Protokoll der Sitzung vom 03.09.2008

Wenn wir ehrlich sind, geben wir das Geld für blinde Menschen nicht nur in diesem Bereich aus. Die Stadtgestaltung wird sich auch verändern. Jeder Umbau, den wir im öffentlichen Nahverkehr vornehmen, muss barrierefrei erfolgen. Wenn wir Shared Spaces bauen, dann bauen wir auch Blindenleitsysteme ein. Wir werden die Betreuung für behinderte Kinder und Jugendliche verbessern, wir wollen also nicht nur eine Gruppe von Behinderten immens bevorteilen, wir wollen ihnen ein Zeichen geben und etwas Gutes tun, aber auch die anderen Menschen mit Benachteiligungen nicht vergessen.

Wenn wir jetzt für die Wiedereinführung der Dynamisierung stimmen, dann ist das ein tolles Signal. Ich würde mich freuen, wenn Sie zustimmen würden und wir gemeinsam beschließen könnten das zu machen, was andere Bundesländer bereits aufgegeben haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Joithe-von Krosigk.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die damalige CDU-Regierung in Hamburg hat das Blindengeld für Erwachsene von 585 Euro auf 448 Euro gesenkt. SPD und GAL waren damals entschieden dagegen und die ehemalige sozialpolitische Sprecherin der GAL, Martina Gregersen, die gerade gesprochen hat, äußerte damals, das Vorgehen des Senats sei nicht notwendig und unverantwortlich. Das hört sich dann heute ein bisschen anders an mit dem Begriff: Ein tolles Signal,

(Martina Gregersen GAL: Das ist es auch!)

dass das Blindengeld jährlich steigen könnte. Und bei könnte muss man aufhorchen, denn wenn die Renten nicht entsprechend steigen, dann wird auch das Blindengeld nicht steigen und es wird keinesfalls, wie gewünscht, an die Kostensteigerung angepasst sein.

Jetzt soll also das erheblich herabgesetzte Blindengeld jährlich zum 1. Juli an die Rentensteigerung angepasst werden. Das waren in diesem Jahr sage und schreibe nicht 5 Prozent – das haben wir schon geklärt –, sondern 1,1 Prozent, also 5 Euro. Dann gibt es Vergleiche mit dem Arbeitslosengeld II, das ähnlich sinnvoll – in Anführungszeichen – angepasst wird. Die Geldentwertung kann damit nicht ausgeglichen werden.

Dieser Antrag hebt zwar das Einfrieren des Blindengeldes auf, schreibt aber die als nicht notwendig und unverantwortlich bezeichnete Kürzung fort. Ich sage ganz entschieden: Das ist die Sozialpolitik der neuen Grünen in Hamburg. Gestern standen im Sozial- und Gleichstellungsausschuss die Anträge von SPD und LINKE für ein Sozialticket und die Anhebung der Regelsätze für Sozialhilfeempfänger auf der Tagesordnung. Diese Anträge wurden von der schwarz-grünen Mehrheit niedergestimmt wie auch der in der vorangegangenen Sitzung von uns geforderte Armuts- und Reichtumsbericht. Grün blinken und schwarz fahren ist der sozialpolitische Leitsatz der neuen Linken.

(Jens Kerstan GAL: Das Sozialticket ist ge- rade im Haushaltsausschuss dran!)

Die LINKE wird sich unter Einbeziehung der Betroffenen und der Verbände für eine tatsächliche Erhöhung des Blindengeldes einsetzen. Von Mo

(Martina Gregersen)

gelpackungen à la Schwarz-Grün haben wir schon genug. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen? Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/930 an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss zu? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer möchte dem gemeinsamen Antrag von GAL- und CDU-Fraktion folgen und das darin aufgeführte Vierte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Blindengeldgesetzes beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig so geschehen.

Es bedarf einer zweiten Lesung. Stimmt der Senat einer sofortigen zweiten Lesung zu?

(Der Senat gibt seine Zustimmung zu erken- nen.)

Das ist der Fall. Gibt es Widerspruch aus dem Hause? – Den sehe ich nicht. Wer will das soeben in erster Lesung beschlossene Gesetz in zweiter Lesung beschließen? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist ebenfalls einstimmig beschlossen. Damit ist das Gesetz auch in zweiter Lesung und somit endgültig beschlossen worden.

Wir kommen dann zu Punkt 49 der Tagesordnung, Antrag der CDU-Fraktion: Implementierung einer abgestimmten Landes- und Regionalplanung für die Metropolregion Hamburg durch Schaffung einer Gemeinsamen Planungskonferenz der Metropolregion Hamburg.

[Antrag der Fraktion der CDU: Implementierung einer abgestimmten Landesund Regionalplanung für die Metropolregion Hamburg durch Schaffung einer Gemeinsamen Planungskonferenz der Metropolregion Hamburg – Drs 19/927 –]

Mir ist mitgeteilt worden, dass einvernehmlich auf eine Debatte verzichtet werden soll.

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/927 federführend an den Stadtentwicklungsausschuss und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss zu? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt in der Sache abstimmen. Wer möchte den CDU-Antrag aus der Drucksache 19/927 annehmen? – Gegenprobe. – Stimmenthaltun

gen? – Das ist mehrheitlich so beschlossen worden.

Dann kommen wir zu Punkt 9 der Tagesordnung, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Medizinische Versorgung Obdachloser.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Medizinische Versorgung Obdachloser – Drs 19/601 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss überweisen.

Wer wünscht das Wort? Frau Bekeris.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wer den Präsidentschaftswahlkampf in den USA verfolgt, dem dürfte nicht entgangen sein, für welches Wahlversprechen die demokratischen Rednerinnen und Redner den meisten Applaus ernten, es ist das Versprechen einer Krankenversicherung für alle. Wofür Barack Obama in den USA noch wirbt, wurde bei uns durch die SPD-Ministerin Ulla Schmidt bereits durchgesetzt. Das Ziel, dass jede Bürgerin und jeder Bürger im Krankheitsfall abgesichert ist, konnte im Rahmen der Bundesgesundheitsreform durch das GKV-Wirtschaftlichkeitsstärkungsgesetz weitgehend umgesetzt werden. Erreicht wurde dies durch eine umfassende Versicherungspflicht.

Theoretisch muss also niemand ohne medizinische Versorgung sein. Nun ist es auch unsere Aufgabe als Landesparlament, die praktische Umsetzung der Gesetzgebung zu begleiten und hier muss ein besonderes Augenmerk auf die Schwächsten der Gesellschaft gelegt werden.

Wir alle wissen, dass Wohnungslosigkeit sowohl körperlich als auch psychisch ein deutlich erhöhtes Krankheitsrisiko darstellt. Dazu kommt, dass Krankheit für Obdachlose aufgrund ihrer Lebenssituation sehr schnell sehr gefährlich werden kann. Trotzdem hören wir immer wieder von Fällen, in denen Obdachlose keine medizinische Versorgung erhalten, denn Obdachlose haben Probleme, ihren Rechtsanspruch auf eine Krankenversicherung durchzusetzen.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Dafür gibt es verschiedene Gründe wie zum Beispiel fehlende Möglichkeiten, versicherungsrelevante Unterlagen aufzubewahren, psychische Beeinträchtigung oder auch Schamgefühle. Trotz dieser Probleme muss in einer reichen Stadt wie Hamburg nach einer Möglichkeit gesucht werden, eine medizinische Versorgung für alle sicherzustellen.

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Das ist die Meinung meiner Fraktion, aber leider nicht die des Senats. Die Antwort des Senats auf die Große Anfrage meiner Fraktion könnte man so zusammenfassen: Zwar gibt es Personen, die medizinisch nicht versorgt werden, darüber haben wir aber keine Zahlen. Die Zahlen aber, die wir haben, zeigen keinerlei Probleme auf, also besteht kein Handlungsbedarf.

Meine Damen und Herren! Wer die Augen vor der Realität verschließt, der sieht auch keine Probleme.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Schätzungen aus der Szene gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent der Obdachlosen keine Krankenversicherung haben. Die kalte Jahreszeit steht bevor und jetzt ist noch Zeit, um in der medizinischen Versorgung Fortschritte zu erreichen. Deshalb beschäftigen wir uns hier und heute mit diesem Thema und deshalb möchte ich die Bürgerschaft eindringlich darum bitten, die Anfrage an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss zu überweisen.

Wir haben zwei Möglichkeiten, die medizinische Versorgung obdachloser Menschen zu verbessern. Zum einen können wir die bürokratischen Hürden so gering wie möglich halten, zum anderen können wir uns Gedanken machen, wie eine medizinische Erstversorgung aussehen muss, die auch tatsächlich bei den Obdachlosen ankommt und in der Lage ist, eine Brücke ins Regelsystem zu schlagen. Beide Möglichkeiten zieht der Senat nicht in Betracht.

Ein Beispiel für eine unnötige bürokratische Hürde für Obdachlose ist die Praxisgebühr und die Zuzahlung zu Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln. Die gesetzlichen Krankenkassen haben die Möglichkeit, ihren Versicherten eine Befreiungsbescheinigung gegen Vorauszahlung der maximalen Zuzahlung auszustellen. Obdachlose können diese Möglichkeit ebenfalls nutzen, wenn der Träger der Sozialhilfe die Zuzahlung der Höchstbeträge im Darlehen übernimmt. Die Rückzahlung erfolgt in Teilbeträgen über eine Einbehaltung der Hilfe zum Lebensunterhalt. Eine finanzielle Mehrbelastung hat der Sozialträger also nicht und trotzdem wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht.

(Uwe Grund SPD: Ganz schlecht!)

Gerade einmal drei Fälle kennt der Senat, in denen ein solches Darlehen im ambulanten Bereich gewährt wurde. Die Begründung dafür ist, die Zuzahlung müsse bereits angefallen sein, bevor ein Darlehen gewährt werden könne. Meine Damen und Herren, ist das Ihr Ernst? Wie soll eine Zuzahlung getätigt werden, wenn keinerlei Rücklagen

vorhanden sind? Die gesetzliche Möglichkeit eines Darlehens wird durch Ihre juristische Interpretation der Gesetzeslage konterkariert.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Lassen Sie uns dieses im Ausschuss diskutieren, denn hier muss eine Lösung im Sinne der Betroffenen gefunden werden. Grundsätzlich muss zudem überlegt werden, wie die medizinische Versorgung für Obdachlose verbessert und finanziell gestärkt werden kann. Ein positives Beispiel ist das Land Nordrhein-Westfalen. Hier haben sich Gesundheitsministerium, Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigung und die kommunalen Spitzenverbände auf ein gemeinsames Finanzierungskonzept verständigt, um die medizinische Erstversorgung wohnungsloser Menschen zu verbessern. Es ist zu prüfen, ob ein ähnliches Modell auch in Hamburg durchsetzbar und umsetzbar wäre. Mein Kollege Uwe Grund hat dieses Modell bereits Ende letzten Jahres angesprochen. Nun liegt die erste Auswertung vor, also eine gute Gelegenheit für den Ausschuss, sich damit zu befassen.

Meine Damen und Herren! Wir haben heute den 3. September. Lassen Sie uns noch vor dem Winter einen Schritt hin zu einer besseren medizinischen Versorgung für Obdachlose machen. Stimmen Sie für eine Überweisung der Anfrage an den Sozialund Gleichstellungsausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat die Abgeordnete Fischer.