Protokoll der Sitzung vom 19.11.2008

te Öffentlichkeit bekommt. Dafür möchte ich ganz herzlich an dieser Stelle danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dieser Tag bringt den Durchbruch für die direkte Demokratie, für mehr Demokratie in Hamburg und es erfüllt uns Grüne mit Stolz, dass wir heute mit Ihnen zusammen daran mitwirken können, dass das Verfassungsrecht wird. Lassen Sie uns immer daran denken, wenn wir wieder zur Tagesordnung übergehen und uns in der Sache streiten, dass dieses Haus dazu in der Lage war, einen solch langen Streit einvernehmlich zu lösen. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Voet van Vormizeele.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht sehe ich den heutigen Tag in seiner historischen Bedeutung nicht ganz so bedeutungsschwanger wie der Kollege Müller. Dennoch sollten wir eines klar betonen: Wir werden mit der heutigen ersten Lesung dieser Verfassungsänderung einen wesentlichen Beitrag zur Wiederherstellung eines Teils des politischen Friedens in dieser Stadt leisten. Ob man das historisch nennt, mag jeder selbst beurteilen, aber ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Seit gut zehn Jahren streiten wir in dieser Stadt

(Wilfried Buss SPD: Vor allem mit der CDU!)

und ganz besonders gerne auch in diesem Saal – über die Bedeutung und Durchführung von Volksentscheiden. Dabei haben wir hier und vor allen Dingen draußen in der Stadt unzählige Diskussionen miteinander und gegeneinander geführt und haben uns häufig unsere sehr, sehr unterschiedlichen Meinungen deutlich gemacht. Alle Beteiligten – und da nehme ich ausdrücklich meine Fraktion und meine Partei nicht aus – haben ihre zum Teil sehr grundsätzlichen Ansichten gerne nahezu missionarisch dem anderen vorgetragen. Wir haben gestritten und zunehmend weniger miteinander geredet. Dadurch haben wir viel Zeit und auch politische Energie auf einen Verfahrensstreit verwandt. Vergessen haben wir manchmal, dass der Disput um und über das Verfahren kaum noch den Streit in der Sache zugelassen hat und das war falsch.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Die Ihnen heute vorliegende Verfassungsänderung beendet hoffentlich diesen Streit. Sie ist ein Kompromiss, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie bedeutet nicht, dass die zum Teil sehr grundsätz

lich anderen und sehr gegensätzlichen Positionen aller Teilnehmer der Gespräche der vergangenen Wochen aufgegeben worden sind. Mit Sicherheit ist "Mehr Demokratie" der Meinung, dass ihr eigener Entwurf, den Sie vorgelegt haben, die beste Lösung ist. Noch immer ist meine Fraktion der Auffassung, dass es einer solchen Verfassungsänderung nicht bedurft hätte. Die Leistung und die Veränderung war und ist die Bereitschaft, den Dialog miteinander zu führen, um die Spirale der endlosen Verfahrensdebatten endlich zu beenden. Dazu haben sich CDU und Grüne bereits im Koalitionsvertrag bekannt und Herr Müller hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir diesen Teil unserer Koalitionsvereinbarung, der wahrlich nicht leicht war, sowohl in der Aushandlung als auch in der Umsetzung, sehr schnell und zügig umgesetzt.

Die Verhandlungen der letzten Wochen und Monate waren zum Teil schwierig und manchmal – das gebe ich offen zu – auch nervraubend. Dass sie am Ende ein Ergebnis gebracht haben, mit dem alle Seiten zufrieden sind, ist der Bereitschaft auf allen Seiten zu danken, die hier wirklich Bewegung zeigen. Der eine oder andere wird heute mit Sicherheit in der Tradition der vergangenen Jahre versuchen, sich selbst oder seine Partei als vermeintlichen Gewinner dieser Debatte hinzustellen. Er hat dann wenig von dem Stil und dem Inhalt der Verhandlungen begriffen. Gewinner des heute vorgelegten Kompromisses ist die Stadt. Wir können uns jetzt wieder auf den Streit konzentrieren, der wirklich wichtig ist in der Sache, denn es geht um die Zukunft unserer Stadt.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Lassen Sie mich auf zwei Aspekte eingehen, die mit dieser Verfassungsänderung systematisch neu eingeführt werden. Künftig werden wir kein starres Quorum haben, sondern ein Quorum, das an der Beteiligung der Bürger orientiert ist. Der Grundsatz, dass Volksentscheide an Wahltagen durchgeführt werden, ist für uns Christdemokraten wichtig. Er ermöglicht damit gleichzeitig die Einführung eines sogenannten Parlamentquorums. Entscheidende Größe wird künftig die Anzahl der Menschen sein, die am Wahltag ins Wahllokal gegangen sind. Auch derjenige, der bewusst am Volksentscheid nicht teilnimmt, weil er irrtümlich meint, seine Nichtteilnahme sei doch faktisch eine NeinStimme, wird jetzt berücksichtigt. Das führt dazu, dass sich die bisherigen starren Beteiligungsbestimmungen verändern werden. Wir werden erleben, dass Quoren sinken oder steigen, je nach Wahlbeteiligung. Die Möglichkeit, dass eine aktive Minderheit eine zugegebenermaßen leider schweigende Mehrheit majorisiert, wird dadurch deutlich erschwert.

Volksgesetzgebung heißt auch immer, mehr Wahrnehmung von Verantwortung durch das Volk. Wer gesetzgeberische Verantwortung wahrnehmen will,

(Farid Müller)

muss wissen, welche Folgen sein Gesetz auslösen wird. Die in der Regel wichtigste Folge ist und bleibt nun einmal die Haushaltsfolge, das Geld. Wer vermeintliche Wohltaten beschließen will, muss wissen, welche Kosten dadurch entstehen. Nun wissen wir aus diversen Haushaltsdebatten – eine haben wir gerade über mehrere Stunden erlebt –, dass die Frage der Haushaltswirksamkeit häufig aus den verschiedenen Perspektiven dieses Hauses sehr unterschiedlich beurteilt wird. Mit der expliziten Übernahme des Artikels 71 Absatz 2 schaffen wir die Möglichkeit, dass der Rechnungshof als unabhängige Instanz eine Beurteilung über die künftigen finanziellen Auswirkungen eines Volksentscheides abgeben kann. Er muss dies nicht, genauso wenig wie er es muss, wenn wir es als Parlament verlangen. Das ist wichtig, denn bei einer Volksgesetzgebung muss der Grundsatz gelten, wer bestellt, der bezahlt.

Meine sehr verehrten Kollegen, ich möchte zum Schluss nicht versäumen, mich noch bei einigen Beteiligten dieses schwierigen Prozesses zu bedanken. Einige sind bereits von Herrn Müller erwähnt worden, deshalb brauche ich es nicht zu wiederholen. Es war am Anfang nicht einfach, eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage zu schaffen. Ich glaube, dass es uns am Ende gelungen ist, die Verhandlungspartner nicht nur als Gegner zu sehen, sondern auch als Andersdenkende zu respektieren. An einem solchen komplexen und juristisch ausgesprochen schwierigen Gebilde haben sehr viele Menschen mitgearbeitet. Wir haben in den letzten Wochen die Bereitschaft manches Fachmannes und mancher Fachfrau, uns mit Rat zur Seite zu stehen, sehr strapaziert. Dennoch haben dies alle bereitwillig getan. Wenn auch die politische Verantwortung bei den Fraktionen, bei dem Kollegen Müller und mir als Verhandlungsführer der Koalition liegt, so wäre dieser Entwurf nicht ohne die Mitarbeit unserer wissenschaftlichen Referenten möglich gewesen. So gebührt, was in diesem Hause eher unüblich ist, den Mitarbeitern Hausen und Ebel ein ganz besonderer Dank,

(Beifall bei der CDU und der GAL)

denn sie haben teilweise unter Verletzung sämtlicher Arbeitsschutzvorschriften an Wochenenden, in späten Abend- und Nachtstunden diesen Entwurf erst ermöglicht. Der Entwurf ist kompliziert und komplex und darin stecken viele Stunden Arbeit. Mit dieser Vorlage schaffen wir hoffentlich heute die Grundlage für künftig konstruktive Diskussionen. Wir sind mit der Arbeit bei Weitem nicht fertig. Wenn das Haus diesem Vorschlag heute in erster und in drei Wochen in zweiter Lesung folgen wird, werden wir in den nächsten Wochen gemeinsam mit "Mehr Demokratie" die notwendigen einfach gesetzlichen Veränderungen am Volksabstimmungsgesetz vornehmen. Aber auch das – davon bin ich fest überzeugt – werden wir gemeinsam hinbekommen. Dieses Gesetz beendet den Streit

um das Verfahren und es eröffnet den Disput in der Sache. Den werden wir jetzt hoffentlich alle mit Engagement und Leidenschaft führen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Ernst.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zur Sache etwas sage, möchte ich zu Beginn den Kollegen Andreas Dressel entschuldigen, der gerne an der Debatte teilgenommen hätte, aber der heute familiär gebunden ist. Er wird die Zeit jetzt im Kreißsaal und nicht im Plenarsaal verbringen. Ich glaube, das ist auch ein guter Ort und wir wünschen alles Gute.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir befinden uns in der Tat nicht in einer Stunde Null der Debatte über die Volksgesetzgebung, sondern wir befassen uns seit über zehn Jahren mit diesem Thema und haben kontrovers, aber manchmal auch einvernehmlich diskutiert. Dennoch gehört zu einem Rückblick, auch die Politik der CDU der letzten Jahre ein wenig in den Blick zu nehmen.

Herr Voet van Vormizeele, Sie haben von Frieden gesprochen, der in dieser Frage über uns kommen soll. Ich denke, dieser Friede war notwendig, weil Sie in den letzten Jahren wirklich nichts unversucht gelassen haben, Unfrieden zu schaffen zwischen dem, was Bürgerinnen und Bürger durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide artikulieren und dem, was der Senat will. Mehrere Jahre Unfriede sind die Vorgeschichte dessen, was wir heute diskutieren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es verwundert ein wenig, weil wir vor zehn Jahren doch eine gewisse Einigkeit darüber hatten, dass Wählerinnen und Wähler nicht nur alle vier Jahre einer Partei ihre Stimme geben wollen, sondern dass sie zu Sachentscheidungen gefragt werden wollen und dass sie das auch tun, weil sie in bestimmten Fragen andere Auffassungen haben als ihre jeweilige Lieblingspartei.

Die letzten Jahre sind eine Geschichte der Missachtung von Volksgesetzgebung. Der größte Sündenfall war der Verkauf des Landesbetriebes Krankenhäuser, ein Punkt, der viele in dieser Stadt immer noch schmerzt. Sie haben damals den entschiedenen Willen von 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ignoriert. Sie haben sich, ohne mit der Wimper zu zucken, darüber hinweggesetzt.

Im Jahr 2005 sind Sie dann nicht mit dem Skalpell, sondern mit der Axt an die Grundlagen der Volksgesetzgebung gegangen und haben dieses Gesetz an entscheidenden Stellschrauben so verändert,

(Kai Voet van Vormizeele)

dass Volksgesetzgebung immer schwieriger wurde. So sollte man keine Unterschriften mehr auf der Straße sammeln, es wurde eine sogenannte Amtseintragung eingeführt und es durften Volksentscheide nicht mehr an Wahltagen stattfinden. Auch das ist eine entscheidende Verschlechterung, die die CDU zu verantworten hatte.

All das hatte nur ein Ziel, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken. Das ist auch an dieser Stelle von Ihnen, von Herrn Jäger mit abenteuerlichen Argumenten jeweils verteidigt worden. Sie sind sogar soweit gegangen, dass Sie Vorschläge gemacht haben, die vom Hamburgischen Verfassungsgericht als Bruch der Verfassung bewertet worden sind.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist doch Schnee von gestern! Erzählen Sie doch mal was Neues!)

Sie haben das vom Volk beschlossene Wahlrecht so verändert, dass der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger sehr massiv beschnitten wurde.

Ich will auch noch an eines erinnern: Sie haben mit sehr reißerischen, hetzerischen Kampagnen in die Debatte eingegriffen. Ich will noch mal eine hochhalten: "Nirgendwo ist Volksgesetzgebung so einfach, das reicht einigen einflussreichen Drahtziehern aber nicht." Wir haben uns damals sehr an der Sprache gestört. Wir sind froh, dass Sie über Ihren Schatten gesprungen sind und mit sogenannten Drahtziehern in den letzten Wochen verhandelt haben. Das war, glaube ich, doch ein guter Schritt.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweiter Punkt hat mir beim Suchen im CDUMaterial auch sehr gefallen. Hier steht: Die Initiative will auch, dass kleine Gruppen Gesetze ändern können mit Folgen. Nur 17,5 Prozent der Wähler könnten die Gymnasien abschaffen. Ich glaube, wenn man die aktuelle Debatte verfolgt, fürchten sich die Gymnasien nicht so sehr vor Volksentscheiden, sondern sie fürchten sich vor der CDU, die hier einen massiven Wortbruch begangen hat.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Dies ist eine große Kette von Missachtung, die Sie in den letzten Jahren vorgelegt haben. Das war umso unverständlicher, weil es doch einen breiten Konsens darüber gab, dass es, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, Veränderungen braucht. Ich bin deshalb wirklich sehr froh und dankbar, dass die Initiative "Mehr Demokratie" nicht nachgegeben hat, sondern immer wieder Anläufe gemacht hat, um zu einer Volksgesetzgebung zu kommen, die angemessen ist und auch den demokratischen Vorstellungen der Mehrheit dieser Stadt längst entspricht. Ich denke, es gehört auch zur gelebten Demokratie, mehrere Anläufe zu nehmen, auch wenn das im Einzelnen manchmal

nervig ist. Wir erinnern uns in diesen Tagen daran, dass wir 90 Jahre Frauenwahlrecht haben. Wenn die Frauen, die da zuerst losmarschiert sind, gleich beim ersten Rückschlag aufgegeben hätten, würden wir hier jetzt auch nicht stehen.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Deshalb gibt es zwei Gründe, warum wir heute da sind, wo wir sind, einmal die Geschichte der Missachtung der Volksgesetzgebung. Ohne die wäre diese massive Gegenbewegung gar nicht auf den Weg gebracht worden. Ich denke, Ihre Politik hat entscheidend dazu beigetragen, dass die CDU bei der letzten Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit verloren hat. Damit wurde die Grundlage gelegt, in diesem Haus zu einer neuen Mehrheit zu kommen.

Nun haben Sie sich entschieden, einen Antrag vorzulegen, bei dem im Kopf nur CDU und Grüne stehen. Ich weiß nicht, ob das ein bisschen etwas mit Vergangenheitsbewältigung bei der CDU zu tun hat. Ich möchte, statt das selber zu kommentieren, etwas vorlesen, was vom Urgestein von "Mehr Demokratie" verfasst wurde, von Herrn Manfred Brandt. Er schreibt zu Ihrem Vorgehen:

"Ich habe wenig Verständnis für die Haltung der Koalition. Die Verfassungsänderung ist kein alleiniger Vorschlag der Koalition. Der Text ist wesentlich mit der GAL und der SPD erarbeitet worden. Er ist in vielen Teilen der SPD zumindest in für mich anstrengenden Sitzungen abgerungen worden. Die SPD ist dabei von ihren ursprünglichen Positionen, die sie immer hart vertreten hat, sehr stark auf unsere Position eingegangen. Ich finde es gut, dass auch die CDU mit der Einschränkung bei den Quoren diesen Weg gegangen ist. Unser Appell: Liebe Koalition, lasst uns dieses nun gemeinsame Projekt auch nach außen als gemeinsam darstellen. Die Sache gebietet es, für die Vertrauensbildung wäre es gut."

Soweit die Kommentierung aus der Initiative für das von Ihnen gewählte Verfahren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vertrauensverlust ist auch das weitere Stichwort, zu dem ich etwas sagen will. Der Schaden, den Sie angerichtet haben, ist nicht durch die Abstimmung, die wir machen werden und die zweite Lesung im Dezember beseitigt worden. Jeder, der mit Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen Monaten gesprochen hat, weiß, dass Volksentscheide massiv von Bürgerinnen und Bürgern infrage gestellt werden, weil sie nicht mehr an ihre Wirkung glauben. Das begegnet einen in Altona bei der Frage des Bismarckbades, das begegnet einen in Wohldorf-Ohlstedt zur Frage der Bebauung und das begegnet einen bei der Frage des Landesbetriebs Krankenhäuser. Sie haben durch Ihr Verhal