Protokoll der Sitzung vom 21.04.2004

Bände spricht aber der Bericht eines Insassen, den wir gestern im „Abendblatt“ lesen konnten. Nach Ansicht dieses Insassen wäre es gar nicht nötig gewesen, sich so schmutzig zu machen.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Dass die Sicherheitsvorkehrungen absolut unzureichend sind, wird nicht nur von Insassen, sondern auch von Experten bestätigt, die Kusch im Vorhinein auf die Mängel hingewiesen hatten. Die Frage ist, warum der Justizsenator dieses Sicherheitsdefizit sehenden Auges zugelassen hat. Man könnte jetzt sagen, das sind die ganz unbürokratischen Haftlockerungen à la Kusch. Tatsächlich geht es darum, dass der Senator ein Symbol für mehr Härte im Strafvollzug setzen wollte und es ihm gleichgültig war, welchen Preis er dafür zu zahlen hat.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es ist schon sehr interessant, dass der Justizsenator, der für mehr Härte im Strafvollzug sorgen wollte, den geschlossenen Vollzug zu einer freiwilligen Veranstaltung macht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Schockierend ist das zweite Beispiel, der Fall des Francisco P.. Am 25. März steht dieser Mann wegen einer Sexualstraftat vor dem Haftrichter, ein Haftbefehl erging nicht. Zwei Tage später wird in Lurup ein fünfjähriges Mädchen vergewaltigt. Die Polizei ermittelt Francisco P. als den Täter dieser Tat. Warum erging am 25. März kein Haftbefehl? Der Haftrichter konnte keinen Haftbefehl erlassen, weil der Staatsanwalt keinen beantragt hatte. Der hatte keinen beantragt, weil er nur die Information über die eine Tat vorliegen hatte, wegen derer Francisco P. vor dem Haftrichter stand, und dass er weiterer Sexualstraftaten verdächtigt war, wusste dieser Staatsanwalt in dem Moment nicht. Das hätte er aber ohne weiteres wissen können, wenn er in das Computersystem MESTA Einblick genommen hätte, in das jeder Staatsanwalt Einblick hat und dort Informationen über sämtliche Ermittlungsverfahren einsehen kann. Der Staatsanwalt hätte also nur in seinem Dienstzimmer einen Auszug aus MESTA ausdrucken müssen, bevor er sich zu der Verhandlung beim Haftrichter begeben hat. Daneben häuften sich in diesem Fall weitere interne Pannen bei der Staatsanwaltschaft. Wenn die Staatsanwaltschaft also ihre Arbeit richtig gemacht hätte, dann wäre diesem Kind kein Unheil geschehen.

Wie kann es sein, dass sechs Jahre, nachdem Rotgrün dieses System eingeführt hat, nicht durch eine eindeutige Anweisung sichergestellt ist, dass ein Staatsanwalt da jedes Mal hineinguckt, bevor er sich in entsprechende Verhandlungen begibt?

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das ist verheerend, denn MESTA ist ein sehr wichtiges Mittel, damit die Justiz angemessen auf Serientäter reagieren kann. Umso erstaunlicher ist es, dass es im Um

gang mit MESTA offensichtlich erhebliche Mängel gibt und die effektive Nutzung dieses Systems erst nach dieser Tat in Lurup ein Thema für den Justizsenator ist, denn neben der Verkürzung der Zeit zwischen Tat und Sanktion ist dieses System ein wichtiger Schlüssel beim Umgang mit Serientätern. Nur mit diesen aktuellen Informationen kann ein Richter beurteilen, ob ein Gelöbnis zur Besserung glaubhaft ist oder ob, wie im vorliegenden Fall, ein Haftbefehl angezeigt ist. Dass dieses Versagen kein Einzelfall war, hat Kusch selbst bestätigt. Durch die öffentliche Bloßstellung des leitenden Oberstaatsanwalts hat er eingeräumt, dass es sich um ein Führungsversagen handelt.

Im Umgang mit diesen schweren Versäumnissen zeigt Kusch erneut die charakterlichen Schwächen, die bereits in der Vergangenheit offenbar wurden. Statt eigene Versäumnisse einzugestehen, stellt er Mitarbeiter bloß, noch bevor intern die Verantwortlichkeiten für die Fehler geklärt sind. Schuld sind immer die anderen und nie der Justizsenator. Hier wird nach Sündenböcken gesucht, um von eigener Verantwortung abzulenken.

Diese Schwächen des Senators waren bei der Neuaufstellung des Senats bekannt. Dennoch hat sich der Bürgermeister entschieden, an diesem Senator festzuhalten. Es ist deswegen auch die besondere Verantwortung des Bürgermeisters, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit in dieser Stadt durch diesen Senator nicht weiter leidet. Die Verantwortung für das Sicherheitsrisiko Roger Kusch trägt Ole von Beust.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich erteile das Wort Senator Kusch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Zeitungslektüre am Montag, dem 19. April, war für jeden von uns gleich erschreckend und schlimm. Da wurde über ein Verbrechen berichtet, bei dem – ob bei einem Juristen oder Nichtjuristen – die Vorstellungskraft versagt. Es wurde von der Vergewaltigung eines fünfjährigen Mädchens durch einen mit hoher Wahrscheinlichkeit erwachsenen Täter berichtet.

Nach der Zeitungslektüre hatte ich mich erkundigt – manchmal wird das Wort Vergewaltigung falsch benutzt, denn was gelegentlich in der Umgangssprache als Vergewaltigung bezeichnet wird, kann in juristischer Diktion als sexueller Missbrauch bezeichnet werden –, ob nach den polizeilichen Erkenntnissen die Zeitung mit dem Wort Vergewaltigung übertrieben hat. Das Erschrecken war noch größer, als mir bestätigt wurde, dass das Wort als juristisch richtiger Terminus gebraucht worden war.

(Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

Die Vorstellung, dass ein solches Verbrechen in Hamburg passiert, dass der Senat seine Erfolge auf dem Sektor der Inneren Sicherheit statistisch begründen kann und kein Mensch sich für Statistiken interessiert, dass, wenn sich ein solches schreckliches Ereignis abspielt, man den Täter und die Umstände nicht kennt, ist entsetzlich. Und auch die Vorstellung, was Eltern empfinden, die ihre Kinder regelmäßig allein auf einen Spielplatz schicken, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit Nachbarskindern zu spielen und dann aber in der Zeitung lesen müssen, dass ein fünfjähriges Mädchen vom Spielplatz verschwin

det und an anderer Stelle vergewaltigt wird, ist für jeden Zeitungsleser und für jedes Mitglied des Hamburger Senats entsetzlich.

Bereits drei Tage später war der Täter gefasst. Kurz danach bekam die Justizbehörde die Information, dass nach menschlichem Ermessen, bei vernünftiger Anwendung der Strafprozessordnung, des Betäubungsmittelgesetzes und des Strafgesetzbuches dieser Täter eigentlich hätte sitzen müssen. Hier lag ein Geschehen vor, bei dem sich uns die Schwierigkeiten in einer besonderen Weise präsentierten. In einer so schrecklichen Situation muss man im Ergebnis ein Versagen einräumen.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft, die zweitgrößte Staatsanwaltschaft in Deutschland, ist keine einfache Behörde, weil die Strukturen der Strafprozessordnung das Alltagsgeschehen schwierig machen. Die Staatsanwaltschaft leistet tagtäglich eine hervorragende Arbeit, weil sie in den allermeisten Fällen die Präzision zur Bewältigung des Massenanfalls von zigtausend Verfahren perfekt beherrscht.

(Beifall bei der CDU)

Aber zu Recht erwartet man gerade von dieser Behörde – ähnlich wie von der Polizei und vom Strafvollzug – keine achtundneunzigprozentige, sondern eine hundertprozentige Pflichterfüllung. Jeder weiß, wo Menschen in einer Gemeinschaft in einer so komplizierten Weise zusammenwirken, ist eine hundertprozentige Präzision nicht erreichbar. Menschen machen gelegentlich Fehler, es gibt organisatorische Strukturen, die schwierig sind.

Der erste umfassende Bericht der Staatsanwaltschaft enthielt – für sich allein gesehen – die Darlegungen verschiedener, nicht allzu gravierender Phänomene, die abgestellt werden müssen, weil sie falsch sind und die sich in diesem schrecklichen Ereignis kulminiert hatten. Von Anfang an bestand zwischen der Justizbehörde, der Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft ein völliges Einvernehmen in der Analyse der Situation. Bis heute beurteilen wir die Situation gleich.

Wir wissen, dass bei der Staatsanwaltschaft – insbesondere im System MESTA, einem komplexen und komplizierten System – Nacharbeiten nötig sind, damit sich ein solcher Fall nicht wiederholt.

(Christian Maaß GAL: Vorarbeiten wären noch besser gewesen, Herr Kusch!)

Unterhalten Sie sich einmal mit einem mir persönlich gegenüber besonders kritischen Staatsanwalt, zum Beispiel dem, der mich heute kritisiert hat, dass ich mit falscher Wortwahl Staatsanwälte pauschal abgewertet habe – es tut mir Leid, wenn die Staatsanwälte meine Äußerung so verstanden haben –, und analysieren Sie mit ihm, ob er auch nur einen einzigen Prozentsatz Ihrer Äußerung bestätigt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Den Fehler, den wir an diesem Fall feststellen konnten, war nach menschlichem Ermessen vorher nicht erkennbar. Hinterher ist man, wenn sich die Prozesse abgespielt haben, immer schlauer als vorher.

In der Debatte, insbesondere von den Oppositionsrednern, ist nicht ganz zum Ausdruck gekommen, was mir besonders am Herzen lag. In diesem Fall war es erforderlich, das Äußerste zu tun: Ich bin selbst an die Presse gegangen. Normalerweise mache ich Strafverfahren nicht

A C

B D

zum Gegenstand eigener Pressearbeit und äußere mich nicht selbst dazu.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ach!)

Aber die Mütter und Väter in dieser Stadt sollten merken, dass wir alles Menschenmögliche tun, um Wiederholungen zu verhindern, obwohl wir wissen, dass es circa 300 weitere Täter gibt, bei denen die Strafe zurückgestellt wurde. Wir haben bei 299 Tätern keine falschen Maßstäbe angelegt, das musste ich den Menschen sagen, damit das erschütterte Vertrauen in die Sicherheit auf den Spielplätzen in der Stadt zumindest in einigermaßen ruhige Bahnen gelenkt wird. Die Menschen sollen wissen, dass die Justizbehörde, die Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft sich das Bekämpfen der erkannten Sicherheitsmängel zum obersten Ziel gesetzt haben.

Noch ein letztes Wort zu Herrn Köhnke. Der Vorwurf, dass ich mit einem Beamten, der sich krank gemeldet hat, weil er schwer krank ist, nicht am Krankenbett über schwierige organisatorische Fragen diskutiere, ist erstaunlich.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Ein richtiger! – Gesine Dräger SPD: Aus der Zeitung liest man von dem Vorfall!)

Ein kranker Beamter verdient den Respekt, dass er zunächst seine Gesundheit wieder herstellt.

(Beifall bei der CDU)

In einer schwierigen Lage ist das Erheben von Vorwürfen durchaus legitim. Derzeit berührt mich das Sicherheitsgefühl der Mütter und Väter in Hamburg einzigartig

(Aydan Özoguz SPD: Das merkt man!)

und nicht so sehr Ihre Kritik an meinem Charakter.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Dr. Langhein.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die heutige Debatte ist nicht mehr als der selbstverständlich zulässige, aber untaugliche Versuch der Opposition, sich auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit ein wenig zu profilieren.

(Beifall bei der CDU)

Das Ergebnis lautet aber einmal mehr: Wendigkeit statt Wende.

Denn wer hat Hamburg bis zur Wahl im September 2001 zur Hauptstadt des Verbrechens werden lassen?

(Beifall bei der CDU – Erhard Pumm SPD: Herr Schill, guten Tag, Herr Schill! – Jenspeter Rosenfeldt CDU: Warum bauen Sie das jetzt aus?)

Wer sollte noch immer kräftig vor der eigenen Tür kehren?

(Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich hinsichtlich der angeblichen Mängel, die in der Justizvollzugsanstalt Billwerder