Protokoll der Sitzung vom 12.04.2006

Ich finde es engagiert, wie Senator Freytag hier das Programm "Soziale Stadtteilentwicklung" verteidigt. Da heißt es, es sei ein integratives Programm, ein übergreifendes Programm, alle Behörden müssten daran mitwirken, die BWA, die Sozialbehörde, die Schulbehörde. Aber leider muss Herr Freytag das alles allein machen.

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist doch Blödsinn!)

Das funktioniert nicht, verdammt noch mal – Entschuldigung. Es gibt seit 2003 keine Berichterstattung zur sozialen Stadtteilentwicklung mehr. Vorher musste jede Behörde Bericht darüber erstatten, wie sie ihren Beitrag geleistet habe. Im Moment ist dies das Programm einer Behörde. Diese ist allein dafür verantwortlich. Es fehlt die übergreifende Sicht, es fehlt, dass das Projekt wirklich Chefsache wäre, dass es als wesentliche Aufgabe der Stadt gesehen würde, die soziale Spaltung zu reduzieren und dagegen anzugehen. Das ist Ihr großes Versäumnis.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf, die Drucksache 18/3431, die Wahl eines vertretenden Mitgliedes des Hamburgischen Verfassungsgerichtes.

[Unterrichtung durch den Präsidenten der Bürgerschaft: Wahl eines vertretenden Mitglieds des Hamburgischen Verfassungsgerichts – Drucksache 18/3431 –]

Da das Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht in seinem Paragraphen 4 eine geheime Wahl vorschreibt, findet die Wahl in Wahlkabinen statt. Wir verfahren so, dass Frau Thomas und Frau Martens abwechselnd die Mitglieder der Bürgerschaft in alphabetischer Reihenfolge aufrufen. Ich bitte Sie, dann zur Kanzleibank zu gehen und dort Ihren Stimmzettel entgegennehmen zu wollen. Jeder Stimmzettel enthält Felder für Annahme, Ablehnung oder Enthaltung. Mit dem Stimmzettel gehen Sie bitte in eine der Wahlkabinen und nehmen Ihre Wahlentscheidung vor. Bitte kreuzen Sie nur ein Feld an. Stimmzettel, die den Willen des Mitgliedes nicht zweifelsfrei erkennen lassen oder Zusätze erhalten, sind ungültig. Auch unausgefüllte Stimmzettel sind ungültig. Nach der Wahlhandlung begeben Sie sich bitte zu Frau Rogalski-Beeck, bei der die Wahlurne steht. Stecken Sie dann Ihren Stimmzettel in die Wahlurne. Ich darf nun Frau Martens bitten, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf wird vorgenommen)

Ist ein Mitglied des Hauses nicht aufgerufen worden? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass alle Abgeordneten aufgerufen worden sind und die Stimmabgabe abgeschlossen ist. Ich erkläre die Wahlhandlung für geschlossen.

Ich bitte, die Stimmauszählung vorzunehmen. Für die Dauer der Stimmauszählung ist die Sitzung unterbrochen.

Unterbrechung: 16.50 Uhr _____________

Wiederbeginn: 16.55 Uhr

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich darf Sie bitten, die Plätze einnehmen zu wollen.

Ich gebe nunmehr das Ergebnis der Wahl bekannt. Bei der Wahl eines vertretenden Mitglieds des Hamburgischen Verfassungsgerichtes sind 117 Stimmzettel abgegeben worden, die alle gültig waren. Herr Ernst Otto Schulz erhielt 101 Ja-Stimmen bei 4 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen. Damit ist Herr Schulz zum vertretenden Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichtes gewählt worden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Schulz, die Bürgerschaft hat Sie soeben zum vertretenden Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichtes gewählt. Hierzu darf ich Ihnen zunächst die Glückwünsche des Hauses überbringen. Ich frage Sie, ob Sie die Wahl annehmen.

Herr Schulz: Ja, ich nehme die Wahl an.

Nach Paragraph 7 des Gesetzes über das Hamburgische Verfassungsgericht haben die Mitglieder des Verfassungsgerichtes vor Antritt ihres Amtes vor der Bürgerschaft einen Eid zu leisten. Ich lese Ihnen den Wortlaut des Eides vor und bitte Sie, bei erhobener rechter Hand die Beteuerungsformel "Ich schwöre es" oder "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" nachzusprechen.

Der Eid hat folgenden Wortlaut:

"Ich schwöre, dass ich als gerechter Richter alle Zeit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die Verfassung und die Gesetze getreulich wahren und meine richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft erfüllen werde."

Herr Schulz: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Sie haben damit den erforderlichen Eid geleistet. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen nun als vertretendes Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichtes eine glückliche Hand in der Amtsführung, alles Gute, Glück und auch Befriedigung bei der Erfüllung Ihrer Aufgabe.

(Beifall bei allen Fraktionen – Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

Jetzt kommen wir zu Punkt 8 e der Tagesordnung, Drucksache 18/3606, Große Anfrage der GAL-Fraktion: Krise und Reform der Berufsfachschulen in Hamburg – Ist die geplante Berufsfachschulreform zeitgemäß?

[Große Anfrage der Fraktion der GAL: Krise und Reform der Berufsfachschulen (BFS) in Hamburg – Ist die geplante Berufsfachschulreform zeitgemäß? – Drucksache 18/3606 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 18/4047 ein Antrag der GAL-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der GAL: Die Ausbildungskrise meistern, die Integration vorantreiben, das Berufsfachschulsystem ausbauen! – Drucksache 18/4047 –]

Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Schulausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben heute schon viel über die wachsende Spaltung in der Stadt gehört. Hierzu gehört auch, welche Chancen junge Leute in Bildung und Ausbildung haben. Insofern passt das Thema heute sehr gut, denn gerade die Bildungschancen, die soeben auch in der Aktuellen Stunde erwähnt worden sind, sind zentral. Das vorhin zitierte Ausbildungszentrum ist eines der guten Dinge, aber leider längst nicht ausreichend

(Olaf Ohlsen CDU: Tu Gutes und sprich drüber!)

für diejenigen, die tatsächlich in Warteschleifen oder beispielsweise in den Berufsfachschulen stecken. Über diese reden wir heute und sie sind Inhalt der Großen Anfrage der GAL-Fraktion.

Wenn die Zukunft für diese Jugendlichen nicht gewährleistet ist, dann fängt genau die Spaltung an. Wir haben in einzelnen Stadtteilen Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Bildungschancen. Das setzt sich in fataler Weise in der Konzentration der Probleme in den Hauptschulen und zum Teil auch in den Gesamtschulen fort. Hierüber haben wir in den letzten Tagen reichlich, auch in den Medien, hören müssen.

Wir haben in der letzten Sitzung der Enquete-Kommission sehr eindrucksvoll von den Pisa-Ergebnissen gehört und uns vom Landesinstitut einmal Regionalanalysen in Hamburg zusammenstellen lassen, wie die Bildungssituation mit sozialer Armut und schlechten Chancen zusammenhängt. Das waren sehr beeindruckende PowerPointPräsentationen. Die Jugendlichen in der Hauptschule landen dann in der Sackgasse, meist ohne Abschluss und ohne Ausbildungsplatz.

Viele dieser Jugendlichen wissen sehr genau, wo sie gelandet sind sobald sie mitbekommen, dass sie keine Chance haben. Für die ist dann mit 15 Jahren die Zukunft schon vorbei. Das ist Realität, meine Damen und Herren, davor können wir auch die Augen nicht verschließen. Wir haben eine Entwicklung, die leider nicht schönzureden ist. Sie finden die Zahlen in der Großen Anfrage, die wir schon im letzten Jahr zur Jugendarbeitslosigkeit gestellt haben, Sie finden die Zahlen in der Großen Anfrage Migration, die wir gestellt haben und jetzt in dieser, die sich mit einem speziellen Teil des Problems beschäftigt. Wir haben seit mehr als zehn Jahren eine sinkende Ausbildungsplatzsituation. Wir haben innerhalb der letzten zehn Jahre ein Absinken um 12 Prozent. Die Folge ist natürlich, dass immer mehr junge Menschen nicht in der dualen Ausbildung sind, sondern in Maßnahmen und Warteschleifen, meist ohne Perspektive. Wir haben hier sehr oft darüber gesprochen und immer wieder gesagt, dass es dann zu einer Verstaatlichung der Ausbildung kommt. Höchstens 40 Prozent der Jugendlichen sind noch in dualer Ausbildung und das lässt sich nicht schönreden. Wir haben jedes Jahr 8000 bis 12 000 Jugendliche in berufsvorbereitenden Maßnahmen und in den Berufsfachschulen und nicht in der Ausbildung. Diese Problematik – der Übergang von der Schule in den Beruf – entspricht von der Anzahl einem kompletten Ausbildungsjahrgang. Ich will noch eine Zahl nennen, was auch in den letzten Jahren passiert ist. Das ist nicht nur der Rückgang der Ausbildungsplätze, sondern – und das ist die Dramatik, die auch eng mit der Thematik der Aktion, die der Bürgermeister letzte Woche gestartet hat, zusammenhängt – von 1996 bis 2005 hat sich der Anteil der jugendlichen Migranten in der dualen Ausbildung halbiert. Das heißt, wir haben gerade in dem Bereich

noch einmal eine Verschärfung. Das ist natürlich ganz dramatisch.

Ich habe den Aktionsplan angesprochen, mit dem der Bürgermeister 1000 jungen Migrantinnen Perspektiven für Arbeit und Ausbildung bietet. Das ist gut, das haben wir grundsätzlich begrüßt und keiner will an den hehren Absichten zweifeln. Wir wissen allerdings auch aus der Nachberichtserstattung, dass es eher eine Absichtserklärung ist und dass es nicht um Zahlen geht, die wir in einem Jahr messen können. Das Verrückte daran, um das einmal so deutlich zu sagen, ist Folgendes: Während einerseits die Erkenntnis da ist, die Leute wach geworden sind, wir haben da Kompetenzen bei den Migranten, die wir auch verschenken, wird auf der anderen Seite in der Berufsfachschule die Notenschwelle erhöht und dadurch über 2000 Jugendliche rausgekickt werden. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück. Ich bin einfach skeptisch bei diesen Absichtserklärungen und Programmen.

Ich habe in den letzten zehn, 15 Jahren sowohl in der Schule als auch in der Politik in einer schnellen Abfolge immer wieder Aktionsprogramme, Ausbildungspakte, Ausbildungsinitiativen gehabt, dass man sich die Namen gar nicht mehr merken kann, aber man muss ehrlich sagen, dass keines davon, auch nicht ansatzweise die tatsächlichen Probleme der Ausbildungskrise gelöst hat.

Wenn jetzt die Handelskammer – und da habe ich Ihnen als ehemalige Lehrerin etwas mitgebracht – die Stadt mit diesen langen Spruchbändern "Hamburg wächst, wenn wir ausbilden" vollplakatiert – schön wäre es –, was nützt es, wenn gleichzeitig der Frust bei den Armen in der Stadt wächst, weil die wachsende Stadt keinen Platz für diese Jugendlichen hat, um die es heute geht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich frage mich, meine Damen und Herren, an wen richtet sich die Aktion der Handelskammer? An sich selbst? Wer sonst soll denn eigentlich ausbilden?

(Wilfried Buss SPD: Ja, eben!)

Noch einmal zurück zum Aktionsplan. 1000 junge Migrantinnen, das ist richtig und gut. Aber jetzt komme ich auf die Berufsfachschule und auf die Große Anfrage. Die ist leider nicht so erbaulich, weil die Behörde viele Daten und Fakten interessanterweise gar nicht kennt. Da wird eben mal die Notenschwelle zum August des nächsten Schuljahres erhöht und den Jugendlichen der Zutritt verweigert. Statt zu klären, weshalb viele den Bildungsgang nicht erfolgreich abschließen und eine bessere Förderung anstreben, plant man einfach, die Jugendlichen in berufsvorbereitende Maßnahmen abzudrängen. Das heißt, dass man aus der Berufsfachschule durch eine höhere Notenschwelle diesen Sommer 2000 Jugendliche rausschmeißt und wo gehen sie hin? – In die wesentlich teurere Berufsvorbereitungsschule, die aber perspektivlos ist und auch nicht den Realschulabschluss ermöglicht, den wenigstens die Berufsfachschule, die teilqualifizierende, zulässt.

Wir glauben nicht mehr daran, dass die Hamburger Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren ausreichend Ausbildungsplätze schafft und entsprechend die Berufsvorbereitungsschüler tatsächlich in Ausbildung kommen. Deshalb ist das alles nichts Halbes und nichts Ganzes und deshalb müssen wir als Stadt für die nächsten fünf Jahre Verantwortung übernehmen. Wir als GAL-Fraktion for

dern deshalb in einem ersten Schritt ein 1000-PlätzeSonderprogramm mit kooperativen Berufsfachschulen. Eine kooperative Berufsfachschule ist eine vollqualifizierende Berufsfachschule mit einem Ausbildungsabschluss, wo die Jugendlichen etwas in der Tasche haben und nicht ohne alles in irgendeiner Warteschleife hängen.

(Barbara Ahrons CDU: So weit kommt es noch!)

Ja, Frau Ahrons, Sie haben echt keine Ahnung von der Sache.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich kann Ihnen das auch begründen. Das ist dieser ganze bekloppte Kram von der Handelskammer, den Sie dann auch noch unterstützen. Frau Ahrons, wir haben jedes Jahr 8000 Jugendliche in Warteschleifen.