Protokoll der Sitzung vom 29.03.2006

Frau Blömeke, dem Sprechzettel entnehme ich, dass Sie nachher noch zu dem Antrag sprechen wollen, der das Verhalten des Senats in der Protokollaffäre rügen soll. Vor dem Hintergrund des eben Gesagten müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie die geeignete Rednerin zu diesem Thema sind

(Beifall bei der CDU und Zuruf von Manuel Sarrazin GAL)

oder ob es nicht klüger wäre, Herrn Dr. Steffen das Wort zu überlassen.

(Werner Dobritz SPD: Sie werden als Zeuge ver- nommen, Sie sind befangen!)

Betrachten wir uns weiter den selbst ernannten Mittelpunkt des Untersuchungsausschusses, den Aufklärer, Ankläger und Richter in einer Person. Sie haben es erraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich spreche von unserem geschätzten Kollegen Böwer.

(Zurufe von der SPD und der GAL)

Dieser musste inzwischen einräumen – ich weiß nicht, warum Sie so schreien, hören Sie doch zu, das sind Punkte, die Sie vielleicht für die Aufklärung in den eigenen Reihen besonders interessieren sollten –,

(Beifall bei der CDU)

dass er als erster von allen Ausschussmitgliedern von der Weiterleitung der Protokolle erfahren hat. Er ist nämlich am 2. März um 11.00 Uhr von der Mitarbeiterin des Ausschusses direkt angerufen worden, die aufseiten des Arbeitsstabs die Weitergabe der Protokolle zu verantworten hat.

(Michael Neumann SPD: Das wissen Sie auch schon?)

Nebenbei bemerkt, es handelt sich um die Mitarbeiterin, gegen die schon einmal wegen illegaler Weitergabe von Informationen an die SPD ermittelt wurde. Mir fällt hier das berühmte Motto des Hosenbandordens ein: "Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt."

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Wir nehmen mal den Maßstab des Bürgermeisters – unappetitlich – und Sie haben die Befähigung zum Richteramt!)

Herr Böwer, zu diesem ominösen Anruf müssen Sie sich einige Fragen gefallen lassen. Welche Nummer wählte die Mitarbeiterin, die Ihres Abgeordnetenbüros oder Ihre Dienst- oder Ihre Handynummer? Wenn es die Dienst- oder Handynummer war, woher hatte die Mitarbeiterin

diese? War es das erste derartige Gespräch? Warum rief diese Mitarbeiterin sofort nach Bekanntwerden der Weiterleitung ausgerechnet Sie an? Und eine weitere Frage, die mich auch persönlich interessiert: Warum informierten Sie mich nicht über dieses Telefonat, als ich Sie zwei Stunden später über die Weiterleitung der Protokolle informierte?

(Bernd Reinert CDU: Ach, nee!)

Bisher haben Sie immer wieder geantwortet, man könne sich nicht dagegen wehren, angerufen zu werden. Das, Herr Böwer, ist zwar richtig, aber man kann sich dagegen wehren, sich am Telefon eine längere Geschichte anzuhören. Man kann sein Gegenüber auf eine schriftliche Anweisung des Leiters des Arbeitsstabs hinweisen, die besagt, dass alle Mitglieder des Arbeitsstabs keinen direkten Kontakt zu den Ausschussmitgliedern suchen dürfen. Dieser Kontakt darf nur über den Leiter des Arbeitsstabs stattfinden. Herr Böwer, Sie können mir nicht erzählen, dass diese Anweisung Ihnen nicht geläufig war, nicht, nachdem ich Sie zufällig zu Beginn der Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in trauter Runde mit den von der SPD benannten Vertretern im Arbeitsstab in der Vorbesprechung Ihrer Partei angetroffen habe.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen und zusammenfassen: Es gibt keine Krise in der Stadt,

(Dirk Kienscherf und Werner Dobritz, beide SPD: Nein!)

Senat und CDU-Bürgerschaftsfraktion sind einig, stark und handlungsfähig und der Opposition nimmt man den Heiligenschein, den diese sich in der Protokollaffäre angemaßt hat, nicht mehr ab. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Herr Maaß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben einen ganz neuen Bürgermeister erlebt. So kannten wir ihn noch gar nicht, den bisher präsidialen Ole von Beust, mit Angstbeißen in Richtung Petersen, Böwer und Goetsch. Es ist auch ganz interessant, einmal zu sehen, wie so ein Bürgermeister in der Krise reagiert.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Jäger, war es wirklich notwendig, hier eine Bewerbungsrede zu halten? Ist es vielleicht doch noch nicht in trockenen Tüchern, dass Sie Staatsrat werden? Sie sind im Übrigen wirklich der Letzte, der hier den Vorwurf der Befangenheit gegen irgendeine Abgeordnete erheben sollte.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Deswegen zurück zur Sache. Es sind heute zwei Themen zu debattieren, erstens der Kern der Protokollaffäre, nämlich die Frage, warum mussten wir heute überhaupt einen neuen Justizsenator wählen, und zweitens das Verhalten des Senats und des Bürgermeisters bei der Aufklärung und beim Krisenmanagement und schließlich auch das Thema Verantwortung, das der Bürgermeister selbst angesprochen hat.

Zunächst zum Auslöser der heutigen Debatte, den Vorkommnissen um die Weitergabe von Protokollen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Da ist es vielleicht auch ganz interessant festzustellen, dass offenbar senatsnahe Medien heute mehr wissen als das Parlament. Das nenne ich wirklich einen ganz dummen Zufall, Herr Bürgermeister.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Man muss, weil hier unklar argumentiert und versucht wurde, auch Sachen zu vernebeln,

(Frank-Thorsten Schira CDU: Von wem denn?)

noch einmal rekapitulieren, was eigentlich passiert ist und warum wir heute einen neuen Senator zu wählen hatten. Gerade Herr Jäger und der Bürgermeister haben, indem sie zwei Dinge miteinander verwischt haben, das Problem nicht klar genug benannt. Es geht bei der Protokollaffäre nämlich darum, dass der Senat als erste Gewalt offenbar das Parlament, also die zweite Gewalt, bei der Aufklärung von schwerwiegenden Missständen innerhalb des Senats behindert hat. Das ist erst einmal das Grundproblem, denn die Arbeit eines Untersuchungsausschusses, das schärfste Schwert des Parlaments, wurde offenbar gezielt obstruiert, indem vertrauliche Unterlagen vom Senat angefordert wurden und sich dadurch möglicherweise Zeugen, die der Parlamentarische Untersuchungsausschuss vorladen wollte oder vorgeladen hat, miteinander absprechen konnten und deswegen die Aussagekraft dieser Aussagen gemindert wurde. Das ist das Problem, dass sich die erste Gewalt in Aufklärungsarbeit der zweiten Gewalt eingemischt hat.

Jetzt wird gesagt, die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten an die Presse aus dem Untersuchungsausschuss wäre sozusagen das Gleiche. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich muss das aufgeklärt werden und das sind auch Rechtsverstöße, aber es ist etwas anderes, ob aus einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Missstände an die Öffentlichkeit gebracht werden oder ob der Senat gezielt versucht, die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu behindern. Da vernebeln und verwischen Sie die Problematik, Herr Jäger, das ist das Problem.

(Beifall bei der GAL und der SPD – Klaus-Peter Hesse CDU: Versuchen Sie gerade, Frau Blömeke reinzuwaschen?)

Im Übrigen können Sie sicher sein, dass das Parlament seinen Teil zur Aufklärung leisten wird und ich glaube auch nicht, dass wir uns da Ratschläge vom Bürgermeister oder von irgendjemand anderem gefallen lassen müssen. Im Einzelnen sind wirklich erstaunliche Dinge passiert und wir müssen auf diese Einzelheiten noch einmal eingehen, weil hier eben versucht wurde, die Sache in eine ganz andere Richtung zu lenken.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss untersuchte gravierende Missstände bei einem Prestigeprojekt des Senats, der geschlossenen Unterbringung. Da geht es um nicht weniger als Freiheitsberaubung im Amt durch rechtswidrige Einweisungen von Kindern in das Heim, um Ausbrüche in Serie und schwere Sicherheitsmängel, um die pädagogische Vernachlässigung von Kindern in staatlicher Obhut – anders kann man es nicht nennen, wenn Kinder 15 Stunden von Sicherheitsdiensten verwahrt werden – und um die rechtswidrige Vergabe von Psychopharmaka, also nicht weniger als den Vorwurf der Kör

perverletzung im Amt. Es geht auch um den Verdacht von wiederholten schweren Straftaten, die unter der Verantwortung der Sozialsenatorin und der Zweiten Bürgermeisterin begangen worden sein könnten, und man kann verstehen, dass da eine gewisse Nervosität bei Ihnen ausbricht, Frau Schnieber-Jastram.

Genau darum kümmert sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss und er vernimmt dazu Zeugen und fertigt vertrauliche Unterlagen an und diese Unterlagen gelangten dann in Ihre Behörde, Frau Schnieber-Jastram, die für die Missstände die Verantwortung trägt. Als diese Unterlagen dann irgendwann nicht mehr eingingen, waren es Ihre engsten Mitarbeiterinnen, die diese vertraulichen Unterlagen aktiv angefordert und auch erhalten haben. Von dort gelangten die Unterlagen dann praktisch an alle Personen in Ihrem unmittelbaren Umfeld. Alle wichtigen Personen in der Behörde hatten offenbar Zugang zu diesen Dokumenten, aber nur diejenige, deren politisches Schicksal von diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss abhängt, nämlich die Senatorin, wurde angeblich von ihren engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht über den Inhalt der Dokumente informiert und nur diejenige, die die Verantwortung für die geschlossene Unterbringung trägt, will nichts gewusst haben. Die wichtigsten Vorgänge in der Behörde für Soziales und Familie sollen also dort allein auf der Ebene der Beamtinnen und Beamten und des Staatsrats entschieden worden sein.

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat in der Vergangenheit sicherlich oft Zweifel an der fachlichen Kompetenz von Senatorin Schnieber-Jastram geäußert,

(Michael Neumann SPD: Zu Recht! Das glaubt ja selbst der nicht!)

aber bei allen Zweifeln fällt es uns doch schwer, Ihnen ein solches Maß an Unwissenheit und Unfähigkeit abzunehmen, Frau Senatorin.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Interessant ist auch die Rolle der Justizbehörde. Ein Protokoll ist, so wurde uns berichtet, so kann man es den Zeitungen entnehmen, an die Justizbehörde gegangen und insbesondere auch der nichtöffentliche Teil der Beratungen.

(Zuruf von Werner Dobritz SPD)

Und wieder sind es schwerwiegende Vorwürfe, die der Parlamentarische Untersuchungsausschuss gegen den Ex-Senator Kusch erhoben hat, nämlich der Vorwurf der rechtswidrigen Aussageverweigerung. Dann bearbeitet die Justizbehörde intensiv diesen vertraulichen Vorgang und die Unterlagen werden auch noch an externe Rechtsberater weitergeleitet. Man kann eigentlich nicht sagen, dass es in der Justizbehörde einen Mangel an Juristen gäbe, aber man hat es für notwendig gefunden, externe Rechtsberater heranzuziehen. Das zeigt doch, dass dieser Vorgang offenbar eine gewisse Wichtigkeit auf der Behördenleitungsebene gehabt hat. Man sollte eigentlich auch meinen, dass ein Verwaltungsleiter von den Dingen, denen Wichtigkeit zugemessen wird, Kenntnis hat und Verwaltungsleiter war der bis vor kurzem amtierende Staatsrat Lüdemann. Deswegen wird es Sie nicht überraschen, wenn wir hier ankündigen, dass wir sehr genau überprüfen werden, welche Rolle der neue Justizsenator bei der Weitergabe von Dokumenten gespielt hat und ob die ihm unterstellte Verwaltung wirklich

in wichtigen Angelegenheiten freihändig und ohne Wissen des Verwaltungschefs agieren konnte.

Hier ist tatsächlich Aufklärung notwendig und – es wurde angesprochen – wir werden deswegen auch einen zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen.

(Wolfhard Ploog und Rolf Harlinghausen, beide CDU: PUA Böwer!)

Wir haben versucht, eine Erweiterung des ersten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Einvernehmen mit der CDU herbeizuführen.