soll, wenn er das Kind nur für fünf Stunden unterbringen kann. Das mag in Einzelfällen gehen, aber im

(Christa Goetsch GAL)

Regelfall braucht man auch für eine Halbtagstätigkeit sechs Stunden Kita-Zeit. Das ist der zweite Fehler.

Dritter Fehler: Es mag nicht Ihrem Weltbild entsprechen, aber Liberale denken nicht nur immer in großen Organisationen. Viele Eltern geben ihre Kinder sehr gern zu Tagesmüttern und -vätern. Die tauchen bei Ihnen, wenn überhaupt, nur rudimentär auf. Ich halte es für sehr wichtig, auch das Angebot der Tagesmütter und -väter zu verbessern, insbesondere deren steuerrechtliche Rahmenbedingungen; das will ich nicht weiter vertiefen, aber auch dieser Punkt muss erwähnt werden. Das ist der dritte Fehler.

Vierter Fehler: Sie haben zwar eingesehen, dass das Kindergeld bei der Bestimmung des Elternbeitrages nicht mehr berücksichtigt werden soll, aber Sie bleiben bei Ihrem Grundansatz, dass die Einkommensberechnung nach dem Bundessozialhilfegesetz zugrunde gelegt wird. Meine Damen und Herren, das ist nach wie vor sogar ein ganz schwerer Fehler. Denn dies führt zu nichts anderem, als dass fast alle Leistungen des Familienlastenausgleichs bei Steuern, Kindergeld, Eigenheimzulagen und so weiter wieder einkassiert werden. Das, was wir mühsam in vielen Jahren auf Bundes- und Landesebene an Erleichterungen finanzieller Art für die Familien mit Kindern erreicht haben, kassieren Sie auf diese Weise wieder ein, weil Sie es als Einkommen werten. Es ist nämlich kein Einkommen, sondern nur ein Ausgleich für sonstige Belastungen. Das ist der vierte Fehler.

Fünfter Fehler: Die Kitas in Hamburg leiden nicht nur unter zu hohen Elternbeiträgen, sondern – wenn Sie die Praktiker fragen – vor allem darunter, dass hier ein unglaublicher bürokratischer Dschungel besteht; und Sie bleiben dabei. Die Behörden brauchen Monate, zum Teil mehr als ein Jahr zur Bearbeitung von Anträgen. Das mag ein bisschen an den Behörden liegen, aber vor allem liegt es an dem komplizierten System. Mit den Paragraphen 15 bis 19 steigern Sie das Chaos nochmals. Sie wollen getrennte Vereinbarungen mit einzelnen Trägern, und zwar noch nicht einmal einheitliche, sondern Sie wollen verschiedene Vereinbarungen zu den Elternbeiträgen, den Qualitätsmerkmalen und so weiter; es soll ein riesiger Wust von Vereinbarungen geschaffen werden. Das ist erstens sehr chaotisch und zweitens wird jede Transparenz, die so wichtig ist, beiseite geschoben.

Sechster Punkt: Das ist – wie bereits erwähnt – ein typisch sozialdemokratischer Fehler, die Gremienflut. Elternversammlung, Elternausschuss, Bezirkselternausschuss, Landeselternausschuss und außerdem noch der Gag von vorhin, die Vertrauensperson der Krippenkinder. Meine Damen und Herren, ich bin auch sehr dafür, dass Eltern und Kinder beteiligt werden, wir brauchen aber nicht diese endlose Gremienflut, die Sie hier wieder installieren wollen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Dieser Gesetzentwurf leidet also unter schwerwiegenden Mängeln und ist unsozial. Ich kann mich den Worten von Herrn Böwer nur anschließen, der vorhin zu Recht sagte, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine soziale Frage sei. Wenn Sie als angeblich Sozialdemokratische Partei in diesem Punkt versagen, stellen Sie sich damit selbst ein Armutszeugnis aus.

Hören Sie sich abschließend eine Bewertung nicht aus meinem Munde, sondern von Mathias Taube, dem Vorsitzenden von Hamburgs Familienpower an,

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Der weiß Bescheid!)

der den richtigen Satz sagte:

„Man kann froh sein, dass es sich hier nur um den Gesetzentwurf einer Opposition handelt.“

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

Das Wort hat Herr Böwer.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! So ist das mit dem Amt und dem Verstand. Herr Schinnenburg, ich habe nicht erwartet, dass Sie nach 100 Tagen einen Gesetzentwurf vorlegen, aber ich kann von Ihnen – und auch von Frau Freund – erwarten, dass Sie sich in die Materie einarbeiten.

(Anja Hajduk GAL: Das dauert aber lange!)

Die Frage, warum in diesem Gesetzentwurf nichts über Qualitätsstandards steht, kann Ihnen dieser Senator beantworten. Ihr Bildungssenator verhandelt in diesen Tagen mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, der Vereinigung und der SOAL eben über diese Qualitätsstandards, weil wir in der letzten Legislaturperiode festgehalten haben, es nicht per Gesetz, sondern auf dem Wege der Vereinbarung mit den Trägern zu machen. Stimmt das, Herr Harlinghausen? So war es. Man steht dort bezüglich der Beratungen kurz vor dem Abschluss.

Ein weiterer Punkt ist die Frage nach den verschiedenen Vereinbarungen. Ich weiß nicht, wann Sie sich das letzte Mal als Kindergarten-Experte – wenn Sie sich nicht gerade mit den 0,3 Prozent des Herrn Taube treffen – mit dem Landesverband der Wohlfahrtsverbände oder der „Vereinigung“ getroffen haben. Wir haben es getan und sind mit ihnen auch kritisch unseren Gesetzentwurf durchgegangen, wobei es in dieser Frage Einvernehmen gab. Das heißt, der Gesetzentwurf hat eine Geschichte, nämlich die einer dreieinhalbjährigen Diskussion. Das muss man wissen oder man muss sich einarbeiten.

Frau Freund, ein Punkt ist bei allem Unterschied die Frage, wie man Prioritäten setzt. Was mich allerdings gestört hat, ist Ihr Ton; es hat nämlich absolut nichts damit zu tun, ob wir nun Opposition sind oder nicht. Die Frage der Elternmitbestimmung ist eine Prioritätsfrage. Nennen Sie mir fünf Kindergärten und fünf Abendtermine und wir diskutieren gemeinsam mit den Elternräten über die Fragen von Kita; Herr Harlinghausen weiß, dass das ein besonderes Vergnügen ist, ob als Opposition oder als Regierung. Sie werden dann feststellen, dass Eltern insbesondere bei der Frage der Mitbestimmung ausdrücklich mehr Rechte fordern. Genau das ist der Punkt, bei dem Mathias Taube mit Familienpower versucht hat, in dieses Parlament hineinzukommen. Er hatte im Unterschied zu Ihnen, Herr Schinnenburg, 4,7 Prozent weniger, nämlich 0,3 Prozent.

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP: 4,8 Prozent!)

Deswegen hat es in allen Kindertagesstätten mit den Elternräten die Diskussion darüber gegeben, man möge ihnen analog zur Schulgesetzgebung ein Mitbestimmungsrecht geben, das auf Bezirksebene und auch auf Landesebene geregelt wird. Auch an dieser Stelle erwarte ich nach 100 Tagen keinen Gesetzentwurf – ich freue mich darauf, wenn er kommt, weil wir dann eine fachliche Diskussion haben werden –, aber ich erwarte oder habe die

(Dr. Wieland Schinnenburg FDP)

Bitte, dass Sie sich in die Materie einarbeiten und mit den Leuten, die Kitas betreiben, reden; Herr Taube macht keine Kita.

Sie können die „Vereinigung“, die SOAL oder andere konfessionelle Institutionen befragen, alle werden Ihnen bestätigen, dass wir in dieser Frage in den letzten dreieinhalb Jahren mit der CDU auf der einen Seite und der SPD gemeinsam mit der GAL auf der anderen Seite eine intensive Diskussion geführt haben. Aus der Summe dieser Beratungen ist der Gesetzentwurf entstanden und nicht weil wir heute Oppositionspartei sind.

(Beifall bei der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Die sehe ich jetzt nicht. Dann lasse ich abstimmen. Wer stimmt, wie von der SPD-Fraktion beantragt, einer Überweisung der Drucksache 17/252 federführend an den Jugend- und Sportausschuss und mitberatend an den Schulausschuss zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt.

Ich komme zum weiteren Antrag. Wer, wie von der Partei Rechtsstaatlicher Offensive beantragt, einer Überweisung federführend an den Schulausschuss und mitberatend an den Jugend- und Sportausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Dann ist diesem letzten Überweisungsbegehren mit Mehrheit gefolgt.

Ich rufe jetzt die Punkte 5 a und 5 b auf, Drucksachen 17/270 und 17/269, die Dringlichen Senatsanträge zum Sonderinvestitionsprogramm 2002 und zur Erweiterung der Ermächtigung zur vorläufigen Haushaltsführung.

[Dringlicher Senatsantrag: Sonderinvestitionsprogramm 2002 Erweiterung der Ermächtigung zur vorläufigen Haushaltsführung („Bepackung“) – Drucksache 17/270 –]

[Dringlicher Senatsantrag: Haushaltsplan-Entwurf der Freien und Hansestadt Hamburg für das Haushaltsjahr 2002 Konkretisierung des Sonderinvestitionsprogramms 2002 – Drucksache 17/269 –]

Die SPD-Fraktion beantragt eine Überweisung der Drucksache 17/269 an den Haushaltsausschuss. Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Mattner, Sie haben es.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 50 Millionen Euro aus dem Stand und das bei Deckung aus dem Haushalt für wichtige Zukunftsfelder dieser Stadt, das

(Uwe Grund SPD: Welche Deckung denn? Da sind doch nur Schulden!)