Protokoll der Sitzung vom 21.04.2004

(Beifall bei der CDU und bei Farid Müller GAL)

Aber ich will genauso wie Herr Schira mit meinem Wortbeitrag dafür werben, dass wir in Zukunft in Hamburg eine bürgernahe Demokratie betreiben.

Wir wollen Wahlkreise und direkt gewählte Abgeordnete. Mit uns – damit meine ich die CDU und die SPD – gibt es keine Experimente und das Wahlrecht wird nicht zur intellektuellen Spielwiese.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wir diskutieren – das hat Herr Schira auch deutlich gesagt – über die Varianten von 17 oder 50 Wahlkreisen. Allein diese Zahlen machen deutlich, wo mehr Bürgernähe drinsteckt.

(Beifall bei der SPD und bei Frank-Thorsten Schira CDU)

In den 50 Wahlkreisen wohnen die direkt gewählten Abgeordneten. Sie kennen die täglichen kleinen Probleme und die der großen Politik in ihrem Stadtteil. Sie sind – wenn sie denn ihren Job gut machen, aber darüber wird alle vier Jahre abgestimmt – vor Ort bekannt.

17 Wahlkreise führen zu dem Ergebnis, dass es zu Wahlkreisen kommt, in denen es eben nicht ein einheitliches Identitätsbild eines Stadtteils gibt. Ich kann Ihnen dafür ein Beispiel nennen. Das ist der Stadtteil, aus dem ich komme und – wie man auf dem Stadtplan der Initiative sehen kann – in dem ich ziemlich allein auf weiter Flur bin. Im Wahlkreis Wandsbek, zu dem unter anderem bei der 17er-Lösung auch Jenfeld gehören würde, gibt es sehr verschiedene Strukturen, Probleme und Spannungsfelder. Das Spannungsfeld eines solchen Wahlkreises würde von Marienthal bis Jenfeld reichen. Die Gefahr, dass dort Probleme gegeneinander ausgespielt würden, ist in unseren Augen sehr groß.

Bei 50 Wahlkreisen – so simpel es klingt, aber so bedeutend ist es auch – sind 50 Politiker die Ansprechpartner vor Ort, es sind 50 Stimmen in der Bürgerschaft für eine bürgernahe Demokratie. Dieses und viele andere Argumente, die schon genannt wurden, machen deutlich, dass an den Vorwürfen der Initiative, das neue Wahlrecht der Bürgerschaft sei nicht bürgergerecht, nichts dran ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Andererseits sagen wir der Initiative, dass ihr Vorschlag zu kompliziert und dadurch im Ergebnis viel weniger bürgernah ist. Ich möchte einige Beispiele nennen, die – die identisch sind, lasse ich weg – fast deckungsgleich mit denen sind, die Herr Schira genannt hat:

Bei 17 Wahlkreisen werden bis zu 13 verschiedene Stadtteile von einem Abgeordneten vertreten. Das ist in einem Stadtstaat eine Lösung, die man nicht bevorzugen sollte.

(Beifall bei der SPD, bei Ekkehart Wersich und Dittmar Lemke, beide CDU)

In diesen Wahlkreisen wird es keine Zusammenarbeit von miteinander konkurrierenden Abgeordneten geben. Wer das glaubt, hängt einem Idealbild nach, das niemals in Erfüllung geht. Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich machen. Es trifft in diesem Fall die CDU, aber das haben wir in der letzten Legislaturperiode diskutiert.

Stellen Sie sich vor, ein direkt gewählter Abgeordneter wird zum erklärten Gegner des Ringes 3. Wenn er in seiner eigenen Fraktion ankommt, wird er vielleicht – es kommt darauf an, wie er kämpft; die Initiative hat in der Vergangenheit nicht so toll gekämpft, aber sie wird es noch lernen – der Mehrheit unterliegen. Dann kommt es darauf an, dass man dies vor Ort im Zweifel auch vertritt. Das heißt, dass Abgeordnete wirklich kompromissbereit sein müssen. Hier wird es eben nicht zu einer Zusammenarbeit verschiedener Fraktionen im Wahlkreis kommen. Das ist eine Fiktion.

Das 17er-Modell sieht zehn Stimmen vor, wovon fünf an den Wahlkreis und fünf an die Partei gehen, und zwar entweder für einen oder mehrere Kandidaten einer Partei oder mehrerer Parteien. Wo ist hier das klare und verständliche Wahlrecht? Wo ist hier die klare, verständliche Wahlrechtsreform, die eine lebendige Demokratie dringend braucht? Es gibt – außer auf kommunaler Ebene – keine Modelle für die Bundesländer. Doch eines zeigt sich in den Kommunen, in denen man panaschieren und kumulieren – das sind für die Mehrheit unserer Bürger Fremdworte –

(Jörg Lühmann GAL: Das sind Fremdworte!)

kann: Dort sinkt die Wahlbeteiligung. Das ist für uns kein Rezept einer bürgernahen Demokratie. Wir wollen ein Zweistimmenwahlrecht, und zwar die Erststimme für den Stadtteilabgeordneten und die Zweitstimme für die Partei.

50 Wahlkreise bedeutet auch 25 000 Wähler in den Wahlkreisen; bei 17 Wahlkreisen sind es – das sagte Herr Schira – bis zu 71 000 Wähler. Auch hier ist der Vorschlag von der SPD und der CDU ein Garant für eine bürgernahe Demokratie und er ist eindeutig das bessere Wahlrecht für Hamburg.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Vieles wird für die Wählerinnen und Wähler dieser Stadt und auch für die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft neu sein. Die Bürgerschaft wird auch darüber zu reden haben, wie die Arbeitsweise und die Arbeitsbedingungen für künftig direkt gewählte Abgeordnete aussehen sollen. Ich will hier ganz vorsichtig an die Diätenkommission appellieren, dieses auch in ihren Beratungen zu bedenken.

Der Volksentscheid am 13. Juni macht klar: Wir wollen eine bürgernahe Demokratie, wir haben das bessere Wahlrecht für Hamburg. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Müller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Parlament ist das wichtigste Verfassungsorgan. Die Beteiligung der Regierten an der Gesetzgebung,

der repräsentativen Abbildung von Mehrheit und Minderheit, macht unser Gemeinwesen erst möglich.

Bei den Landesparlamenten ist aber zu beobachten, dass sie immer unwichtiger werden. Die Kompetenzen der Länder haben sich auf den Bund verschoben und im Bundesrat sollen die Interessen der Länder vertreten werden, aber es regiert die Landesregierung, die Landesparlamente regieren nicht mit. Wie konnte das passieren? Warum haben wir immer weniger zu entscheiden?

Eine Antwort habe ich schon gegeben. Die Landesregierungen haben sich zum Teil für mehr Mitsprache im Bundesrat verkauft. Die andere Antwort lautet, dass uns viele Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt nicht mehr als die Vertretung ihrer Interessen wahrnehmen. Seien wir ehrlich. Wem fühlen sich die meisten Kolleginnen und Kollegen dieses Parlaments eigentlich verantwortlich? Das ist eine Frage, die ganz eng mit dem Wahlrecht zusammenhängt.

Wer in einer großen Partei etwas werden will, muss zuerst die Zustimmung des Orts- und dann die des Kreisverbandes erhalten. Dann braucht er noch – ganz abgesehen von den Delegiertenwahlen – die Unterstützung eines Wahlausschusses oder eines Parteivorstandes. Am Ende entscheidet die Unterstützung eines ganz kleinen Personenkreises.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Machen wir uns doch nichts vor. Um hier im Parlament zu landen, gilt es, diesen Personenkreis zu überzeugen. Natürlich kann man dann auch noch gute Politik machen, aber die Verbindung zur Wählerin und zum Wähler wird dadurch auf keinen Fall gestärkt. Genau da wollen die Grünen das Wahlrecht vom Kopf auf die Füße stellen.

Wir stehen für eine demokratische Teilhabe und für Mitbestimmung, die Grünen wollen eine Mitmachdemokratie. Viele werden es vielleicht nicht mehr wissen: Die Wahlbeteiligung bei der letzten Bürgerschaftswahl ist erneut gesunken. Bei den Jugendlichen lag sie sogar unter 49 Prozent, und zwar haben nur noch 48,6 Prozent der Jugendlichen gewählt.

Diese Mitmachdemokratie findet sich genau in dem Vorschlag der Initiative für ein faires Wahlrecht wieder. Ganz entscheidend ist, dass wir den Wählerinnen und Wählern die Entscheidung überlassen, wer in das Parlament kommt. Bisher kann man nämlich nur eine Liste wählen. Nach unserer Vorstellung sollen die Bürgerinnen und Bürger entweder die bisherige Liste weiter wählen – also einen Block – oder sie setzen ihre Stimmen gezielt auf die Bewerberinnen und Bewerber ein, die nach ihrer Meinung die beste Politik machen. Sie präsentieren uns heute dagegen nur den Anschluss an die Fünfzigerjahre.

Die Zweitstimme wurde bereits 1953 für die Bundestagswahl eingeführt, also vor mehr als 50 Jahren.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Hat sich bewährt!)

Hand auf's Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen, das soll modern sein? Was Hamburg braucht, ist mehr Mut und kein vermufftes Demokratieverständnis aus den Fünfzigerjahren.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Geben Sie doch Ihrem Herzen einen Ruck und lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Mit halbherzigen

Ansätzen ist niemandem gedient. Die Grünen werden deshalb Ihrer Vorlage in dieser Form nicht zustimmen.

Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze über das Verfahren sagen. Erst heute ist uns Ihre Stellungnahme zu dieser Informationsbroschüre zugegangen. Ich muss ganz ehrlich sagen, das zeugt alles von einem schlechten demokratischen Stil, der in diesem Haus herrscht.

Erstens: Es gibt keinen Hinweis, dass es außer der CDU und der SPD in dieser Bürgerschaft noch eine andere Fraktion gibt. Es ist zwar richtig, dass wir keinen Anspruch darauf haben, unsere abweichende Meinung in diesem Heft darzulegen, aber es ist nicht richtig, in dieser Broschüre den Eindruck zu erwecken, dass die Stellungnahme der Bürgerschaft einstimmig gefasst worden ist.

(Beifall bei der GAL)

Wir haben deswegen einen Antrag vorgelegt, der genau das den Bürgerinnen und Bürgern sagen soll, dass nämlich unsere Fraktion eine abweichende Meinung dazu hat, aber nicht berechtigt ist, aufgrund des entsprechenden Paragraphen in der Volksgesetzgebung ihre Meinung darzulegen. Welcher Eindruck wird entstehen? Besteht die Bürgerschaft nur noch aus zwei Parteien? Das ist nicht der Fall.

Auch der Streit darüber, der sich in den letzten Stunden vor der heutigen Bürgerschaftssitzung ergeben hat, welcher Ansprechpartner hier genannt werden soll, zeugt nicht von einem demokratischen Miteinander, sondern von wenig Transparenz.

Als Ansprechpartner ist nun – nachdem klar war, dass man nicht wollte, dass die Grünen in der Broschüre erwähnt werden – die Bürgerschaftskanzlei genannt. Auch hier kann ich nur wieder sagen, die Bürgerschaftskanzlei kann nur das Gesamtparlament vertreten. Das tut sie aber in diesem Fall nicht, sondern sie vertritt eindeutig die Interessen der Fraktionen von SPD und CDU.

Deswegen haben wir unseren Antrag so formuliert, dass es auch einen Ansprechpartner für die Grünen gibt. Wenn Sie meinen, dass für Ihre Interessen die Bürgerschaftskanzlei zuständig sein soll, dann können Sie das gerne tun. Wir wollen aber unseren eigenen Ansprechpartner haben, damit die Menschen wissen, welche Meinung andere Abgeordnete dieser Bürgerschaft haben.

Ich hoffe auf Ihre Zustimmung. Wir werden das in jedem Fall verwaltungsjuristisch prüfen lassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält Frau Spethmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Müller, leider werden wir Ihrem Ansinnen nicht entsprechen können.