Hier in Hamburg sagen wir Dank. Andere mögen von faulen Säcken sprechen oder darüber lachen. Wir stehen zu den Lehrern, weil wir auch wissen, dass wir ihnen etwas abverlangen.
Erlauben Sie mir eine zweite Anmerkung. Schleierhaft ist mir, wieso die SPD in ihrem Antrag gerade jetzt das zehnte Pflichtschuljahr einführen will. Viele Bundesländer haben seit Jahrzehnten das zehnte Hauptschuljahr. In Hamburg hat man sich – so glaube ich – mit gutem Grund vor Jahren nicht für dieses zusätzliche Jahr entschieden.
Sie fordern das zehnte Schuljahr, obwohl Sie wissen, dass sich Schülerinnen und Schüler in den letzten zwei Hauptschuljahrgängen wesentlich stärker mit ihrer eigenen Lebens- und künftigen Berufswelt befassen wollen als sich – wie Sie selber sagen – schulischen Qualen hinzugeben.
Dann wollen wir die Hauptschule lieber so leistungs- und begabungsgerecht ausstatten, dass am Ende der jetzigen Hauptschulzeit selbstbewusste, leistungsbereite und neugierige, lebensfrohe junge Menschen die Schule be
enden, die stolz auf ihr Können sind. Die Arbeitgeber – und das bezieht sich auf die Lehrstellen – erwarten, dass diese Hauptschüler modern und zukunftsgerichtete Leistungen erbringen. Auch hierzu hat der Senat Grundlagen geschaffen, die den Wert der Hauptschule eben nicht infrage stellen. So unter anderem die Einführung von Bildungsplänen. Diese zeigen die Umsteuerung von nur formal qualifizierenden Abschlüssen hin zu einer Schule, die Kompetenzen vermittelt. Nehmen Sie zum Beispiel die Didaktik der Hauptschule, die mit der Öffnung zu Praktika und Lernwerken – so wie Sie es auch eben aufgeführt haben – zeigt, dass die Hauptschule eben nicht nur der kleine, reduzierte Wissensbestand von Realschulbildung oder von gymnasialer Bildung ist.
Ihrem Antrag werden wir nicht zustimmen. Es gilt auch heute, was Professor Baumert zur PISA-Untersuchung festgestellt hat. Er sagt, dass mit der Umstülpung der gesamten Schulstruktur keine Leistungsverbesserungen zu erzielen sind. Wir benötigen auch weiterhin in Hamburg eine Schulpolitik mit Augenmaß, ohne hektische Betriebsamkeit und erst recht nicht mit ideologischem Ballast der Achtziger- und Neunzigerjahre. Im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen arbeiten wir gemeinsam an einer zukunftsorientierten Hauptschule, die nicht schon deshalb als Restschule diffamiert werden darf, weil zwischen 18 und 20 Prozent eines Jahrgangs dort unterrichtet werden. Werben wir alle bei den Bürgern und Arbeitgebern für diese Schulform. Ich denke, Erfolge dieser Schulform bei den PISA-Untersuchungen in den Flächenstaaten Baden-Württemberg und Bayern sollten für uns Ansporn sein, diese Schulform auch weiterhin kreativ und innovativ zu unterstützen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Freistedt, ein Journalist einer überregionalen Zeitung hat einmal geschrieben, diejenigen, die die Hauptschule so besonders stärken wollen und sich mit voller Verve für die Hauptschule einsetzen, sind diejenigen, die die Gymnasien nicht beschmutzen wollen. Herr Freistedt, ich kann gut verstehen, dass Sie heute gesprochen haben und nicht Herr Heinemann, weil Sie anscheinend unterschiedliche Positionen vertreten.
Heute ist ein guter Tag für die schulpolitische Diskussion in Hamburg. Es ist der erste Tag, den ich seit sieben Jahren in dieser Bürgerschaft erlebe, an dem alle drei Fraktionen zur Schulstruktur debattieren, denn auch Ihr Antrag zur kooperativen Gesamtschule, Herr Freistedt, wird Gegenstand der übernächsten Debatte sein. Alle Fraktionen – ich hätte es übrigens gut gefunden, wenn wir beide Anträge zusammen diskutiert hätten – machen sich im Kern darüber Gedanken, wie lange Schüler und Schülerinnen gemeinsam lernen und ab wann sie getrennt werden sollen. Das ist den Anträgen gemeinsam und wir haben, wie Sie wissen, mit unserem Konzept "9 macht klug" die weitestgehende Antwort gegeben. Neun Jahre sollen alle gemeinsam lernen, neun Jahre soll nicht aussortiert werden, neun Jahre soll individuell gefördert werden. Unser Ziel sind leistungsstarke Schulen, Kinder zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln, Lust an Leistung zu erreichen, weniger Abbrecher und mehr Abiturienten, so wie uns das andere PISA-Sieger vormachen. Herr Freistedt, Sie sind wirklich auf dem
Holzweg. Baden-Württemberg hat gute Ergebnisse, aber im OECD-Vergleich schaffen sie eines auch nicht: Kinder mit schwierigem sozialem Hintergrund oder mit Migrationshintergrund werden auch nicht mitgenommen. Die Frage ist, wie man das besser machen kann mit vorschulischer Bildung und allen Instrumenten, die nötig sind. Ich betone, dass wir keine grundlegende Reform hinbekommen, wenn wir nicht auch an die Schulstruktur gehen.
Ich habe daher mit großer Freude den Antrag der SPD gelesen. Wir unterstützen ihn, bis auf den Spiegelstrich zum 10. Pflichtschuljahr, denn wenn wir ein verbindliches "Bildungsjahr 5 plus" haben, also ein vorschulisches Jahr plus neun Jahre in der Sekundarstufe I und dann drei Jahre in der Oberstufe, dann ist das ausreichend.
Ich bin vollkommen überzeugt davon, dass es richtig war, Anfang der Neunzigerjahre die integrierte Haupt- und Realschule in Hamburg einzuführen. Ich habe selbst beim ersten Durchgang mitgewirkt und so eine Schule aufgebaut. Ich bin von 1977 bis vor zwei Jahren in Haupt- und Realschulklassen tätig gewesen, habe Haupt- und Realschulklassen als Klassenlehrerin alleine geführt und seit Anfang der Neunzigerjahre nur noch in integrierten Haupt- und Realschulklassen gearbeitet. Ich sage: Nie wieder getrennt, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil Hauptschüler sich in diesen Klassen eben nicht als die Schwächeren und Hinten-dran-Hängenden empfinden, sondern sich gerade auch in ihren Stärken entwickeln können, mitgenommen werden von den Starken, die Starken aber nicht darunter leiden. Das habe ich nicht erfunden, sondern wir haben eine wissenschaftliche Evaluation gemacht, die eindeutig belegt, dass die Hauptschüler bessere Leistungen bringen, die Stärkeren aber keine schwächeren Leistungen.
Wir haben lange gebraucht, auch in diesen Reihen, um dieses überzeugend deutlich zu machen. Gucken Sie sich einmal in der Republik um, wie viele Bundesländer, auch CDU-geführte, Sekundarstufe-I-Schulen haben und nicht mehr nach Haupt- und Realschulen trennen, weil das gemeinsame Lernen einfach effektiver ist. Wir werden nachher bei der Debatte zur kooperativen Gesamtschule auch noch über den Verbleib von sechs Jahren im Klassenverband sprechen. Sie machen ja auch eine Strukturdebatte auf, worüber ich mich letztendlich freue.
Ich sehe mit viel Wut im Bauch, wie der CDU-Senat diesen IHR-Schulen das Wasser abgräbt und aus einer Verbohrtheit heraus diese jetzt wieder trennt und sagt, die Hauptschule müsse gestärkt werden. Insofern kann ich nur mit Vehemenz als Praktikern, als Politikerin, als Pädagogin für eine gemeinsame Schulzeit von so genannten Haupt- und Realschülern sprechen. Ich kann es auch an vielen Beispielen von Kindern und Jugendlichen belegen. Jungs – meistens sind es halt Jungs –, die zum Teil als unbeschulbar galten, haben in integrierten Haupt- und Realschulen ihren Abschluss geschafft und wir haben auch von den Übergängen her gute Ergebnisse. Das hat also meine ausdrückliche Zustimmung.
Ich habe zu den anderen Beispielen noch einmal die Broschüre mitgebracht, die wir vor fünf Jahren erstellt haben. Ich habe schon damals Herrn Senator Lange ein Paket in die Behörde bringen lassen.
Da stehen all diese Fragen zu den Übergängen drin: Schule, Beruf, BVJ, Produktionsschule, was zum Teil auch im Antrag der SPD genannt ist. Ich kann Sie nur bitten, sich konsequent Ihren nächsten Antrag anzuschauen und diesem besseren Weg zuzustimmen. Alles Weitere werden wir dann in der nächsten Debatte besprechen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, nur um das gleich zu Beginn zu sagen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, sinkt wieder, und zwar von 12,5 Prozent im Jahr 2001 auf 11,1 Prozent im Jahr 2003. Ich denke, das ist zunächst einmal eine gute Nachricht.
Unser Bemühen, dass wieder mehr Schülerinnen und Schüler einen Abschluss erlangen, trägt – ich sage es einmal ganz vorsichtig – erste Früchte. Aber eines stimmt natürlich auch: Das Ganze reicht weder vorne noch hinten. Wir müssen noch weit mehr tun, um unser Ziel zu erreichen, dass alle Schülerinnen und Schüler wenigstens den Hauptschulabschluss erlangen. Wichtig ist dabei, wenn wir uns einmal diese Schülerinnen und Schüler anschauen, dass die Motivation und Anstrengungsbereitschaft vonseiten der Schüler dabei eine große Rolle spielt und damit auch ein wenig der Schlüssel zum Erfolg ist. Diese zu erhöhen, kann uns nachhaltig wirklich nur gelingen, wenn wir es schaffen, ein Bewusstsein für den Wert des Abschlusses zu schaffen und seine Bedeutung für die Zukunft klarer zu machen, und zwar nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei den Ausbildungsbetrieben.
Der Vorschlag, Frau Ernst, die Schulzeit von neun auf zehn Jahre zu verlängern, greift in meinen Augen zu kurz. Das sehen wir momentan bei den Schülerinnen und Schülern, die mit Hauptschulabschluss nach zehn Jahren Schulzeit die Gesamtschule verlassen. Auch diese landen überwiegend in Maßnahmen und genau das wollen wir nicht. Das heißt, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir etwas für die Motivation tun können, für die Anstrengungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler und auch für die Steigerung des Wertes des Abschlusses und das ist zunächst einmal völlig schulformunabhängig.
Es gibt – das machen wir jetzt gerade – zum ersten Mal zentrale Haupt- und Realschulabschlussprüfungen. Die ersten Rückmeldungen zeigen, dass die überregionalen Standards, die den Aufgaben zugrunde lagen, die den Schülerinnen und Schülern gestellt wurden und das Anforderungsniveau bestimmt haben, für die Schülerinnen und Schüler zu keinem Problem geführt haben; sie haben es gut gemeistert. Das heißt aber auf der anderen Seite auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer unsere Schüler sehr gut vorbereitet haben und dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.
Ein weiterer Punkt, der bereits auf den Weg gebracht worden ist, um die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, wird die Einführung der praxisorientierten
Prüfung sein, wie sie Herr Freistedt schon ausgeführt hat. Wir wollen mit einem Schulversuch 2005/2006 beginnen. Sinn und Zweck dieser Abschlussprüfungen wird es sein, dass die Schüler eine Chance sehen, sich aufgrund ihrer Erfahrungen im außerschulischen Lernort in einem Kolloquium Dritten zu präsentieren und sich dabei eventuell sogar direkt für einen Ausbildungsplatz zu empfehlen. Die Erkenntnisse aus dem Versuch, der bereits seit zwei Jahren im Richard-Linde-Weg läuft, zeigen, dass wir auch hier auf dem richtigen Weg sind, denn die Quote des Übergangs direkt in eine Ausbildung ist an dieser Schule durch diese neue Form der Prüfung extrem gestiegen. Weitere inhaltliche Veränderungen zur Motivationssteigerung und damit zur Förderung auch der Anstrengungsbereitschaft der Schülerinnen und Schüler werden in wenigen Wochen fertig sein.
Schließlich kommt natürlich die übergeordnete Entwicklung zur selbstverantwortlichen Schule dazu: Schulleitungen, die einen Entscheidungsspielraum bei der Verwendung ihrer Sach- und Personalmittel haben, Schulleitungen, die ihr Personal selber einstellen können, Schulleitungen, die gemeinsam mit Schülern und Elternschaft ihre ganz speziellen Profile schärfen und verantwortlich gestalten können, Schulen, die zur Schulgestaltung eine Feedback-Kultur einrichten, aber auch pflegen, Schulen, die über das Erreichte auch Rechenschaft ablegen. Mit diesen neuen Optionen und vielem Weiteren mehr fördern wir das flexible Gestalten des Schulalltags, orientiert an vereinbarten Zielen, und steigern so die Motivation und Leistungsfähigkeit aller Beteiligten. Auch das wird die Qualität wiederum steigern.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, in einem dürften viele mit mir einer Meinung sein. Die Schulstrukturdebatte der Siebziger- und Achtzigerjahre brauchen wir nicht zu wiederholen, die ist passé.
Aber eine Schulstrukturdebatte auf der Grundlage qualitativer Erkenntnisse über Schule werden wir zum geeigneten Zeitpunkt führen können und auch müssen. Heute gilt es erst einmal, Vorhandenes und Neues klug und umsichtig weiterzuentwickeln und miteinander zu verbinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wenn wir dieses konsequent machen und dabei als erstes immer den Weg der Qualitätsentwicklungen von Schule im Auge haben, damit automatisch die Qualität der Schulabschlüsse nachhaltig verbessern werden. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Senatorin Dinges-Dierig, wir sind doch viel weiter als vor zehn, 20 Jahren. Wir müssen die Strukturfrage nicht ideologisch mit einem Glaubenskrieg hier führen. Hamburg hat in den Neunzigerjahren die empirische Wende durch die Lernausgangsuntersuchung eingeleitet. Hamburg war Vorreiter darin, Entwicklungen in der Schule auf der Grundlage verlässlicher empirischer Daten zu machen, um von dem Glaubensstreit, der uns allen zum Halse heraushängt, wegzukommen. Sie haben diese Daten auch in Ihrem Haus und können darüber verfügen.
Wir wissen, dass das dreigliedrige Schulsystem nicht reicht, um die Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Begabung zu beschulen. Sie haben in den Realschulen Schülerinnen und Schüler mit gleichem Leistungsvermögen wie in den Gymnasien und umgekehrt und sie haben an den Hauptschulen leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, die dort völlig falsch sind; es gelingt eben nicht. Aber wir wissen auch aus den Untersuchungen, die gemacht worden sind, um die integrierten Haupt- und Realschulen zu überprüfen, dass das, was Herr Freistedt auch formuliert hat, eben nicht eingetreten ist. Die gemeinsame Beschulung von Schwächeren und Stärkeren führt nicht dazu, dass die Stärkeren schlechter werden. Und in dem Moment, wo empirisch nachgewiesen ist, dass diese Befürchtung, die ich ja berechtigt finde, nicht eintritt, muss man sich von seinen Glaubenssätzen, die man jahrzehntelang mit sich herumgetragen hat, lösen. Diesen Schritt müssen Sie tun, Sie haben die Grundlage.
Ich will ganz deutlich sagen, dass niemand die Schulstrukturfrage um der Strukturfrage willen diskutieren will. Aber Sie als Senatorin und wir als Abgeordnete haben eine Verantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern und Sie werden mit allen Ihren Bemühungen scheitern, in Hamburg aus der Hauptschule eine gute Schule zu machen; das wird Ihnen nicht gelingen. Diesen Schritt muss man vollziehen, weil man sonst eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern sich selbst überlässt, die das Gefühl haben, vom Leben nicht mehr so viel erwarten zu können und die die Unterstützung von Eltern eben nicht so haben. Das berührt unsere gemeinsame Verantwortung und hat mit Grundsatzfragen fast gar nichts zu tun.
Ich möchte noch etwas zu Ihnen, Herr Freistedt, sagen; Frau Goetsch hat ja einen Journalisten zitiert. Mir stößt es schon ein bisschen seltsam auf, dass bei den Debatten häufig diejenigen am energischsten und mit Vehemenz die Hauptschule verteidigen, die alles tun würden, damit ihre Kinder niemals auf so eine Schule kommen.
Dass das von Eltern gesagt wird, die im Zweifel mit einem Internat in England alles unternehmen, damit ihre Kinder zu höherer Schulbildung kommen und die denjenigen, die diese Möglichkeit nicht haben, weil ihre Eltern nicht über diese Methoden verfügen, im Prinzip eine bessere Schulstruktur verweigern, damit sie ihre Begabungen entfalten können, stößt einem in der Debatte schon auf.
Wo ist denn die Stärkung der Hauptschule, von der Sie reden? Sie haben einen Schulentwicklungsplan vorgelegt, mit dem Sie sich den schwächelnden Schulen vollständig verweigern. Nachdem der Plan zwei Monate alt ist, müssen Sie sechs weitere Standorte aufgeben, weil Ihre Ideologie nicht zu den Realitäten passt. Das ist es doch, was passiert. Und weil Herr Heinemann den Hauch einer Ahnung hat, dass da etwas nicht stimmt, kommt er jetzt mit "Kooperativen Schulen" – immerhin, aber es wird nicht ausreichen.