Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war eine sehr engagierte Rede, das zeugt von Engagement und das ist auch gut so.
Nur die Sichtweite und die Sichtweise ist natürlich in den einzelnen Fraktionen unterschiedlich. Ich werde jetzt einmal über unsere Sichtweise und Einstellung zu dieser Thematik sprechen.
Wir haben hier schon viel diskutiert und unsere Erfahrung zeigt, dass Obdachlosigkeit ein ernstzunehmendes Problem ist. Aber wir haben ein hervorragendes Fachstellenkonzept entwickelt und dadurch in den letzten Jahren die Arbeitslosigkeit sehr verringert. Das ist ein großer Erfolg und das ist gut so.
Und dieses Konzept, das jetzt greift, wird von vielen Fachleuten auch sehr gelobt und der Erfolg ist eingetreten. Ich muss sagen: Das freut uns und das ist gut so.
Die medizinische Versorgung, die Sie ansprechen, ist natürlich auch ein Teilbereich, mit dem wir uns befassen und beschäftigen. Auch hier, meinen wir, greift ein Hilfesystem. Vielleicht kann in dem einen oder anderen Fall noch etwas verbessert werden, davon gehen wir auch aus. Aber im Großen und Ganzen sagen wir: Hier greift etwas, denn die Obdachlosen haben Zugang zu den Krankenkassen. Jeder Obdachlose kann einen Antrag stellen und kann wieder in seine Krankenkasse aufgenommen werden.
Für die 10 Euro, die gezahlt werden müssen, sind Ulla Schmidt und eventuell auch Olaf Scholz zuständig, denn die haben grundsätzlich nicht vorgesehen, Obdachlose davon zu befreien. Da müssen Sie sich schon an Ihre SPD-Vertreter wenden.
Sie sprechen einige Details an, und zwar stellen Sie darauf ab, Praxisgebühren durch vorausgezahlte Darlehen zu ersetzen. Sie wissen, dass der Bundesgesetzgeber bei der Praxisgebühr keine Ausnahme für Obdachlose vorgesehen hat. Allerdings bestätigt die Ärztekammer Hamburg, dass in derartigen Fällen eine Vielzahl niedergelassener Ärzte auf die Praxisgebühr verzichtet und die Behandlung gleichwohl abgerechnet werden kann. Ein Bedarf an Darlehensgewährung, der wiederum aus bundesgesetzlichen Gründen im Voraus nicht möglich ist, dürfte daher nicht bestehen. Soweit dieses gesetzlich zulässig ist, macht der Senat von Darlehensmöglichkeiten im Interesse der Betroffenen Gebrauch. Dieses gilt für die Zuzahlung bei stationärer Versorgung und bei hohem Bedarf chronisch Kranker am Jahresbeginn. Die Durchführung, für die im Übrigen das Bezirksamt Mitte zuständig ist, ist nicht zu beanstanden.
Sie sorgen sich weiter, dass Obdachlose diese 10 Euro bezahlen müssen. Das haben wir eben besprochen. In diesem Punkt müssen Sie initiativ werden, nicht wir. Tun Sie es, Sie hätten es schon lange machen können, damit sich eine Verbesserung einstellen kann. Sie gehen auch davon aus, dass praktisch die Kostenübernahme durch Darlehen verbessert wird. Auch da, das haben wir schon gesagt, haben wir eine andere Sichtweise. Wir denken auch bis auf Ausnahmen, dass unsere Obdachlosen gut versorgt sind und gut ins Regelsystem eingeführt werden können. Wir sind auch gerne bereit, noch einmal mit Ihnen über die problematischen Fälle, die es in Hamburg gibt, zu sprechen oder Initiativen vorzubereiten.
Herr Präsident, sehr geehrte Herren und Damen! Der Senat schließt seine Antwort auf die Große Anfrage mit dem Satz:
"Die Optimierung der medizinischen Versorgung Obdachloser ist darüber hinaus ein permanenter [Optimierungs-]Prozess."
Dieser Satz klingt wie ein Mantra. Je öfter ich ihn vor mir hersage, desto mehr möchte ich ihn glauben. Da ich zu den Menschen gehöre, die nur das glauben, was sie auch sehen, schmecken, riechen und fühlen können, beziehungsweise an das, was ihnen glaubwürdig, stichhaltig und nachweisbar dargelegt wurde, bleiben Zweifel und die sind nicht gering.
Da ich Sie gerne in die Lage versetzen möchte, meinen Unglauben nachzuvollziehen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit. Das Einzige, das dem Senat nämlich zu einer spezifischen Gruppe – zu obdachlosen Frauen – einfällt, obwohl in der Großen Anfrage mehrfach gezielt nach ihnen gefragt wurde, ist der Tagestreff Kemenate. Interessiert sich der Senat nicht für obdachlose Frauen? Dieser Eindruck entsteht. Frauen sind für den Senat nur ein Randphänomen des Randphänomens Obdachlosigkeit – gepaart mit einer Menge Unwissen. Mich würde es mehr als nervös machen, wenn ich über diese Gruppe Menschen so wenig wüsste wie der Senat. Ich finde es verantwortungslos, dass Sie sich nicht detailliert mit der Situation wohnungsloser Frauen beschäftigt haben. Sie schreiben selbst, dass Ihnen Daten für eine qualifizierte Schätzung nicht vorliegen, nach denen Sie die Anzahl obdachloser Frauen und auch Männer bestimmen beziehungsweise feststellen könnten, wie viele von ihnen keine Krankenversicherung haben.
Dann hören Sie sich jetzt einige Zahlen und Fakten an, die ich in nur wenigen Tagen zusammengetragen habe. Tatsächlich gibt es in Hamburg nur Kemenate, wo sich ausschließlich wohnungslose Frauen anonym aufhalten können und niedrig schwellige Angebote erhalten. Das bedeutet im Zweifel weite Wege, zu weite Wege, um sich Hilfe zu holen. Also ist selbst das niedrig schwellige Angebot von Kemenate für viele obdachlose Frauen zu hoch schwellig, um es zu erreichen. Aber Schwarz-Grün hatte nichts Besseres zu tun, als unser Sozialticket abzulehnen, das es immerhin leichter möglich gemacht hätte, in die Charlottenstraße zu Kemenate zu fahren.
Wie viele wohnungslose Frauen gibt es in Hamburg? Niemand weiß es. Eine Behördenerhebung aus dem Jahr 2002 ging von rund 280 Frauen aus. Das ist ein zu alter Wert, um ihn zu nutzen. Er dürf
te auch vor sechs Jahren schon weit unter der Realität gelegen haben. Vier Sozialpädagoginnen in Teilzeit betreuen bei Kemenate täglich zwischen 30 und 40 Frauen. Jeden Tag kommen neue dazu. Jährlich kommt es zu 6 000 Einzelkontakten.
Was sind das für Frauen? Die überwiegende Anzahl der Frauen ist als Teenager in die Wohnungslosigkeit geraten. Die schulische und berufliche Qualifikation ist in der Regel gering. Obdachlose Frauen fallen weniger auf, denn sie legen in der Regel sehr viel Wert auf ein gepflegtes Erscheinen. Die meisten obdachlosen Frauen sind ledig und zwei Drittel haben Kinder, die teilweise bei anderen Menschen leben. Bei Frauen ist die verdeckte Wohnungslosigkeit ein großes Problem. Viele wohnen ohne mietrechtliche Absicherung bei Bekannten, was häufig mit sexuellen Gegenleistungen verbunden ist. Was obdachlose Männer von Frauen unterscheidet, sind vor allem die Gewalterfahrung und die sexuelle Ausbeutung.
Kommen wir zu der Frage der medizinischen Versorgung. Bis zu 80 Prozent aller Obdachlosen gelten als psychisch krank, Suchtkrankheiten eingeschlossen. Das Problem ist nur zum Teil die Krankenversicherung. Sich um Zuzahlungen für Medikamente, eine Brille oder neue Zähne zu kümmern, bedeutet für Obdachlose, zudem für psychisch Kranke – vier von fünf sind es –, eine Hürde, die sie nur selten überwinden. Das, was in der Großen Anfrage als medizinisches Angebot dargestellt wird, reicht allenfalls als erste Hilfe für obdachlose Menschen aus. Es fehlt insbesondere die Darstellung, wie die medizinische Versorgung auf alleinstehende Frauen mit Kindern ausgerichtet ist. Lassen Sie mich raten: Gar nicht? Stattdessen aber hat Schwarz-Grün derzeit nichts Besseres zu tun, als zum Beispiel den Träger Subway, der durch seine pragmatische und an den Bedürfnissen seiner Klientinnen und Klienten ausgerichteten Arbeitsweise bereits etlichen Frauen und Männern, die auch Mütter und Väter sind, das Leben gerettet hat, in die Pleite zu treiben.
Die Hamburger Regierung hat es seit Jahren versäumt, sich das Datenmaterial zu verschaffen, um das zu gewährleisten, was das wohlklingende Mantra – Die Optimierung der medizinischen Versorgung Obdachloser ist darüber hinaus ein permanenter Optimierungsprozess – vermuten lässt. Ich appelliere daher inständig an die Bürgerschaft, diese Große Anfrage an den Sozialausschuss zu überweisen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben schon unterschiedlich aber ausführlich dargestellt, welche formalen und praktischen Probleme sich für wohnungslose Menschen bei der medizinischen Versorgung und im Alltag auftun. Mir stellen sich auch einige Fragen und ich frage Sie daher: Mal ganz ehrlich, sind wohnungslose Menschen wartezimmertauglich? Ich möchte nicht für alle Wohnungslosen sprechen, aber fragen wir Patienten oder fragen wir vielleicht auch die Ärzte: Wie finden Sie es eigentlich, wenn jemand mit ganz vielen Tüten, vielleicht auch einem nicht wunderbaren Geruch neben Ihnen sitzt und vielleicht auch noch alkoholisiert ist? Also stellen wir uns wirklich die Frage: Möchten wir, dass Menschen im Regelsystem ankommen, obwohl sie dort vielleicht gar nicht richtig gewollt sind? Ja, wir möchten es und wir müssen Bedingungen schaffen, dass sie dort gewollt sind. Das ist unsere Aufgabe.
Ich stelle Ihnen die zweite Frage. Wie kann eigentlich jemand, der bei Wind und Wetter draußen auf der Straße lebt, sorgsam seine Quittungen für die Praxisgebühr drei Monate aufbewahren? Diese Frage stellt sich mir wirklich und eine weitere Frage, die sich daran anschließt ist: Und wenn er jetzt eine Befreiung möchte, wie kann er über ein Jahr lang, wenn er die zwei Prozent überschreitet, alle Quittungen aufheben und irgendwann detailliert an seine Kasse schicken? Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass das nicht machbar ist. Ist Ihnen eigentlich auch klar, dass wohnungslose Menschen vielleicht gar nicht zum Arzt gehen, wenn sie 10 Euro Praxisgebühr und dann auch noch ihren medizinischen Anteil bezahlen müssen, dass das eine solche Hürde ist, dass es sie vielleicht oder bestimmt davon abhält, zum Arzt zu gehen? Die AOK Niedersachsen verzichtet zum Beispiel auf die 10 Euro Praxisgebühr für wohnungslose Menschen. Ich hatte schon einmal Gespräche mit der AOK in Hamburg. Die war nicht bereit dazu und sagte sogar, es wäre illegal, wenn man darüber nachdenke, das zu verändern. – Schade.
Vierte Frage: Ist Ihnen auch bekannt, dass bei wohnungslosen Menschen, die in ein Krankenhaus eingeliefert werden, weil sie schwerste Verletzungen haben – innerlich und vielleicht nicht auf den ersten Blick zu sehen – der Rettungsdienst völlig entsetzt ist, dass sie nach zehn Minuten wieder irgendwo auf der Straße zu finden sind, weil man sie gar nicht behandelt hat? Das ist ein Problem. Eigentlich ist jeder Bürger in Hamburg und in Deutschland krankenversichert. Die Bedingungen sind nur so, dass sie mitwirken müssen. Genau da haben wir das Problem. Sie müssen mitwirken und das schaffen nicht alle Wohnungslosen. Sie haben Angst vor Ämtern, sie haben Angst vor Bürokratie oder – das ist auch interessant – es gibt sie gar nicht. Ich habe es gar nicht geglaubt, aber es gibt
wirklich viele Menschen in Hamburg, die gar keine Ausweispapiere haben. Das fiel mir bei der Frage auf, ob man als Obdachloser eigentlich wählt und an der Wahl teilnimmt. Die Antwort: Ich habe gar keine Papiere, ich existiere eigentlich gar nicht. Also auch hier fehlt die Krankenversorgung.
Von daher brauchen wir sehr viele niedrig schwellige Angebote, um Wohnungslose zu erreichen. Es gibt viele Einrichtungen für Wohnungslose und es wurde hierbei schon vieles verbessert. Sehr loben möchte ich Diakonie und Caritas und auch die mobilen Dienste von Zahnmobil oder der medizinisch aufsuchender Arbeit. Ganz neu haben wir jetzt in Hamburg die psychisch aufsuchende Arbeit. Hier können Menschen, die psychisch krank sind, auf der Straße Hilfe bekommen. Sie müssen dabei keine Formalien oder Bürokratie erledigen. Und sie müssen nicht überlegen, ob sie in einer Praxis willkommen sind oder ob sie überhaupt einen Termin beim Psychiater bekommen. Dieses müssen wir ausbauen und hier müssen wir weiter ansetzen.
All das ist bei uns angekommen. Uns wurde eben vorgeworfen, wir hätten überhaupt keine Ahnung und wüssten gar nicht, worüber wir reden. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der LINKEN und auch von der SPD, die Problemlage für wohnungslose Menschen ist uns wirklich bekannt und wissen Sie was? Wir sind dabei, es zu verändern. Das können Sie mir glauben. Ich versichere Ihnen, dass uns diese Probleme bekannt sind und wir daran arbeiten werden. Das möchte ich und das möchte unsere Fraktion. Daran werden wir arbeiten.
Frau Bekeris, einmal ganz ehrlich, glauben Sie denn, dass, wenn wir das an den Sozialausschuss überweisen – wie Sie es fordern –, man im Winter bessere Verhältnisse hätte? Dadurch wird es auch nicht besser. Lassen Sie uns unseren Job machen. Wir setzen uns hin und wir versuchen, die Situation für die Menschen in dieser Stadt zu verbessern. Da haben Sie mein Wort, dass wir dabei sind. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, die Obdachlosigkeit ist eine der schwierigsten Lebenslagen, die wir uns vorstellen können. Sie ist Ausdruck vielfältiger Lebensprobleme und sie ist nicht selten die Ursache solcher Probleme, aber sie ist auch nicht selten Folge solcher Probleme. Einen Aspekt des Themas Obdachlosigkeit haben Sie mit der Großen Anfrage zur medizinischen Versorgung angesprochen. Deshalb will ich mich an dieser Stelle
auch auf das medizinische Thema beschränken. Ich will aber auch gleich noch einmal sagen: Die Antworten sind nur so gut wie die Fragen.
Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, wenn uns etwas vorgehalten wird, was wir nicht aufgeschrieben haben, wonach aber auch niemand gefragt hat.
Zunächst einmal ist unser Hauptziel – und das sollte es, glaube ich, auch sozialpolitisch sein –, die Integration in das Regelsystem zu erreichen. Das heißt, eine Sozialpolitik, die für alle Betroffenen separate Systeme aufbaut, integriert diese Menschen nicht. Deswegen ist, glaube ich, das Gebot der Stunde die Integration der Obdachlosen in die Mitte unserer Gesellschaft zu stellen. Das bedeutet für die Sozialpolitik auch die Integration von Menschen, die obdachlos sind, in unser in Hamburg wirklich hervorragend ausgebautes gesundheitliches Regelsystem.