Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Goetsch, ich gebe ja zu, dass Ihr Marketing nicht schlecht ist.
Die Aktuelle Stunde passt eigentlich trotz der OECD-Studie nicht so ganz zu diesem Thema, denn Ihre Kampagne ist inzwischen schon ein Jahr alt. Ich hätte von daher eigentlich eher einen konkreten Antrag erwartet, einen konkreteren Antrag als den, den Sie bei den letzten Haushaltsberatungen eingereicht haben.
Liebe Kollegen von der GAL, wir fordern genauso wie Sie bei "9 macht klug" einheitliche Qualitätsstandards. Wir fordern sie nicht nur, wir führen sie auch ein. Wir arbeiten, wie von Ihnen gefordert, an einer größeren Selbstverantwortung für die einzelne Schule. Wir werden zum nächsten Schuljahr, wie von Ihnen gefordert, zahlreiche neue Ganztagsschulen in allen Schulformen schaffen und damit wollen auch wir einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit leisten.
Etwas arg idealistisch wird es bei Ihnen, wenn man sich Ihre Broschüre zu "9 macht klug" ansieht. Gleich auf der Titelseite fällt einem ein Foto auf mit maximal zwölf Schülern und zwei Lehrern. Ich glaube, die Plastikfiguren richtig zugeordnet zu haben, also sind da zwölf Schüler und zwei Lehrer in einer Klasse. Die machen dort sehr unterschiedliche Dinge und ich will gar nicht über die wirklich extremen Anforderungen an einen offenen Unterricht reden, wenn auf dem Foto ein Teil der Schüler lernen soll, während der andere Teil Saxophon und Klavier spielt. Das ist sicherlich nur ein Beispiel.
Aber Sie zeigen Schüler-Lehrer-Relationen, von denen ich auch träume, die Sie aber genauso wenig finanzieren könnten wie wir. Unter Marketinggesichtspunkten macht sich so etwas natürlich toll, das wirkt entsprechend nach außen.
Genauso gut machen sich Ihre Forderungen von Werkstätten und Laboren in allen Schulen, einem Schreibtisch für jeden Lehrer in der Schule, natürlich einer Kantine an jeder Schule und viele Dinge mehr. Sie verschweigen nur leider, wie Sie ganz konkret diese Schule organisieren wollen. Das würde doch vermutlich bedeuten, dass wir deutlich weniger, deutlich größere Schulen in Hamburg bräuchten. Sie haben leider, Frau Goetsch, auf meine Frage, wie denn die Zügigkeit einer solchen Schule aussehen soll, bisher noch nicht antworten können. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Schulentwicklungsplanung fände ich es für Schüler, Eltern und Lehrer sehr spannend, wie viele Schulen denn eigentlich die GAL schließen möchte für ihre "Neue Hamburger Schule". Trauen Sie sich und sagen Sie das.
Viel wichtiger als diese ganzen Details ist aber eines: Die "Neue Hamburger Schule" ist in Wirklichkeit doch nur ein neues Etikett für ein ganz altes Konzept. Sie wollen – Sie haben es auch schon angedeutet – in Hamburg die Einheitsschule einführen. Das ist die Wahrheit und das sollten Sie auch laut und deutlich den Eltern sagen. In jedem Frühjahr stimmen in Hamburg die Eltern mit den Füßen ab. Zwei Drittel entscheiden sich für Haupt- und Realschulen und für die Gymnasien, ein Drittel für die Gesamtschulen und diese Wahlfreiheit wollen Sie abschaffen – ausgerechnet Sie, die Sie sich doch sonst immer so sehr für direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung engagieren.
Aber weil Sie es seit 1968 nicht geschafft haben, trotz besserer Ausstattung der Gesamtschulen, trotz besserer Bezahlung der Lehrkräfte und trotz umfangreicher Werbekampagnen alle Eltern von der Gesamtschule zu überzeugen, fordern Sie jetzt die Zwangsbekehrung und das ist mit der CDU nicht zu machen.
Ich bin ein bisschen gespannt, was Frau Ernst gleich sagen wird, weil in Schleswig-Holstein die SPD mittlerweile auf den Zug Richtung Einheitsschule aufgesprungen ist. Von daher bin ich gespannt, wie es die Hamburger SPD mit der Wahlfreiheit der Eltern hält.
Wir brauchen im Moment in Deutschland nichts weniger als eine Schulstrukturdebatte. Selbst die nun wirklich unverdächtige "Süddeutsche Zeitung" schrieb am Montag, die Schule für alle sei pädagogisch nicht zwingend. Der Verfasser der KESS-Studie, Professor Bos, sagte im "Hamburger Abendblatt", eine Systemdebatte bringe uns jetzt nicht weiter. Und die PISA-Studie sagt klar und deutlich, dass weder PISA noch andere internationale Schulleistungsstudien einen Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Schulorganisation feststellen konnten; kein Wunder, schließlich waren in Deutschland die Bundesländer vorne, die am wenigsten auf die Gesamtschule gesetzt haben.
Liebe Frau Goetsch, ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was an einem Schulsystem neu und modern sein soll, das schon vor meiner Geburt diskutiert wurde.
Ich bin vielmehr der Überzeugung, dass wir vor lauter Diskussionen über das Schulsystem vergessen haben, über die Schulen, über den Unterricht, über die Lehrerbildung und viele andere wichtige Fragen nachzudenken; die Folge war PISA. Die CDU wird dafür sorgen, dass wir diese Diskussion nicht weiter versäumen. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Gesamtschullehrer könnte ich mich angesichts dieser Auseinandersetzung lächelnd zurücklehnen
und feststellen, dass sich immerhin 30 Prozent aller Eltern jährlich nicht für die Aussortierungsschule entscheiden. Meine Partei hat sich immer offen dazu bekannt, dass unser politisches Ziel die Abkehr von der Homogenisierungsfiktion ist, die Sie vorantreiben. Sie alleine glauben, dass Lernen nach angeblich objektivierbarer Leistung in sortierten Gruppen effektiver ist.
Naheliegend ist die GAL in dieser Frage nicht unser Hauptgegner. Sie von der CDU, die die Bildungsstrukturpolitik rückwärts gewandt zu einer Klientelpolitik betreiben, führen Ganztagsgymnasien auf dem Rücken der anderen Schulen ein und lassen sie von den gegliederten Schulen und den Gesamtschulen finanzieren.
Sie führen eine Schulzeitverkürzung ohne Zuwachs von Lehrerstellen ein und lassen sie aus dem Bestand finanzieren, nämlich aus den HR- und den anderen Schulen. Sie wollen die Hauptschule hübsch machen, auf die neun Zehntel aller Eltern ihre Kinder nicht mehr schicken, weil sie schlussendlich eine Sackgassenschule ist.
Jetzt wollen Sie auch noch die Grundschule durch Reihenintelligenzuntersuchungen sortieren. Mit einem IQ von über 120 oder 130 darf man sich dann absetzen. Sie zitieren eine obskure amerikanische Untersuchung, anstatt sich auf die Fachleute zu verlassen, deren Rat Sie offensichtlich gar nicht hören wollen. Ich könnte diese Liste noch fortsetzen, zum Beispiel mit Äußerungen von Herrn Peiner im "Hamburger Abendblatt" über die Qualität von Schulen, die eher eine Qualität des Aussagenden beinhalten.
Dass Sie sich bei Ihren Bemühungen immer wieder auf die PISA-Untersuchungen beziehen, ehrt Sie nicht. Es macht nur immer wieder deutlich, wie wenig Sie diese Untersuchung gelesen oder vielleicht auch nur verstanden haben.
Schulen mit gewollter Leistungsheterogenität in ihren Lerngruppen sind nun mal Erfolgsmodelle. Die Konservativen in den Vergleichsländern der OECD-Studie kämen nicht auf die Idee, diese – Sie nennen es abfällig Einheitsschule – wieder zurückzunehmen. Sie haben ja international gar keine Kontakte zu Ihren schwarzen Kollegen, die würden diese Schulen nicht wieder abschaffen und Sie wollen sie nicht einführen.
Wohlhabende können sich ohne Berücksichtigung des IQ ihrer Kinder den Weg in ein besseres Abschlussfeld "erkaufen"; das haben die Untersuchungen sehr deutlich gemacht.
Noch zu meinen Lebzeiten wird es die Sortierentscheidung nach Klasse 4 nicht mehr geben, da bin ich ganz sicher.
Die Sozialdemokraten betreiben eine Schulentwicklung in eine Richtung, auch wenn es mir ganz persönlich in dieser Frage nicht immer zügig genug vorangeht. Die Präambel unseres Schulgesetzes, in der letzten Legislaturperiode eingebracht, fasst das in einem Satz zusammen, den ich hier zitieren möchte. Er heißt:
"Schule ist deshalb dem Ziel der Chancengleichheit verpflichtet. Dazu gehören die bestmögliche Unterstützung und größtmögliche Integration aller Schülerinnen und Schüler sowie die Förderung der individuellen Leistung.
Schule muss alle Kinder und Jugendlichen so gut wie möglich fördern. Der Bildungsweg soll so lange wie möglich offen gehalten werden und das Hamburger Schulwesen in Richtung auf ein integriertes System fortentwickelt werden."
Aber wir warten nicht auf den Bigbang. Heute schlagen wir vor, zum Beispiel das Sitzenbleiben als einen Schritt in diese Richtung abzuschaffen.
Investieren Sie die Wiederholungskosten für Schüler lieber in gezielte Förderungen. Geben Sie die Hauptschulen als Restschulen auf und wandeln Sie die Haupt- und Realschulen in integrierte Systeme um.
Stärken Sie die integrative Regelklasse und bauen Sie sie aus, anstatt sie zu zerschlagen, wie es Ihre große alte Dame der Bildungspolitik, Frau Knipper, ja auch wollte, bevor sie der Hartleibigkeit Ihrer Fraktion zum Opfer fiel.
(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL – Wolfgang Drews CDU: Das ist doch Legenden- bildung!)