Protokoll der Sitzung vom 01.02.2006

Das Wort bekommt Herr Sarrazin.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu Beginn kann ich auch für meine kranke Kollegin, Christa Goetsch, sagen, dass wir froh sind, uns heute über dieses Thema nicht streiten zu müssen. Das ist vielleicht die wichtigste Meldung, die heute aus diesem Haus hinaus geht. Da die ganze Stadt so von dem tragischen Schicksal von Jessica geschockt war, wäre es ein absolut falsches Signal gewesen, wenn wir es nicht hinbekommen hätten, uns zu einigen und gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Man kann wirklich sagen, dass die ganze Stadt vom Schicksal der kleinen Jessica geschockt war. Ich möchte auf die Bedeutung hinweisen, die es hatte, dass wir als Parlament diesen Sonderausschuss gemeinsam eingesetzt und geführt haben. Das Parlament hat deutlich gemacht, dass es sich in der Pflicht sieht, darauf zu reagieren, und dass es sich in der Pflicht sieht, auch politische Handlungsmaßstäbe und politische Leitlinien zu setzen, nach denen in Zukunft hier verfahren werden soll.

Es ist außerordentlich angemessen, dass wir am Ende gemeinsam zu einem Schluss gekommen sind, zu einem Schluss, von dem auch wir Grünen sagen, dass es ein richtiger und wichtiger Schritt in Richtung eines Netzwerks Kindeswohl ist, wie wir es uns für Hamburg vorstellen. Wir hoffen, dass auch der Senat diesen Weg konsequent und zügig weitergehen wird.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Ergebnis des Sonderausschusses ist deswegen ein gutes Ergebnis für die Kinder in Hamburg heute. Ich möchte Ihnen kurz erläutern, warum das so ist: Der Senat hat ja – darüber haben wir hier übrigens mehr gestritten als heute – vor einigen Monaten auch ein Konzept vorgelegt, das er "Hamburg schützt seine Kinder" nannte. Für uns ist ganz wichtig festzustellen, dass das Ergebnis des Sonderausschusses deutlich über dieses Konzept hinausgeht.

Uns waren im Wesentlichen vier Punkte besonders wichtig, die Sie im Abschlussbericht des Sonderausschusses finden: Der Sonderausschuss stellt fest, dass das Hilfesystem klar, zielgerichtet und verbindlich gestaltet werden muss. Er sagt:

"Es darf kein Verschieben von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu Lasten der Kinder geben."

Das hat dieser Sonderausschuss und haben alle Fraktionen gemeinsam zu Recht festgestellt. Er sagt auch, die Zusammenarbeit der Behörden untereinander, aber auch mit anderen Beteiligten, die sich um Kinder kümmern, müsse verbessert und systematisiert werden. Er sagt ganz deutlich, die personelle Ausstattung der Allgemeinen Sozialen Dienste müsse verbessert werden, auch so, dass wieder aufsuchende Familienarbeit vorgenommen werden kann.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Und er sagt, dass ein Fallmanagement eingeführt werden müsse, was den Einzelfall betrifft, was aber auch Zusammenarbeit bedeutet, wenn es eine Familie gibt, deren Fall bei verschiedenen Behörden aufläuft, damit die eine

Hand weiß, was die andere tut, und man nicht nebeneinanderher arbeitet. Das sind ganz wichtige Punkte, die dort festgehalten wurden und die auch uns sehr wichtig waren. Wir sind froh, dass wir das getan haben und diese Punkte dort auftauchen.

Zu dem, was Herr Kienscherf angesprochen hat: Man kann sagen, dieses Ergebnis des Sonderausschusses ist ein Erfolg des Parlamentes. Es ist auch ein Erfolg dessen, dass die Fraktionen nach dem Streit – zu dem ich gleich noch etwas sagen werde – letztlich doch zusammengefunden haben. Deswegen gilt unser Dank retour an die Kollegen und Kolleginnen von den anderen Fraktionen. Es ist aber auch ein Erfolg der Menschen, die in den Sonderausschuss gekommen sind, Statements gegeben oder uns mit Stellungnahmen versorgt haben, aus denen wir Inhalte gezogen haben. Das waren Schulen, Organisationen, Verbände, Juristinnen und Juristen, Medizinerinnen und Mediziner, aber auch einfach engagierte und interessierte Bürgerinnen und Bürger. Sie haben unsere Arbeit im Sonderausschuss begleitet. Es ist auch deren Erfolg, dass wir heute einen gemeinsamen Abschluss dessen haben und nicht im Parteienstreit untergehen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Es ist aber auch so, dass jemand anders einen gewissen Beitrag dazu geleistet hat. Die Grünen bedanken sich ja nicht häufig bei den Medienvertretern. Ich muss sagen, dass diese die Arbeit des Sonderausschusses jedoch sehr offen begleitet und auch manchen Einzelfall aufgedeckt und herangezogen haben, der uns deutlich gemacht hat, worum es geht und unter welchem Druck wir stehen, tatsächlich zu handeln. Auch das hat sicherlich einen Beitrag dazu geleistet, dass sich der Senat bewegt hat.

Wir wollen natürlich nicht so tun, als hätten wir nur Friede, Freude, Eierkuchen im Sonderausschuss gehabt. Das wäre dem Thema nicht angemessen gewesen. Es gab also auch Differenzen. So ist für mich immer noch unvergessen, wie sich der Amtsleiter, Herr Riez, in einer Ausschusssitzung zur Senatsdrucksache "Hamburg schützt seine Kinder" selbst pries und sagte, wenn das nun umgesetzt werde, sei in Hamburg das Optimum für das Kindeswohl erreicht. Das stimmt nicht. Das hat der Senat auch inzwischen selbst gezeigt. Das langsame und späte, aber dann doch vorhandene Nachgeben zum Beispiel bei der Personalausstattung im Allgemeinen Sozialen Dienst zeigt, dass sich diese Sturheit zum Glück nicht lange halten konnte.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Festzuhalten ist aber auch, dass der Senat keineswegs der tatkräftige Motor war. Die Senatorin ließ im Ausschuss meistens ihre Beamten reden und hat nicht viele politische Bewertungen oder Vorschläge zur Arbeit beigetragen.

Es ist also ein Erfolg des Parlaments, der Legislative, dass wir hier zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind

(Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

und das wir weitergehende Forderungen, als der Senat sie formuliert hat, aufgestellt und gebracht haben.

(Beifall bei der GAL)

Dieses Parlament schreibt nun dem Senat eine ganze Menge Hausaufgaben in das Stammbuch. Das tun wir gemeinsam und diese Aufgaben sind wichtig. Entscheidend ist aber, dass diese Vorgaben von Ihnen, Herr von Beust, Frau Schnieber-Jastram, aber natürlich auch von den Mitarbeitern vor Ort, so gut es geht zügig und konsequent umgesetzt werden, damit wir zu einem Netzwerk Kindeswohl kommen und von Ihnen und uns gemeinsam ein Netzwerk Kindeswohl gestrickt wird.

Herr Kienscherf hat das für die SPD bereits erklärt und das gilt auch für uns: Wir werden das konstruktiv, aber auch gern kritisch begleiten und wir werden weiterhin unser Auge darauf haben.

Ich möchte das auch ausdrücklich an die Vertreterin der CDU weitergeben. Nachdem wir jetzt zu einer Gemeinsamkeit gekommen sind, lassen Sie uns auch versuchen, die Arbeit des Senats gemeinsam kritisch, aufmerksam und natürlich auch konstruktiv im Fachausschuss und untereinander zu überprüfen. Dann bin ich mir sicher, dass wir tatsächlich in Hamburg vielleicht auch Vorbild für andere Landtage, in denen das Thema diskutiert wird, sind.

So gehört es sich in solchen Fragen für ein Parlament. So gehört es sich für die Bürgerschaft. Und ich denke, heute wissen wir das auch alle hier. – Danke sehr.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort erhält die Zweite Bürgermeisterin Schnieber-Jastram.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Sonderausschuss "Vernachlässigte Kinder" hat seine Arbeit beendet und er hat – wie soeben auch hier dargestellt – eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen. Und dieses gemeinsame Votum bestärkt den Senat darin, den Prozess der Verbesserung des Kinderschutzes fortzuführen.

Es hat sich etwas verändert in dieser Stadt. Das ist unstrittig. Noch während der Arbeit des Ausschusses haben wir begonnen – das wissen Sie alle –, die Themen und Anregungen, die in den vielen Anhörungen angesprochen und vorgetragen wurden, aufzugreifen und das zunächst einmal auch in der Drucksache "Hamburg schützt seine Kinder", die wir im August präsentiert haben, wiederzugeben. Diese Drucksache sollte – wie Sie auch wissen – zu keinem Zeitpunkt einen Endpunkt markieren, sondern einen Beginn, insbesondere im Verwaltungshandeln. Sie sollte dafür sorgen, dass auch wirklich alle Akteure sensibilisiert werden und die Handlungsfähigkeit der Jugendämter erhöht wird.

Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die ich dann auch Ende November hier in diesem Hause verkündet habe. Das ist unter anderem die Einführung einer Task Force Kinderschutz. Ich kann Ihnen heute mitteilen, dass diese Task Force steht und die Personen ausgewählt sind. In Kürze wird in allen Bezirken und beim Kinder- und Jugendnotdienst diese Task Force präsent sein. Das heißt, Erreichbarkeit rund um die Uhr. Der Start der Hotline Kinderschutz ist gewährleistet. 426 427 428 lautet diese zentrale Telefonnummer, unter der ebenfalls jeder zu jeder Tageszeit anrufen kann.

Dann hat der Senat eine Bundesratsinitiative beschlossen, die U 1- bis U 9-Untersuchungen verbindlich zu machen. Schließlich hat auch die zügige Realisierung der Hebammen-Projekte begonnen. Sechs weitere Hebammen-Projekte sind auf den Weg gebracht, also niedrigschwellige Angebote.

Außerdem haben inzwischen alle Bezirksämter erklärt, die vakanten ASD-Stellen zu besetzen. Das ist natürlich auch ein Erfolg des Parlamentes und der vielen Diskussionen. Darüber hinaus hat die Finanzbehörde über den Sollbestand hinaus zwei zusätzliche Stellen in Bergedorf genehmigt. Mit gleicher Energie werden wir die Empfehlungen des Ausschusses umsetzen, soweit wir sie nicht schon umgesetzt haben. Ich nenne hier beispielsweise die Initiative, die U 1- bis U 9-Untersuchung verpflichtend zu machen.

Wir freuen uns, dass es hier in diesen Fragen eine Unterstützung des gesamten Hauses gibt.

(Beifall bei der CDU)

Ich will auch aus Zeitgründen hier nicht alle 16 Empfehlungen ansprechen und den jeweiligen Sachstand mitteilen. Daher will ich mich auf einzelne Punkte beschränken.

Bei den Allgemeinen Sozialen Diensten standen die Stellenanforderungen immer im Vordergrund. Uns ist sehr wichtig, deutlich zu machen, was auch im Ausschuss sehr stark zum Ausdruck gekommen ist, dass es auch darum geht, ein Fall-Management einzuführen. Wir nehmen das zügig in Angriff und wir brauchen hierzu ein professionelles Netzwerk-Management. Wir bereiten eine umfassende Modernisierung der Arbeitsweise unserer Jugendämter vor. Ich glaube, das haben wir aus diesem Fall gelernt, dass das wichtig ist. Wir verstärken die präventive Arbeit.

Die U 1- bis U 9-Untersuchung wollen wir verbindlich machen. Darüber hinaus prüfen wir auch, wie zeitliche Lücken in der Abfolge der Vorsorgeuntersuchungen geschlossen werden können. Wir müssen daran denken und wollen die Initiative ergreifen, den Untersuchungskatalog auch um Hinweise auf Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch zu erweitern. Es kann nicht allein damit geschehen sein, ein Kind zu sehen, sondern Ärzte müssen auch wissen, was und wie sie untersuchen sollen und wie sie auf solche Anzeichen aufmerksam werden.

Die niedrigschwelligen Angebote zur Unterstützung von Familien haben wir im Rahmen der Weiterentwicklung der Jugendhilfe ganz erheblich ausgebaut und jeder Abgeordneter, egal welcher Fraktion er angehört, kann im eigenen Wahlkreis und im eigenen Bezirk sehen, was sich in den letzten Jahren dort wirklich verändert hat. Das heißt nicht, dass wir an dieser Stelle Stillstand haben, sondern es wird immer wieder auch noch Weiteres zu tun sein.

Wir werden die Öffentlichkeitsarbeit zum Kinderschutz verstärken. Schon in den nächsten Tagen wird es die Kampagne zur Hotline geben mit der Bekanntgabe der Rufnummer 426 427 428 für Erreichbarkeit bei Tag und Nacht. Das wird wirklich auch für alle Bürger dieser Stadt eine wichtige Telefonnummer sein.

Die Empfehlungen des Ausschusses werden wir zusammen mit den laufenden Aktivitäten aus unserer Druck

A C

B D

sache "Hamburg schützt seine Kinder" zu einem Handlungsschwerpunkt für Familien und Kinder in Hamburg bündeln.

Die sozialpolitische Denkweise, die das Handeln der Jugend- und Familienhilfe in Hamburg prägt, möchte ich gern in drei Leitsätzen zusammenfassen. Wir wollen die Erziehungskraft und die Erziehungsverantwortung der Familien in dieser Stadt stärken. Wer das aus eigener Kraft nicht schafft, erhält unsere Unterstützung. Wer allerdings seine Verantwortung nicht wahrnimmt und die angebotene Unterstützung nicht annimmt, der muss mit Intervention und gegebenenfalls auch mit Sanktion rechnen.

Diese Leitsätze beschreiben – glaube ich – zugleich, was Jugendhilfe und Familienförderung in Hamburg sicherstellen muss. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Verwaltung für alle drei Aspekte fit zu machen. Ohne das bürgerschaftliche Engagement und ohne die Aufmerksamkeit für das Wohl unserer Kinder wird allerdings auch die beste Verwaltung nicht verhindern können, dass Kinder vernachlässigt werden. Es wird also weiterhin ganz entscheidend darauf ankommen, dass wir unsere Stadtteile lebendig halten, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt aufeinander zugehen, sich einander kennen, sich umeinander kümmern und dass private sowie öffentliche Dienste miteinander kommunizieren. Dieses ist das Pfund, mit dem wir wuchern können, denn wir haben in allen Stadtteilen viele Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren.

Ich würde mich freuen, wenn mich mein Eindruck nicht trügt, dass wir jetzt am Schluss des Sonderausschusses erreicht haben, dass für das Wohl von Hamburgs Kindern alle an einem Strang ziehen. Ich denke, das ist sehr gut so und ich möchte mich hierfür bedanken.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Ernst.