Protokoll der Sitzung vom 23.06.2005

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drucksache 18/2367 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drucksache 18/2368 –]

[Bericht des Eingabenausschusses: Eingaben – Drucksache 18/2369 –]

Zunächst zum Bericht 18/2366. Mir ist mitgeteilt worden, dass aus den Reihen der GAL-Fraktion gemäß Paragraph 26 Absatz 6 unserer Geschäftsordnung das Wort begehrt wird. Herr Sarrazin, Sie haben das Wort für maximal fünf Minuten.

Frau Vorsitzende, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird keine Rede, sondern ein Beitrag. Es soll auch nicht eine brennende Überzeugungsrede werden, wie Sie es vielleicht sonst von mir gewohnt sein mögen,

(Zurufe von der CDU)

sondern eine Anregung zum Nachdenken.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist ja ganz was Neues!)

Diese Gelegenheit möchte ich hier auch nutzen, die einem die Geschäftsordnung an dieser Stelle gibt.

Artikel 3 unseres Grundgesetzes definiert den Gleichheitsgrundsatz, die Gleichheit vor dem Gesetz. Artikel 38 – und das ist ebenso wesentlich in unserer Demokratie – definiert die Allgemeingültigkeit des Wahlrechts. Unsere Demokratie, die sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dass durch die repräsentative Demokratie durch Wahlen die Macht auf Zeit an Volksvertreter vergeben wird.

Artikel 38 Absatz 1 definiert diese Wahlen als nicht nur unmittelbar, frei, gleich und geheim, sondern auch als allgemein. Erst Artikel 38 Absatz 2 schränkt dieses wieder ein, indem er das Wahlalter für die Wahlen zum Bundestag auf 18 Jahre festlegt. Soweit ich juristisch bewandert bin,

(Michael Neumann SPD: Fragen Sie Herrn Ha- mann!)

Herr Neumann, ich habe das mitbekommen, weil er anscheinend sehr bewandert ist, aber man weiß immer nicht, ob es wirklich Bewanderung oder nur Prollen ist, aber das kann man anheim stellen – ist es so, dass es eine Einschränkung ist und diese Einschränkung muss rein verfassungsrechtlich überprüft werden, ob sie erforderlich, ob sie zumutbar ist und sie muss auch abgewogen sein, wenn man sie trifft.

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Genau darum geht es mir hier. Ich möchte bei Ihnen für das Verständnis werben, dass auch Jugendliche, Mädchen und Jungen, Jungerwachsene, Menschen unter 18 Jahren, grundsätzlich – genauso wie wir alle – Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind, eben durch Artikel 3 und Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes.

(Beifall bei der GAL)

Diese Formulierung unserer Verfassung kehrt auch die normalerweise in der Politik leider nicht so vollzogene Beweislast um. Ich muss Ihnen nicht beweisen, warum ich für Wahlalter 16 bin, Sie müssen mir beweisen, wa

rum eine Wahlaltereinschränkung, wie Sie sie jetzt beim Wahlalter 18 sehen, zumutbar, erforderlich und auch begründet ist.

(Beifall bei der GAL)

Diese Begründung haben Sie bisher in den Ausschussbefassungen, nachdem was ich im Eingabenausschuss und auch aus den anderen Ausschüssen gehört und gelesen habe, leider nicht geliefert. Darum dachte ich, Ihnen hier einmal die Gelegenheit zu geben, das nachzuliefern.

(Beifall bei der GAL)

Wir haben diese Überlegungen gemacht und uns mit Studien befasst, die sich mit Entwicklungspsychologie befassen. Diese Studien – zumindest alle, die wir kennen, vielleicht haben Sie noch andere, das wäre sehr interessant, davon zu hören – beweisen eindeutig, dass man, was die moralischen und die kognitiven Fähigkeiten angeht, das Entwicklungsstadium, welches der größte Teil von uns allen, auch in diesem Saal, nie überschreiten wird, schon ab einem Alter von 14 Jahren erreicht. Das heißt, im Grunde genommen ist der Durchschnitt der Bevölkerung, wenn es darum geht, dass er abwägen kann, dass er vergleichen kann und dass er Entscheidungen treffen kann, ab 14 Jahren in einer Fähigkeit, die – zumindest diesen Studien zufolge – von den meisten Menschen nicht mehr übertroffen werden wird.

(Beifall bei der GAL – Olaf Ohlsen CDU: Das ist ja weltfremd! – Wolfhard Ploog CDU: So spät?)

Es gibt manchmal auch Beweise, die sich dann so zeigen. Deswegen möchte ich Sie noch einmal bitten, in eine Abwägung einzutreten und das vor dem Hintergrund dessen, was wir in Zukunft entscheiden werden, nicht nur vor dem Hintergrund dieser Eingabe. Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren eine Verwaltungsreform, die vom Senat angekündigt wurde, bewegen. Ich denke, wir müssen vor dem Hintergrund der Veränderung in der Gesellschaft und auch der Herausforderung in der Gesellschaft genau diese Abwägung, die aus meiner Sicht jetzt von Ihnen nicht geleistet wurde, im Rahmen der Verwaltungsreform leisten. Wir müssen dazu kommen, dass zumindest auf kommunaler Ebene im Rahmen der Verwaltungsreform jüngere Menschen, Mädchen und Jungen, Jungerwachsene, wie immer man sie auch nennen möchte, wie von unserer Verfassung vorgesehen, auch als Staatsbürger anerkannt werden und dass das Wahlalter, das aus unserer Sicht, so wie es jetzt zugeschnitten ist, nicht den eigentlichen verfassungsrechtlichen Maßgaben genügt, korrigiert wird. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt Dr. Jäger. Auch für Sie gelten maximal fünf Minuten.

(Karen Koop CDU: Gefühlte zehn Minuten!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Sarrazin, Sie haben viel geredet, aber nichts Überzeugendes gesagt.

(Beifall bei der CDU)

Insbesondere haben Sie keinen vernünftigen Grund für eine Vorverlegung des Wahlalters auf 16 Jahre vorgelegt.

(Katja Husen GAL: Sie haben nichts verstanden!)

Ich habe das sehr wohl verstanden. Aus unserer Sicht gibt es diesen auch nicht, denn das aktive und das passive Wahlrecht sollen gerade nicht auseinander fallen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben uns auch im Verfassungsausschuss damit beschäftigt.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sarrazin.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Das ist ja unfair, Herr Sarrazin, erst quatschen und dann eine Zwi- schenfrage!)

Nein. Ich komme auf die Erörterungen im Verfassungsausschuss zurück. Wir haben uns da auch mit der Frage befasst, ob eine Absenkung des Wahlalters zu einer erhöhten Wahlbeteiligung der über Achtzehnjährigen führt und das ist eben nicht so. Insofern gibt es auch hier keinen Grund, das Wahlalter abzusenken. Aus unserer Sicht ist das Wahlalter ab 18 sachgerecht und wir als CDU-Fraktion lehnen daher eine Absenkung auf 16 ab.

(Beifall bei der CDU – Bernd Reinert CDU: Sehr richtig!)

Lassen Sie mich zum Abschluss eine Bemerkung machen. Wir als CDU stehen hier nicht im Verdacht, eine Regelung nicht zu wollen, die uns schaden würde, denn auch in der Gruppe der Sechzehn- bis Achtzehnjährigen wären wir die stärkste Partei, wie wir es übrigens auch bei den Erstwählern sind.

(Beifall bei der CDU)

Insofern entscheiden wir gerade nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten, sondern nach sachgerechten Kriterien. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Kienscherf. Auch für Sie gelten fünf Minuten.

(Wolfhard Ploog CDU: Jetzt bin ich ja gespannt, weil er eben nicht geklatscht hat bei Herrn Sarra- zin!)

Ich will es auch nicht so furchtbar lang machen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir Sozialdemokraten hätten uns gewünscht, dass wir diese Diskussion auch im Verfassungsausschuss etwas sachorientierter geführt hätten. Wir haben Sympathie dafür darüber nachzudenken, ein Wahlalter ab 16 einzuführen, aber wir meinen, dass man dies dann mit der gebotenen Ausführlichkeit im Rahmen der Bezirksverwaltungsreform tun muss. Das ist unsere Ansicht. Ich glaube, es bringt auch den Jugendlichen nichts, wenn man das, wie die CDU das heute hier tut, einfach so abtut nach dem Motto: Das wollen wir nicht. Es ist überlegenswert, darüber muss man nachdenken, darüber muss man konstruktiv diskutieren. Das, was Sie hier machen, auch anlässlich der Eingabe nicht darüber diskutieren zu wol

len, dient nicht der Sache. Auch da haben Sie wieder einmal eine Chance vertan, für mehr Demokratie zu sorgen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann kommen wir zur Abstimmung.