Protokoll der Sitzung vom 26.04.2006

Das Wort erhält der Abgeordnete Engels.

(Uwe Grund SPD: Der sieht das alles ganz an- ders!)

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Nicht ganz anders. Das stimmt nicht. Das sage ich ausdrücklich. Den Eingangsworten von Herrn Maaß stimme ich ausdrücklich zu. Die Menschen um Tschernobyl herum haben unendlich gelitten und leiden immer noch. Sie verdienen genauso unser Mitgefühl. Vor dem Selbstbewusstsein, mit dem sie trotzdem in die Zukunft gelangen wollen, habe ich große Achtung

(Beifall bei der CDU, der SPD und der GAL)

und offenkundig das ganze Haus und das zu Recht.

Aber ich komme – wie Sie natürlich erwarten müssen – zu einem Dennoch: Das Dennoch lautet, dass wir trotzdem und trotz der damit verbundenen Gefühle auch der Menschen bei uns in Deutland, aber nicht nur in Deutschland, – das gehört zur Politik dazu – kühlen Kopf bewahren und erkennen müssen, dass die Energieversorgung gerade in unserem Land ein gewaltiges Problem darstellt. Über diese Energieversorgung möchte ich sprechen.

Wir können, wenn es gut geht, mit regenerativer Energie – im Moment sind es etwa zehn Prozent – vielleicht 20 Prozent abdecken.

(Christian Maaß GAL: Stimmt gar nicht!)

Doch, das ist richtig.

Die 20 Prozent beziehen sich im Übrigen auf einen Zeitraum bis zum Jahr 2020. Noch sind wir weit davon entfernt, auch davon, das zugesagte Kyoto-Protokoll zu erfüllen, einfach deswegen, weil wir Energieprobleme haben.

Zweitens: Die Grundlastversorgung leistet im Wesentlichen die Kohle – Steinkohle und Braunkohle – und na

türlich auch Erdgas. Das sind ungefähr zwei Drittel und mehr. Wir kommen von diesem hohen Prozentsatz nicht so ohne weiteres herunter. Sie wissen, welche Gefahr hinter diesem hohen Prozentsatz steckt, nämlich die Entwicklung in die Klimakatastrophe. Wir können also nicht nur eine Katastrophe sehen, sondern müssen beide möglichen Katastrophen sehen. Ich will gar nicht bestreiten, dass Kernkraft riskant ist. Aber nur auf das eine Risiko zu gucken, heißt eben, keinen kühlen Kopf zu bewahren, und dies ist falsch.

(Beifall bei der CDU)

Diesen kühlen Kopf hat Deutschland leider in der Politik in den letzten 150 Jahren nie so richtig gehabt. Das Vorbild waren eher die Briten. Diese hatten immer einen kühlen Kopf in der Politik.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Die haben dafür Sella- field!)

Bezüglich der Energieproblematik weise ich darauf hin, was um uns herum in Europa geschieht, in den direkten Nachbarstaaten einschließlich Großbritanniens. Dort sind 111 Kernkraftwerke seit Jahrzehnten in Betrieb, ohne erhebliche Störfälle.

(Lachen bei der GAL)

Wir haben eine sehr feine Störfallprogrammatik – diese war in der Sowjetunion übrigens nicht gegeben –, Störfälle Nummer eins, zwei, drei, vier und so weiter. Das ist in Westeuropa eine ganz andere Voraussetzung, Gott sei Dank im Übrigen.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich warne davor, Deutschland zum Nabel der Welt zu erklären und dass nur die Deutschen die richtigen Gefühle mit den richtigen Schlussfolgerungen hätten. Unsere Nachbarstaaten haben 111 Kernkraftwerke.

(Nebahat Güçlü GAL: Das macht es nicht besser!)

Wir haben noch 17 in Betrieb. Wollen Sie etwa behaupten, dass die Franzosen, Briten, Spanier, Schweden alle nicht die richtigen Gefühle hätten? Sie haben nur das, was wir ein bisschen zu wenig haben, zumindest auf Ihrer Seite. Sie haben politischen Verstand und versuchen, ihn einzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe großen Respekt vor den Gefühlen auch unserer Menschen. Ich habe auch großen Respekt vor der AntiAtom-Bewegung – zumindest teilweise –, denn sie hat dafür gesorgt, dass die Sicherheitsvorschriften und die Realisierung von Sicherheit bei unseren Kernkraftwerken in Deutschland einmalige Spitze sind. Das wäre sonst möglicherweise nicht so. Dieser Respekt drückt allerdings wieder die Gefühle aus und die Gefühle, die technische Maßnahmen ausgelöst haben. Wir kommen aber an der Tatsache nicht vorbei, dass die Atomenergie eben eine weitgehend CO2-freie Energie ist und dass sie eine andere Katastrophe zumindest partiell zu vermeiden hilft, nämlich die Klimakatastrophe, und die kann noch erheblich mehr Menschen das Leben kosten. Sie wissen vielleicht, dass der Energiehunger dieser Erde mitverantwortlich ist – und eben die Nicht-Befriedigung dieses Hungers – für jährlich Hunderttausende von Toten. Wenn wir das Energieproblem in seiner Kapazität nicht meistern, schlagen wir den politisch falschen Weg ein.

Meine herzliche Bitte an die Opposition, aber insbesondere an die GAL: Versuchen Sie, bei den Diskussionen mehr kühlen Kopf zu bewahren, versuchen Sie dies auch dadurch zu tun, dass Sie von solchen Plaketten absehen. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Dann gebe ich das Wort der Abgeordneten Dr. Schaal.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Wir bewahren kühlen Kopf, Herr Engels, aber die Katastrophe von Tschernobyl hat uns schlagartig vor Augen geführt, dass Atomkraft eben nicht die erhoffte saubere, sichere und kostengünstige Lösung für unsere Stromversorgung ist. Der Super-GAU hat uns auch klar gemacht, dass wir es bei einem Atomkraftwerk mit Risikotechnik zu tun haben, die keine Fehler verzeiht, aber Menschen machen Fehler. Darum kam es zur Katastrophe. Das ist keine Schuldzuweisung, das ist Fakt.

Dennoch, Herr Engels, sagt man sich offensichtlich in den Chefetagen von Vattenfall auch und denkt schon wieder über den Neubau von Atomreaktoren nach. Das empfinde ich nach Tschernobyl als eine Provokation.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Jahrelang wollte uns die Atomlobby weismachen, dass westliche Reaktoren anders, vor allen Dingen sicherer seien als die in der UdSSR. Dabei füllen die Pannen und Zwischenfälle von westlichen Reaktoren inzwischen ganze Kalender. Selbst der Druckwasserreaktor, der jetzt in Finnland von einem deutsch-französischen Konsortium gebaut wird, wird als supersicher dargestellt. Und was stellt sich gerade vor kurzem heraus? Das Druckgefäß ist schon rissig und die Fundamente bröckeln. Das können Sie in der "Financial Times", London, von vor ein paar Tagen nachlesen. Da wird einem Angst und Bange.

Die rotgrüne Bundesregierung hat im Sommer den Ausstieg aus der Atomenergie eingeleitet. Im Konsens mit den Stromkonzernen wurde der geordnete Rückzug aus dieser Technologie vereinbart und ein Jahr später im Atomgesetz festgeschrieben. Auch die Große Koalition in Berlin hat sich verpflichtet, diese Regelung nicht anzutasten. Die Mehrheit der Deutschen lehnt die Atomenergie ab. Unter Jugendlichen ist die Ablehnung besonders stark. 90 Prozent sind für den Ausstieg. Übrigens auch zwei Drittel der CDU/CSU-Anhänger wollen nicht unbedingt ein Atomkraftwerk vor ihrer Tür haben. Wenn jetzt CDU/CSU-Politiker wie der Bundeswirtschaftsminister, Glos, oder die Ministerpräsidenten von Bayern, Niedersachsen oder Hessen zum Beispiel den Atomkonsens immer wieder infrage stellen, vertreten sie nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern die Interessen der Atomlobby.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Für die SPD bleibt es beim Ausstieg ohne Wenn und Aber. Wir setzen auf Energieeinsparung, auf Steigerung der Energieeffizienz und auf erneuerbare Energien. Hier gibt es noch viel zu tun.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Atomenergie macht heute weniger als ein Drittel des Energiemixes aus. 2020 werden wir 20 Prozent unserer

Energie aus erneuerbaren Energiequellen beziehen, möglicherweise sogar schon 25 Prozent. Auch bei Wärme wird der Anteil weiter steigen. Die Bundesregierung bereitet ein Wärmegesetz vor.

Das Energiekonzept des Senates ist dagegen wenig zukunftsfähig. Der Senat setzt auf Kohle und auf Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Wenn Kohle, dann sauber und erst, wenn alle Energie- und Effizienzreserven gehoben sind. Aber Atomenergie hat ihre Zukunft längst hinter sich,

(Beifall bei der SPD und der GAL)

denn je länger die Atomenergie läuft, desto mehr Probleme schafft sie. Für den Atommüll haben wir noch keine sichere Unterbringung gefunden und unsere Atomkraftwerke verletzen die Sicherheit in unserer Gesellschaft auf eine besondere Art und Weise. Dem gezielten Aufprall eines voll betankten Terrorjets wird kein AKW standhalten. Ich wünschte, dass Sie die Sicherheitsprobleme genauso konsequent verfolgten wie Sie hinter der Kriminalität her sind.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Diskussion um die Laufzeitverlängerung ist doch in Wahrheit der Kampf ums Überleben am Markt. Mit der Laufzeitverlängerung wollen die Energiekonzerne Märkte sichern, um künftig Wettbewerb zu unterbinden. Wer mit Atomstrom günstige Energiepreise verspricht, täuscht die Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wer wie Katharina Reiche jetzt vorstellt, die Atomwirtschaft solle aus dem Gewinn in einen Fonds einzahlen, damit daraus erneuerbare Energien gefördert werde, meint es nicht ernst mit der erneuerbaren Energie, denn Sie müssen sich nur ansehen, was in anderen Ländern damit los ist. Diese gehen an solchen Lösungen kaputt. – Danke.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält die Abgeordnete Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Engels, es geht hier nicht um Gefühle. Ich darf nur erinnern, dass gerade, im Jahr 2003, bei einem Treffen der Betreiberorganisationen der Kernkraftwerke schwerste Vorfälle festgestellt wurden, unter anderem

"nie beobachtete Brennelementschäden in Block 3 des französischen Kraftwerkes Cattenom und Manipulationen an sicherheitsrelevanten Daten in der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield".

Soviel zu den klugen Briten.