Protokoll der Sitzung vom 21.04.2004

Gibt es hierzu Wortmeldungen? – Das ist der Fall. Der Abgeordnete Klooß bekommt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wer politische Verantwortung übernimmt, trägt sie in doppelter Hinsicht, einmal in sachlicher Hinsicht, das heißt, für Entscheidungen und Vorgänge in seinem Amtsbereich, zum anderen für die Menschen, das heißt, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Beiden Anforderungen genügt Justizsenator Dr. Kusch nicht.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Noch nie hat sich ein Justizsenator dieser Freien und Hansestadt Hamburg so ins Abseits gestellt wie Dr. Roger Kusch. Noch nie hat ein Hamburger Justizsenator seine Anklagebehörde so desavouiert wie dieser noch amtierende Präses.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Noch nie hat es ein hanseatischer Justizsenator geschafft, die Justiz und damit auch die Richterschaft gegen sich so aufzubringen wie dieser Mann.

Ausgangspunkt waren Zeitungsberichte über vermutete Pannen bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei im Zusammenhang mit vier jugendlichen Messerstechern. Kritisiert wurde unter anderem, dass kein Haftbefehl be

antragt worden war. Noch bevor es dazu eine fachliche Stellungnahme gab, gingen der Justizsenator und der Innensenator an die Öffentlichkeit. Ohne intime Kenntnis der Dinge wurden die Verantwortlichen in Bausch und Bogen vorverurteilt. Inzwischen ist bekannt geworden, dass die Vorwürfe unbegründet waren. Inzwischen ist sogar ein aufgrund neuerer Erkenntnisse gestellter Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Haupttäter vom Amtsgericht zurückgewiesen worden. Aber der Justizsenator stellt sich ohne Kenntnis der maßgeblichen Einzelheiten hin und diktiert der Presse in die Feder – ich zitiere –:

„Wir haben Zweifel, ob alle unsere Mitarbeiter dieselben Wertmaßstäbe anlegen. Die Mitarbeiter müssten stärker angehalten werden, Recht nicht 'im luftleeren Raum' auszulegen.“

(Christian Maaß GAL: Luftleerer Kopf!)

In aller Deutlichkeit, Herr Senator, das ist ungeheuerlich.

(Beifall bei der SPD)

Die Staatsanwaltschaft hat nach Recht und Gesetz zu verfahren – schauen Sie zum Beispiel in Paragraph 160 Strafprozessordnung – und sie tut es auch. Sie ist aber nicht dazu da, nach Ihren Maßstäben, Herr Justizsenator, oder den Maßstäben oder der Wertordnung Ihres Polizeisenators zu arbeiten. Ich habe deshalb vollstes Verständnis für die Empörung der Staatsanwaltschaft und des Richtervereins über solche Äußerungen, Anmaßungen und Zumutungen.

Sie sind aber noch einen Schritt weiter gegangen. Sie haben einmal mehr in Ihrem bekannt schlechten Stil und in dem Drang, sich medienwirksam zu inszenieren und von eigenen Verantwortlichkeiten abzulenken, ein Bauernopfer dargebracht. Wie im letzten Jahr den Sicherheitsreferenten Ploog, pikanterweise ein Parteikollege von Ihnen, den der Senator durch die öffentliche Bekanntgabe eines Disziplinarverfahrens bloßstellte und bis heute nicht rehabilitiert hat, so hat er sich auch dieses Mal einen einzelnen Sündenbock ausgeguckt. Getroffen hat es nun den leitenden Oberstaatsanwalt, einen anerkannten Fachmann, der krankheitsbedingt zurzeit seinen Dienst nicht versehen kann und dem nun kommissarisch, wie es so schön heißt, ein Ersatz vor die Nase gesetzt wird, natürlich ohne vorher mit ihm zu sprechen. Man fragt sich, warum dieses notwendig ist angesichts der Tatsache, dass die Erkrankung des leitenden Oberstaatsanwalts nur vorübergehender Natur ist und er schließlich auch einen Vertreter hat, der genau für solche Fälle bestellt ist. Den haben Sie aber durch Ihre kommissarische Lösung gleich mit demontiert.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Zitat des Ersten Bürgermeisters ein, der seinerzeit zur Entlassung von Staatsrat Wellinghausen sagte, zur Fairness gehöre es in der Politik auch, dass man mit dem anderen spreche. Dies hätten Sie auch berücksichtigen müssen, Herr Senator.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie hätten sich sicher nichts vergeben, wenn Sie das persönliche Gespräch mit dem leitenden Oberstaatsanwalt gesucht hätten. Da Sie das aber unterlassen haben, kann man Ihr Verhalten nicht anders als unfair bezeichnen und es ist darüber hinaus noch zutiefst unhanseatisch und verantwortungslos.

Generell aber gilt ebenso für Sie wie für die Staatsanwaltschaft, dass sie streng nach Recht und Gesetz zu arbeiten hat. Der Justizsenator hat die Pflicht, diese Werte zu verteidigen und sich vor seine Anklagebehörde zu stellen. Wenn diese Maßstäbe, Recht und Gesetz, nicht Ihre Maßstäbe sind, Herr Justizsenator und auch Herr Innensenator, dann sind Sie auf diesem Posten fehl am Platz, dann nehmen Sie freiwillig Ihren Hut, bevor es für Sie zu spät ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Spethmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Senator hat Handlungsfähigkeit und Führungsstärke gezeigt.

(Oh-Rufe bei der SPD und der GAL – Beifall bei der CDU)

Er hat nötige Entscheidungen getroffen. Es wurden keine Sündenböcke gesucht, ansonsten hätte er schon viel früher handeln müssen.

(Christian Maaß GAL: Das hätte er in der Tat!)

Der leitende Oberstaatsanwalt ist für eine längere Zeit erkrankt; auf nähere Einzelheiten möchte ich hier nicht eingehen. Die letzten Wochen haben aber gezeigt, dass eine sichere Führung in der Staatsanwaltschaft notwendig ist, und aus diesem Grunde hat der Senator einen kommissarischen Leiter eingesetzt. Vielleicht wissen Sie nicht, was kommissarisch bedeutet. Kommissarisch heißt vorläufig, vorübergehend, das heißt, keine dauerhafte Absetzung von Herrn Köhnke, der auch nach meinen Erfahrungen eine hervorragende Arbeit und Leistung in den vergangenen Jahren gezeigt hat, sondern es geht vielmehr darum, dass für die Zeit der Erkrankung ein Leiter vorläufig diese Staatsanwaltschaft übernimmt und um nichts anderes. Und wenn ich mir einmal die Pressemeldung angucke, steht dort kein herabwürdigendes Wort über den Oberstaatsanwalt Köhnke, es ist nichts an negativen Wertungen enthalten. Woraus Sie eine Absetzung und Herabwürdigung von Herrn Köhnke ersehen, weiß ich nicht. Das ist eine Diffamierungs- und Hetzkampagne, die Sie betreiben, nichts anderes.

(Beifall bei der CDU)

Wollten Sie die Staatsanwaltschaft die nächsten Wochen führungslos lassen?

(Michael Neumann SPD: Quatsch, da gibt es doch eine Vertretung!)

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass im Moment eine Führung ausgesprochen nötig war. Ich nenne einmal die Beispiele: Der Vergewaltiger aus Lurup. Die Presse und auch Sie, Herr Klooß, haben häufig ein Handeln des Senators gefordert. Er hat glücklicherweise nicht sofort gehandelt. Er hat keinen Sündenbock gesucht, genau das Gegenteil ist passiert, er hat intensive Untersuchungen anberaumen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Fall zeigt aber, dass die Praxis mancher Staatsanwälte aus früheren Zeiten, vermehrt Einstellungen zu machen, noch weiter an der Tagesordnung ist, denn was war bis 2001 der Fall? Wer viel eingestellt hat, der wurde

auch befördert. Und manche haben noch nicht so ganz verstanden, dass wir genau das ändern wollen.

(Beifall bei der CDU – Christian Maaß GAL: Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung! – Jenspeter Rosenfeldt SPD: Keine Schamgrenze!)

Der nächste Fall, die jugendlichen Messerstecher. Ich habe den Eindruck, dass bei dem bisherigen Handeln bis vor wenigen Tagen ein wenig engagierter Staatsanwalt die jugendlichen Messerstecher im Blick hatte, ich denke da eher an eine Sachbearbeitermentalität. Es wäre von vornherein besser gewesen, ein Staatsanwalt hätte einen Haftbefehl beantragt,

(Beifall bei der CDU)

denn Staatsanwälte sind abhängig, die Gerichte sind frei und unabhängig. Wenn ein Gericht entscheidet, einen Haftbefehl nicht zu erlassen, ist das etwas anderes. Dem würde ich nie widersprechen, das ist so. Aber wenn ein Staatsanwalt weisungsgebunden dieses nicht tut, finde ich das schon problematisch und es zeugt von wenig Engagement, denn letztendlich muss man sehen, dass die Messerstecher Opfer haben. Die Kinobesucher wurden schutzlos angegriffen und es kann nicht sein, dass daraus plötzlich dem Senator ein Strick ans Bein gebunden wird, während der eigentlich zuständige Staatsanwalt mit nicht genügend Engagement gehandelt hat.

(Beifall bei der CDU)

Die Opposition und insbesondere die SPD ist inkonsequent. Sie forderten in den vergangenen Wochen, auch die Öffentlichkeit und die Medien, dringende Handlungen. Was passiert? Der Senator handelt und das war dann auch wieder nicht in Ordnung.

(Jenspeter Rosenfeldt SPD: Es geht ja um das richtige Handeln!)

Das Einzige, was Sie hier machen, ist eine Diffamierungs- und Hetzkampagne und nichts weiter. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Steffen.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Senat hat ein Sicherheitsrisiko und das heißt Roger Kusch.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Michael Neumann SPD: Nicht nur eins!)

Sein Ressort zeichnet eine absolut falsche Schwerpunktsetzung aus, auf der einen Seite gefährlicher Aktionismus im Strafvollzug und auf der anderen Seite Nachlässigkeit bei der Verhinderung künftiger Straftaten.

Zwei Beispiele stechen heraus, zum einen die Haftanstalt Billwerder. Mit großem Brimborium wurde diese Haftanstalt vom Justizsenator im Sommer 2003 eingeweiht. Es erfüllte ihn mit großem Stolz, dass er die Planungen für Billwerder als Anstalt für den offenen Vollzug gestoppt hat und zusätzliche Haftplätze für den geschlossenen Vollzug bereitstellen kann. Die Freude war ganz bei den Insassen. In den neun Monaten seit der Einweihung konnten ganze fünf Häftlinge entkommen. Die Ursache: Kusch hatte zwar entschieden, dass Billwerder ein geschlossener Vollzug wird und auch entsprechende Strafgefangene

dorthin verlegt, er hat es aber versäumt, auch die ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen zu schaffen. So war es denkbar einfach, aus dieser Anstalt zu entkommen. Die Flucht in der Mülltonne mutete beinahe schon einfach und einfallslos an.

(Dr. Monika Schaal SPD: Hatte aber historische Vorbilder!)

Bände spricht aber der Bericht eines Insassen, den wir gestern im „Abendblatt“ lesen konnten. Nach Ansicht dieses Insassen wäre es gar nicht nötig gewesen, sich so schmutzig zu machen.