Protokoll der Sitzung vom 26.05.2005

Was heutzutage an diesen Hauptschulen passiert, grenzt an Verantwortungslosigkeit und überschreitet häufig die Grenze. 20 Prozent bis 25 Prozent schaffen regelmäßig den Hauptschulabschluss nicht. Gegen die Ballung dieser Schülerinnen und Schüler mit ihren negativen Schulkarrieren kommen selbst die besten Lehrerinnen und Lehrer oft nicht gegen an. Es fehlt – was auch zum Lernen unverzichtbar ist – eine Umgebung, in der man gerne sein will, eine Umgebung mit Vorbildern, eine Umgebung, die Perspektiven aufweist.

Diese Jugendlichen haben oft viele Probleme und häufig wenig Unterstützung aus dem Elternhaus. Das kann aber in dieser Schulform kaum verändert werden, denn diese Gruppe ist hier sozial isoliert und hat wenig Kontakt zu anderen Schülerinnen und Schülern. Der große Skandal, dass in Deutschland die soziale Herkunft immer noch so stark von den Bildungsabschlüssen der Eltern vorbestimmt wird und dass es dem deutschen Schulsystem nicht gelingt, hier zu mehr Gerechtigkeit zu kommen, wird durch die Hauptschule nicht eingeschränkt, sondern sogar noch verschärft. Für viele Jugendliche kommt zu der Benachteiligung, die sie aus dem Elternhaus haben, die strukturelle Benachteiligung in einer Schulform, die ihnen zu wenig bietet. Viele wissen oder ahnen die Probleme. Jede neue Anmelderunde – kürzlich auch in Hamburg – zeigt es wieder, dass der Prozess der Abkehr, der sich vollzieht, nicht aufgehalten werden kann. Weder die Versuche, durch innovativen Unterricht hier Verbesserungen zu schaffen, noch die jahrzehntelangen Rufe, insbesondere der CDU, nach der Stärkung der Hauptschule, können diesen Trend aufhalten. Es gibt eine klare Abstimmung mit den Füßen. Eltern und Jugendliche wenden sich von der Schulform ab.

An dieser Stelle – vielleicht heute, ich hoffe, nicht ideologisch – flackert immer wieder der Streit um die Schulstruktur auf. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die Jugendlichen und ihre Eltern nicht am Küchentisch das Für und Wider des gegliederten Schulsystems disku

tieren, sondern sie diskutieren etwas ganz anderes. Sie treffen zwei Entscheidungen: Sie wollen einmal ihren Bildungsweg länger offen halten, sie wollen ihre Bildungspotenziale ausschöpfen, sie wollen sich nicht im Alter von zehn Jahren auf einen Abschluss festlegen, sie wollen sich möglichst nicht auf eine Schullaufbahn festlegen. Deshalb wählen sie sehr bewusst integriertere Schulformen wie die Gesamtschulen oder auch in Hamburg die integrierten Haupt- und Realschulen.

Die zweite Entscheidung, die in Deutschland systematisch getroffen wird, ist die, sich an höheren Bildungsabschlüssen zu orientieren, zu versuchen, einen höheren Bildungsabschluss als beispielsweise die Eltern zu erreichen. Viele wissen doch, dass es selbst mit einem guten Hauptschulabschluss schwer ist, einen Ausbildungsplatz im dualen System zu finden, wie es zum Beispiel in den Sechzigerjahren in Deutschland überhaupt kein Problem war.

Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, scheitert die Hauptschule auch sehr stark an der gestiegenen Bildungsorientierung der Menschen und das ist eine gute Sache. Da muss man eigentlich nichts beklagen, weil das zeigt, dass es ein ungebrochenes Streben von Menschen nach höherer Bildung gibt, dass diese Menschen wissen, dass es im Beruf, in der Ausbildung wachsende Anforderungen gibt, denen sie begegnen müssen, indem sie mehr für ihre Bildung tun und sie tun uns nebenbei mit ihren klugen Entscheidungen auch noch den Gefallen, dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzutreten, auf den wir alle hinzu laufen.

Viele Bundesländer haben Konsequenzen gezogen. Es gibt in ostdeutschen Bundesländern keine Hauptschule mehr. Auch das Saarland war so klug, diesen Schritt zu vollziehen. Auch Hamburg muss diese strukturelle Entscheidung treffen und dem Dahinkümmern dieser Schulform strukturell ein Ende bereiten.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sollten einen Schlussstrich ziehen und die eigenständigen Hauptschulen verbinden zu integrierten Haupt- und Realschulen, in den Gesamtschulen oder vielleicht in Hamburgs Westen, in Altona, sogar ein Gymnasium davon überzeugen, Schülerinnen und Schüler zu integrieren, eine Debatte, die wir sicher noch fortführen werden, weil es dort eine Haupt- und Realschule gibt, die ausschließlich dazu da ist, die Schülerinnen und Schüler, die es in Blankenese, im bildungsorientierten Milieu, am Gymnasium nicht geschafft haben, in Klasse 7 wieder aufzunehmen. Ein völlig unhaltbarerer Zustand, der so nicht weitergehen kann.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich komme zum zweiten Punkt unseres Antrages. Wir fordern, dass alle Schülerinnen und Schüler mindestens zehn Jahre zur Schule gehen. Es ist eine völlige Absurdität unseres Schulsystems, dass diejenigen, die schwächer sind, die mehr Zeit zum Lernen brauchen, in unserem Schulsystem die kürzeste Zeit haben sollen, um zu einem Abschluss zu kommen. Gerade die Schülerinnen brauchen mehr Zeit zum Lernen. Deshalb fordern wir, dass es in Hamburg Normalität für alle wird, zehn Jahre zur Schule zu gehen, statt hinterher unsinnige Zeit in Maßnahmen zu verplempern.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Der dritte Punkt ist, dass wir weiterhin alles dafür tun müssen, dass Schülerinnen und Schüler mindestens den Hauptschulabschluss erreichen.

Frau Senatorin Dinges-Dierig, Sie haben sich von diesem Ziel mehrfach verabschiedet und das hier auch nie korrigiert. Sie haben auch die Einrichtung der Volkshochschule in Röbbek geschlossen, die nachträglich diese Möglichkeit schaffen sollte. Die Zahl derjenigen ohne Abschluss ist in Hamburg viel zu hoch. Sie ist im Übrigen in den letzten Jahren auch leicht gestiegen, wenn ich die Zahlen richtig sehe. Wir müssen etwas dagegen tun, dass diese Quote deutlich unter 10 Prozent gesenkt wird, wie es auch in anderen europäischen Ländern geht. Wir müssen es schaffen, mindestens die 5 Prozent anzustreben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Es reicht aber nicht, nur ein Jahr mehr zum Lernen zu haben, obwohl auch das dazu beitragen wird, dass Schülerinnen und Schüler diesen Abschluss noch haben. Wir wollen auch, dass sich der Unterricht in allen Schulen verändert, dass es praxisorientierten Unterricht gibt, dass es Berufsorientierung gibt. Ich finde es überhaupt nicht einleuchtend, dass die hamburgische Mittelschicht ihre Kinder für ein halbes oder ein ganzes Jahr ins Ausland schickt, wo ja nicht nur eine Sprache gelernt wird, sondern auch völlig andere Erfahrungen gemacht werden, und die sozial schwächeren Kinder nicht die Gelegenheit haben, auch einmal für längere Zeit der Schule den Rücken zu kehren und andere Erfahrungen zu sammeln.

Wir haben uns umgeguckt und schlagen vor, dass wir das niedersächsische Modell der so genannten Praxisklassen auch auf Hamburg übertragen. Es ist ein Modell, bei dem Schülerinnen und Schüler – vergleichbar der Produktionsschule in Hamburg, die eine hohe Akzeptanz hat – für ein, zwei Jahre aus dem normalen Schulunterricht herauskommen, praktische Erfahrungen machen, sinnvoll arbeiten in diesen Werkstätten, aber anschließend – und das ist uns so wichtig – wieder in den normalen Schulunterricht eingefädelt werden, in ihre Klasse kommen und dann Gelegenheit haben, dort den Hauptschulabschluss zu machen. Ich glaube, das ist eine sinnvolle Ergänzung des herkömmlichen Schulunterrichtes.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Meine Damen und Herren! Stimmen Sie unserem Antrag zu, machen Sie diesen Strukturschnitt, lösen wir uns von der eigenständigen Hauptschule, gönnen wir allen Schülerinnen und Schülern zehn Jahre Zeit zum Lernen und wir tun konkret etwas, um Schulen in Hamburg zu verbessern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Freistedt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In dieser Debatte beschäftigen wir uns mit den Chancen unserer Hauptschülerinnen und Hauptschüler. Es geht nicht um Schulideologie und erst recht nicht um die Einführung eines zweigleisigen Sekundarstufenmodells. Aus diesem Grunde sagt die CDU auch nein zu einer Schulstrukturreform, die übereilt von der SPD angeschoben werden soll und bisher in keinem

Bundesland zu nachweislich guten Ergebnissen geführt hat.

Sie stellen häufig Bayern und Baden-Württemberg als ewig Gestrige dar, die sich einer modernen Schulstruktur verschließen und am dreigliedrigen Schulsystem festhalten. Es ist aber schon bemerkenswert, dass gerade diese Bundesländer ausgerechnet positive und sehr bedeutende Fortschritte machen, insbesondere wenn Sie sich die PISA-Studie ansehen, andererseits aber Länder, die Ihnen politisch näher stehen, in der PISA-Studie nicht so gut abgeschnitten haben.

(Doris Mandel SPD: Lichtjahre von Finnland ent- fernt!)

Wir stehen als CDU klar zur Hauptschule als eigenständigem Lernort.

(Beifall bei der CDU)

Wir stehen als CDU hinter den Schülerinnen und Schülern der Hauptschule und sagen laut und deutlich, dass Hauptschülerinnen und -schüler sich nicht zu verstecken brauchen. Sie brauchen sich auch nicht wegintegrieren zu lassen,

(Luisa Fiedler SPD: Chancen!)

denn Hauptschulbildung ist uns kostbar und verlangt auch in Zukunft unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie nun die Abschaffung eigenständiger Hauptschulen in Ihrem Antrag fordern, dann müssen Sie sich vorhalten lassen, dass Sie mit der Abschaffung der Hauptschule nicht die Probleme leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler lösen.

(Luisa Fiedler SPD: Und ob!)

Im Gegenteil. Die Integration in Realschulen wird die Hauptschüler erst recht als Anhängsel, als geduldete und unterlegene Schüler erscheinen lassen. Der einzige Vorteil wäre vielleicht, dass Sie im Zeugniskopf das Wort Haupt- und Realschule wiederfinden können.

Die Annahme, leistungsschwache Schüler werden automatisch von leistungsstärkeren motiviert,

(Luisa Fiedler SPD: Ja!)

ist oberflächlich. Die Möglichkeit, dass die stärkeren Schüler gebremst werden können, wischen Sie einfach beiseite.

(Beifall bei der CDU – Luisa Fiedler SPD: PISA!)

Wir wollen als CDU der Hauptschule inhaltlich und organisatorisch mehr Chancen einräumen und künftige Abnehmer unserer Hauptschüler auf die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit dieser Schulform aufmerksam machen.

(Luisa Fiedler SPD: Fünfzigerjahre!)

Aus diesem Grunde hat die Behörde in den vergangenen Tagen zentrale schriftliche Prüfungen für den Hauptschulabschluss in den Fächern Englisch, Mathematik und Deutsch angesetzt und wir erwarten von den Ergebnissen aussagefähige Leistungsbeurteilungen, mit denen später Betriebe landesweit sichere Erkenntnisse über die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler beziehungsweise der

Auszubildenden erhalten. Als erstes Bundesland wird ab dem kommenden Schuljahr auf Anregung der Senatorin der Hauptschulabschluss einen praktischen Prüfungsanteil beinhalten. Dabei werden die Schülerinnen und Schüler nach Einübung und Vorbereitung durch Lehrer eine Präsentation vornehmen, deren Inhalt sich auf Erfahrungen aus der Berufswelt stützt.

Diese Neuerung zeigt, dass wir nicht nur das Dilemma der Hauptschule beklagen, sondern durch Innovation und lerndidaktischer Ergänzungen diese Hauptschule als eigenständige Schulform stärken. Der Hauptschule helfen wir nicht durch Klagen, sondern durch das Können der Schüler. Unser Konzept der Hauptschule, mehr noch, es hilft den Hauptschülerinnen und -schülern, den Anforderungen der Berufswelt positiv gegenüberzutreten. Ihr Vorschlag dagegen, Hauptschulen zugunsten integrierter Schulformen abzuschaffen, ist wieder die ideologische Verquerung alter Hüte.

(Beifall bei der CDU)

Die ehemalige Schulministerin Behler aus NordrheinWestfalen, lange Jahre dort im Amt der jetzt abgewählten rotgrünen Landesregierung und dort für Bildungsfragen zuständig, hat immerhin eine richtige Erkenntnis geäußert: Mit der Vereinigung von Haupt- und Realschule wird – so sagt die Ministerin – nur vordergründig ein Imageproblem gelöst.

(Karen Koop CDU: Genau! und Beifall)

Hauptschüler gehen – so ihre Befürchtung – im Wettbewerb unter.

In Ihrem Antrag steht aber auch etwas Richtiges, was ich nachdrücklich unterstreichen möchte. Wir wissen von dem Engagement vieler Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen, besonders aber in der Hauptschule, und an dieser Stelle ist es sicherlich richtig, der Lehrerschaft für den Einsatz im zu Ende gehenden Schuljahr zu danken.

(Lachen bei Wilfried Buss SPD)